Blackberry-Hersteller vor dem Waterloo
Streit » Ein Patentstreit bedroht den kanadischen Blackberry-Hersteller Research In Motion (RIM). Nun wird es für das Unternehmen ganz eng. Ein US-Bundesgericht lehnte in der vergangenen Woche den Antrag von RIM ab, den Fall bis zur Entscheidung des US-Patentamtes auf Eis zu legen. Nun sind fast alle Rechtsmittel ausgeschöpft.
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Oprah Winfrey reckt den Blackberry mit dem magentafarbenen T-Mobile-Logo dicht in die Kamera. „Es hat alles. Es ist ein Telefon. Es kann E-Mail. Und es bringt Ordnung in dein Leben“, schwärmt die US-Talkshow-Ikone und empfiehlt ihrem Millionenpublikum das Gerät wärmstens für den diesjährigen Gabentisch.
Jackpot für den kanadischen Blackberry-Hersteller Research in Motion (RIM) und Vertriebspartner T-Mobile: Was die Selfmade-Milliardärin anpreist, verwandelt sich automatisch in einen Bestseller. Schon am Tag danach ziehen die Verkäufe spürbar an. Das von Oprah Winfrey angepriesene Modell ist stärker auf Privatnutzer als auf Geschäftsleute zugeschnitten – ein auch in den USA noch jungfräulicher Markt.
RIM kann den Beistand der Talkshow-Ikone gut gebrauchen. Denn die erfolgsverwöhnten Erfinder des E-Mail-Handys Blackberry machen dem Namen ihres Unternehmenssitzes derzeit alle Ehre. Dem in Waterloo, Ontario, beheimateten Unternehmen droht die Abschaltung im wichtigen Kernmarkt USA und damit die schlimmste Krise seiner 21-jährigen Geschichte. Als Folge eines Patentstreits muss möglicherweise von einem Tag auf den anderen ein Großteil der weltweit 4,3 Millionen Nutzer auf den rund um die Uhr verfügbaren E-Mail-Service verzichten – unter ihnen die Topmanager von Intel, General Motors und Daimler-Chrysler sowie Diplomaten wie US-Außenministerin Condoleezza Rice und Stars wie Madonna. Der heiß geliebte Blackberry, der wegen latenter Suchtgefahr den Spitznamen Crackberry bekommen hat, müsste dann seinen Dienst einstellen.
Schuld ist ein seit vier Jahren schwelender Patentrechtsstreit mit der US-Minifirma NTP, die praktisch keine Mitarbeiter beschäftigt, sondern nur Patente verwaltet – darunter acht zum Übermitteln von E-Mails über Mobilfunknetze. NTPs einziger Geschäftszweck ist das Ausschlachten von Patentrechten. Jahrelang nahm RIM-Chef und -Gründer Mike Lazaridis, mit knapp einer Milliarde US-Dollar Privatvermögen einer der reichsten Männer Kanadas, die Klage von NTP nicht sonderlich ernst. Schließlich war es der Tüftler Lazaridis, der die E-Mail aufs Handy geholt und weltweit populär gemacht hatte. Experten bestärkten Lazaridis in dem Glauben, dass die NTP-Patente fragwürdig seien und es nur eine Frage der Zeit sei, bis sie den Amerikanern aberkannt würden. Eine Fehleinschätzung: NTP konnte sich vor Gericht immer wieder durchsetzen und sogar eine Jury überzeugen, dass die Kanadier ihre Produktideen geklaut haben.
Anfang des Jahres wurde Lazaridis der Ernst der Lage bewusst. Der RIM-Chef kam NTP entgegen und verständigte sich auf einen Lizenzvertrag im Wert von 450 Millionen US-Dollar, der aber an den Zahlungsmodalitäten scheiterte. RIM forderte im Falle des Aberkennens der Patente die Rückzahlung eines Teils der Summe, was NTP nicht akzeptieren wollte.
Nun wird es für RIM ganz eng. Ein Bundesrichter im US-Bundesstaat Virginia lehnte in der vergangenen Woche den Antrag von RIM ab, den Fall bis zur Entscheidung des US-Patentamtes auf Eis zu legen. RIM scheiterte zudem beim Versuch, NTP per Gerichtsbeschluss zur Anerkennung des 450-Millionen-Dollar-Vergleichs zu zwingen. Der Richter lehnte auch diesen Antrag ab. Nun sind fast alle Rechtsmittel ausgeschöpft.
Die Patentrichter überprüfen gerade die NTP-Patente. Die kleine Firma hält nun alle Trümpfe in der Hand, um den Blackberry-Service in den USA von einem Tag auf den anderen abschalten zu lassen. Eilig ließ sich die US-Regierung von NTP-Gründer Donald Stout – einem Patentrechtsanwalt – zusichern, dass Regierung und Sicherheitskräfte von dem gerichtlich verordneten Blackout ausgenommen seien.
Dass es soweit kommt, glaubt allerdings niemand. „NTP geht es nur ums Geld. Die haben ja kein konkurrierendes Produkt“, sagt Citigroup-Analyst Daryl Armstrong. „Ich bin immer ansprechbar“, sagt NTP-Manager Stout. Die Zeit arbeitet für ihn. „Je mehr Unsicherheit gestreut wird, umso mehr Kunden schauen sich nach Alternativen um“, warnt Avi Greengart vom Marktforschungsunternehmen Current Analysis.
Die Verzögerungstaktik könnte RIM nach Analystenschätzungen bis zu einer Milliarde Dollar kosten – plus jährliche Lizenzzahlungen. Auf jeden Fall deutlich mehr als die 450 Millionen Dollar vom Frühjahr, was Lazaridis und seinem Co-Vorstandschef Jim Balsillie mit Sicherheit Aktionärsklagen einbringen wird. Damit droht ein Schadensersatz, der fast an den derzeitigen Umsatz von 1,3 Milliarden US-Dollar heranreicht. Den beiden Manager bleibt nur ein Ausweg: Sie könnten den obersten Gerichtshof der USA anrufen. Ihre Argumentation: NTPs Patente, die nur in den USA geschützt sind, würden gar nicht greifen. Denn RIM schickt alle E-Mails über Vermittlungsrechner, die sich außerhalb der USA befinden. Zur Sicherheit hat RIM eine abgewandelte Version der Vermittlungssoftware entwickelt, die angeblich NTPs Patente nicht verletzt.
Ein Schadensersatz in Milliardenstrafe wäre nicht der Untergang von RIM. Das Unternehmen besitzt Barreserven in Höhe von 1,9 Milliarden US-Dollar. Das Geld, meinen Analysten und Investoren, sollte RIM jedoch besser zur Abwehr von Wettbewerbern einsetzen. Insbesondere Handy-Weltmarktführer Nokia plant für nächstes Jahr eine große mobile E-Mail-Offensive und will Unternehmen nicht nur eigene E-Mail-Handys, sondern auch Computer verkaufen, die eingehende E-Mails sofort auf die Handys der Mitarbeiter leiten. Die Finnen haben gerade für 450 Millionen Dollar den E-Mail-Spezialisten Intellisync aus dem Silicon Valley übernommen. Insider frotzeln bereits: „Nokia zahlt 450 Millionen US-Dollar für den Markteintritt. RIM das Doppelte, um im Markt zu bleiben.“
Im Januar wollen die ehemaligen Rivalen Palm und Microsoft gemeinsam den Treo 700 auf den Markt bringen und Blackberry attackieren. Softwareriese Microsoft hat auch die neue Version seiner E-Mail-Steuerungssoftware Exchange mit der Fähigkeit ausgerüstet, elektronische Botschaften ähnlich wie der Blackberry automatisch in die Mobilfunknetze weiterzuleiten und mit dem Postfächern im Unternehmen zu synchronisieren.
Bis dahin muss RIM die Sicherheitslücken schließen, die das Bonner Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) festgestellt hat (WirtschaftsWoche 43/2005). Die Behörde hatte RIM angekreidet, dass das „gesamte Nachrichtenaufkommen zwangsweise“ über ein Rechenzentrum in Egham bei London geleitet wird. Die dortigen Sicherheitsbehörden und Geheimdienste könnten Zugang zu allen Verbindungsdaten und Inhalten erhalten und Wirtschaftsspionage betreiben. Eine von RIM beim Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie in Auftrag gegebene Studie soll diese Vorwürfe bis Anfang kommenden Jahres entkräften.
Wichtige Prestigeprojekte liegen so lange auf Eis. So wollte das Bundesverteidigungsministerium zum ersten Mal Bundeswehr-Generäle mit Blackberrys ausrüsten und hatte einen Vertrag mit T-Mobile geschlossen. „Seitdem das BSI Sicherheitsbedenken hat, rührt sich gar nichts mehr“, sagt ein hochrangiger Ministerialbeamter.
Quelle: Aus der WirtschaftsWoche 50/2005
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Der Einsame Samariter
Zeitpunkt: 28.12.05 07:47
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