Die Wette auf Pleite-Aktien kann teuer werden
Ist ein Unternehmen insolvent, steigen seriöse Investoren zumeist aus. Dem dadurch ausgelösten Absturz der Aktien folgen oft noch wilde Kursschwankungen auf niedrigem Niveau. Wer sich auf die Spekulation einlässt, kann zwar seinen Einsatz schnell vervielfachen, geht aber das Risiko eines Totalverlusts ein.
CHRISTIAN SCHNELL, ANNA TRÖMEL
HANDELSBLATT, 2.7.2001
FRANKFURT/M. Auch mit Aktien von Pleitefirmen lässt sich Geld verdienen. Wer an der Börse statt der langfristigen Geldanlage das wilde Gezocke sucht, konnte etwa mit den Papieren der angeschlagenen Online-Einkaufsgemeinschaft Letsbuyit seinen Einsatz binnen kürzester Zeit verdoppeln. Und das, obwohl der Aktienkurs unter dem Strich fast 40 % verlor, seit dem das als Geldverbrenner verschrieene Unternehmen Mitte Januar zahlungsunfähig wurde.
Der Kurs pendelte seither zwischen 17 und 91 Eurocents und bot somit einen erheblichen Spielraum für fette Renditen oder herbe Verluste. Ursache dieser bei Pleitefirmen immer wieder zu beobachtenden heftigen Kursausschläge auf niedrigem Niveau sind fast immer Spekulationen über eine Rettung im letzten Moment, die aber meist wenig Substanz haben. Anders bei Letsbuyit: Hier fanden sich zunächst tatsächlich zwei Investoren, so dass der Konkursantrag zurückgezogen werden konnte. Nachdem einer der beiden jetzt wieder ausgestiegen ist, könnte das Spiel von Neuem los gehen: Das Management kündigte für heute die Ergebnisse neuer Investorengespräche an.
Wer sich auf die Spekulation mit Pleite-Aktien einlässt, nimmt das Risiko des Totalverlusts in Kauf. Die Papiere des ersten Pleitekandidaten am Wachstumssegments, der Frankfurter Gigabell AG etwa, werden inzwischen gar nicht mehr gehandelt. Da es sich offenkundig nicht mehr lohnte, die vorgeschriebenen Quartalsberichte für das insolvente Unternehmen zu erstellen, verbannte die Deutsche Börse den Titel vom Neuen Markt. Da Gigabell auch nicht von der Möglichkeit Gebrauch machte, gemeinsam mit einer Bank die Notierungsaufnahme im Geregelten Markt zu beantragen, blieben die Aktionäre auf den zuletzt für 14 Eurocents gehandelten Papieren sitzen.
Sunburst könnte Gigabell ins Nirvana folgen
Zuletzt zog auch das Auf und Ab der Sunburst-Aktie das Interesse auf sich. Händler sprachen von einem Mix aus Gerüchten und Halbwahrheiten, der die Zocker angelockt habe. Donnerstagnacht kam Licht ins Dunkel: Das insolvente Unternehmen teilte ad hoc mit, dass es in seinen Bemühungen um die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit gescheitert sei. Heute soll das Amtsgericht Osnabrück über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheiden. Da Sunburst gleichzeitig zum 6. Juli das Delisting (also das Ausscheiden vom Neuen Markt) beantragte, werden die Anleger wohl auch hier in die Röhre schauen. Nicht einmal die Spekulation auf einen Interessenten, der den Börsenmantel nutzen könnte, um sich die Kosten für den eigenen Börsengang zu sparen, bleibt.
Jörg Pluta von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierhandel (DSW) weist darauf hin, dass dies zumindest am Neuen Markt bislang noch nie eingetreten ist. Als weiteres Motiv für das Interesse eines Großinvestors nennt Pluta den niedrigen Preis insolventer Unternehmen, deren Aktienkurs meist unter dem konzertierten Ausstieg der Fonds leidet. Gerade bei den am Neuen Markt besonders zahlreichen Firmen der New Economy zieht dieses Argument eher selten. Der größte Vermögenswert von Software- oder Internetfirmen ist oft das qualifizierte Personal. Und das springt meist schon ab, bevor die Insolvenz beantragt wird.
Händler machen für die Kurskapriolen risikofreudige Privatanleger verantwortlich. Diese streuten etwa in den Internet-Foren von Direktbrokern Gerüchte und Halbwahrheiten, die die Hoffnung auf den schnellen Euro schürten. Da die Publikationspflichten im vollen Umfang auch für insolvente Unternehmen gelten und sich die Analysten für Pleitekandidaten nicht mehr zuständig fühlen, sind die heißen News aus dem Internet mit höchster Vorsicht zu genießen. Der Wahrheitsgehalt der Gerüchte über neue Aufträge oder den bevorstehenden Einstieg von Großinvestoren geht oft gegen Null. Auch hinter den Tipps selbst ernannter Börsengurus, die unter schmissigen Pseudonymen online ihr Unwesen treiben, steht nicht selten schlicht das Interesse findiger Zocker, die auf den ersten Blick billigen Papiere mit hohem Gewinn loszuschlagen.