Das globale Finanzsystem im Crash-Test
22. Februar 2007 10:05 Uhr
Henrik Enderlein
Derzeit wird wieder einmal viel über einen möglichen Zusammenbruch der Weltfinanzmärkte spekuliert. Viel Neues ist dabei aber nicht zu hören.
Ist es Ihnen aufgefallen? Dieser Tage häufen sich wieder Artikel, die den unmittelbar bevorstehenden, globalen Finanzcrash ankündigen. Sie wissen schon: Doppeldefizit der USA, unterbewertete asiatischen Währungen, die spekulative Blase im Immobilienmarkt, überbewertete Aktienmärkte, Zinsängste, Inflationsängste, Ängste überhaupt…
Neu sind solche Unkenrufe natürlich nicht. Seit mindestens fünf Jahren reden einige Ökonomen die Zukunft schwarz. Im November 2004 kündigt der Wall-Street Ökonom Stephen Roach das „Economic Armageddon“ an. Im Januar 2006 dreht sich die Steigung der US-Zinskurve ins Negative – und ebenso die Stimmung der Analysten: vier Quartale nach einer solchen Drehung der Zinskurve (kurzfristige Zinsen sind höher als langfristige) beginnt in der Regel eine Rezession.
Nur passiert ist bislang nichts. Stattdessen erleben wir Börsenrekorde und hohe Wachstumsraten. Parallelen zu Global Warming? Alle reden davon, Wissenschaftler schicken ein Warnsignal nach dem anderen, aber irgendwie glauben Sie nicht daran, weil es draußen bitterkalt ist. Der große Unterschied zu den Finanzmärkten: Das Risiko, dass Sie innerhalb der kommenden Wochen einen Hitzeschlag aufgrund der Klimaerwärmung erleiden ist gering. Ein unvorhergesehener Crash ist dagegen ein durchaus realistisches Szenario. Aber wie realistisch?
Dazu ein kurzer Crash-Test. Als Dummy setzen wir die Weltwirtschaft in den Fahrersitz.
Szenario 1: die globale Börsenkorrektur (in der Crash-Analogie so etwas wie ein Auffahrunfall). Die Aktienmärkte korrigieren um ca. 10-15%. Der wahrscheinlichste Auslöser sind schlechte Unternehmensdaten. Ähnlich wie im Frühsommer 2006 trifft es die Entwicklungsländer etwas härter als die Industrieländer. Allerdings entsteht keine Panik im Markt. Nach ein paar Monaten ist der Spuk vorbei. Blechschaden – Dummy weitgehend unverletzt.
Szenario 2: eine US-Rezession (Kategorie: Seitenaufprall bei mittlerer Geschwindigkeit). US-Unternehmensdaten fallen deutlich schlechter aus als erwartet. Die US-Immobilienpreise rauschen in den Keller. Privatbankrotte in den USA nehmen drastisch zu. Einige US-Banken geraten in Schwierigkeiten. Der Aktienmarkt dreht schnell und deutlich nach unten und verliert innerhalb einiger Monate 20% oder sogar mehr. Eine globale Börsenkorrektur ist die Folge. Entwicklungsländer trifft dieser Marktumschwung allerdings weniger hart als im weiter unten beschriebenen Währungskrisenszenario. In den USA fungiert die Fed als Airbag und senkt die Zinsen. Das US-Handelsdefizit reduziert sich wegen der geringeren Importnachfrage. Der Dollar bleibt einigermaßen stabil. Nach einem Jahr ist alles wieder im Lot. Reparatur möglich aber teuer – der Dummy bleibt nicht unverletzt.
Szenario 3: die globale Wechselkurskrise (Kategorie: Frontalaufprall bei mittlerer Geschwindigkeit). Die zurzeit oft beschriebenen Carry-Trades (Schulden in Niedrigzinsländern aufnehmen und Gelder in fest verzinsten Papieren von Hochzinsländern anlegen) finden ein jähes Ende. Eine der asiatischen Währungen – wahrscheinlich der Yen – wertet innerhalb kürzester Zeit gegenüber dem Dollar drastisch auf. Die asiatischen Zentralbanken folgen dem Trend, um die innerasiatischen Wechselkurse stabil zu halten. Der fallende Dollar treibt die Preise in den USA nach oben. Die Fed reagiert mit höheren Zinsen – auch um den Dollar zu stabilisieren. Die Aktienmärkte verlieren massiv und die US-Schuldenfalle schnappt zu. Totalschaden am Wagen. Der Dummy sieht nicht gut aus.
Szenario 4: Economic Armageddon (Kategorie: Frontalaufprall bei hoher Geschwindigkeit). Ähnlich wie Szenario 3 – aber mit einem schnelleren und noch massiveren Wirkungsgrad. Auslöser: ein unvorhergesehenes Ereignis, das innerhalb kürzester Zeit alle oben genannten Szenarios in Gang setzt… Natürlich stehen Terroranschläge ganz oben auf der Liste der möglichen Auslöser. Aber auch unvorhergesehenen politischen oder militärischen Ereignissen könnte dieser Part zufallen. Die Auswirkungen dieses Szenarios sind massiv und langwierig.
Krisen kommen fast zwangsläufig unvorhergesehen. Zurzeit ist interessant, dass die meisten Ökonomen gar nicht mehr in Frage stellen, dass sich irgendetwas irgendwie und irgendwann in den Finanzmärkten verschieben wird. Aber was das ist, wann es passieren wird und wie es vor sich gehen wird, darüber besteht kein Konsens.
Zum Abschluss die gute Nachricht: Die drei einflussreichen Ökonomen der Deutschen Bank, Michael Dooley, David Folkerts-Landau und Peter Garber, halten den jetzigen Zustand des globalen Finanzssystems zwar nicht für grundsätzlich stabil, sagen aber eine stabile Phase von rund 10 Jahren voraus. Das ist doch was!
Wachsamkeit kann dennoch nicht schaden.
Henrik Enderlein ist Professor für Politische Ökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin. Derzeit lehrt er als Fulbright Ehrenprofessor an der Duke University in den USA.
Im Szenario 4 fehlt IMHO noch der Derivate-Crash, der das Finanzsystem weltweit aus den Angeln hebt und zu Massenpleiten bei Hedgefonds und Banken führt.
Ich halte die Szenarien 1 und 2 für am wahrscheinlichsten.


