Traurig:
Leipzig - Die Ost-West-Kluft auf dem Arbeitsmarkt wird immer tiefer.
Nach der jüngsten Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird der Abstand zwischen ost- und westdeutscher Arbeitslosenquote in diesem Jahr erstmals über der Marke von zehn Prozentpunkten liegen. Vor drei Jahren - im Oktober 1998 wurde die Regierung Kohl abgelöst - betrug die Differenz hingegen erst 8,8 Punkte.
Nach WELT-Informationen rechnet das zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) gehörende IAB in 2001 mit durchschnittlich 3,850 (Vorjahr: 3,889) Mio. Arbeitslosen. Das entspricht einer Quote von 9,5 (9,6) Prozent. Trotz der scheinbar nur geringfügigen Veränderung kann von einem Stillstand auf dem Arbeitsmarkt keine Rede sein. Vielmehr verbergen sich hinter den Zahlen zwei gegenläufige Trends. Im Westen wird mit 2,480 Mio. Arbeitslosen und einer Quote von 7,6 Prozent der niedrigste Stand seit 1993 erreicht.
Im Osten hingegen verschärft sich mit 1,370 Millionen Arbeitslosen und einer Quote von 17,8 Prozent die Lage zum dritten Mal in Folge. Und das, obwohl dort anders als im Westen die Zahl der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Arbeitslose) wie die der Einwohner rückläufig ist. Das entlastet die Statistik. Während im Osten 18,5 Prozent der Bevölkerung zu Hause sind, entfallen mittlerweile 38 Prozent aller Arbeitslosen auf die Region. Im letzten Jahr der Kohl-Regierung lag dieser Wert bei 32 Prozent. Eine Besserung ist nicht in Sicht. "Weiter kein Fortschritt am Arbeitsmarkt", verkündete die BA am Mittwoch bei Vorlage der jüngsten Daten über dem Kapitel "Neue Länder".
Zwar hat im November die schwache Weltkonjunktur vor allem den Westen belastet, weil dort das Gewicht der Industrie größer ist. Doch die Vergangenheit lehrt: Abkühlung in den alten Ländern wirkt sich zeitverzögert im Osten aus. Dort wird die ohnehin hohe Arbeitslosenquote laut Herbstgutachten 2002 nochmals leicht steigen - und das, obwohl die Institute im Wahljahr 2002 mit einer Ausdehnung der aktiven Arbeitsmarktpolitik im Osten rechnen. Demzufolge werden 355 000 Personen in verschiedenen Maßnahmen (Kurzarbeit, ABM, Weiterbildung) untergebracht - das sind 25 000 mehr als 2001.
Die für die neuen Länder unbefriedigende Arbeitsmarktbilanz sorgt nicht nur dort für Unmut. Auch Brüssel rügt mangelnde Erfolge. Deutschland müsse mehr tun, um die bestehenden Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt zu beseitigen, mahnte EU-Sozialkommissarin Anna Diamantopoulou jüngst. Im Wahlkampf hatte Gerhard Schröder vor allem den Ostdeutschen versprochen, gegen die Jobmisere vorzugehen: "Daran will ich besonders hier gemessen werden." Übernommen hatte der Kanzler den Osten im Oktober 1998 aber mit einer Quote, die mit 15,7 Prozent um sieben Punkten über der des Westens lag. So niedrige Werte sind seither in keinem Monat mehr erreicht worden. Die Opposition warf der Regierung nach Bekanntgabe der Nürnberger Zahlen Ignoranz und Versagen vor. Der Bundesverband mittelständischer Wirtschaft fordert Reformen wie Subventionen für Mindestlöhne.
Das hat auch DIW-Präsident Klaus F. Zimmermann angeregt. Zur Kompensation sollten teure Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) abgeschafft werden. Während im Osten Milliarden in ABM fließen, nimmt der Fachkräftemangel zu. So kann Sachsens Industrie jede fünfte offene Stelle nicht besetzen. Für eine Deregulierung der Arbeitsmärkte plädiert auch Ifo-Chef Hans-Werner Sinn. Ferner sei die Vorstellung falsch, dass neue Jobs nur mit mehr Wachstum entstünden. Vielmehr würden flexiblere Arbeitsmärkte zu einem höheren Wachstum führen.