A K T I E N H A N D E L: Häftling macht Millionen
Aus seiner Zelle heraus hat ein Schwerverbrecher in den USA seit 1998 ganz legal mindestens acht Millionen Dollar an der Börse verdient. Sein Startkapital waren 500.000 Dollar Schmerzengeld.
In den Gefängnissen dieser Welt saß und sitzt so mancher Millionär, doch Michael Mathie dürfte der erste Häftling sein, der durch die Gitterstäbe hindurch legal ein Vermögen verdient hat. Er handelt mit Aktien. Eigentlich ist es den Insassen des Hochsicherheitsgefängnisses in Elmira (US-Bundesstaat New York) verboten, ein Geschäft zu betreiben. Aber Mathie fand eine Lücke im Gesetzestext und nutzte sie.
Die Verfassung gesteht Häftlingen zu, Telefongespräche zu führen und über alles zu reden, was nicht illegal ist. So greift der 33-Jährige täglich zum Hörer des Münzfernsprechers der Haftanstalt, ruft seinen Vater an und sagt ihm, welche Wertpapiere zu kaufen und abzustoßen sind. "Weil die Transaktionen draußen stattfinden, können wir sie nicht kontrollieren", erklärte der Sprecher der Gefängnisbehörde, Jim Flatau, der "New York Times". Die Aufseher nennen Mathie, der wegen Totschlags bis zu 30 Jahre absitzen muss, nun nur noch "unseren Anstaltsmillionär". Mit einem geschätzten Verdienst innerhalb der vergangenen zweieinhalb Jahre von acht Millionen Dollar (rund 18,7 Millionen Mark) und einem Einkommen vor Steuern von fast 900.000 Dollar (1,9 Millionen Mark) im Jahr 1999, scheint dieser Titel berechtigt.
Die Geschäftstüchtigkeit des Insassen mit der Nummer 90T1282 hat auch diesseits der Mauern herumgesprochen. Robert Gangi, Sprecher einer Hilfsorganisation für Gefängnisinsassen, findet Mathies Aktiendeals äußerst ungewöhnlich: "Die meisten Häftlinge sind arm und können die Börse nicht von einem Fußball unterscheiden."
Bei aller Annerkennung Mathie ist alles andere als ein Unschuldslamm. Er hatte bei seinem Prozess 1989 gestanden, gemeinsam mit drei Komplizen einen Mann angegriffen, geschlagen und gewürgt zu haben. Das Opfer starb an den Verletzungen.
Während seiner Haftzeit wurde Mathie dann aber selbst Opfer von Verbrechern. Er wurde nachweislich mehrmals im Gefängnis vergewaltigt und bekam dafür von einem Gericht 500.000 Dollar (seinerzeit rund 1,03 Millionen Mark) Schmerzensgeld zugesprochen. Mit diesem Geld startete Mathie seine ungewöhnliche Börsenkarriere.
© SPIEGEL ONLINE 06/2001
Quelle: www.spiegel.de/wirtschaft/finanzen/0,1518,116302,00.html