Angriff auf die amerikanische Psyche

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Angriff auf die amerikanische Psyche

 
01.10.01 22:35
Die "emotionale Korrektheit" geht um

Während die politische Korrektheit die Bildung einer militärischen, diplomatischen und geheimdienstlichen Allianz gebietet, greift die "emotionale Korrektheit" um sich. Sentimentalität und Pathos sind zugelassen, nicht aber zu sagen, was allzu offensichtlich ist. Die Anschläge auf das WTC und das Pentagon muss man, frei nach  Stockhausen, zwar nicht unbedingt das "größte Kunstwerk aller Zeiten" nennen, doch sind sie ganz sicherlich ein Akt von ungeheurer symbolischer Tragweite. Mit der Zerstörung der Zwillingstürme des WTC wurde das größte und sichtbarste Zeichen des Kapitalismus getroffen. Das wirft nun unter anderem eine ganze Reihe von unerwarteten Problemen für die "Bewusstseinsindustrien" auf.

Es beginnt damit, dass der Kinostart des neuen Schwarzenegger-Films "Collateral Damage" auf einen unbestimmten Zeitpunkt - wahrscheinlich aber für mindestens sechs Monate - verschoben wurde, weil die Story zu  starke Anklänge an die Anschläge vom 11.09. hätte. Es setzt sich damit fort, dass ein Trailer für  "Spider-Man" aus dem Verkehr gezogen werden musste, weil darin zu sehen war, wie ein Helikopter sich in einem Spinnennetz verfängt, das zwischen den Türmen des WTC gespannt ist. Und auch der Start der Komödie  "Sidewalks of New York" wurde verschoben und das Poster aus dem Verkehr gezogen, weil darauf die Zwillingstürme des WTC zu sehen waren.

Ob die Studios nun in dieser Form reagierten, weil sie von tiefer Trauer und Mitleid erschüttert sind, oder weil sie einen geschäftsschädigenden Sturm der Entrüstung in der Öffentlichkeit befürchten, sei dahingestellt. Diese Reaktion ist noch verständlich, nicht zuletzt deshalb, weil derzeit ohnehin niemand diese Filme sehen würde wollen. Doch die emotionale Korrektheit zieht noch weitere Kreise (und Menschen in ihren Bann).

Die Filmvertriebskette Miramax führte das WTC in ihrem Logo. Weg damit, war die einhellige Reaktion der Belegschaft. In einem neuen Film mit John Cusack, "Serendipity", sind in zwei Einstellungen die WTC-Zwillingstürme im Hintergrund zu sehen. Diese sind nun nachträglich digital wegretuschiert worden. Eingriffe mit dem digitalen Radiergummi auf die Skyline New Yorks sollen nun bei zahlreichen TV-Serien und in virtuellen Studiohintergründen wie zum Beispiel bei der Letterman-Show erfolgen. Dabei könnte es sich allerdings um einen Sysiphos-Job handeln. Die Twin Towers sind in mehr oder minder langen Einstellungen fast in allen Filmen und TV-Serien zu sehen, in denen NYC ein Schauplatz ist. Obwohl kaum jemand die beiden Türme wirklich als "schön" bezeichnet hätte, so waren sie zumindest groß und eindrucksvoll genug, um in jeder zweiten Weitwinkelaufnahme im Hintergrund zu erscheinen und sich damit über die Jahrzehnte einen festen Platz im kollektiven Bewusstsein zu verschaffen.

Selbst wenn es also gelänge, die Türme mittels Paintbox oder Photoshop von den Bildträgern zu löschen, dann verschwänden sie deshalb noch lange nicht aus den menschlichen Gehirnen. Dazu bräuchte es eine wirkungsvollere Toolbox, als sie gewöhnliche Bildbearbeitungsprogramme anzubieten vermögen. Allerdings erscheint es grundlegend absurd, aus falsch verstandener Rücksicht auf die Opfer, ihre Angehörigen und Freunde, die Arbeit der Attentäter zu vervollständigen, indem man nun auch das Bildnis und die Erinnerung an die zerstörten Gebäude ausmerzt. Die Idee dabei ist wohl, das schreckliche Geschehen komplett zu verdrängen, anstatt mögliche Referenzpunkte für ein Gedenken zu erlauben, was sich auch darin wiederspiegelt, dass die Gebäudetrümmer vollständigt beseitigt werden sollen und nicht etwa dass, wie bei der Gedächtniskirche in Berlin, ein Teil der Ruinen als Gedenkstätte hinterlassen werden würde.

Analog dazu wird auch mit allen inhaltlichen Bezugnahmen auf Terrorismus in Film- und TV-Produkten verfahren. Sogar das linksliberale Webmagazin Salon geißelt die 20th Century Fox, weil in einem Thriller mit Michael Douglas unter dem Titel "Don't Say a Word" zu sehen ist, wie ein Mann lebendig unter Teilen eines einstürzenden Gebäudes begraben wird. Unerträglich sei das, angesichts der jüngsten Ereignisse, lautet das Urteil.

Extrem unbeliebt machte sich auch Bill Maher, Moderator der Satire-Show "Politically Incorrect", die spätnachts auf ABC gesendet wird. Er hatte die häufige Anwendung des Wortes "Feiglinge" auf die Attentäter kritisiert, indem er meinte, die USA seien, wenn sie aus tausenden Kilometern Entfernung Cruise Missiles abschießen, eher Feiglinge zu nennen als die ihr eigenes Leben einsetzenden Attentäter. Mahers Show wurde daraufhin in Teilen des ABC-Netzes nicht mehr gesendet und wird von Werbekunden boykottiert. Maher hat dennoch nicht die Nerven verloren und schafft es immerhin, schon wieder Witze über die Situation zu machen: "Sagt ein LKW-Fahrer, der 5 US-Flaggen von seinem Truck hängen hat, zu einem anderen, der auf seinem Truck nur 4 Flaggen hängen hat, 'geh doch heim nach Afghanistan'."

Doch auch Europa bleibt von der emotionalen Korrektheit nicht unberührt. Der Tech-News-Channel des ORF, die Futurezone,  berichtete kürzlich, dass die Spielwarenfirma Lego 120.000 Schachteln mit Figuren ihrer "Alpha Team"-Serie aus dem Handel genommen hat. Das "Alpha Team" ist eine Gruppe von Bombenentschärfern, die im Kampf mit dem bösen Charakter "Ogel" steht. "Evil Ogel is always looking for new ways to take over the world. He sneaks around in his Command Striker, always hoping to ambush Alpha Team", heißt es auf Lego's  E-Commerce-Site. Laut Futurezone hätten sich Konsumenten über "Parallelen" zu den Anschlägen beschwert. Insbesondere ein Szenario, in dem der böse "Ogel" damit droht, "Gedankenkontrollgeräte" über einer Stadt abzuwerfen, sei laut einem Lego-Sprecher nach den Ereignissen vom 11. September "unakzeptabel"und auch mit Legos "Werten" nicht mehr vereinbar, berichtete die Futurezone.

Seltsam aber, dass solche Szenarien noch bis zum 10.September offensichtlich mit Lego's "Werten" vereinbar waren. Das erinnert stark an die Doppelmoral westlicher Politiker, die nun nach einem Sturz der Taliban rufen, aber jahrelang die Unterdrückung des afghanischen Volkes und insbesondere der afghanischen Frauen durch die Taliban in Kauf nahmen. Die Grenze zwischen aktzeptabel und unaktzeptabel ist nun zu einem wahrlich verminten Terrain geworden. Wer kennt nicht die Geschichte von den "Schwarzen Listen" für das Radio, die vor allem in der letzten Woche durch das Netz geisterte. Dabei handelt es sich um eine Liste von Pop- und Rocksongs, die angeblich von amerikanischen Public Radio Stations, in einer anderen Version auch von BBC Radio, nicht mehr gespielt werden dürften. Allem Anschein nach handelt es sich dabei aber um eine Ente, auf die auch die  taz hineingefallen ist.

Wahr dürfte vielmehr sein, dass insbesondere in den ersten Tagen nach den Anschlägen Sender überall auf der Welt Überlegungen anstellten, welche Musik nun den richtigen Ton treffen würde. Zu traurig sollte sie nicht sein, aber auch nicht zu lustig und nicht schon gar nicht zu aggressiv. Hörer deutschen Kommerzradios laufen allerdings ohnehin nicht Gefahr, Bands wie "Napalm Death" oder "Bad Religion" vorgesetzt zu bekommen. Wie die "Einstürzenden Neubauten" auf die gefährliche Krise des Weltbewusstseins reagieren, ist uns nicht bekannt.

Sorgen kann man sich ja immer um alles mögliche machen, aber auch schon vor dem 11. September sollte jedem erwachsenem Menschen hinreichend klar gewesen sein, dass wir in einer gefährlichen Welt leben, in der es viele sich gegenseitig bedingende Probleme, wenig Ideen zu deren Lösung und noch weniger Umsetzungsvermögen dazu gibt. Simplifizierende Reaktionen auf der Ebene der Gedankenkontrolle - weniger durch politische Zensur als den Meinungsdruck der "emotionalen Korrektheit" - werden diese Probleme sicher nicht beseitigen helfen, sondern eher noch weiter Öl ins Feuer gießen. Dessen sollten sich auch verbale Kreuzritter wie Silvio Berlusconi und der österreichische reaktionäre Bischof Kurt Krenn bewusst sein, die sich mit anti-islamischen Hetzreden hervorgetan haben.

Ob es das ist, was der Chefredakteur von Vanity Fair, Graydon Carter, meinte, als er in einem Interview mit Inside.com sagte, dass  "das Zeitalter der Ironie" nun vorüber sei? Und was ist davon zu halten, wenn Noam Chomsky als "pathologischer Ayatollah des anti-amerikanischen Hasses" tituliert wird, ebenso wie als "Anführer der verräterrischen fünften Kolonne der Linken"? Kritik, Zweifel, Zwischentöne und selbst Galgenhumor passen wohl nicht zum Zeitalter der emotionalen Korrektheit. Da erscheint die Lösung noch am besten, welche die "emotional abgestumpften" New Yorker gefunden haben:  Terror Sex - flüchtige Begegnungen der körperlichen Art zwischen sprachlosen Erwachsenen.

Gruß
Happy End
DarkKnight:

hmmm, Happy End ... auch meine Denke, wie Du

 
01.10.01 22:42
sicherlich weißt .... aber jetzt noch mal einen rauf: wen interessiert das? Wo die Kohle rollt, rollen Köpfe. Cui bono? Mehr wars noch nie, alles andere ist eitle Selbstdarstellung. Wenns ans Eingemachte geht, liegen die Dinge klar und offen auf dem Tisch, auch wenns weh tut.

Ich geh jetzt Saxophon spielen ... das ist was "Schönes" ...
Happy End:

So ist es, DarkKnight! o.T.

 
01.10.01 22:44
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