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Amerikanische Aktien - nie waren sie so wertvoll wie heute
Dennoch Hoffen auf Rally im Januar / Stark sinkende Bonuszahlungen dürften nicht helfen
dri. NEW YORK, 27. Dezember. Selten zuvor wurden amerikanische Aktien so hoch bewertet wie in diesen Wochen. Nach Berechnungen von Richard Bernstein, dem Chefstrategen des amerikanischen Brokerhauses Merrill Lynch, ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500, des Leitindex von Standard & Poor's, sogar das höchste in der Geschichte der Wall Street. Freilich enthält seine Rechnung die Gewinne der vier zurückliegenden Quartale. Und die Anleger geben sich in diesen Tagen der gewagten Hoffnung hin, daß die Gewinne der Unternehmen in den nächsten ein bis zwei Jahren so stark steigen werden, daß die Bewertung des Gesamtmarktes wieder historisches Normalmaß erreicht.
Analyst Bernstein glaubt jedenfalls, daß der Markt derzeit "riskanter und spekulativer ist, als die meisten Anleger glauben". Es scheine eine sehr ungewöhnliche Gewißheit über die Wirksamkeit der Geld- und Fiskalpolitik zu geben. Den offenbar nur schwer erschütterbaren Glauben an eine unmittelbar bevorstehende Konjunkturwende unterstreicht auch die fast nicht wahrnehmbare Reaktion auf das vorläufige Scheitern eines Konjunkturprogramms in Washington. Wegen eines Grundsatzstreits über die Finanzierung der Krankenversicherung für Arbeitslose werden Steuerentlastungen und Ausgabenerhöhungen in Höhe von 75 bis 90 Milliarden Dollar, die die Ökonomen schon für 2002 eingeplant hatten, wahrscheinlich ausbleiben. Zwar ist nicht auszuschließen, daß der Kongreß im neuen Jahr noch einmal einen Versuch startet. Zu Fortschritten dürfte es aber nur dann kommen, wenn die Konjunkturnachrichten unerwartet schlecht würden, sagt M. Cary Leahey, Analystin bei der Deutschen Bank.
Wegen des Ausbleibens des Konjunkturpakets dürfte das Wirtschaftswachstum im neuen Jahr um bis zu 0,5 Prozentpunkte geringer ausfallen. Das Bedauern über das Scheitern des Programms hält sich aber schon allein deshalb in Grenzen, weil die Maßnahmen wohl erst zu einem Zeitpunkt wirksam geworden wären, zu dem die Konjunktur ohnehin schon wieder auf dem Wege der Genesung sein dürfte. Und zu dieser Genesung scheinen die niedrigen Ölpreise und die rekordhohen Refinanzierungen von Hypotheken einen wichtigen Beitrag zu leisten. Ersten Schätzungen zufolge dürfte die Weihnachtssaison dem amerikanischen Einzelhandel ein Umsatzplus von 2 Prozent beschert haben. Dies fällt zwar gegenüber den Zuwächsen der Vorjahre deutlich ab. Der private Konsum wächst aber weiterhin, was für eine Rezession ein eher ungewöhnliches Phänomen ist.
Der Schlußspurt des Einzelhandels in der Woche vor Weihnachten hat dem Aktienmarkt zwar nicht geschadet. Die steigenden Kurse in den zurückliegenden Tagen erklären sich aber mehr mit der Hoffnung auf einen guten Start ins neue Jahr. Der Januar ist traditionell ein guter Monat für den Aktienmarkt, da institutionelle Investoren, aber auch Kleinanleger um diese Zeit neue Dispositionen treffen.
Dieser sogenannte Januar-Effekt wird aber zunehmend schon im Dezember vorweggenommen, der denn auch in der historischen Zeitreihe schon höhere Renditen abwirft als der Januar. Allerdings warnen Marktexperten, daß die Zuflüsse in den Aktienmarkt zu Beginn des neuen Jahres deutlich hinter den Vorjahren zurückbleiben könnten. Erklärt wird dies vor allem mit den stark rückläufigen Bonuszahlungen, die nach Schätzung von Bill Dudley, dem Chefökonom von Goldman Sachs in Amerika, im ersten Quartal um bis zu 40 Milliarden Dollar niedriger als im Vorjahr ausfallen könnten. Zum anderen kürzen oder streichen viele Unternehmen ihre Aktienbeiträge zu den steuerbegünstigten Rentensparplänen ihrer Arbeitnehmer (401k-Pläne). Im Januar vergangenen Jahres waren noch netto 25 Milliarden Dollar in Aktienfonds geflossen und damit mehr als in den 10 Monaten darauf.
Schon in den zurückliegenden Wochen zeigten Aktienfonds unter dem Strich kleine Zuflüsse, während der positive Trend für Rentenfonds ins Negative umzuschlagen droht. Selbst Geldmarktfonds, deren Renditen inzwischen nur mehr eine Eins vor dem Komma haben, verbuchten vor Weihnachten erstmals seit Oktober einen wöchentlichen Abfluß. Geldmarktfonds bleiben freilich das Fondsphänomen des Jahres 2001. Nach der offiziellen Statistik des Investment Company Institute (ICI) sind in den ersten zehn Monaten netto 341 (Vorjahr: 87) Milliarden Dollar in Geldmarktfonds geflossen. In Rentenfonds gingen 82 Milliarden Dollar (nach Abflüssen von 8 Milliarden Dollar im Jahr davor), während die Nettozuflüsse in Aktienfonds nur mehr ein Rinnsal von 15 (293) Milliarden Dollar sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.12.2001, Nr. 301 / Seite 25
Amerikanische Aktien - nie waren sie so wertvoll wie heute
Dennoch Hoffen auf Rally im Januar / Stark sinkende Bonuszahlungen dürften nicht helfen
dri. NEW YORK, 27. Dezember. Selten zuvor wurden amerikanische Aktien so hoch bewertet wie in diesen Wochen. Nach Berechnungen von Richard Bernstein, dem Chefstrategen des amerikanischen Brokerhauses Merrill Lynch, ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500, des Leitindex von Standard & Poor's, sogar das höchste in der Geschichte der Wall Street. Freilich enthält seine Rechnung die Gewinne der vier zurückliegenden Quartale. Und die Anleger geben sich in diesen Tagen der gewagten Hoffnung hin, daß die Gewinne der Unternehmen in den nächsten ein bis zwei Jahren so stark steigen werden, daß die Bewertung des Gesamtmarktes wieder historisches Normalmaß erreicht.
Analyst Bernstein glaubt jedenfalls, daß der Markt derzeit "riskanter und spekulativer ist, als die meisten Anleger glauben". Es scheine eine sehr ungewöhnliche Gewißheit über die Wirksamkeit der Geld- und Fiskalpolitik zu geben. Den offenbar nur schwer erschütterbaren Glauben an eine unmittelbar bevorstehende Konjunkturwende unterstreicht auch die fast nicht wahrnehmbare Reaktion auf das vorläufige Scheitern eines Konjunkturprogramms in Washington. Wegen eines Grundsatzstreits über die Finanzierung der Krankenversicherung für Arbeitslose werden Steuerentlastungen und Ausgabenerhöhungen in Höhe von 75 bis 90 Milliarden Dollar, die die Ökonomen schon für 2002 eingeplant hatten, wahrscheinlich ausbleiben. Zwar ist nicht auszuschließen, daß der Kongreß im neuen Jahr noch einmal einen Versuch startet. Zu Fortschritten dürfte es aber nur dann kommen, wenn die Konjunkturnachrichten unerwartet schlecht würden, sagt M. Cary Leahey, Analystin bei der Deutschen Bank.
Wegen des Ausbleibens des Konjunkturpakets dürfte das Wirtschaftswachstum im neuen Jahr um bis zu 0,5 Prozentpunkte geringer ausfallen. Das Bedauern über das Scheitern des Programms hält sich aber schon allein deshalb in Grenzen, weil die Maßnahmen wohl erst zu einem Zeitpunkt wirksam geworden wären, zu dem die Konjunktur ohnehin schon wieder auf dem Wege der Genesung sein dürfte. Und zu dieser Genesung scheinen die niedrigen Ölpreise und die rekordhohen Refinanzierungen von Hypotheken einen wichtigen Beitrag zu leisten. Ersten Schätzungen zufolge dürfte die Weihnachtssaison dem amerikanischen Einzelhandel ein Umsatzplus von 2 Prozent beschert haben. Dies fällt zwar gegenüber den Zuwächsen der Vorjahre deutlich ab. Der private Konsum wächst aber weiterhin, was für eine Rezession ein eher ungewöhnliches Phänomen ist.
Der Schlußspurt des Einzelhandels in der Woche vor Weihnachten hat dem Aktienmarkt zwar nicht geschadet. Die steigenden Kurse in den zurückliegenden Tagen erklären sich aber mehr mit der Hoffnung auf einen guten Start ins neue Jahr. Der Januar ist traditionell ein guter Monat für den Aktienmarkt, da institutionelle Investoren, aber auch Kleinanleger um diese Zeit neue Dispositionen treffen.
Dieser sogenannte Januar-Effekt wird aber zunehmend schon im Dezember vorweggenommen, der denn auch in der historischen Zeitreihe schon höhere Renditen abwirft als der Januar. Allerdings warnen Marktexperten, daß die Zuflüsse in den Aktienmarkt zu Beginn des neuen Jahres deutlich hinter den Vorjahren zurückbleiben könnten. Erklärt wird dies vor allem mit den stark rückläufigen Bonuszahlungen, die nach Schätzung von Bill Dudley, dem Chefökonom von Goldman Sachs in Amerika, im ersten Quartal um bis zu 40 Milliarden Dollar niedriger als im Vorjahr ausfallen könnten. Zum anderen kürzen oder streichen viele Unternehmen ihre Aktienbeiträge zu den steuerbegünstigten Rentensparplänen ihrer Arbeitnehmer (401k-Pläne). Im Januar vergangenen Jahres waren noch netto 25 Milliarden Dollar in Aktienfonds geflossen und damit mehr als in den 10 Monaten darauf.
Schon in den zurückliegenden Wochen zeigten Aktienfonds unter dem Strich kleine Zuflüsse, während der positive Trend für Rentenfonds ins Negative umzuschlagen droht. Selbst Geldmarktfonds, deren Renditen inzwischen nur mehr eine Eins vor dem Komma haben, verbuchten vor Weihnachten erstmals seit Oktober einen wöchentlichen Abfluß. Geldmarktfonds bleiben freilich das Fondsphänomen des Jahres 2001. Nach der offiziellen Statistik des Investment Company Institute (ICI) sind in den ersten zehn Monaten netto 341 (Vorjahr: 87) Milliarden Dollar in Geldmarktfonds geflossen. In Rentenfonds gingen 82 Milliarden Dollar (nach Abflüssen von 8 Milliarden Dollar im Jahr davor), während die Nettozuflüsse in Aktienfonds nur mehr ein Rinnsal von 15 (293) Milliarden Dollar sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.12.2001, Nr. 301 / Seite 25