Zeit 28/2000
........
Jetzt kommt für die Europäer die Zeit der Bewährung. Besonders für die Deutschen, die sich lange gegen die Gentechnik sperrten. Seit sich ihre Segnungen für die Arzneimittelforschung auch hierzulande herumgesprochen haben, hat sich das grundlegend geändert. Mit rund 280 Unternehmen, so zählte die Unternehmensberatung Ernst & Young, ist Deutschland zur führenden Bio-Tech-Nation des Kontinents aufgestiegen. Jetzt wird sich zeigen, ob die Deutschen zur Masse auch Klasse zu bieten haben.
Am weitesten gediehen ist die Bioinformatik. Hier gibt es schon zahlreiche deutsche Anbieter: alerte Nachwuchsforscher, geschäftstüchtige Professoren, selbst ausgewachsene Pharmakonzerne streben in dieses Feld. Star der jungen Branche ist der Krupp-Spross Friedrich von Bohlen mit seiner Lion Bioscience AG. Die Software der Heidelberger verschafft den Kunden nicht nur Zugang zu den über 350 öffentlichen Gendatenbanken auf der ganzen Welt. Sie vernetzt auch all die Daten, die von der Enttarnung einer Gensequenz als Krankheitsursache bis zur patentierten Therapie im Pharmaunternehmen anfallen. "Was SAP für die Büroorganisation ist, sind wir für die Arzneimittelbranche", erklärt von Bohlen stolz.
Ganz so berühmt wie das Softwarehaus im nahe gelegenen Walldorf ist das Bioinformatik-Unternehmen Lion zwar noch nicht, trotzdem muss sich von Bohlen vor dem demnächst anstehenden Börsengang um Publicity keine Sorgen machen. Sein Unternehmen gehört bereits jetzt zu den bekanntesten Namen der jungen Bio-Tech-Branche. Dazu beigetragen hat sicher die 100 Millionen Dollar schwere Forschungsallianz, die Lion vor einem Jahr mit der Leverkusener Bayer AG schloss. Daneben nutzen auch zahlreiche andere Pharmahersteller das Wissen der Heidelberger. Selbst in den Vereinigten Staaten sind sie schon präsent. Auch für Celera hat Lion schon gearbeitet. Gut drei Jahre nach der Gründung hat es Lion zu über 260 Mitarbeitern und rund 18 Millionen Mark Jahresumsatz gebracht. Gewinne erwartet Bohlen allerdings erst in drei Jahren.