Immer mehr Großunternehmen kehren Hamburg den Rücken. Die Gefahr weiterer Verluste von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen wächst
Ein Gespenst geht um in Hamburg - das Gespenst vom großen Ausverkauf. Im Wochentakt keimen neue Gerüchte und Spekulationen auf, Beiersdorf könnte an einen ausländischen Konzern verkauft werden, etwa an Procter & Gamble, Unilever oder L'Oréal. Noch ist der Ausgang des Pokers um Deutschlands profitabelsten Kosmetikkonzern völlig offen. Aber nicht nur die Beiersdorf-Mitarbeiter werden in ihr Abendgebet mit einschließen, dass der Zuschlag schließlich an den Kaffeeröster Tchibo geht. Denn aus Sicht der Hansestadt - und das ist nicht nur Lokalpatriotismus - geht es um die wichtige Frage, ob ein weiterer Weltkonzern Hamburg den Rücken kehren wird. So steht eventuell eine Konzernzentrale zur Disposition. Dabei geht es um 5000 Arbeitsplätze in der Stadt und um Millionen Euro Steuern. Die Bilanz Hamburgs ist Besorgnis erregend.
Denn der mögliche Verkauf von Beiersdorf würde sich nahtlos in einer Kette schlechter Nachrichten einpassen, der zuletzt die Hansestadt erschütter-te. Reemtsma, die HEW, Universal Music oder auch die ungewisse Zukunft der Vereins- und Westbank sind Beispiele für Abwanderungen aus der jüngsten Vergangenheit. Die Hansestadt verliert als Standort großer Konzernzentralen immer mehr an Gewicht.
So sehr sich die Stadt auch für die Unternehmen ins Zeug legen mag, so machtlos sind Politiker und Behörden in der globalisierten Ökonomie. "Durch den EU-Binnenmarkt und die Internationalisierung der Märkte erhöht sich der Kosten- und Wettbewerbsdruck für die Unternehmen", räumt auch Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) ein. Fusionen und Übernahmen seien deshalb unausweichlich. Aber, so der Senator: "Hamburg ist von diesem Trend nicht stärker betroffen als vergleichbare Wettbewerbsregionen."
Dennoch hat die Fülle der Abwanderungen viele Hamburger aufgeschreckt. So ist im Stadtbild bereits der Wegzug von Reemtsma sichtbar. Die neuen britischen Eigentümer Imperial Tobacco suchen derzeit einen Käufer für den Firmensitz an der Parkstraße in Othmarschen. Das einem Park ähnliche Gelände wird längst nicht mehr komplett von Reemtsma genutzt, nachdem 235 von 800 Arbeitsplätzen gestrichen wurden. Auch in der Energiebranche sind in Hamburg in vielen Firmenhäusern die Lichter ausgegangen. Die schwedische Vattenfall-Gruppe übernahm im August 2002 sämtliche Anteile an den Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) und legte den Konzern mit den anderen deutschen Töchtern Berliner Bewag und Veag sowie Lausitzer Laubag zusammen. Firmensitz wurde Berlin, Hamburg verblieb als Außenstelle. Zum Trost vereinbarte Finanzsenator Wolfgang Peiner Arbeitsplatzgarantien für 3000 Beschäftigte bis zum Jahr 2005.
Brandaktuell ist die Abwanderung von Hein Gas nach der Fusion mit der Rendsburger Schleswag. Im September steht der Umzug nach Quickborn an, mehr als 400 Arbeitsplätze gehen verloren, auch der traditionsreiche Name wird verschwinden und durch den neuen Namen Eon Hanse ersetzt. Im Mineralölgeschäft steht Hamburg zwar noch als Sitz einiger Auslandstöchter internationaler Konzerne vergleichsweise gut da. Die Fusion von BP und Aral ging dennoch zu Lasten der Stadt: Viele Hundert Arbeitsplätze verschwanden von Hamburg nach Bochum.
Nicht minder spannend als bei Beiersdorf ist derzeit die Situation bei Deutschlands größter Brauerei-Gruppe, Holsten. Seitdem Großaktionär Christian Eisenbeiss Mitte Juli überraschend erklärte, er wolle sein Aktienpaket von knapp unter 50 Prozent verkaufen, herrscht Unruhe in der Holstenstraße. Die Investmentbank Lehman Brothers sucht derzeit einen Käufer. Als Kandidaten werden die amerikanische Anheuser Busch, die belgische Interbrew oder die britische Scottish & Newcastle gehandelt. Auch Heineken aus den Niederlanden wird genannt. In jedem Fall aber dürfte nur eine Brauerei aus dem Ausland eine realistische Chance haben, die deutschen Wettbewerber gelten als finanzschwach. Unternehmensberater von Roland Berger rechnen damit, dass als Folge der Fusion Braustätten zusammengelegt werden. Mit einem Paukenschlag verließ auch der Musikkonzern Universal die Stadt im Juni 2002. Alle 520 Arbeitsplätze gingen - gelockt von millionenschweren Subventionen des Berliner Senats - in die Hauptstadt.
Auch die Baisse an den Börsen hat das Übernahmekarussell angeworfen - meist zum Leidwesen der eher kleinen Hamburger Unternehmen. Aus dem sonnigen Plano in Texas kamen Mitte 2001 die Käufer der Systematics AG. Electronic Data Systems hat vor wenigen Tagen angekündigt, bis zu 800 der 5300 Arbeitsplätze in Deutschland streichen zu wollen. Auch Hamburg ist davon betroffen. Und erst in der vergangenen Woche kündigte der kanadische Konzern Open Text Corporation an, den Hamburger IT-Dienstleister Gauss Interprise AG übernehmen zu wollen. Schon kurz vor dem offiziellen Übernahmeangebot erhielten 23 der 87 Hamburger Mitarbeiter eine betriebsbedingte Kündigung. Allerdings, so sagen Analysten, kann der Hunger nach Hamburger Firmen auch Arbeitsplätze retten. Denn die Alternative zum teilweisen Exodus ist oft noch brutaler und lautet Exitus.
Fehlanzeige herrscht auch bei der Suche nach Konzernzentralen unter den Versicherungen der Hansestadt. Die Albingia gehört zum Kölner Axa-Konzerns und verschwand komplett von der Bildfläche; die Volksfürsorge gehört heute zur Aachener AMB-Gruppe und damit zu Generali; die Hamburg Mannheimer wurde in die Ergo-Gruppe eingegliedert, der Deutsche Ring wird von der Schweizer Baloises-Gruppe gesteuert. Auch bei Axel Springer gibt es Veränderungen. Kürzlich teilte der Verlag mit, dass zentrale Steuerungs- und Servicefunktionen in Zukunft in Berlin gebündelt werden sollen, wo der Verlag bereits seit 1967 seinen formalen Sitz hat. Der Standort Hamburg mit seinen Zeitungen und den verschiedenen Zeitschriftenverlagen bleibe auch weiterhin ein wichtiger Verlagsstandort, stellt Konzernsprecherin Edda Fels aber klar.
Auch in der Wirtschaftsbehörde will man den Trend der Abwanderungen nicht überbewerten. Zwar dürfe und wolle man Unternehmen nicht mit Subventionen ködern, sagt der Leiter des Amts für Wirtschaft, Senatsdirektor Gunther Bonz. Er betont aber, das Hamburg keineswegs kampflos aufgebe. Vor allem der unmittelbare Kontakt zu den Vorstandschefs der Unternehmen sei wichtig. Wirtschaftssenator Uldall suche deshalb vielfach das persönliche Gespräch, um herauszubekommen, wo die Betriebe der "Schuh drückt". Zudem hätten Uldall, Bürgermeister Ole von Beust und Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) Branchendialoge eingeführt, um mit Unternehmensführern Probleme zu besprechen. Daneben mache Hamburg fast alles möglich, wenn es um Entwicklungsmöglichkeiten von Unternehmen gehe, sagte Bonz. Für die Holsten-Brauerei beispielsweise seien eine ganze Reihe von Erweiterungsflächen reserviert sowie Plan- und Baurecht geschaffen worden.
Nicht zuletzt versucht die Stadt bei der Qualifizierung von Arbeitnehmer-Bedürfnissen der Unternehmen Rechnung zu tragen. Erfolgreich zeige sich das am Beispiel im Zusammenhang mit dem Bau des Super-Airbus A380, so Bonz. Hier gebe es eine enge und erfolgreiche Zusammenarbeit mit hiesigen Hochschulen. "Mit seiner wirtschaftsfreundlichen und insbesondere mittelstandsorientierten Politik hat der Senat neue Akzente gesetzt und die Standortpolitik zukunftsweisend ausgerichtet", befindet Uldall. Zudem setzt Hamburg auf Initiativen auf Bundesebene, die die Rahmen-bedingungen insgesamt wett- bewerbsfähiger gestalten; zum Beispiel durch Bürokratieabbau, Flexibilisierung und Abschaffung überflüssiger Vorschriften. Nicht zuletzt deshalb ist sich Uldall sicher, dass in Zukunft auch größere Zuwanderungen in der Hansestadt gefeiert werden können. Nic/os/mik
WamS.de
Ein Gespenst geht um in Hamburg - das Gespenst vom großen Ausverkauf. Im Wochentakt keimen neue Gerüchte und Spekulationen auf, Beiersdorf könnte an einen ausländischen Konzern verkauft werden, etwa an Procter & Gamble, Unilever oder L'Oréal. Noch ist der Ausgang des Pokers um Deutschlands profitabelsten Kosmetikkonzern völlig offen. Aber nicht nur die Beiersdorf-Mitarbeiter werden in ihr Abendgebet mit einschließen, dass der Zuschlag schließlich an den Kaffeeröster Tchibo geht. Denn aus Sicht der Hansestadt - und das ist nicht nur Lokalpatriotismus - geht es um die wichtige Frage, ob ein weiterer Weltkonzern Hamburg den Rücken kehren wird. So steht eventuell eine Konzernzentrale zur Disposition. Dabei geht es um 5000 Arbeitsplätze in der Stadt und um Millionen Euro Steuern. Die Bilanz Hamburgs ist Besorgnis erregend.
Denn der mögliche Verkauf von Beiersdorf würde sich nahtlos in einer Kette schlechter Nachrichten einpassen, der zuletzt die Hansestadt erschütter-te. Reemtsma, die HEW, Universal Music oder auch die ungewisse Zukunft der Vereins- und Westbank sind Beispiele für Abwanderungen aus der jüngsten Vergangenheit. Die Hansestadt verliert als Standort großer Konzernzentralen immer mehr an Gewicht.
So sehr sich die Stadt auch für die Unternehmen ins Zeug legen mag, so machtlos sind Politiker und Behörden in der globalisierten Ökonomie. "Durch den EU-Binnenmarkt und die Internationalisierung der Märkte erhöht sich der Kosten- und Wettbewerbsdruck für die Unternehmen", räumt auch Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) ein. Fusionen und Übernahmen seien deshalb unausweichlich. Aber, so der Senator: "Hamburg ist von diesem Trend nicht stärker betroffen als vergleichbare Wettbewerbsregionen."
Dennoch hat die Fülle der Abwanderungen viele Hamburger aufgeschreckt. So ist im Stadtbild bereits der Wegzug von Reemtsma sichtbar. Die neuen britischen Eigentümer Imperial Tobacco suchen derzeit einen Käufer für den Firmensitz an der Parkstraße in Othmarschen. Das einem Park ähnliche Gelände wird längst nicht mehr komplett von Reemtsma genutzt, nachdem 235 von 800 Arbeitsplätzen gestrichen wurden. Auch in der Energiebranche sind in Hamburg in vielen Firmenhäusern die Lichter ausgegangen. Die schwedische Vattenfall-Gruppe übernahm im August 2002 sämtliche Anteile an den Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) und legte den Konzern mit den anderen deutschen Töchtern Berliner Bewag und Veag sowie Lausitzer Laubag zusammen. Firmensitz wurde Berlin, Hamburg verblieb als Außenstelle. Zum Trost vereinbarte Finanzsenator Wolfgang Peiner Arbeitsplatzgarantien für 3000 Beschäftigte bis zum Jahr 2005.
Brandaktuell ist die Abwanderung von Hein Gas nach der Fusion mit der Rendsburger Schleswag. Im September steht der Umzug nach Quickborn an, mehr als 400 Arbeitsplätze gehen verloren, auch der traditionsreiche Name wird verschwinden und durch den neuen Namen Eon Hanse ersetzt. Im Mineralölgeschäft steht Hamburg zwar noch als Sitz einiger Auslandstöchter internationaler Konzerne vergleichsweise gut da. Die Fusion von BP und Aral ging dennoch zu Lasten der Stadt: Viele Hundert Arbeitsplätze verschwanden von Hamburg nach Bochum.
Nicht minder spannend als bei Beiersdorf ist derzeit die Situation bei Deutschlands größter Brauerei-Gruppe, Holsten. Seitdem Großaktionär Christian Eisenbeiss Mitte Juli überraschend erklärte, er wolle sein Aktienpaket von knapp unter 50 Prozent verkaufen, herrscht Unruhe in der Holstenstraße. Die Investmentbank Lehman Brothers sucht derzeit einen Käufer. Als Kandidaten werden die amerikanische Anheuser Busch, die belgische Interbrew oder die britische Scottish & Newcastle gehandelt. Auch Heineken aus den Niederlanden wird genannt. In jedem Fall aber dürfte nur eine Brauerei aus dem Ausland eine realistische Chance haben, die deutschen Wettbewerber gelten als finanzschwach. Unternehmensberater von Roland Berger rechnen damit, dass als Folge der Fusion Braustätten zusammengelegt werden. Mit einem Paukenschlag verließ auch der Musikkonzern Universal die Stadt im Juni 2002. Alle 520 Arbeitsplätze gingen - gelockt von millionenschweren Subventionen des Berliner Senats - in die Hauptstadt.
Auch die Baisse an den Börsen hat das Übernahmekarussell angeworfen - meist zum Leidwesen der eher kleinen Hamburger Unternehmen. Aus dem sonnigen Plano in Texas kamen Mitte 2001 die Käufer der Systematics AG. Electronic Data Systems hat vor wenigen Tagen angekündigt, bis zu 800 der 5300 Arbeitsplätze in Deutschland streichen zu wollen. Auch Hamburg ist davon betroffen. Und erst in der vergangenen Woche kündigte der kanadische Konzern Open Text Corporation an, den Hamburger IT-Dienstleister Gauss Interprise AG übernehmen zu wollen. Schon kurz vor dem offiziellen Übernahmeangebot erhielten 23 der 87 Hamburger Mitarbeiter eine betriebsbedingte Kündigung. Allerdings, so sagen Analysten, kann der Hunger nach Hamburger Firmen auch Arbeitsplätze retten. Denn die Alternative zum teilweisen Exodus ist oft noch brutaler und lautet Exitus.
Fehlanzeige herrscht auch bei der Suche nach Konzernzentralen unter den Versicherungen der Hansestadt. Die Albingia gehört zum Kölner Axa-Konzerns und verschwand komplett von der Bildfläche; die Volksfürsorge gehört heute zur Aachener AMB-Gruppe und damit zu Generali; die Hamburg Mannheimer wurde in die Ergo-Gruppe eingegliedert, der Deutsche Ring wird von der Schweizer Baloises-Gruppe gesteuert. Auch bei Axel Springer gibt es Veränderungen. Kürzlich teilte der Verlag mit, dass zentrale Steuerungs- und Servicefunktionen in Zukunft in Berlin gebündelt werden sollen, wo der Verlag bereits seit 1967 seinen formalen Sitz hat. Der Standort Hamburg mit seinen Zeitungen und den verschiedenen Zeitschriftenverlagen bleibe auch weiterhin ein wichtiger Verlagsstandort, stellt Konzernsprecherin Edda Fels aber klar.
Auch in der Wirtschaftsbehörde will man den Trend der Abwanderungen nicht überbewerten. Zwar dürfe und wolle man Unternehmen nicht mit Subventionen ködern, sagt der Leiter des Amts für Wirtschaft, Senatsdirektor Gunther Bonz. Er betont aber, das Hamburg keineswegs kampflos aufgebe. Vor allem der unmittelbare Kontakt zu den Vorstandschefs der Unternehmen sei wichtig. Wirtschaftssenator Uldall suche deshalb vielfach das persönliche Gespräch, um herauszubekommen, wo die Betriebe der "Schuh drückt". Zudem hätten Uldall, Bürgermeister Ole von Beust und Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) Branchendialoge eingeführt, um mit Unternehmensführern Probleme zu besprechen. Daneben mache Hamburg fast alles möglich, wenn es um Entwicklungsmöglichkeiten von Unternehmen gehe, sagte Bonz. Für die Holsten-Brauerei beispielsweise seien eine ganze Reihe von Erweiterungsflächen reserviert sowie Plan- und Baurecht geschaffen worden.
Nicht zuletzt versucht die Stadt bei der Qualifizierung von Arbeitnehmer-Bedürfnissen der Unternehmen Rechnung zu tragen. Erfolgreich zeige sich das am Beispiel im Zusammenhang mit dem Bau des Super-Airbus A380, so Bonz. Hier gebe es eine enge und erfolgreiche Zusammenarbeit mit hiesigen Hochschulen. "Mit seiner wirtschaftsfreundlichen und insbesondere mittelstandsorientierten Politik hat der Senat neue Akzente gesetzt und die Standortpolitik zukunftsweisend ausgerichtet", befindet Uldall. Zudem setzt Hamburg auf Initiativen auf Bundesebene, die die Rahmen-bedingungen insgesamt wett- bewerbsfähiger gestalten; zum Beispiel durch Bürokratieabbau, Flexibilisierung und Abschaffung überflüssiger Vorschriften. Nicht zuletzt deshalb ist sich Uldall sicher, dass in Zukunft auch größere Zuwanderungen in der Hansestadt gefeiert werden können. Nic/os/mik
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