Der amerikanische Benchmark-Index Standard & Poor's 500 Index wird den Verlust bis zum Jahresende noch ausweiten, sagt Abhijit Chakrabortti von JPMorgan in New York. Der Analyst geht davon aus, daß die Gewinne der amerikanischen Unternehmen im dritten Quartal hinter den Erwartungen zurückbleiben werden.
Höhere Energiepreise und steigende Zinsen werden die Ergebnisse von Rohstoffkonzernen, Finanzdienstleistern und verbraucherabhängigen Unternehmen belasten, erwartet Chakrabortti. Er kam in den Umfragen des Magazins Institutional Investor in den vergangenen beiden Jahren bei der weltweiten Aktienstrategie auf Platz eins.
Sind die Gewinnerartungen überzogen?
„Die Gewinnmargen werden sich ab jetzt verschlechtern und deswegen werden auch die Gewinne enttäuschend ausfallen”, sagt der 37-jährige Chakrabortti im Interview mit Bloomberg News. „Wir sind davon überzeugt, daß der Aktienmarkt das Jahr unter dem aktuellen Indexstand abschließen wird.”
Der S&P 500 wird weitere 4,4 Prozent fallen und am Jahresende bei 1125 Punkten stehen, prognostiziert Chakrabortti. Er ist damit der pessimistischste der 15 von Bloomberg befragten Wall-Street-Strategen. Am Donnerstag tendierte das Börsenbarometer seitwärts und schloss bei 1176,84 Zählern 0,1 Prozent niedriger. Seit Jahresbeginn hat der S&P 500 Index 2,9 Prozent verloren.
In den ersten neun Handelstagen im Oktober hat der S&P 500 4,2 Prozent eingebüßt und damit den schlechtesten Quartalsstart seit Juli 2002 hingelegt. Dabei übertreffen die Gewinne in der angelaufenen Berichtssaison die Erwartungen öfter als gewöhnlich. Von den 46 Unternehmen des S&P 500, die bislang ihre Ergebnisse bekannt gegeben haben, überraschten 67 Prozent positiv. Durchschnittlich liegt die Quote seit 1994 bei 59 Prozent, geht aus Daten von Thomson Financial hervor.
Dennoch erwartet Chakrabortti, daß die Gewinne insgesamt enttäuschend ausfallen werden. Das dritte Quartal verfüge über mehr „Potenzial die Konsensprognosen zu verfehlen”, als die meisten anderen in den letzten 24 bis 30 Monaten.
Hohe Energiepreise schlagen durch
Aufgrund des Rekord-Ölpreises sinken die Verbraucherausgaben und das hat zur Folge, daß die Gewinne im Einzelhandel zurückgehen, erläutert der Stratege. Durch die höheren Energiepreise steigen außerdem die Kosten für die Rohstoffproduzenten. Die Gewinne der Banken dürften hingegen von einer Abflachung der Renditekurve infolge höherer Leitzinsen belastet werden. Nachdem der Ölpreis Ende August mit 70,85 Dollar je Barrel auf ein neues Allzeithoch geklettert war, sackte der vom Conference Board aufgestellte Index für das US- Verbrauchervertrauen letzten Monat so stark ab, wie seit 15 Jahren nicht mehr.
Etwas optimistischer als Chakrabortti ist Ed Keon, Stratege bei Prudential Equity Group LLC. „Die Gewinne sind ausgezeichnet ausgefallen, auch wenn viele wegen der Inflation, der hohen Energiekosten und der Engpässe bei der Rohstoffversorgung besorgt gewesen sind”, schrieb Keon am 12. Oktober in einem Bericht. Er geht davon aus, daß der S&P 500 bis zum Jahresende auf 1340 Punkte steigen wird.
Doch selbst wenn sich Chakrabortti bei seiner Prognose für die Ergebnisse im dritten Quartal täuschen sollte, rechnet er nicht damit, daß die Aktienkurse davon profitieren werden. Vielmehr würden Besorgnis über Inflation und weitere Zinserhöhungen für schlechte Stimmung sorgen, begründet er. Mehrere Mitglieder der amerikanischen Notenbank haben angedeutet, daß die Zinsschraube noch fester angezogen werden wird.
In einer Prognose vom 4. Juli hatte Chakrabortti erklärt, daß japanische Aktien eine bessere Performance ausweisen dürften, als andere Aktien. Seither kletterte der Nikkei 225 Stock Average 15 Prozent, während es für den World Index von Morgan Stanley Capital International lediglich 2,3 Prozent aufwärts ging. „Das wachsende Inflationsrisiko ist schlecht für amerikanische Aktien, wohingegen die zurückkehrenden Inflationserwartungen für japanische Aktien sehr positiv sind”, so Chakrabortti im Interview.
Text: Bloomberg