ftd.de, Di, 25.6.2002, 2:00
Fonds: Einsam am Neuen Markt
Von Martin Diekmann
Der Schlamassel an den Wachstumsbörsen wird immer größer. Und mittendrin stecken die Investmentfonds. Nur die mutigsten unter den Fondsmanagern haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Der Neue Markt erlebt ein beispielloses Fiasko. Mehr als 90 Prozent verlor allein der Nemax 50 seit März 2000. Und das, obwohl er doch das "Qualitätssegment" des Marktes abbilden soll. Von Luftbuchungen, vorgetäuschten Geschäftsabschlüssen bis hin zu Insolvenzen angeblich florierender Unternehmen scheint alles möglich. Besser gesagt: ist - denn die Krise ist noch längst nicht vorbei. Mit der drohenden Überschuldung des Neuer-Markt-Urgesteins Mobilcom droht dem Markt das nächste Desaster. Und der nächste Kurssturz. Denn Investoren unterscheiden längst nicht mehr zwischen Qualität und Schund, zwischen eingehaltenen und nicht erfüllten Prognosen.
Mittendrin stecken die Fonds. Vor Jahren als Senkrechtstarter beliebt bei jedermann, heute am liebsten von allen gemieden. Jetzt rächt sich, was damals einen Teil des Erfolgs ausmachte: die Konzentration auf nur einen Markt, oft ohne die Möglichkeit, in andere Segmente auszuweichen, wenn die Wertsteigerungen ausbleiben.
Anleger fühlen sich betrogen
Kein Wunder, dass die Stimmung im Keller ist: Natürlich fühlt man sich nicht wohl in seiner Haut, wenn es permanent nur bergab geht", sagt Karl Fickel, ehemals Neuer- Markt-Manager bei Invesco, seit zwei Jahren mit seiner eigenen Gesellschaft Lupus alpha am Markt. Auch dort managt er einen Neuen-Markt-Fonds. "Ich bin ein leidenschaftlicher Neuer-Markt-Investor, ich stehe zu dieser Idee, dem Segment und der Entwicklung, aber im Augenblick ist es hart." Fickel fühlt sich, wie viele andere Investoren auch, betrogen: "Das Schlimmste ist, dass man von Leuten belogen und hintergangen wurde, denen man das nie zugetraut hätte. Denen man vertraut und an die man geglaubt hat. In schwachen Augenblicken fragt man sich schon manchmal, ob man seiner Menschenkenntnis oder überhaupt noch igendjemandem da draußen trauen kann."
Eines lässt Fickel sich jedenfalls nicht vorwerfen: Leichtgläubigkeit. "Wir gucken genau, was die Firmen eigentlich zu bieten haben, wie sie dastehen, wie es um die finanziellen Mittel bestellt ist. Aber was will man machen, wenn Unternehmen ihre Geschäftsberichte von vorne bis hinten manipulieren? Da tappt man in die Falle, auch als professioneller Investor."
Fickel will trotzdem dabeibleiben: "Und wenn es der letzte Neue-Markt-Fonds ist, der übrig bleibt. Irgendwann springt der Markt wieder an, dann werden diejenigen im Vorteil sein, die dem Segment treu geblieben sind, die sich auskennen", zeigt sich der Manager entschlossen.
Nerven zehrender Niedergang
Seine Strategie: "Ich will die besten Unternehmen, nicht den Index abbilden. Das Problem ist nur, dass manche Werte so illiquide sind, dass ich sie als Fondsmanager gar nicht kaufen kann." Einblick in sein Depot will er lieber nicht geben: "Da heißt es nachher nur, ich würde versuchen, unbekannte Werte zu pushen. Die Situation ist auch so bereits schwierig genug."
Alles andere als begeistert über den Zustand des Marktes ist auch André Köttner, Fondsmanager des Euro Action: Neue Märkte von Union Investment. "Der anhaltende Niedergang zehrt an den Nerven, aber wir müssen da durch", sagt auch er. Was den in den vergangenen Wochen viel zitierten erwarteten Wirtschaftsaufschwung angeht, ist Köttner skeptisch: "Wenn ich mich mit Softwarefirmen unterhalte, sagen die jedenfalls, bei ihnen sei noch nichts besser geworden." Also auch hier: durchhalten.
Im Gegensatz zu Fickel, der vor allem im Inland investiert, setzt Köttner auf alle europäischen Neuen Märkte. Größte Länderposition ist derzeit Frankreich. "Der Nouveau Marché gilt als der stabilste seiner Art in Europa. Denn er hat die meisten eher defensiven Werte." Gut also, um in Katastrophenzeiten den Schaden etwas zu begrenzen.
Deutsche Firmen mit guter Marktposition
Trotz der hohen Gewichtung des französischen Marktes finden sich unter seinen größten Positionen nur deutsche Gesellschaften wie Medion, Singulus oder die deutsch-niederländische Qiagen. "Unternehmen, die trotz aller Widrigkeiten bislang überzeugt haben, die ihre Prognosen erfüllen konnten und die eine sehr gute Marktposition einnehmen", sagt Köttner.
Ein Urteil, dem sich auch Marc Schädler anschließen kann. Schädler ist Manager des Nordinvest EuropGrowth, und auch ihn packt von Zeit zu Zeit die Resignation. "Man wünscht sich einfach, dass der Boden langsam erreicht ist." Der Manager hatte sich in der Branche einen Namen gemacht, als er das verlustreiche Jahr 2000 noch mit einem Plus von vier Prozent abschließen konnte. "Wir haben die Gefahr kommen sehen, und die Anlegergelder mithilfe einer hohen Kasseposition in Sicherheit gebracht."
Irgendwann ging auch das nicht mehr, mussten die Gelder investiert werden. "Ich kann als Manager eines Aktienfonds nicht jahrelang 50 Prozent Liquidität halten", sagt Schädler. "Anleger kaufen einen Neue-Märkte-Fonds, und erwarten dann auch, dass da Neuer Markt drin ist, und nicht etwa Geldmarkt."
Auswahl der Aktien wird immer schwieriger
Mit der Konsequenz, dass auch Schädlers Fonds mittlerweile blutrot gefärbt ist. Allerdings befindet er sich in guter Gesellschaft. Mit einem Minus von 43 Prozent auf Sicht von drei Jahren ist der Euro Action: Neue Märkte von André Köttner noch der erfolgreichste seiner Vergleichsgruppe. Schädlers Anleger müssen einen Verlust von 60 Prozent verkraften. Bei der Ein-Jahres-Performance sieht es nicht besser aus: Köttner und Fickel stecken mit 55 Prozent im Minus, Schädler mit 65 Prozent.
Damit stehen die drei immer noch besser da als ihre Vergleichsindizes, aber die Manager haben ein Problem: Die Aktienauswahl wird immer schwieriger. Denn es gibt nicht mehr viele Unternehmen, in die ein seriöser Investor mit einem größeren Volumen einsteigen kann. Aus diesem Grunde finden sich in den meisten Neue-Märkte-Fonds die Schwergewichte des Index, die über genügend Liquidität verfügen. Auf Werte, von denen gerade einmal 100 Stück am Tag umgehen, müssen die Manager zwangsweise verzichten. Und genau das ist das Dilemma. Denn wenn es in den vergangenen Monaten eine Bewegung nach oben gab, wurde diese oft von den Werten aus der zweiten Reihe angeführt. Was dazu führte, dass der Index nach oben schoss. Und die Fonds hinter ihm zurückblieben.