DAX und Dresdner Bank haben die Aktie des Finanzkonzerns auf ein Zehn-JahresTief gezogen. Wirklich erholen wird sie sich erst, wenn die Bilanz bereinigt und die Dresdner Bank fit ist. Das kann dauern.
von Klaus Schachinger, Thomas Schmidtutz und Ralf Rockenmaier, Euro am Sonntag 08/03
Von seinem Büro im dritten Stock der Allianz-Zentrale in der Münchner Königinstraße hat Paul Achleitner freie Sicht über die Wipfel der alten Buchen im Englischen Garten. Den Ausblick kann der Finanzchef des größten deutschen Finanzkonzerns derzeit allerdings nicht genießen. Achleitner braucht keinen schönen Ausblick, sondern einen besseren Durchblick an den Kapitalmärkten. Denn die Märkte sind nervös und schwer zu berechnen. Allein das Gerücht über eine Kapitalerhöhung der Allianz – das ein Konzernsprecher dementierte – drückte die Aktie auf ein neues Zehn-Jahres-Tief bei 64,50 Euro. Auch viele Analysten sind nervös. Selbst jene, die den fairen Wert des Papiers bei über 90 Euro sehen, kalkulieren jetzt mit einem Worst-Case-Szenario, demzufolge sich der Wert des Papiers noch weiter – auf nur noch 50 Euro – verbilligen könnte.
Schuld daran ist der DAX. Denn der Allianz-Kurs reagiert überdurchschnittlich stark auf Bewegungen des Index. Genauer gesagt mit dem Faktor 1,36, wie Analysten der WestLB errechnet haben. Grund: das große Beteiligungsportfolio der Allianz an DAX-Unternehmen. „Wenn Sie glauben, dass der DAX noch deutlich fällt, meiden sie die Aktie“, warnt Sal.-Oppenheim-Analyst Michael Haid.
Wie stark sich die Börsenkrise auf die Jahresbilanz des Versicherers ausgewirkt hat, wird sich erst am 20. März zeigen. Noch-Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle bereitet die Märkte schon mal schonend auf schwache Zahlen vor. „Ich werde persönlich eines der schlechtesten Ergebnisse der letzten Jahre präsentieren“, sagte der Manager vor kurzem. Ob es Verluste sind, sagte Schulte-Noelle nicht. Zumindest unter Analysten scheint klar: Im März gibt es rote Zahlen. Selbst Finanzchef Achleitner streitet das – indirekt – nicht mehr ab: „Lesen Sie die Analystenberichte und ziehen Sie daraus Ihre Schlüsse“, so Achleitner gegenüber EURO.
Die Verlustschätzungen weichen stark voneinander ab. Die Versicherungsspezialisten der Schweizer UBS gehen von 341 Millionen Euro Nettoverlust aus. Achleitners Ex-Arbeitgeber Goldman Sachs erwartet 946 Millionen Euro Verlust.
Für die Misere der Allianz gibt es viele Gründe. Der wichtigste: Der DAX fiel stärker, als es Konzernchef Schulte-Noelle in seinen Risikoszenarien berücksichtigt hatte – minus 44 statt minus 30 Prozent. Stille Reserven im Wert von mehr als zehn Milliarden Euro sind seit Ende 2001 weggeschmolzen. Dazu addieren sich Verluste aus dem Firmenkredit-Desaster der Dresdner Bank – minus zwei Milliarden Euro bis September 2002. Eine Ausweitung ist wahrscheinlich. Zudem sind die Zahlungen für die Flutkatastrophe vergangenen Sommer mit rund 770 Millionen Euro höher als erwartet. Dazu kommt die Belastung aus der World-Trade-Center-Katastrophe: Rückstellungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Schließlich ist die Ende 2002 erhöhte Risikovorsorge der US-Tochter Firemens Fund für Asbestklagen zu verbuchen.
Die Reserven der Allianz sind geschwächt. Die Rating-Agentur Standard&Poor’s (S&P), die ihre Kredit-Bewertung von AA auf AA– senkte, hat den Versicherer seit Oktober mit negativem Ausblick auf der Watchlist.
Vor einer Woche hat S&P die Kreditwürdigkeit des Allianz-Konkurrenten AXA gesenkt. Das ist ein schlechtes Zeichen für die Münchner. „Die Allianz hat unter den Versicherern derzeit die riskanteste Kapitalstruktur. Eine Herabstufung – möglicherweise um zwei Stufen – ist sehr wahrscheinlich“, glaubt Sal.-Oppenheim-Experte Haid. Das würde die Finanzierungskosten spürbar erhöhen.
Um ihre Ertragsbasis zu verbessern, wollen die Münchner noch in diesem Jahr in ihrem Kerngeschäft Sach- und Lebensversicherungen die Schaden/Prämienquote unter 100 Prozent drücken. Das heißt, profitabel wirtschaften, ohne – wie in der Branche bisher üblich – auf Gewinne aus dem Kapitalmarkt angewiesen zu sein. Damit könnte es, glauben die Analysten der UBS, schwierig werden, 2003 die überdurchschnittliche Überschussbeteiligung bei Lebensversicherungen (5,3 Prozent) zu halten. Vor allem dann, wenn die Börsen weiter fallen sollten.
Entscheidend für den Kursverlauf der Aktie in diesem Jahr wird aber die Entwicklung der Dresdner Bank sein. Allianz-Finanzvorstand Achleitner und Dresdner-Chef Bernd Fahrholz müssen die Bank 2003 in die Gewinnzone führen. „Dafür lege ich meinen Kopf auf den Block“, stellte Fahrholz fest. Er gilt damit als Chef auf Abruf.
Der Dresdner-Bank-Effekt scheint die Aktie stärker zu belasten, als die Allianz-Vorstände heute zugeben wollen (siehe Grafik). Trotzdem lassen die Versicherer keine Kritik an ihrer Strategie zu: „Über Erfolg oder Misserfolg jetzt, nach eineinhalb Jahren, zu urteilen, ist Unsinn“, verteidigt Achleitner den Kauf der Bank. Nie, heißt es in der Königinstraße, stand die Bank – im Gegensatz zu Spekulationen in der Presse – als Ganzes zur Disposition. Denn dann würde die Allianz auf den Stand von 1999 zurückfallen, als vor allem die Banken dem Versicherer bei der Wiederanlage ausgezahlter Lebensversicherungen lukrative Geschäfte wegschnappten. Das will Achleitner mit Hilfe der Dresdner Bank ändern. Er will bereit sein, „wenn sich der Staat als Finanzier der Altersvorsorge europaweit zurückzieht“. Im Tagesgeschäft macht sich die Synergie Allianz-Dresdner bereits bezahlt. Bei der betrieblichen Altersvorsorge läuft es sehr gut, aber bei Sachversicherungen brauchen die Münchner noch Zeit.
Achleitner und Fahrholz – konzernintern „Sparholz“ genannt – arbeiten deshalb an allen Fronten gleichzeitig. Während der Woche sickerte durch, dass von 130 Standorten im Firmenkundengeschäft nur 70 übrig bleiben sollen – von 220 Führungskräften müssen 140 gehen. Im Investmentbanking stehen 800 Stellen auf der Streichliste.
Um den Abbau der Ausfälle im 30 Milliarden Euro schweren Kreditportfolio der Dresdner Bank kümmert sich seit November der Schwede Jan Kvarnstroem. Der 54-jährige Kreditspezialist, zuvor im Aufsichtsrat der Risikokapitalfirma 3i, soll Forderungen der Allianz an Dritte weiterverkaufen. Dazu werden aussichtsreiche Forderungen in den USA, Lateinamerika, Asien und Osteuropa mit potenziellen Ausfällen zu chanchenreichen Paketen geschnürt.
Deutlich voran geht es bei der Allianz in der Vermögensverwaltung. Der Einfluss der Tochter Pimco, des weltgrößten Verwalters von Anleihefonds, setzt sich immer stärker durch. So hat der Anleihefonds Euro Bond Total Return in nur zehn Monaten seit der Auflage Mittel im Wert von zwei Milliarden Euro eingesammelt.
Der Kauf der Allianz-Aktie bleibt vor allem wegen des Dresdner-Bank-Risikos spekulativ. Deshalb wird das Allianz-Management mit einer schnellen Sanierung der Bank am meisten für den Aktienkurs bewirken können. Hilfreich wäre eine breite Erholung des DAX. Anleger, die damit rechnen, sollten bei der Allianz jetzt schon zugreifen. Denn wenn allen klar ist, dass es besser wird, sind die Münchner Papiere wieder teuer.
INTERVIEW:
Niemand präsentiert gern mit roter Tinte
Die ALLIANZ geht für 2002 von einem Konzernverlust aus. Das deutete Finanzvorstand Paul Achleitner (46) im Interview an. EURO sprach mit dem gelernten Investmentbanker über die Irak-Krise, das Desaster bei der Dresdner Bank und das abgelaufene Geschäftsjahr.
EURO: Herr Achleitner, viele deutsche Unternehmen fürchten angesichts der Entwicklung der deutsch-amerikanischen Beziehungen negative Folgen für ihr US-Geschäft. Sehen Sie bei Ihrem US-Lebensversicherer bereits Bremsspuren im Neugeschäft? Achleitner: Dafür gibt es bisher keinerlei Anzeichen. Aber wir verfolgen die Entwicklung sehr aufmerksam.
EURO: Das tun Sie sicherlich auch bei Ihrer Aktie. Aber richtig Spaß dürften Sie beim Blick auf die Kursentwicklung kaum haben. Seit der Übernahme der Dresdner Bank im Juni 2000 hat sich der Börsenwert der Allianz gefünftelt, die Aktie notierte vor wenigen Tagen auf dem tiefsten Stand seit über zehn Jahren. Wie konnte das passieren?
Achleitner: Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens haben wir an den Kapitalmärkten seit gut einem Jahr ein Auseinanderlaufen der fundamentalen und der tatsächlichen Marktentwicklung. Hier ist eine Volatilität hineingekommen, die getrieben wird durch den Irak-Konflikt und massive Glaubwürdigkeitskrisen. Dazu kommt die generelle Schwäche der Versicherungsaktien. Versicherer sind Kapitalsammelstellen und als solche maßgeblich am Kapitalmarkt engagiert. Wenn die Börsenbewertungen sinken, muss sich dies zwangsläufig auf ihre Bewertung auswirken. Und drittens haben wir natürlich hausgemachte Herausforderungen.
EURO: Probleme dürfte es eher treffen. Ohne die Dresdner wäre der Kursverfall wohl kaum so dramatisch gewesen.
Achleitner: Das kann ich so nicht nachvollziehen. Schauen Sie sich andere Versicherungswerte an, die keine Bank übernommen haben: Die haben genauso gelitten wie wir.
EURO: Nun hat sich die Allianz mit der Dresdner Bank das Investmentbanking und das wenig lukrative, aber riskante Firmenkreditgeschäft aufgehalst. Würden Sie das nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre noch mal machen?
Achleitner: Die Frage bei einer strategischen Entscheidung ist doch: Ist die Strategie richtig oder falsch? Da ist die eindeutige Antwort: Die Strategie stimmt. Vom Timing her haben wir aber sicher Pech gehabt.
EURO: Warum war die Übernahme richtig?
Achleitner: Weil wir uns von einer traditionellen Einproduktwelt steuerlich geförderter Vorsorgeprodukte in eine Welt komplexer Problemlösungen hineinbewegen – bestes Beispiel dafür ist die Riester-Reform. Hier stellen die Bank mit ihren Sparprodukten sowie der DIT als einer der führenden deutschen Fondsgesellschaften eine optimale Ergänzung zu Allianz Leben dar. Die Vertriebserfolge in den Filialen der Dresdner Bank und bei der betrieblichen Altersvorsorge sind dafür ein deutlicher Beweis.
EURO: Sie haben angekündigt, die Dresdner in diesem Jahr in die Gewinnzone zu bewegen. Klappt das?
Achleitner: Das ist die Arbeitshypothese, mit der wir arbeiten.
EURO: Das klingt etwas verhaltener als das, was zuletzt zu hören war. Klappt’s also mit den schwarzen Zahlen für die Dresdner Bank in diesem Jahr?
Achleitner: Die Bank konzentriert sich konsequent auf die Dinge, die sie selbst beeinflussen kann. Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Kapitalmärkte hat sie aber keinen Einfluss. Man muss bei der Bewertung schon fair bleiben.
EURO: Aber der designierte Konzern-chef Michael Diekmann gilt nicht gerade als Befürworter des Dresdner-Kaufs. Und das Marktumfeld für Banken ist derzeit so schwierig wie selten zuvor. Was passiert, wenn die Dresdner die Gewinnzone nicht erreicht?
Achleitner: Noch mal: Strategisch war dieser Schritt richtig. Bei der operativen Umsetzung kann man immer mehr Druck machen oder weniger. Wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass die eingeleiteten Maßnahmen nicht genügen, dann wird die Bank im operativen Bereich nachadjustieren müssen.
EURO: Dann werden die Daumenschrauben noch mal angezogen?
Achleitner: Ich würde das nicht als Daumenschrauben bezeichnen, denn das unterstellt, dass die Kollegen bei der Dresdner Bank nicht dasselbe Interesse haben. Die haben doch auch keine Freude daran, immer mit roter Tinte präsentieren zu müssen.
EURO: Beobachter geben vor allem der Investmentbank um Dresdner Kleinwort Wasserstein keine allzu große Zukunft im Allianz-Verbund.
Achleitner: Die öffentlichen Kommentare dieser Beobachter sind leider oft nicht sehr profund, wobei das Thema nicht besonders kompliziert ist. Erster Punkt: Brauchen wir für die Umsetzung unserer langfristigen strategischen Ziele notwendigerweise eine Investmentbank? Die Antwort lautet: nein. Zweiter Punkt: Wir sind weltweit einer der größten Kapitalmarkt-Akteure. Hat eine operative Einheit, deren Aufgabe Kapitalmarkt-Dienstleistung ist, in unserer Gruppe eine Existenzberechtigung? Die Antwort ist: ja. Voraussetzung dafür ist aber, dass sie die Kriterien erfüllt, die für alle unsere Einheiten gelten, nämlich mittel- und langfristig positive Wertbeiträge zu leisten. Das heißt, auch die Investmentbank muss mehr als ihre Kapitalkosten verdienen.
EURO: Im dritten Quartal gab es im Konzern einen Rekordverlust von 2,5 Milliarden Euro, in den ersten neun Monaten sind insgesamt 900 Millionen Euro Miese aufgelaufen. Wird die Allianz erstmals rote Zahlen fürs Gesamt-jahr ausweisen müssen?
Achleitner: Ich möchte hier der Bilanzpressekonferenz am 20. März nicht vorgreifen. EURO: Sie können es aber auch nicht ausschließen?
Achleitner: Da brauchen Sie nur die Markterwartung der Analysten anzuschauen. EURO: Die gehen fast alle von Verlusten aus.
Achleitner: Und dann können Sie Ihre eigenen Rückschlüsse ziehen.
EURO: Ihnen fehlen laut Analysten mindestens zwei Milliarden Dollar, um das AA-Rating zu behalten. Kommt für Sie angesichts dessen eine Kapitalerhöhung in Frage?
Achleitner: Das Thema steht derzeit nicht auf der Tagesordnung.
EURO: Sie haben im Vorjahr eine Dividende von 1,50 Euro gezahlt. Das abgelaufene Geschäftsjahr war ziemlich desaströs. Können Aktionäre dennoch mit einer Dividende rechnen?
Achleitner: Die Entscheidung dazu steht noch aus. Nur so viel: Dividenden-Kontinuität ist uns sehr wichtig.
red
von Klaus Schachinger, Thomas Schmidtutz und Ralf Rockenmaier, Euro am Sonntag 08/03
Von seinem Büro im dritten Stock der Allianz-Zentrale in der Münchner Königinstraße hat Paul Achleitner freie Sicht über die Wipfel der alten Buchen im Englischen Garten. Den Ausblick kann der Finanzchef des größten deutschen Finanzkonzerns derzeit allerdings nicht genießen. Achleitner braucht keinen schönen Ausblick, sondern einen besseren Durchblick an den Kapitalmärkten. Denn die Märkte sind nervös und schwer zu berechnen. Allein das Gerücht über eine Kapitalerhöhung der Allianz – das ein Konzernsprecher dementierte – drückte die Aktie auf ein neues Zehn-Jahres-Tief bei 64,50 Euro. Auch viele Analysten sind nervös. Selbst jene, die den fairen Wert des Papiers bei über 90 Euro sehen, kalkulieren jetzt mit einem Worst-Case-Szenario, demzufolge sich der Wert des Papiers noch weiter – auf nur noch 50 Euro – verbilligen könnte.
Schuld daran ist der DAX. Denn der Allianz-Kurs reagiert überdurchschnittlich stark auf Bewegungen des Index. Genauer gesagt mit dem Faktor 1,36, wie Analysten der WestLB errechnet haben. Grund: das große Beteiligungsportfolio der Allianz an DAX-Unternehmen. „Wenn Sie glauben, dass der DAX noch deutlich fällt, meiden sie die Aktie“, warnt Sal.-Oppenheim-Analyst Michael Haid.
Wie stark sich die Börsenkrise auf die Jahresbilanz des Versicherers ausgewirkt hat, wird sich erst am 20. März zeigen. Noch-Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle bereitet die Märkte schon mal schonend auf schwache Zahlen vor. „Ich werde persönlich eines der schlechtesten Ergebnisse der letzten Jahre präsentieren“, sagte der Manager vor kurzem. Ob es Verluste sind, sagte Schulte-Noelle nicht. Zumindest unter Analysten scheint klar: Im März gibt es rote Zahlen. Selbst Finanzchef Achleitner streitet das – indirekt – nicht mehr ab: „Lesen Sie die Analystenberichte und ziehen Sie daraus Ihre Schlüsse“, so Achleitner gegenüber EURO.
Die Verlustschätzungen weichen stark voneinander ab. Die Versicherungsspezialisten der Schweizer UBS gehen von 341 Millionen Euro Nettoverlust aus. Achleitners Ex-Arbeitgeber Goldman Sachs erwartet 946 Millionen Euro Verlust.
Für die Misere der Allianz gibt es viele Gründe. Der wichtigste: Der DAX fiel stärker, als es Konzernchef Schulte-Noelle in seinen Risikoszenarien berücksichtigt hatte – minus 44 statt minus 30 Prozent. Stille Reserven im Wert von mehr als zehn Milliarden Euro sind seit Ende 2001 weggeschmolzen. Dazu addieren sich Verluste aus dem Firmenkredit-Desaster der Dresdner Bank – minus zwei Milliarden Euro bis September 2002. Eine Ausweitung ist wahrscheinlich. Zudem sind die Zahlungen für die Flutkatastrophe vergangenen Sommer mit rund 770 Millionen Euro höher als erwartet. Dazu kommt die Belastung aus der World-Trade-Center-Katastrophe: Rückstellungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Schließlich ist die Ende 2002 erhöhte Risikovorsorge der US-Tochter Firemens Fund für Asbestklagen zu verbuchen.
Die Reserven der Allianz sind geschwächt. Die Rating-Agentur Standard&Poor’s (S&P), die ihre Kredit-Bewertung von AA auf AA– senkte, hat den Versicherer seit Oktober mit negativem Ausblick auf der Watchlist.
Vor einer Woche hat S&P die Kreditwürdigkeit des Allianz-Konkurrenten AXA gesenkt. Das ist ein schlechtes Zeichen für die Münchner. „Die Allianz hat unter den Versicherern derzeit die riskanteste Kapitalstruktur. Eine Herabstufung – möglicherweise um zwei Stufen – ist sehr wahrscheinlich“, glaubt Sal.-Oppenheim-Experte Haid. Das würde die Finanzierungskosten spürbar erhöhen.
Um ihre Ertragsbasis zu verbessern, wollen die Münchner noch in diesem Jahr in ihrem Kerngeschäft Sach- und Lebensversicherungen die Schaden/Prämienquote unter 100 Prozent drücken. Das heißt, profitabel wirtschaften, ohne – wie in der Branche bisher üblich – auf Gewinne aus dem Kapitalmarkt angewiesen zu sein. Damit könnte es, glauben die Analysten der UBS, schwierig werden, 2003 die überdurchschnittliche Überschussbeteiligung bei Lebensversicherungen (5,3 Prozent) zu halten. Vor allem dann, wenn die Börsen weiter fallen sollten.
Entscheidend für den Kursverlauf der Aktie in diesem Jahr wird aber die Entwicklung der Dresdner Bank sein. Allianz-Finanzvorstand Achleitner und Dresdner-Chef Bernd Fahrholz müssen die Bank 2003 in die Gewinnzone führen. „Dafür lege ich meinen Kopf auf den Block“, stellte Fahrholz fest. Er gilt damit als Chef auf Abruf.
Der Dresdner-Bank-Effekt scheint die Aktie stärker zu belasten, als die Allianz-Vorstände heute zugeben wollen (siehe Grafik). Trotzdem lassen die Versicherer keine Kritik an ihrer Strategie zu: „Über Erfolg oder Misserfolg jetzt, nach eineinhalb Jahren, zu urteilen, ist Unsinn“, verteidigt Achleitner den Kauf der Bank. Nie, heißt es in der Königinstraße, stand die Bank – im Gegensatz zu Spekulationen in der Presse – als Ganzes zur Disposition. Denn dann würde die Allianz auf den Stand von 1999 zurückfallen, als vor allem die Banken dem Versicherer bei der Wiederanlage ausgezahlter Lebensversicherungen lukrative Geschäfte wegschnappten. Das will Achleitner mit Hilfe der Dresdner Bank ändern. Er will bereit sein, „wenn sich der Staat als Finanzier der Altersvorsorge europaweit zurückzieht“. Im Tagesgeschäft macht sich die Synergie Allianz-Dresdner bereits bezahlt. Bei der betrieblichen Altersvorsorge läuft es sehr gut, aber bei Sachversicherungen brauchen die Münchner noch Zeit.
Achleitner und Fahrholz – konzernintern „Sparholz“ genannt – arbeiten deshalb an allen Fronten gleichzeitig. Während der Woche sickerte durch, dass von 130 Standorten im Firmenkundengeschäft nur 70 übrig bleiben sollen – von 220 Führungskräften müssen 140 gehen. Im Investmentbanking stehen 800 Stellen auf der Streichliste.
Um den Abbau der Ausfälle im 30 Milliarden Euro schweren Kreditportfolio der Dresdner Bank kümmert sich seit November der Schwede Jan Kvarnstroem. Der 54-jährige Kreditspezialist, zuvor im Aufsichtsrat der Risikokapitalfirma 3i, soll Forderungen der Allianz an Dritte weiterverkaufen. Dazu werden aussichtsreiche Forderungen in den USA, Lateinamerika, Asien und Osteuropa mit potenziellen Ausfällen zu chanchenreichen Paketen geschnürt.
Deutlich voran geht es bei der Allianz in der Vermögensverwaltung. Der Einfluss der Tochter Pimco, des weltgrößten Verwalters von Anleihefonds, setzt sich immer stärker durch. So hat der Anleihefonds Euro Bond Total Return in nur zehn Monaten seit der Auflage Mittel im Wert von zwei Milliarden Euro eingesammelt.
Der Kauf der Allianz-Aktie bleibt vor allem wegen des Dresdner-Bank-Risikos spekulativ. Deshalb wird das Allianz-Management mit einer schnellen Sanierung der Bank am meisten für den Aktienkurs bewirken können. Hilfreich wäre eine breite Erholung des DAX. Anleger, die damit rechnen, sollten bei der Allianz jetzt schon zugreifen. Denn wenn allen klar ist, dass es besser wird, sind die Münchner Papiere wieder teuer.
INTERVIEW:
Niemand präsentiert gern mit roter Tinte
Die ALLIANZ geht für 2002 von einem Konzernverlust aus. Das deutete Finanzvorstand Paul Achleitner (46) im Interview an. EURO sprach mit dem gelernten Investmentbanker über die Irak-Krise, das Desaster bei der Dresdner Bank und das abgelaufene Geschäftsjahr.
EURO: Herr Achleitner, viele deutsche Unternehmen fürchten angesichts der Entwicklung der deutsch-amerikanischen Beziehungen negative Folgen für ihr US-Geschäft. Sehen Sie bei Ihrem US-Lebensversicherer bereits Bremsspuren im Neugeschäft? Achleitner: Dafür gibt es bisher keinerlei Anzeichen. Aber wir verfolgen die Entwicklung sehr aufmerksam.
EURO: Das tun Sie sicherlich auch bei Ihrer Aktie. Aber richtig Spaß dürften Sie beim Blick auf die Kursentwicklung kaum haben. Seit der Übernahme der Dresdner Bank im Juni 2000 hat sich der Börsenwert der Allianz gefünftelt, die Aktie notierte vor wenigen Tagen auf dem tiefsten Stand seit über zehn Jahren. Wie konnte das passieren?
Achleitner: Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens haben wir an den Kapitalmärkten seit gut einem Jahr ein Auseinanderlaufen der fundamentalen und der tatsächlichen Marktentwicklung. Hier ist eine Volatilität hineingekommen, die getrieben wird durch den Irak-Konflikt und massive Glaubwürdigkeitskrisen. Dazu kommt die generelle Schwäche der Versicherungsaktien. Versicherer sind Kapitalsammelstellen und als solche maßgeblich am Kapitalmarkt engagiert. Wenn die Börsenbewertungen sinken, muss sich dies zwangsläufig auf ihre Bewertung auswirken. Und drittens haben wir natürlich hausgemachte Herausforderungen.
EURO: Probleme dürfte es eher treffen. Ohne die Dresdner wäre der Kursverfall wohl kaum so dramatisch gewesen.
Achleitner: Das kann ich so nicht nachvollziehen. Schauen Sie sich andere Versicherungswerte an, die keine Bank übernommen haben: Die haben genauso gelitten wie wir.
EURO: Nun hat sich die Allianz mit der Dresdner Bank das Investmentbanking und das wenig lukrative, aber riskante Firmenkreditgeschäft aufgehalst. Würden Sie das nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre noch mal machen?
Achleitner: Die Frage bei einer strategischen Entscheidung ist doch: Ist die Strategie richtig oder falsch? Da ist die eindeutige Antwort: Die Strategie stimmt. Vom Timing her haben wir aber sicher Pech gehabt.
EURO: Warum war die Übernahme richtig?
Achleitner: Weil wir uns von einer traditionellen Einproduktwelt steuerlich geförderter Vorsorgeprodukte in eine Welt komplexer Problemlösungen hineinbewegen – bestes Beispiel dafür ist die Riester-Reform. Hier stellen die Bank mit ihren Sparprodukten sowie der DIT als einer der führenden deutschen Fondsgesellschaften eine optimale Ergänzung zu Allianz Leben dar. Die Vertriebserfolge in den Filialen der Dresdner Bank und bei der betrieblichen Altersvorsorge sind dafür ein deutlicher Beweis.
EURO: Sie haben angekündigt, die Dresdner in diesem Jahr in die Gewinnzone zu bewegen. Klappt das?
Achleitner: Das ist die Arbeitshypothese, mit der wir arbeiten.
EURO: Das klingt etwas verhaltener als das, was zuletzt zu hören war. Klappt’s also mit den schwarzen Zahlen für die Dresdner Bank in diesem Jahr?
Achleitner: Die Bank konzentriert sich konsequent auf die Dinge, die sie selbst beeinflussen kann. Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Kapitalmärkte hat sie aber keinen Einfluss. Man muss bei der Bewertung schon fair bleiben.
EURO: Aber der designierte Konzern-chef Michael Diekmann gilt nicht gerade als Befürworter des Dresdner-Kaufs. Und das Marktumfeld für Banken ist derzeit so schwierig wie selten zuvor. Was passiert, wenn die Dresdner die Gewinnzone nicht erreicht?
Achleitner: Noch mal: Strategisch war dieser Schritt richtig. Bei der operativen Umsetzung kann man immer mehr Druck machen oder weniger. Wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass die eingeleiteten Maßnahmen nicht genügen, dann wird die Bank im operativen Bereich nachadjustieren müssen.
EURO: Dann werden die Daumenschrauben noch mal angezogen?
Achleitner: Ich würde das nicht als Daumenschrauben bezeichnen, denn das unterstellt, dass die Kollegen bei der Dresdner Bank nicht dasselbe Interesse haben. Die haben doch auch keine Freude daran, immer mit roter Tinte präsentieren zu müssen.
EURO: Beobachter geben vor allem der Investmentbank um Dresdner Kleinwort Wasserstein keine allzu große Zukunft im Allianz-Verbund.
Achleitner: Die öffentlichen Kommentare dieser Beobachter sind leider oft nicht sehr profund, wobei das Thema nicht besonders kompliziert ist. Erster Punkt: Brauchen wir für die Umsetzung unserer langfristigen strategischen Ziele notwendigerweise eine Investmentbank? Die Antwort lautet: nein. Zweiter Punkt: Wir sind weltweit einer der größten Kapitalmarkt-Akteure. Hat eine operative Einheit, deren Aufgabe Kapitalmarkt-Dienstleistung ist, in unserer Gruppe eine Existenzberechtigung? Die Antwort ist: ja. Voraussetzung dafür ist aber, dass sie die Kriterien erfüllt, die für alle unsere Einheiten gelten, nämlich mittel- und langfristig positive Wertbeiträge zu leisten. Das heißt, auch die Investmentbank muss mehr als ihre Kapitalkosten verdienen.
EURO: Im dritten Quartal gab es im Konzern einen Rekordverlust von 2,5 Milliarden Euro, in den ersten neun Monaten sind insgesamt 900 Millionen Euro Miese aufgelaufen. Wird die Allianz erstmals rote Zahlen fürs Gesamt-jahr ausweisen müssen?
Achleitner: Ich möchte hier der Bilanzpressekonferenz am 20. März nicht vorgreifen. EURO: Sie können es aber auch nicht ausschließen?
Achleitner: Da brauchen Sie nur die Markterwartung der Analysten anzuschauen. EURO: Die gehen fast alle von Verlusten aus.
Achleitner: Und dann können Sie Ihre eigenen Rückschlüsse ziehen.
EURO: Ihnen fehlen laut Analysten mindestens zwei Milliarden Dollar, um das AA-Rating zu behalten. Kommt für Sie angesichts dessen eine Kapitalerhöhung in Frage?
Achleitner: Das Thema steht derzeit nicht auf der Tagesordnung.
EURO: Sie haben im Vorjahr eine Dividende von 1,50 Euro gezahlt. Das abgelaufene Geschäftsjahr war ziemlich desaströs. Können Aktionäre dennoch mit einer Dividende rechnen?
Achleitner: Die Entscheidung dazu steht noch aus. Nur so viel: Dividenden-Kontinuität ist uns sehr wichtig.
red