Wirbel um VW-Aktie
Der wilde Höhenflug der VW-Aktie hat den Autohersteller zeitweise zum teuersten Unternehmen der Welt gemacht. Die Aktie markierte in der Spitze ein Rekordhoch von 1005,01 Euro. Dann flauten die Kurszuwächse aber rapide ab, die Aktie stand zuletzt noch mit 23 Prozent im Plus bei 640 Euro. Auslöser für den rasanten Kursanstieg, der bereits am Montag begann, waren misslungene sogenannte Leerverkäufe - Spekulationen auf sinkende Kurse. Am Morgen reichte die regelrechte Kursexplosion bei den VW-Papieren aus, um den Dax um rund zehn Prozent ins Plus zu hieven, während fast alle anderen Aktien im Minus standen. VW war an der Börse zeitweise mehr Wert als der teuerste Konzern der Welt, der amerikanischen Mineralöl-Riese ExxonMobil, der zuletzt 334 Milliarden Dollar kostete.
Die Finanzmarktaufsicht Bafin teilte mit, sie analysiere die Entwicklung. Mit Ergebnissen wie einer möglichen formellen Prüfung der Vorgänge sei diese Woche eher noch nicht zu rechnen, sagte eine Sprecherin.
Massive Kritik
Der rasante Kursanstieg der VW-Aktie sorgt für großen Ärger, so auch bei Deutschlands größter Fondsgesellschaft DWS. Diese erhebt schwere Vorwürfe gegen Volkswagen-Hauptaktionär Porsche und fordert von der Deutschen Börse eine Änderung der Regeln für die Zusammensetzung des Dax. "Ich kritisiere heftig, dass ein Unternehmen wie Porsche in unverantwortlicher Art und Weise den VW-Kurs manipuliert", sagte DWS-Geschäftsführer Klaus Kaldemorgen der "Financial Times Deutschland". "Hier ist für andere Anleger nicht nachvollziehbar, was Porsche macht."
Porsche fühlt sich für die jüngsten Kurssprünge bei den Stammaktien von Volkswagen nicht verantwortlich. "Wir weisen den Vorwurf der Kursmanipulation entschieden zurück", sagte ein Porsche-Sprecher. Es werde bei den Kursausschlägen der VW-Stämme Ursache und Wirkung verwechselt. "Verursacher sind diejenigen, die mit riesigen Summen auf fallende VW-Kurse gesetzt haben", sagte der Sprecher. Der Kurs der Volkswagen-Aktie war am Montag zeitweilig mehr als 200 Prozent auf ein Rekordniveau von 635 Euro in die Höhe geschossen, nachdem Porsche am Wochenende weitere Details zur geplanten VW-Mehrheitsübernahme bekanntgegeben hatte.
Die Mechanismen dahinter
Analysten zufolge zwang die Mitteilung spekulativ orientierte Investoren, sich zu jedem Preis mit VW-Aktien einzudecken. Die Anleger hatten sich zuvor VW-Aktien geliehen und verkauft (Leerverkauf) in der Erwartung, dass der Kurs sinkt und sie die Papiere zu einem niedrigeren Preis kaufen und zurückgeben und damit einen Gewinn einstreichen können.
Da die Porsche-Mitteilung den Kurs jedoch nach oben trieb, mussten sie unbedingt VW-Aktien kaufen, um den Verlust aus dieser Wette zu begrenzen. Damit kam eine Kettenreaktion in Gang, die den Kurs immer weiter in ungeahnte Höhen trieb. Der Kursanstieg fiel auch deswegen so stark aus, weil vergleichsweise wenige VW-Aktien frei gehandelt wegen können.
Unruhe im Index
"Es kann auch nicht sein, dass ein Wert in einem angesehenen Index wie dem Dax aufgrund des geringen Streubesitzes an einem Tag um mehr als 100 Prozent steigt", bemängelte Kaldemorgen. "Die Börse muss bei so einer außerordentlichen Gegebenheit agieren. Es ist höchste Zeit, dass sie ihre Indexregeln ändert", forderte er.
Kaldemorgen zufolge hinken am Dax orientierte Fonds der Entwicklung des Leitindex notwendig hinterher, weil sie einen Kauf von VW-Aktien zum aktuellen Kurs nicht verantworten können. Die DWS ist die Fondstochter der Deutschen Bank.
Deutsche Börse bleibt hart
Die Deutsche Börse will keine Konsequenzen aus den Kurskapriolen der Volkswagen-Aktie für ihren Leitindex Dax ziehen. "Da muss man den Markt gewähren lassen", sagte ein Sprecher der Börse. "Wir haben keine Rechtsverstöße beim Handel mit VW-Aktien festgestellt, es läuft alles nach den Regeln ab", betonte er. Die Börse werde sich an ihr Regelwerk halten, wonach Änderungen im Index außer der Reihe nur bei einem Streubesitz von weniger als fünf Prozent möglich sind. "Sonst wird das genauso unberechenbar." Handelsunterbrechungen in Form von Aussetzungen seien nur möglich, wenn eine wichtige Unternehmensmitteilung anstünde. Davon sei aber nichts bekannt.
Durch die Kursexplosion steigt das Gewicht der VW-Aktie in dem Index, obwohl im Markt offenbar kaum noch Papiere verfügbar sind. Das bedeutet beispielsweise, dass Fonds, die den Index nachbilden, jetzt VW-Aktien kaufen müssen. Anderen Aktien im Dax würde nun ohne Rücksicht auf Verluste verkauft, nur um Aktien von Volkswagen finanzieren zu können, betonten Händler. Einige nannten das Verhalten der Deutschen Börse unverantwortlich.
Goldman Sachs reagierte auf die Situation mit einer Berechnung des Dax ohne den Einfluss der Volkswagen-Aktie - dieser "DAX ex-VW" sei wegen der Verkäufe anderer Titel zugunsten von Käufen der VW-Aktie in Richtung 3000 Punkte gefallen.
Hedge-Fonds leiden
Die Kursexplosion der VW-Aktie soll Spekulanten Verluste von 10 bis 15 Milliarden Euro beschert haben. Betroffen seien vor allem Hedge-Fonds, die auf fallende Kurse spekuliert hätten, berichtet die "Financial Times". Die VW-Aktie war am Montag um spektakuläre mehr als 146 Prozent gestiegen. Die sogenannten Leerverkäufer, die auf sinkende Kurse gesetzt und geliehene VW-Aktien verkauft hatten, waren von der Erhöhung des Porsche-Anteils bei Volkswagen kalt erwischt worden. Da an der Börse nur noch wenige VW-Papiere übrigblieben und die Händler trotzdem Aktien zurückkaufen mussten, um sie den Ausleihern wiederzugeben, brach eine regelrechte Jagd auf die Anteilsscheine aus.
Porsche hatte am Sonntag mitgeteilt, dass der Anteil an Volkswagen auf 42,6 Prozent erhöht wurde und das Unternehmen zudem noch 31,5 Prozent an VW in Form von Optionen kontrolliert. Insgesamt hat Porsche also 74,1 Prozent der Anteile in der Hand. Damit wurden die Leerverkäufer kalt erwischt. Nach Informationen aus dem Markt waren 12 bis 15 Prozent der VW-Anteile an Leerverkäufer verliehen gewesen. Diese Aktien mussten zur Rückgabe wiedergekauft werden. Abzüglich der gut 20 Prozent, die beim Land Niedersachsen liegen, standen den Spekulanten dafür aber nur noch knapp sechs Prozent der Anteile zur Verfügung.
Die Folge der panikartigen Nachfrage war eine Kursexplosion auf 520,00 Euro. Das gibt dem Wolfsburger Autobauer einen Marktwert von 153 Milliarden Euro - mehr als alle anderen europäischen und amerikanischen Konkurrenten zusammen an der Börse kosten. Zeitweise war die Aktie am Dienstag sogar bis auf 1000 Euro gestiegen.