Von Norbert Kuls, New York
Text: F.A.Z., 02.02.2007, Nr. 28 / Seite 11
Droht der Abstieg in die Regionalliga
02. Februar 2007
New Yorker gelten gemeinhin als furchtlos. Es gibt dort Leute, die sich wie jüngst ein Mann in Harlem vor eine U-Bahn werfen, um jemanden zu retten, der auf die Gleise gefallen war. Furchtlosigkeit ist auch ein Attribut für Aktienhändler an der Wall Street, die kühl mit Millionensummen jonglieren.
Trotz aller Courage gibt es aber eine Form von Angst, die jeden aufrechten New Yorker erzittern lässt: die Angst vor Bedeutungslosigkeit. Denn in der populären Imagination ist New York die Welthauptstadt schlechthin. Das gilt für Kultur, Politik und natürlich für die Finanzbranche. Aber gerade an der Wall Street wächst derzeit die Angst vor einem Abrutschen aus der Welt- in die Regionalliga.
In zehn Jahren weg von der Spitze
Dabei wurde in der amerikanischen Finanzbranche noch nie so viel verdient wie im vergangenen Jahr. Der Dow-Jones-Index befindet sich auf Rekordniveau, die Investmentbanken melden Rekordergebnisse. Dennoch häufte sich in den vergangenen Monaten die Kritik an Umständen, die den weltweiten Führungsanspruch der amerikanischen Finanzbranche zu bedrohen scheinen.
Die jüngste Salve feuerten der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg und der einflussreiche New Yorker Senator Charles Schumer ab, die die Unternehmensberatung McKinsey mit einem Zustandsbericht über den Finanzplatz New York beauftragt hatten. "Mehr und mehr Nationen greifen unsere Position als Finanzhauptstadt der Welt an", warnten sie gleich im ersten Absatz. Zwar liege New York immer noch in Führung. Werde aber nichts getan, werde die Stadt in zehn Jahren nicht mehr die Spitzenposition bekleiden.
Sarbanes-Oxley wirkt abschreckend
Die Liste der Kritikpunkte reicht von zu starker Regulierung über die gefürchteten Sammelklagen von Aktionären bis zu harschen Einwanderungsbestimmungen, die den Zugang zu qualifizierten Mitarbeitern erschweren.
Am stärksten macht sich die Angst um die Zukunft des Finanzplatzes New York an den nachlassenden Börsengängen ausländischer Unternehmen fest. Im Jahr 2003 waren noch 31 Prozent des Gesamtvolumens von Börsengängen an amerikanischen Aktienmärkten auf ausländische Titel entfallen. Zwei Jahre später war der Anteil der Ausländer auf acht Prozent gesunken. Auch deutsche Unternehmen hielten sich zurück. Das scheint auf den ersten Blick eine Folge des 2002 unter dem Eindruck großer Bilanzskandale verabschiedeten Sarbanes-Oxley-Gesetzes gewesen zu sein. Das Gesetz hatte die Anforderungen und Kosten für börsennotierte Unternehmen in den Vereinigten Staaten erhöht.
Russische und chinesische Konzerne nannten Sarbanes-Oxley als Grund für die Wahl eines anderen Aktienmarktes für ihr Börsendebüt. Die größten Börsengänge chinesischer Unternehmen fanden in Hongkong statt. Unternehmen wie der russische Ölkonzern Rosneft gaben ihr Debüt an der Londoner Börse. London hat Unternehmen überzeugt, dass die britischen Behörden die Aufsicht mit leichterer Hand führen als die Amerikaner.
Gang nach New York ist nicht mehr zwingend
Die Lösungsvorschläge der beiden New Yorker Politiker und die anderer Sarbanes-Oxley-Kritiker gehen allerdings teilweise am Thema vorbei. Mit einer Lockerung der Regulierung und einer Beschränkung von Sammelklagen wollen sie die Rahmenbedingungen so verändern, dass wieder mehr ausländische Unternehmen an die New Yorker Börsen kommen. Aber dieser Zug ist abgefahren.
New York war nur so lange die erste Wahl für Unternehmen aus Schwellenländern, solange es dort keine funktionierenden Kapitalmärkte gab. Mit dem Wachstum der eigenen Märkte ist der Gang nach New York für Aktiengesellschaften aus diesen Regionen nicht mehr zwingend. Daran wird auch die zu erwartende Lockerung einzelner Passagen von Sarbanes-Oxley nichts ändern. Andererseits haben sich ausländische Unternehmen, die es für sinnvoll halten, an amerikanischen Börsen präsent zu sein, bisher nicht von den scharfen Regularien schrecken lassen.
Führungsanspruch durch Expansion sichern
Der Führungsanspruch der amerikanischen Finanzbranche wird in Zukunft nicht mehr daran gemessen, wie viele internationale Unternehmen an den heimischen Börsen notiert sind. Entscheidend wird die Rolle sein, die die Amerikaner im weltweiten Börsenmonopoly spielen. Das gilt nicht nur für die Aktienmärkte wie Nyse und Nasdaq, sondern auch für die Terminbörsen in Chicago. Der Chef der Nyse, John Thain, kritisiert zwar auch die schärfer gewordene Regulierung und überhandnehmende Sammelklagen. Aber er wartet nicht auf eine Lockerung von Vorschriften, um das Geschäft zu beleben.
Die Nyse macht ihren globalen Führungsanspruch deutlich, in dem sie konsequent expandiert. Die kurz vor dem Abschluss stehende Übernahme der europäischen Mehrländerbörse Euronext war der erste Schritt. Es folgten die Beteiligung an der größten Börse Indiens und die jetzt vereinbarte Allianz mit der Börse Tokio. Der Konkurrent Nasdaq versucht, durch eine Übernahme der Londoner Börse mitzuhalten. So wollen sich die amerikanischen Börsen das verlorene Geschäft mit den ausländischen Unternehmen wieder zurückholen.
Börsen folgen den Investmentbanken
Die Börsen folgen damit den amerikanischen Investmentbanken, die schon seit Jahren überall präsent sind. Die Wall-Street-Banken haben zwar weiter ihren Sitz in New York, machen aber zunehmend Geschäfte im stärker wachsenden Europa und in Asien. Von deren globaler Ausrichtung profitiert letztlich auch der Finanzplatz New York. Deswegen ist die Furcht vor einem Abrutschen auf regionales Niveau übertrieben. Wenn die Strategien von Nyse und Nasdaq aufgehen, wird New York der Dreh- und Angelpunkt in einer global vernetzten Börsenwelt sein - und die Metropole kann sich weiter Finanzhauptstadt der Welt nennen.
Text: F.A.Z., 02.02.2007, Nr. 28 / Seite 11
Droht der Abstieg in die Regionalliga
02. Februar 2007
New Yorker gelten gemeinhin als furchtlos. Es gibt dort Leute, die sich wie jüngst ein Mann in Harlem vor eine U-Bahn werfen, um jemanden zu retten, der auf die Gleise gefallen war. Furchtlosigkeit ist auch ein Attribut für Aktienhändler an der Wall Street, die kühl mit Millionensummen jonglieren.
Trotz aller Courage gibt es aber eine Form von Angst, die jeden aufrechten New Yorker erzittern lässt: die Angst vor Bedeutungslosigkeit. Denn in der populären Imagination ist New York die Welthauptstadt schlechthin. Das gilt für Kultur, Politik und natürlich für die Finanzbranche. Aber gerade an der Wall Street wächst derzeit die Angst vor einem Abrutschen aus der Welt- in die Regionalliga.
In zehn Jahren weg von der Spitze
Dabei wurde in der amerikanischen Finanzbranche noch nie so viel verdient wie im vergangenen Jahr. Der Dow-Jones-Index befindet sich auf Rekordniveau, die Investmentbanken melden Rekordergebnisse. Dennoch häufte sich in den vergangenen Monaten die Kritik an Umständen, die den weltweiten Führungsanspruch der amerikanischen Finanzbranche zu bedrohen scheinen.
Die jüngste Salve feuerten der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg und der einflussreiche New Yorker Senator Charles Schumer ab, die die Unternehmensberatung McKinsey mit einem Zustandsbericht über den Finanzplatz New York beauftragt hatten. "Mehr und mehr Nationen greifen unsere Position als Finanzhauptstadt der Welt an", warnten sie gleich im ersten Absatz. Zwar liege New York immer noch in Führung. Werde aber nichts getan, werde die Stadt in zehn Jahren nicht mehr die Spitzenposition bekleiden.
Sarbanes-Oxley wirkt abschreckend
Die Liste der Kritikpunkte reicht von zu starker Regulierung über die gefürchteten Sammelklagen von Aktionären bis zu harschen Einwanderungsbestimmungen, die den Zugang zu qualifizierten Mitarbeitern erschweren.
Am stärksten macht sich die Angst um die Zukunft des Finanzplatzes New York an den nachlassenden Börsengängen ausländischer Unternehmen fest. Im Jahr 2003 waren noch 31 Prozent des Gesamtvolumens von Börsengängen an amerikanischen Aktienmärkten auf ausländische Titel entfallen. Zwei Jahre später war der Anteil der Ausländer auf acht Prozent gesunken. Auch deutsche Unternehmen hielten sich zurück. Das scheint auf den ersten Blick eine Folge des 2002 unter dem Eindruck großer Bilanzskandale verabschiedeten Sarbanes-Oxley-Gesetzes gewesen zu sein. Das Gesetz hatte die Anforderungen und Kosten für börsennotierte Unternehmen in den Vereinigten Staaten erhöht.
Russische und chinesische Konzerne nannten Sarbanes-Oxley als Grund für die Wahl eines anderen Aktienmarktes für ihr Börsendebüt. Die größten Börsengänge chinesischer Unternehmen fanden in Hongkong statt. Unternehmen wie der russische Ölkonzern Rosneft gaben ihr Debüt an der Londoner Börse. London hat Unternehmen überzeugt, dass die britischen Behörden die Aufsicht mit leichterer Hand führen als die Amerikaner.
Gang nach New York ist nicht mehr zwingend
Die Lösungsvorschläge der beiden New Yorker Politiker und die anderer Sarbanes-Oxley-Kritiker gehen allerdings teilweise am Thema vorbei. Mit einer Lockerung der Regulierung und einer Beschränkung von Sammelklagen wollen sie die Rahmenbedingungen so verändern, dass wieder mehr ausländische Unternehmen an die New Yorker Börsen kommen. Aber dieser Zug ist abgefahren.
New York war nur so lange die erste Wahl für Unternehmen aus Schwellenländern, solange es dort keine funktionierenden Kapitalmärkte gab. Mit dem Wachstum der eigenen Märkte ist der Gang nach New York für Aktiengesellschaften aus diesen Regionen nicht mehr zwingend. Daran wird auch die zu erwartende Lockerung einzelner Passagen von Sarbanes-Oxley nichts ändern. Andererseits haben sich ausländische Unternehmen, die es für sinnvoll halten, an amerikanischen Börsen präsent zu sein, bisher nicht von den scharfen Regularien schrecken lassen.
Führungsanspruch durch Expansion sichern
Der Führungsanspruch der amerikanischen Finanzbranche wird in Zukunft nicht mehr daran gemessen, wie viele internationale Unternehmen an den heimischen Börsen notiert sind. Entscheidend wird die Rolle sein, die die Amerikaner im weltweiten Börsenmonopoly spielen. Das gilt nicht nur für die Aktienmärkte wie Nyse und Nasdaq, sondern auch für die Terminbörsen in Chicago. Der Chef der Nyse, John Thain, kritisiert zwar auch die schärfer gewordene Regulierung und überhandnehmende Sammelklagen. Aber er wartet nicht auf eine Lockerung von Vorschriften, um das Geschäft zu beleben.
Die Nyse macht ihren globalen Führungsanspruch deutlich, in dem sie konsequent expandiert. Die kurz vor dem Abschluss stehende Übernahme der europäischen Mehrländerbörse Euronext war der erste Schritt. Es folgten die Beteiligung an der größten Börse Indiens und die jetzt vereinbarte Allianz mit der Börse Tokio. Der Konkurrent Nasdaq versucht, durch eine Übernahme der Londoner Börse mitzuhalten. So wollen sich die amerikanischen Börsen das verlorene Geschäft mit den ausländischen Unternehmen wieder zurückholen.
Börsen folgen den Investmentbanken
Die Börsen folgen damit den amerikanischen Investmentbanken, die schon seit Jahren überall präsent sind. Die Wall-Street-Banken haben zwar weiter ihren Sitz in New York, machen aber zunehmend Geschäfte im stärker wachsenden Europa und in Asien. Von deren globaler Ausrichtung profitiert letztlich auch der Finanzplatz New York. Deswegen ist die Furcht vor einem Abrutschen auf regionales Niveau übertrieben. Wenn die Strategien von Nyse und Nasdaq aufgehen, wird New York der Dreh- und Angelpunkt in einer global vernetzten Börsenwelt sein - und die Metropole kann sich weiter Finanzhauptstadt der Welt nennen.