Neues von Prof. Malik (St. Gallen):
20.10.2002
Sturmtief von Westen?
- Rally bald zu Ende?
- Technische Indikatoren negativ
- Kapitulationsgeschwätz
- Unterbewertungsgeschwätz
- Gewinnreports irreführend
Die rasanten Kursanstiege von rund 1000 Dow Punkten haben Erleichterung, Freude und teilweise schon wieder Euphorie ausgelöst. Da und dort hört man zwar auch warnende Stimmen, aber wenn die "grossen" Kommentatoren sagen, sie seien jetzt so optimistisch wie seit 10 Jahren nicht mehr, dann macht das Stimmung.
Wie ist die Realität?
Kapitulationsgeschwätz: Noch lange kein Boden erreicht
Wir sind noch weit(!) von einer sogenannten Kapitulation entfernt. Von einer Verkaufspanik kann bisher keine Rede sein, und daher auch nicht von einem Boden, der schon erreicht ist. Die wichtigen techischen Indikatoren sind trotz des Kursrallies klar negativ, zum Teil dramatisch negativ. Einige sind in typischem Vor-Crash-Terrain. Die letzte echte Panik hat im Oktober 1987 stattgefunden. Es würde sich lohnen, sie zu studieren, bevor man von Kapitulation schwafelt. Sie wäre gut dokumentiert in einem Buch von Tim Metz, Black Monday, NY 1988, einem WSJ Veteran, spannender als jeder Stephen King, wenn man sich für die Finanzmärkte interessiert und ein absolutes Must. Aber für Schwätzer gilt ja "talk without thinking and never study history ...".
Unterbewertungsgeschwätz: Markt ist so überbewertet wie je
Am meisten Risiko liegt in den zahlreichen Kommentaren, viele Aktien seien jetzt unterbewertet und daher günstig zu kaufen. Das erscheint vielen, auch nüchternen Leuten, als vernünftiges, ernstzunehmendes Argument,und genau deshalb ist es riskant.
Diese Aussagen stützen sich fast ausnahmslos auf die bisherigen Kursrückgänge. Relativ dazu mögen die Preise niedrig aussehen. Aber das ist der falsche Vergleich; er ist sträflich falsch.
Ein P/E-Ratio von 6:1 kann als gute Kaufgelegenheit i. S. von "Unterbewertet" angesehen werden; wir liegen mit 33:1 per Freitag Schlusskurs im S&P weit darüber.
Aber P/E's sind ohnehin inhärent notorisch unzuverlässig,weil sie in vielfacher Weise gezinkt werden können. Deutlich besser ist das Price/Dividend-Ratio, weil man die Dividendenzahlungen nicht zinken kann. Im allgemeinen kann für den Gesamtmarkt eine Dividenden-Rendite im Bereich von 7 - 10% als sehr gute Kaufgelegenheit gesehen werden. Wir stehen jetzt bei 1,87%. Der US-Markt müsste um 75%(!)fallen, um in die Nähe von 7% zu gelangen. Das würde einen Dow Jones von 2000 und im S&P 220 bedeuten. Das ist das Fallhöhen-Risiko bis man ernsthaft von "unterbewertet" sprechen kann. Der Markt ist nach wie vor massiv überbewertet.
Diese Richtwerte kann man nur durch ein Argument entkräften: Diesmal ist alles ganz anders, daher gelten andere Massstäbe. Auf diesen "New Economy"-Unfug sollte nach allem, was passiert ist, niemand mehr hereinfallen.
Earnings Reports irreführend
Der Jubel wurde massgeblich durch schöne Gewinnreports ausgelöst. Diese sind einmal mehr massiv irreführend. Erstens sind fast überall ausserordentliche, nichtoperative Ergebnisse enthalten. Zum Beispiel hat GE einen ganzen Geschäftsbereich, seinen E-commerce-Bereich verkauft, um durch zusätzliche 317 Mio $ seine Ziele erreichen zu können. Bei Microsoft ist das gute Quartalsergebnis, wie selbst die eigenen Manager zugeben, absolut nichtssagend, weil es durch Sondereinflüsse verzerrt ist. Das operative Ergebnis von Microsoft ist schlecht.
Und zweitens, viel wichtiger: Die Earnings Expectations wurden vor allem deshalb erfüllt oder gar übererfüllt, weil vorher die Expectations deutlich gesenkt wurden. Das wird selbstverständlich nicht hinzugefügt, wenn es in CNBC aus schönem Munde heisst "... much better than expected .."
Im April 02 waren die Gewinnerwartungen der S&P-500 im Schnitt plus 30%; im Juli plus 16,6% und aktuell lagen sie bei plus 4,7%. Die Erwartungen wurden also zuerst innerhalb von rund 6 Monaten um 90%(!) gesenkt, und dann wird mit Freude in der Stimme "better than expected" gemeldet.
Credit Crunch
Walt Disney ist als Schuldner soeben massiv abgewertet worden - von A3 auf Baa1; das ist nur noch 3 Striche oberhalb von Junk. Die Erosion der Kreditwürdigkeit ist zum Teil dramatisch geworden. Die durchschnittliche US-Unternehmung ist bereits auf Junk oder nur noch kurz darüber. Damit steigen die Finanzierungskosten massiv und teilweise sind Finanzierungen gar nicht mehr möglich.
Facit
Eine vergleichbare Situation in der Meteorologie würde zur Prognose führen: "Schweres Sturmtief aus Westen zu erwarten, Wind in Orkanstärke, an den Küsten Springflutgefahr ..."
Wir wissen, dass nicht jede dieser Prognosen eintrifft; Tiefdruckgebiete können sich abschwächen und gelegentlich abbauen, bevor sie Schäden anrichten. Aber jeder weiss auch, wie er sich bei solchen Gefahren zu verhalten hat.
Und noch ein letztes: Lassen Sie sich nicht davon beeindrucken, dass immer wieder hervorgehoben wird, die europäischen Märkte, besonders der deutsche, seien noch stärker gefallen als der US-Markt. Damit wird nach wie vor das Märchen gepflegt, die US-Wirtschaft sei gut oder jedenfalls deutlich besser als die deutsche.
Was passiert, ist etwas anderes: Die Anpassung erfolgt hier schneller als in den USA, weil man dort naiver an den "Weihnachtsmann" glaubt und weil die Wall Street-Propaganda stärker ist. Die deutsche Wirtschaft hat zwar Probleme, aber die US-Wirtschaft ist miserabel. Es gibt keinen Zweifel: Das Sturmtief kommt aus Westen!
M
20.10.2002
Sturmtief von Westen?
- Rally bald zu Ende?
- Technische Indikatoren negativ
- Kapitulationsgeschwätz
- Unterbewertungsgeschwätz
- Gewinnreports irreführend
Die rasanten Kursanstiege von rund 1000 Dow Punkten haben Erleichterung, Freude und teilweise schon wieder Euphorie ausgelöst. Da und dort hört man zwar auch warnende Stimmen, aber wenn die "grossen" Kommentatoren sagen, sie seien jetzt so optimistisch wie seit 10 Jahren nicht mehr, dann macht das Stimmung.
Wie ist die Realität?
Kapitulationsgeschwätz: Noch lange kein Boden erreicht
Wir sind noch weit(!) von einer sogenannten Kapitulation entfernt. Von einer Verkaufspanik kann bisher keine Rede sein, und daher auch nicht von einem Boden, der schon erreicht ist. Die wichtigen techischen Indikatoren sind trotz des Kursrallies klar negativ, zum Teil dramatisch negativ. Einige sind in typischem Vor-Crash-Terrain. Die letzte echte Panik hat im Oktober 1987 stattgefunden. Es würde sich lohnen, sie zu studieren, bevor man von Kapitulation schwafelt. Sie wäre gut dokumentiert in einem Buch von Tim Metz, Black Monday, NY 1988, einem WSJ Veteran, spannender als jeder Stephen King, wenn man sich für die Finanzmärkte interessiert und ein absolutes Must. Aber für Schwätzer gilt ja "talk without thinking and never study history ...".
Unterbewertungsgeschwätz: Markt ist so überbewertet wie je
Am meisten Risiko liegt in den zahlreichen Kommentaren, viele Aktien seien jetzt unterbewertet und daher günstig zu kaufen. Das erscheint vielen, auch nüchternen Leuten, als vernünftiges, ernstzunehmendes Argument,und genau deshalb ist es riskant.
Diese Aussagen stützen sich fast ausnahmslos auf die bisherigen Kursrückgänge. Relativ dazu mögen die Preise niedrig aussehen. Aber das ist der falsche Vergleich; er ist sträflich falsch.
Ein P/E-Ratio von 6:1 kann als gute Kaufgelegenheit i. S. von "Unterbewertet" angesehen werden; wir liegen mit 33:1 per Freitag Schlusskurs im S&P weit darüber.
Aber P/E's sind ohnehin inhärent notorisch unzuverlässig,weil sie in vielfacher Weise gezinkt werden können. Deutlich besser ist das Price/Dividend-Ratio, weil man die Dividendenzahlungen nicht zinken kann. Im allgemeinen kann für den Gesamtmarkt eine Dividenden-Rendite im Bereich von 7 - 10% als sehr gute Kaufgelegenheit gesehen werden. Wir stehen jetzt bei 1,87%. Der US-Markt müsste um 75%(!)fallen, um in die Nähe von 7% zu gelangen. Das würde einen Dow Jones von 2000 und im S&P 220 bedeuten. Das ist das Fallhöhen-Risiko bis man ernsthaft von "unterbewertet" sprechen kann. Der Markt ist nach wie vor massiv überbewertet.
Diese Richtwerte kann man nur durch ein Argument entkräften: Diesmal ist alles ganz anders, daher gelten andere Massstäbe. Auf diesen "New Economy"-Unfug sollte nach allem, was passiert ist, niemand mehr hereinfallen.
Earnings Reports irreführend
Der Jubel wurde massgeblich durch schöne Gewinnreports ausgelöst. Diese sind einmal mehr massiv irreführend. Erstens sind fast überall ausserordentliche, nichtoperative Ergebnisse enthalten. Zum Beispiel hat GE einen ganzen Geschäftsbereich, seinen E-commerce-Bereich verkauft, um durch zusätzliche 317 Mio $ seine Ziele erreichen zu können. Bei Microsoft ist das gute Quartalsergebnis, wie selbst die eigenen Manager zugeben, absolut nichtssagend, weil es durch Sondereinflüsse verzerrt ist. Das operative Ergebnis von Microsoft ist schlecht.
Und zweitens, viel wichtiger: Die Earnings Expectations wurden vor allem deshalb erfüllt oder gar übererfüllt, weil vorher die Expectations deutlich gesenkt wurden. Das wird selbstverständlich nicht hinzugefügt, wenn es in CNBC aus schönem Munde heisst "... much better than expected .."
Im April 02 waren die Gewinnerwartungen der S&P-500 im Schnitt plus 30%; im Juli plus 16,6% und aktuell lagen sie bei plus 4,7%. Die Erwartungen wurden also zuerst innerhalb von rund 6 Monaten um 90%(!) gesenkt, und dann wird mit Freude in der Stimme "better than expected" gemeldet.
Credit Crunch
Walt Disney ist als Schuldner soeben massiv abgewertet worden - von A3 auf Baa1; das ist nur noch 3 Striche oberhalb von Junk. Die Erosion der Kreditwürdigkeit ist zum Teil dramatisch geworden. Die durchschnittliche US-Unternehmung ist bereits auf Junk oder nur noch kurz darüber. Damit steigen die Finanzierungskosten massiv und teilweise sind Finanzierungen gar nicht mehr möglich.
Facit
Eine vergleichbare Situation in der Meteorologie würde zur Prognose führen: "Schweres Sturmtief aus Westen zu erwarten, Wind in Orkanstärke, an den Küsten Springflutgefahr ..."
Wir wissen, dass nicht jede dieser Prognosen eintrifft; Tiefdruckgebiete können sich abschwächen und gelegentlich abbauen, bevor sie Schäden anrichten. Aber jeder weiss auch, wie er sich bei solchen Gefahren zu verhalten hat.
Und noch ein letztes: Lassen Sie sich nicht davon beeindrucken, dass immer wieder hervorgehoben wird, die europäischen Märkte, besonders der deutsche, seien noch stärker gefallen als der US-Markt. Damit wird nach wie vor das Märchen gepflegt, die US-Wirtschaft sei gut oder jedenfalls deutlich besser als die deutsche.
Was passiert, ist etwas anderes: Die Anpassung erfolgt hier schneller als in den USA, weil man dort naiver an den "Weihnachtsmann" glaubt und weil die Wall Street-Propaganda stärker ist. Die deutsche Wirtschaft hat zwar Probleme, aber die US-Wirtschaft ist miserabel. Es gibt keinen Zweifel: Das Sturmtief kommt aus Westen!
M