Anmoderation:
Zehn Jahre ist es nun her, dass der Neue Markt durchstartete und
schnell die Aktienkurse in Schwindel erregende Höhen trieb und
dann - mit noch stärkerem Schwindel - wieder abstürzen ließ. Der
Neue Markt wurde dicht gemacht und viele Amateuranleger
hatten ihr Erspartes verloren. Seit einiger Zeit nun gibt es an der
Börse eine neue Zockerecke, an der vor allem kleine und
mittelständische Firmen Aktien ausgeben und sich mit Kapital
versorgen. Diese Börse sei vor allem für Profis, heißt es - wegen
der höheren Risiken, aber sicher auch, weil es an der nötigen
Kontrolle mangelt. Das zeigt der Fall einer Telekommunikations-
Firma, die sich mit angeblichen Geschäftserfolgen schmückt und
selbst ein renommiertes Bankhaus zu einer Kaufempfehlung
verleiten konnte. Herbert Klar hat sich die Wunder-Firma mal
näher angesehen und fand: Des Kaisers neue Kleider - an der
Börse.
Text:
Auf die Börsen wirkte es wie ein Schock, als vor wenigen Jahren
der Neue Markt zusammenbrach. Heute schauen Anleger,
Analysten und Aufsicht sehr genau hin, wenn Unternehmen an die
Börse gehen.
Nur beim sogenannten „entry standard“ - einer Börse für neue,
wachstumsorientierte Gesellschaften werde weiter unzureichend
geprüft, kritisieren Experten.
O-Ton Prof. Hans-Peter Schwintowski, Humboldt-Univ. Berlin:
Nach meinem Eindruck hat man aus dem Zusammenbruch
des neuen Marktes zwar gelernt, dass man so nicht handeln
darf, aber man hat nicht gelernt, dass man die Unternehmen
schärfer unter Kontrolle nehmen muss.
Auch die Amitelo AG wird am „entry standard“ gehandelt.
Ihr Geschäft: Weltweite Vermittlung von Telefongeschäften und
Internetverbindungen. Das kommt gut an.
Amitelo präsentiert sich als Telekommunikationskonzern mit 13
Filialen auf vier Kontinenten und meldet glänzende Umsätze - im
vergangenen Jahr über 74 Millionen Euro.
In Zürich - im 5. Stock dieses Bürohauses sitzt die Amitelo-
Holding. Im Oktober 2005 - kurz nach dem der Name Amitelo
zum ersten Mal auftaucht, geht das Schweizer Unternehmen an
die Frankfurter Börse verkündet einen Erfolg nach dem anderen.
Amitelo-Chef Khaled Akid lässt sich im Börsenfernsehen feiern.
Wir wollen uns die Erfolgsfirma genauer ansehen - besuchen die
Konzernzentrale in Zürich. Wir finden ein unbesetztes Büro. Auf
der gleichen Etage hat ein Anwalt seine Kanzlei.
O-Ton:
Die haben zwar die Büros gemietet aber es ist kein Schwanz
da seit Monaten.
O-Ton Frontal21:
Haben Sie da irgendwie schon mal jemanden gesehen?
O-Ton:
Ja. Ursprünglich. Vor einem halben Jahr ungefähr.
O-Ton Frontal21:
Vor einem halben Jahr?
O-Ton:
Ja, oder noch länger. Weiß nicht genau. Da hat mir der
Vermieter gesagt, die hätten das jetzt gemietet und dann
waren zwei Leute da und ein Treuhänder. Und seither ist
nichts mehr geschehen.
Wir fragen bei Amitelo nach.
Schriftlich teilt man uns mit:
Zitat:
Das Büro in der Löwenstrasse 40 ist grundsätzlich
regelmäßig besetzt. Trotzdem ist nicht gewährleistet, dass
das Büro dort an jedem Werktag besetzt ist.
Außerdem gäbe es in Zürich kein operatives Geschäft.
Die Zentrale eines weltweit arbeitenden Konzerns haben wir uns
anders vorgestellt.
Wir fahren nach Nordafrika. Hier in der spanischen Enklave Ceuta
sollen sich nach Amitelo-Angaben die operative Zentrale und das
Technikzentrum befinden. Drei Mitarbeiter beschäftige das
Unternehmen hier, hat man uns sogar schriftlich mitgeteilt.
Doch bei unserem Besuch finden wir außer diesem Schild nichts.
Amitelo-Mitarbeiter will hier keiner gesehen haben.
Von Nordafrika fahren wir nach Südspanien - laut Amitelo einem
der wichtigen Märkte des Unternehmens.
Mit versteckter Kamera besuchen wir die spanische Zentrale in
Malaga.
Was wir hier finden, erinnert uns eher an eine Garagenfirma als
an ein Hightech-Unternehmen der Telekommunikation.
In den unteren Räumen zwei Amitelo-Mitarbeiter. Wir geben uns
als Besitzer eines großen Hotels im 60 km entfernten Marbella
aus. Und geben vor, eine Anlage für Internettelefonie kaufen zu
wollen. Genau wie Amitelo sie anbietet.
Doch dann eine Überraschung. Leider könne er uns im Moment
eine Telefonanlage nicht verkaufen, sagt der Amitelo-Mann. Man
habe Probleme mit der Technik.
In Marbella treffen wir auch Viktoria Anzola. Sie hat bis Dezember
vergangenen Jahres als Managerin für Amitelo gearbeitet - und
Amitelo-Direktoren auf Geschäftsreisen nach Kolumbien begleitet.
Danach konnte sie sich nur noch wundern. Denn am 9. Oktober
2006 veröffentlicht das Unternehmen auf seiner Internetseite eine
Erfolgsmeldung, wie sie die Börse gerne hört: Amitelo erhält
Aufträge aus Kolumbien.
O-Ton Frontal21:
Stimmt das?
O-Ton Viktoria Anzola, ehem. Amitelo-Managerin:
Nein. Wir sind in Kolumbien zweimal gewesen - haben
meetings gehabt mit der Regierung und anderen Firmen -
aber es ist nichts zustande gekommen.
O-Ton Frontal21:
Das heißt?
O-Ton Viktoria Anzola, ehem. Amitelo-Managerin:
Keine Verträge sind geschlossen worden. Die ganzen
Dokumente, was wir liefern mußten sind nicht geliefert
worden - die ganzen offertas - Angebote - sind nie formal
gewesen.
Was ist also dran an jener kolumbianischen Erfolgsmeldung? Wir
fragen nach. Welche Aufträge hat Amitelo erhalten, welche
Umsätze gemacht. Zahlen nennt Amitelo nicht, teilt uns lediglich
mit, dass man das Angebot an Telekommunikationsdienstleistungen
in Kolumbien weiter ausbauen werde. Wie eine
Erfolgsmeldung klingt das nicht mehr.
Am 16. Februar 2006 vermeldet das Unternehmen wieder einen
börsenträchtigen Erfolg. Kanadische Amitelo-Tochter übernimmt
kanadisches Telekommunikations-Unternehmen.
Was Amitelo aber bis heute nicht mitteilt:Um diese Übernahme
wird juristisch heftigst gestritten.
Nach Frontal21 vorliegenden Dokumenten verklagen die Leiter
der kanadischen Firma Amitelo auf umgerechnet fast 45 Millionen
Euro Schadenersatz unter anderem wegen falscher Pressemeldungen
und Täuschung der Aktionäre.
Amitelo bestätigt zwar den Rechtsstreit gegenüber Frontal21,
will die Klage aber nie erhalten haben.
Zitat:
Bis zum heutigen Tage wurde der Amitelo AG jedoch keine
Klageschrift formal korrekt zugestellt.
Und ein kanadisches Gericht halte man ohnehin für nicht
zuständig.
Eine angeblich nicht zugestellte Klage. Fragwürdige Erfolgsmeldungen
und Ungereimtheiten: Manche Banken sind
zurückhaltender geworden.
Das Privat-Bankhaus Lampe zum Beispiel hatte Amitelo-Aktien
noch vor zwei Monaten zum Kauf empfohlen.
Jetzt teilt man uns mit:
Zitat:
... das Bankhaus Lampe (gibt) keine Anlageempfehlung mehr
zu diesem Wert. Somit existiert auch keine aktuelle
Kaufempfehlung.
Inzwischen ermittelt darüber hinaus auch die Börsenaufsicht
BaFin - die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Begründung gegenüber Frontal21:
Zitat:
Die BaFin führt derzeit eine Untersuchung wegen Verdachts
der Marktmanipulation in Aktien der Amitelo AG durch.
Anlass sind verschiedene Informationen zur Gesellschaft
sowie auffällige Handelsumsätze.
Amitelo ist jetzt ins Visier der Börsenaufsicht geraten. Experten
wie Prof. Schwintowski drängen schon lange darauf die
Unternehmen am „entry standard“ strenger zu kontrollieren.
O-Ton Prof. Hans-Peter Schwintowski, Wirtschaftswiss.
Humboldt-Univ. Berlin:
Wenn man ein Unternehmen wie Amitelo sich anschaut, dann
fragt man sich natürlich unwillkürlich, wie ist das möglich,
dass so ein Unternehmen an den entry standard kommt. Und
das fragt man sich auch deshalb besonders, weil wir ja
eigentlich schlechte Erfahrungen mit dem Neuen Markt
haben, der ja zusammen gebrochen ist vor ein paar Jahren.
Möglich ist das deshalb, weil in unserem Gesetz nach wie vor
eine Seriositäts-Prüfung fehlt. Und das müssen wir ändern.
Keine Seriositätsprüfung. Bezahlen müssen am Ende die
Anleger.
Abmoderation:
Das soll nun nicht heißen, dass von der Börse insgesamt
abzuraten ist. Der DAX läuft bestens und schloss heute bei 7166
Punkten.
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