Amerika - ganz unten

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MaxCohen:

Amerika - ganz unten

 
07.01.02 19:39
Inkognito tauchte die US-Sozialkritikerin Barbara Ehrenreich in die Welt der Billigjobs ab. Ihre Erfahrungen als Putzfrau und Verkäuferin wurden in den Vereinigten Staaten zum Bestseller.
 

Knieschoner. Ein Königreich für ein paar Knieschoner. Auf allen Vieren kriecht Barbara Ehrenreich auf dem steinernen Fußboden einer Villa in Portland auf und ab und schrubbt die Fliesen. Fluchen könnte sie vor Schmerz. Doch sie muss sich zusammenreißen.
Die Beine, die neben ihr geschäftig durch die Küche stöckeln, gehören der Hausherrin. Mit einem Mal hält sie inne. Ehrenreich fühlt sich von einem durchdringenden Blick auf den Boden genagelt. Nun also ist es passiert. Sie ist erkannt worden, trotz der hochgebundenen Haare und der grüngelben Putzuniform. Vielleicht hat diese Frau einmal bei ihr eine Vorlesung gehört oder sie zufällig im Fernsehen gesehen. Was sagen? Wie sich erklären?
Schweiß perlt ihr von der Stirn und tropft auf den Marmor. Und dann hört sie die Stimme von oben herab fragen: "Wenn Sie schon dabei sind, können Sie eben noch schnell die Eingangshalle putzen?" In jener Nacht schreibt Ehrenreich in ihr Laptop-Tagebuch: "Putzpersonal ist unsichtbar." Das war noch eine der angenehmsten Lektionen, die die amerikanische Sozialkritikerin, Feministin und Autorin bei ihrem Undercover-Ausflug in die Welt der Billigjobs lernte.
In der Tradition Günter Wallraffs, den solche Reportagen aus der Arbeitswelt einst in Deutschland berühmt machten, war die 59-Jährige zwischen 1998 und 2000 dreimal für je einen Monat in unterschiedlichen Rollen abgetaucht, um Amerika neu kennen zu lernen - von ganz unten. Ehrenreich servierte Hotdogs in Florida, feudelte in einer Putzkolonne in Maine, füllte Regale bei Wal-Mart und fütterte Alte im Pflegeheim.

Ihre Regeln: jeweils den bestbezahlten Job annehmen (und halten!) und die billigste Wohnung suchen, um vom Lohn der Arbeit leben zu können. Mehr als einmal verfluchte die promovierte Biologin dabei den Tag, an dem sie sich auf diesen Selbstversuch eingelassen hatte, der ausgerechnet in einem französischen Restaurant in New York begann.
Lewis Lapham, Herausgeber des Intellektuellenmagazins "Harper's", hatte Ehrenreich zur Themenbesprechung geladen. Bei Lachs an Feldsalat driftete das Gespräch ab zur Armut in Amerika. Wie, so fragten sich die beiden, können Niedriglohnarbeiter - fast ein Drittel der amerikanischen Arbeiterschaft - von sechs oder sieben Dollar Stundenlohn leben? Wie schaffen es insbesondere die vier Millionen Frauen, die von Bill Clintons gefeierter Sozialhilfereform "Welfare to work" in schlecht bezahlte Jobs geschickt wurden? "Eigentlich müsste ein Journalist rausgehen und das selbst ausprobieren, ganz altmodisch", fand Ehrenreich. Lapham lächelte und antwortete: "Ja, du."
Ehrenreich war nicht begeistert. Sie hatte sich einen Namen gemacht als scharfzüngige Kolumnistin, Autorin analytischer Essays und eines Dutzends provokanter Bücher. Sie gilt als unorthodoxe Intellektuelle, lebt in ihrem Haus nahe dem Ferienparadies Key West in Florida und ist ihr eigener Boss. Warum sollte ausgerechnet sie Gummihandschuhe überstreifen und freiwillig in die Knie gehen?
"Welcher Teufel mich da geritten hat, wer weiß? Vielleicht habe ich gehofft, dass die Leute leichter in eine solch fremde Welt folgen, wenn sie von jemanden aus der eigenen sozialen Klasse dorthin geführt werden."
Jahrelang hatte sich Ehrenreich erfolglos die Finger wund geschrieben zum Thema soziale Ungleichheit. Die Armutsfakten des reichsten Landes der Erde kann sie im Schlaf herbeten: etwa, dass 32 Millionen Amerikaner unterhalb der Armutsgrenze leben und jedes sechste Kind in Armut aufwächst; dass ein Fünftel der zwei Millionen Obdachlosen arbeitet; dass über sieben Millionen Amerikaner zwei Jobs brauchen zum Überleben und fast 39 Millionen nicht krankenversichert sind.
Doch keiner ihrer Artikel hat je so viel Aufsehen erregt wie ihr Erlebnisbericht "Nickel and Dimed", in Deutschland nun erschienen unter dem Titel "Arbeit poor". "Dieses Buch sollte Pflichtlektüre für alle Kongressabgeordneten werden", empfahl die "New York Times". Zumindest einige scheinen es gelesen zu haben, denn in Washington ist erstmals eine Diskussion um den Erfolg des Welfareto-work-Programms entbrannt. Zwar ist die Hälfte aller Sozialhilfeempfänger zurück in Jobs - doch deren Lebensbedingungen haben sich oft verschlechtert. Kirchen und Wohlfahrtsverbände registrieren einen Ansturm auf Suppenküchen.
Aber erst seit Clinton aus dem Amt ist und die Konjunktur abbremst, trauen sich die Demokraten, Zweifel zu äußern - so jedenfalls erklärt Ehrenreich die Aufmerksamkeit für den Überlebenskampf der Billiglöhner, den sie in ihrem Buch nachfühlbar macht, inklusive der Gründe für ihr Scheitern.


(Ab-)Grund Nummer eins sind zu hohe Mieten. Niedrigstlohn-Jobs fallen oft in Städten und Touristenorten an - genau dort, wo ein Dach überm Kopf am teuersten ist. Als Ehrenreich in Key West als Bedienung anheuerte, war die nächste erschwingliche Wohnung 30 Meilen entfernt. Das bedeutete: bis zu zwei Stunden pendeln täglich.
Wer die zwei Stunden zum Geldverdienen braucht, muss näher am Arbeitsplatz wohnen, und so zog Ehrenreich bald an den Stadtrand von Key West. Für 675 Dollar mietete sie eine acht Quadratmeter große Wohnwagenhälfte. Damit hatte sie es besser als viele ihrer Kollegen. Eine lebte in ihrem Auto auf dem Parkplatz, andere teilten sich zu viert ein Zimmer.
In Minnesota erlebte Ehrenreich dann, wie die Abwärtsspirale in Schwung kommt. Als sie die Kaution für eine Wohnung nicht vorstrecken konnte, zog sie in ein Billigmotel: 37 Dollar zahlte sie pro Nacht für ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl und große Angst, weil die Tür nicht richtig schloss. Kochen konnte man dort nicht. Also musste sie Junk-Food kaufen.
"Es ist unglaublich teuer, zu arm für eine Wohnung zu sein", sagt Ehrenreich. Dabei kam sie besser ausgerüstet in diese Welt als die "echten" Working Poor: Sie hatte ein Auto, war bei bester Müsli-Gesundheit, und tief unten im Koffer lag die Kreditkarte, falls alle Stricke reißen.
"Man braucht keinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften, um zu merken, dass etwas faul ist, wenn sich ein gesunder, allein stehender Mensch trotz zehn Stunden Arbeit am Tag kaum über Wasser halten kann", schreibt sie.
Ihre Erkenntnisse markieren das Ende des uramerikanischen Glaubens: Wer hart genug arbeitet, wird es auch schaffen. Mit diesem Traum, der noch heute in jeden Kinderkopf gepflanzt wird, räumt Ehrenreich gründlich auf: "Ich hätte nie gedacht, dass man härter arbeiten kann, als man es je für möglich gehalten hat, und trotzdem immer tiefer in Schulden versinkt."
Eine Autoreparatur, ein krankes Kind, eine unerwartete Rechnung genügen, um das Leben aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das Eis der eigenen Existenz ist millimeterdünn. Wer durchbricht, kommt ohne Hilfe nicht wieder raus.
Dass ihr Experiment finanziell eng werden würde und körperlich aufreibend, darauf hatte Ehrenreich sich eingestellt. Schließlich kam sie nicht ganz unvorbelastet. Ihr Vater war Kumpel in einer Kupfermine in Montana gewesen, ihre Mutter Putzfrau, ihr erster Mann Hilfsarbeiter, bevor er Gewerkschaftsfunktionär wurde.
Sie alle waren Blaumann-Intellektuelle, Arbeiter mit ausgeprägtem politischem Bewusstsein und klarem Klassenverständnis. Doch die tagtäglichen Demütigungen, denen Niedriglohnarbeiter ausgesetzt sind, trafen Ehrenreich völlig unvorbereitet. "Man wird wie ein potenziell kriminelles Subjekt behandelt", sagt sie. Die Fragen im Wal-Mart-Bewerbungsbogen: Sind Sie vorbestraft? Haben Sie je gestohlen? Würden Sie melden, wenn ein Kollege stiehlt?
Weil Zeit Geld ist, erklärt der Wal-Mart-Mann zur Einführung, dass kollegiales Plaudern während der Arbeitszeit ebenfalls Diebstahl ist: Zeitdiebstahl am Arbeitgeber, und damit strafbar. Auch vor Gewerkschaften habe man sich zu hüten, die bergen Gefahren für die Arbeiter.
Neu für Ehrenreich waren Drogentests - und die Entdeckung einer ihr gänzlich neuen Produktlinie: In den US-Drogerien gibt es Regale voller Innenspülungen. Rund 20 Dollar teure Medikamente namens CleanP ("Klare Pisse") sichern dem Heer von Lohnsklaven Anstellungen für sieben Dollar die Stunde. Innerlich gereinigt muss die Bewerberin dann, stets beäugt von einer Mitarbeiterin des potenziellen Arbeitgebers, in einen Becher pinkeln.
Bei ihren Jobs stieß Ehrenreich auf Willkür und Missbrauch. Vorarbeiter lassen zum Rapport antreten und schimpfen Mitarbeiter aus wie kleine Kinder. Der erste Wochenlohn wird gern zur Hälfte einbehalten, damit man am Montag auch wirklich wieder auftaucht. Pausenräume ohne Fenster, Toiletten ohne Schlösser, Taschen und Spinde können jederzeit durchsucht werden. "Da draußen herrscht Diktatur. Wer die Welt der Billigjobs betritt, gibt seine Bürgerrechte an der Pforte ab", schreibt Ehrenreich in ihrem Buch.
Widerstand gegen solche Behandlung ist ebenso rar wie Solidarität unter den Kollegen. Als Ehrenreich einmal anregt, dass das Putzteam das Pensum einer kranken Kollegin übernimmt, wenden sich alle wortlos ab. Individuelle Verantwortung ist in allen US-Bevölkerungsgruppen fest verankert und schlägt im Zweifel immer die soziale Verantwortung. Nach einer Studie der Universität Harvard glaubt die Hälfte der Amerikaner, dass die Armen selbst schuld sind an ihrer Armut.
Ehrenreich beschreibt eine andere Realität: Die Working Poor vernachlässigen ihre eigenen Kinder, um sich um die von anderen zu kümmern. Sie leben in miesen Behausungen, damit andere Häuser perfekt gewienert werden können. Sie leiden Not, damit die Inflation gering bleibt und die Aktienpreise hoch.
"United we stand", ruft es seit den Anschlägen vom 11. September von jeder Plakatwand der USA - für Ehrenreich ein Grund, einen neuen Gesellschaftsvertrag zu fordern: "Wenn unser Sinn für Solidarität stärker sein soll als der Stoff der US-Flagge, müssen wir Amerikas arme Arbeiter einbeziehen."
MICHAELA SCHIEßL


www.spiegel.de



Egozentriker:

God bless America...

 
07.01.02 19:59
Tja, daß entspricht wohl nicht so ganz dem Bild welches man bei uns so im Allgemeinen von den Staaten hat.
vega2000:

ego du alter Spassbolzen

 
07.01.02 20:00
Wat jebbet neues ausm Pott ?
Egozentriker:

Vega, mein Freund...

 
07.01.02 20:10
Alles scheisse wegen Arbeitsfrust. Hab heute in dem Dreckswetter über 400 km abgerissen nachdem ich nur knapp 3 Stunden geschlafen habe.
Jetzt bin ich absolut tot  :-(
Ich hab keinen Bock mehr !!!
vega2000:

ego

 
07.01.02 20:13
Falls du aus dem Fenster springen willst, hätte ich im Prinzip nichts dagegen, -öhmmm, könnt ich vorher bitte noch deinen Rechner haben, wuuuhahahahaha. Juchuuu, ich brauche mir keinen neuen PC kaufen, *lol*
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