in "Die Presse" vom 21.02.2010.
Sie glauben, dass sich die Mittelschicht auflöst. Warum?
Gerald Hörhan: Das globale ökonomische System war nie für eine Mittelschicht ausgelegt. Die Mittelschicht der vergangenen Jahrzehnte ist nur durch den Krieg zustande gekommen. Aber jetzt bricht sie auf, und mit jeder Wirtschaftskrise bleibt der Mittelschicht weniger übrig. Besonders nach dieser Finanzkrise. Die Reichen mehren ihr Vermögen schon lange wieder. Banker kassieren schon wieder üppige Boni. Und die Mittelschicht wird währenddessen mehrfach abgezockt.
Und zwar wie?
Sie leidet unter hohen Kreditkosten, niedrigeren Einkommen, Kurzarbeit und Jobverlust. Nicht nur das. Den Kleinanlegern wurde eingeredet, Aktien zu kaufen, als die Kurse oben waren. Die Kurse sind dann eingestürzt. Als sie im Keller waren, hat man ihnen eingeredet, sie müssten auf Garantieprodukte setzen. Somit haben sie vom Börsenaufschwung nicht profitiert. Den Reichen ist wieder mehr übrig geblieben.
Darum setzen Politiker auf Reichensteuern.
Das bewirkt das Gegenteil von dem, was sie bezwecken wollen. Die, die schon reich sind, verlagern einfach ihr Vermögen. Diese Steuern werden wieder nur jene der Mittelschicht treffen, die durch harte Arbeit und kreative Ideen versuchen, ein Vermögen aufzubauen.
Wie kann man der Mittelschicht entfliehen?
Man muss ein intelligenter Punk sein. Punks hinterfragen das System, das ist gut. Sie ziehen aber die falschen Schlüsse. Für Anarchopunks sind Unternehmer, Vermieter und Politiker die Bösen. Ohne die gäbe es aber eine feudalistische Plutokratie. Intelligente Punks dagegen versuchen, sich mit kreativen Ideen von den Konventionen der Mittelschicht zu verabschieden. Ich nenne sie Investmentpunks.
Was ist das System, und warum ist es böse zur Mittelschicht?
Das System besteht aus den Staaten, den globalen Konzernen und den Medien. Es gaukelt vor, dass Schulden normal sind: „Lebe jetzt, spare irgendwann.“ Es definiert das Eigenheim als das größte wirtschaftliche Ziel und suggeriert, dass der Kauf von Neuwagen auf Pump normal ist. Das alles verhindert aber nur, dass zu viele Menschen aus der Mittelschicht hoch hinaus kommen.
In Österreich verschuldet sich ein Viertel der Menschen für ihr Eigenheim. Was ist so schlimm daran?
Die Leute kaufen etwa auf Pump Häuser in Vororten. Sie verpfänden ihre Freiheit und ihr Leben an die Bank und sind somit in einem Hamsterrad eingeschlossen. Sie müssen strampeln, um den Kredit zu tilgen. Sie dürfen ihren Job nicht verlieren, müssen daher buckeln und immer brav Danke zu ihren Chefs sagen. Sie haben keine Zeit mehr für große Visionen, können keine Geschäftsideen umsetzen. Sie werden ausgebeutet. Früher hieß die Ausbeutung Sklaverei, heute heißt sie Schuldendienst. Was bleibt am Schluss übrig? Der Wert der Vorortimmobilie ist vielleicht in 20 Jahren gesunken. Ich denke an die Triester Straße in Wien. Das waren einmal die Traumhäuser der Mittelschicht. Heute ist es furchtbar, dort zu leben.
Was machen Sie anders bei Immobilien?
Ganz einfach: Ich unterscheide zwischen Konsumausgaben und klug investierten Krediten. Ich wohne zur Miete, ich kaufe als Investment. Ein Beispiel: Wenn ich mir mein Eigenheim im Wert von 240.000 Euro auf Pump kaufe, muss ich etwa 50.000 Euro als Anzahlung für den Kredit leisten. Da wohne ich doch lieber schön auf Miete – und mit den 50.000 leiste ich die Anzahlung für drei Immobilien in einer guten Stadtlage. Diese Objekte behalten in einer Stadt mit guter Entwicklung zumindest ihren Wert. Die Banken sehen das auch so, sie gewähren dafür 80 bis 90 Prozent Beleihung. Ich zahle für die Immobilieninvestments zehn bis 15 Prozent und die Nebenkosten. Der Kredit wird mit Mieteinnahmen getilgt. In zehn bis 20 Jahren sind die Wohnungen schuldenfrei. Sie bringen mir dann schöne Erträge. Ich verfolge dieses Schema und kaufe immer mehr Immobilien an. Somit baut man sich ein sattes Vermögen auf, anstatt dumme Schulden zu machen.
Was haben Sie gegen Neuwagen? Sie fahren schließlich einen Aston Martin und einen Audi RS 6 Plus, die beide gemeinsam mehr als 1000 PS unter der Haube haben?
Ich habe sie gebraucht gekauft. Aus gutem Grund. Man verbrennt Geld kaum schneller als mit Neuwagen. Anschaffungspreis und Wertverlust sind die größten Ausgaben. Die Konsumidioten der Mittelschicht glauben auch noch, dass ein Auto eine Investition ist und einen Vermögenswert darstellt. Das krasse Gegenteil ist der Fall: Ein Neuwagen kostet viel und verliert binnen drei Jahren bis zu 50 Prozent an Wert. Außerdem fallen laufende Kosten an. Da kaufe ich lieber einen drei Jahre alten Gebrauchtwagen. Die Anschaffung ist billiger, die Wertverlustkurve ist flacher, ich verliere also weniger. Viel lustiger und ökonomisch günstiger wäre, einen Mercedes 300 Cabriolet aus den 80er-Jahren zu kaufen anstatt einen neuen, langweiligen VW Golf zu fahren.
Was ist da ökonomisch?
Der Golf verliert schnell an Wert. Der Mercedes ist für eine halbe Million Kilometer gut. Bei guter Behandlung wird er immer mehr wert als weniger, weil viele Sammler gutes Geld dafür zahlen würden. Außerdem kann man mit ihm vor jeder Nobeldisco vorfahren. Mit dem – vielleicht sogar auf Kredit gekauften – VW Golf, der nichts mehr wert ist, geht das nicht.
Sie machen auch mit Aktien ein Vermögen. Wie kann man damit reich werden?
Grundsätzlich mache ich bei Aktien das Gegenteil, was Boulevardzeitungen schreiben. Derzeit ist von Garantieprodukten die Rede. Ich stocke daher bei Aktien auf. Im Grunde braucht aber jeder sein eigenes System, das er langfristig und ständig wiederholt. Über Nacht wird man nicht reich. Mein System ist simpel: Ich investiere nur in Firmen, deren Buchwert höher als ihr Marktwert an der Börse ist. Das Geschäftsmodell muss stabil sein, es sollte also keine Airline sein. Die Dividendenrendite muss bei mindestens fünf Prozent liegen. Ich investiere Monat für Monat die gleiche Summe. Sind die Kurse oben, kaufe ich weniger Aktien, sind sie im Keller, kaufe ich mehr.
Was bedeutet Reichtum?
Unabhängigkeit und Freiheit. Ich kann alles machen, was ich will. Ich muss vor keinem Chef buckeln und dafür noch Danke sagen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2010)