"DIE WELT"
Samstag, 10. Mai 2003 Berlin, 20:31 Uhr
Anzeichen für Fusionen im Ölgeschäft
In Russland werden Übernahmen vorbereitet - Reaktion auf neu entstandene Branchenriesen
von Manfred Quiring
Moskau - Russlands Erdölwirtschaft ist in erhebliche Bewegung geraten. Nachdem durch die Fusionen der Tjumener Erdölgesellschaft TNK und BP sowie Yukos und Sibneft zwei neue Branchenriesen entstanden sind, erwarten Analysten in Moskau eine Fortsetzung des Konzentrationsprozesses. Schon bald, so vermutet Leonid Fedun, Vizepräsident des zweitgrößten russischen Erdölkonzerns Lukoil, werde es in Russland nur noch drei oder vier große Ölgesellschaften geben, "wahrscheinlich unter Beteiligung westlichen Kapitals."
Die Branche teilt sich auf in zwei Sorten von Unternehmen: Die, die zur Übernahme bereit sind und die, die mehr oder minder ungefragt geschluckt werden. So deutet der dieser Tage massiv angestiegene Handel mit Aktien von Surgutneftjegas darauf hin, dass bei diesem Unternehmen eine unfreundliche Übernahme anstehen könnte. Nach Ansicht von Analysten des Investmentunternehmens Troika Dialog hat auch Surgutneftjegas selbst in aller Stille begonnen, eigene Akten aufzukaufen. Erhöhtes Interesse zeigten auch TNK und die mit Yukos fusionierte Sibneft des Oligarchen Roman Abramowitsch.
Der Kurs der Surgutneftjegas-Papiere stieg vor den Maifeiertagen - in Russland ruht vom 1. bis zum 4. Mai die Arbeit - zunächst um 17 Prozent. Er fiel allerdings um sechs Prozent, als bekannt wurde, dass das Unternehmen aus einer Aktiengesellschaft in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgebildet worden ist. Der Markt habe dies als Schutzmaßnahme gegen eine unfreundliche Übernahme interpretiert und negativ reagiert, kommentierte die Zeitung "Njesawissimaja Gaseta".
Surgutneftjegas verfügt über Reserven von und 2,5 Milliarden Tonnen Erdöl und gilt als effizient geführtes Unternehmen. Im vergangenen Jahr förderte Surgutneftjegas 49,2 Millionen Tonnen Öl und fuhr in den ersten drei Quartalen des Jahres einen Gewinn von 1,16 Mrd. Dollar ein. In diesem Jahr will das Unternehmen die Förderung um zehn Prozent erhöhen.
Appetit auf dieses Unternehmen wird auch dem Konzern Lukoil nachgesagt, der nach der YukosSibneft-Gründung als "zweiter Sieger" etwas im Regen steht. Die Ankündigung von Lukoil-Präsident Wagit Alekperow, sein Unternehmen bereite sich auf den Konkurrenzkampf vor, wurde von Analysten zunächst skeptisch aufgenommen, da Lukoil in den wichtigsten Kennziffern hinter der Neugründung zurückbleibt.
Rusenergy.com, das Internet-Portal der Fachzeitschrift "The Russian Energy weekly", machte in diesem Zusammenhang auf eine russische Besonderheit aufmerksam. Der Kreml, ernsthaft besorgt über den wachsenden ökonomischen und politischen Einfluss von YukosSibneft und damit von Michail Chodorkowskij, sei interessiert, ein Gegengewicht zu dem neuen Giganten der Branche zu schaffen. Dafür würde sich eine Fusion von Lukoil mit Surgutneftjegas anbieten, dem sich im kommenden Jahr auch noch die Staatsfirma Rosneft anschließen könnte.
Aber noch ist ja auch die Fusion von Yukos und Sibneft noch nicht sanktioniert. Laut Berichten lag der obligatorische Antrag vergangenen Woche noch nicht im Ministerium für Antimonopolpolitik vor. Wobei sich schon Widerstand bemerkbar macht. Die Fusion werfe Fragen hinsichtlich der regionalen Dominanz in einigen Gebieten auf, warnt Minister Ilja Juschanow. Der neue Konzern werde sich möglicherweise von einigen Beteiligungen trennen müssen.
Die Antragsteller indes geben sich zuversichtlich und verweisen auf einen Präzedenzfall. Als 2001 Roman Abramowitsch und Oleg Deripaska 70 Prozent des russischen Aluminium-Marktes in der Holding "Russkij Aluminium" zusammenfassten, hatte das Antimonopolministerium keine Einwände - bei YukosSibneft gehe es lediglich um dreißig Prozent des Ölmarktes.
Artikel erschienen am 5. Mai 2003