24.02.2003
S T E U E R F A H N D U N G
Der Raubzug des Steuerstaats
Von Jonas Hetzer und Dietmar Palan
Neue Abgaben, schärfere Kontrollen, härtere Strafen - der Feldzug der staatlichen Geldeintreiber eskaliert. manager magazin zeigt, wie Finanzbeamte, behördliche Hilfspolizisten und Steuerfahnder den Bürgern nachstellen.
Es ist ungefähr zwölf Jahre her, dass Manfred Martens* den Schritt vollzog, über den viele Steuerzahler jetzt verschärft nachdenken: Der Unternehmer verkaufte seine Firma, transferierte das Vermögen auf eine Züricher Bank und zog in die Schweiz. Mit der deutschen Finanzbürokratie, so viel stand für ihn fest, würde er künftig nichts mehr zu tun haben.
Da hatte Martens geirrt. Nach seinem Wegzug verfing sich der Pensionär heillos im Netz von Finanzbeamten und Fahndern.
Zunächst entdeckten Steuerpolizisten bei der Durchsuchung von Martens` ehemaliger Bank, dass der Pensionär zu einer Zeit, als er längst weggezogen war, Anleihen im Wert von 7500 Euro gekauft hatte. Anschließend machten die Beamten ein Haus in den bayerischen Alpen ausfindig, das Martens weiterhin gehörte. Das Chalet hatte der Ex-Unternehmer zwar den Kindern überlassen, bei Besuchen in Deutschland aber selbst bewohnt. Ein schwerer Fehler, denn für die Beamten war er mit der Nutzung der Immobilie hier zu Lande weiter steuerpflichtig.
Nach diesen Zufallsfunden lief die Steuermaschine zu Hochform auf.
Anhand des Wertpapiergeschäfts rechnete das Finanzamt das Vermögen des heute 70-Jährigen hoch. Einfach so. Eine halbe Million Euro soll Martens im Depot haben, befand der Fiskus. Die Zinsen auf diese Summe muss er nun nachversteuern - und zwar für zehn Jahre. Macht inklusive Zinsen und Strafzinsen rund eine halbe Million, den Wert des angeblichen Vermögens. Martens wird wohl nie zahlen - in der Schweiz ist er vor den Nachstellungen des deutschen Fiskus sicher.
Bürger auf der Flucht - vor einem Staat, dessen Steuer-Häscher keinen Winkel des Privatlebens aussparen; vor einem Fiskus, der ungebremst dabei ist, das Land mit einem nahezu lückenlosen Kontrollsystem zu überziehen; vor einer Obrigkeit, die jede Hemmung verloren hat, die Steuerzahler auszuplündern.
Wer privat fürs Alter vorsorgen muss, hatte bisher schon Probleme, sein Gespartes vor Geldentwertung und dem konfiskatorischen Zugriff des Finanzamts zu schützen. Nun aber, mit ihren Plänen, die Gewinne aus dem Verkauf von Mietimmobilien und Wertpapieren abzuschöpfen, dreht die Regierung erst richtig auf.
Der Steuer-Frust grassiert
Selbst wenn es nur zu einem abgemilderten Zugriff in Form einer Abgeltungssteuer kommen sollte, die deutlich niedriger als die heutige Kapitalertragsteuer ausfallen dürfte - eines hat Rot-Grün mit der ständigen Forderung nach noch mehr Geld für den Staat erreicht: Die Akzeptanz des Steuersystems geht gegen null, gerade beim bürgerlichen Mittelstand.
Rund 60 Prozent der privaten Aktionäre glauben inzwischen - laut einer repräsentativen Emnid-Umfrage -, dass die geplanten Abgaben Aktien unattraktiv machen. Insgesamt 16 Prozent der Befragten wollen demnach ihre Depots entweder auflösen oder ins Ausland schaffen.
Der Steuer-Leviathan wird auf die Welle von Abgabenverweigerung und Kapitalflucht mit aller Härte reagieren. Früh baute Finanzminister Hans Eichel die Informations- und Zugriffsrechte von Finanzbeamten und Fahndern aus und setzte die Strafen für säumige Zahler nach oben.
Gleichzeitig stieg der Druck auf mutmaßliche Steuerverweigerer. Seit Anfang der 90er Jahre hat sich die Zahl der Fiskalfahnder verdoppelt. Zöllner, die mit Bargeldkontrollen eigentlich Geldwäschestraftaten aufklären sollen, fahnden in großem Umfang nach Steuerflüchtlingen.
Rechtsstaatliche Normen sind nicht viel wert, wenn es um die Staatseinnahmen geht. Schwere Steuervergehen gelten seit der Verschärfung der Abgabenordnung im Sommer 2002 als Kapitalverbrechen. Banken und Sparkassen können den Steuerpolizisten die Einsicht in Kundenkonten kaum verwehren.
manager magazin hat recherchiert, wie die Maschinerie aus Beamten, behördlichen "Hilfspolizisten" und Steuerfahndern arbeitet. Lesen Sie,
wie der Steuerstaat seine Bürger überwacht und wie leicht Sie ins Raster der Fahnder geraten;
wie die Beamten im rechtsstaatlichen Grenzbereich agieren und mit welchen Methoden sie vermeintliche Steuersünder unter Druck setzen;
warum die Finanzrichter kapituliert haben, und welche Folgen die Justizmisere für die Anleger hat.
Der Staat spioniert
Als es am 17. Mai 2000 gegen 7.15 Uhr an der Haustür von Robert Weimar * klingelte, erwarteten ihn nicht die Pläne und Aufzeichnungen, die er am Abend zuvor von seinem Architektenbüro angefordert hatte. Statt eines Kuriers drängten sieben Steuerfahnder und zwei uniformierte Polizisten an dem Architekten vorbei in den Flur des großzügig gebauten Hauses.
Von diesem Moment an ging alles sehr schnell. Weimar bekam von den Fahndern einen Durchsuchungsbefehl präsentiert. Die uniformierten Beamten schoben den Mann, seine Ehefrau und die drei Kinder in das Wohnzimmer und hielten sie dort für die nächsten Stunden fest.
In der Zwischenzeit durchwühlten die übrigen Ermittler Schreibtische, Kommoden und Regale; sie stöberten in Schränken und Kisten; packten Ordner und Briefe in Kartons. Die Eheleute durften kein Wort miteinander wechseln. Weimar wurde vor die Wahl gestellt: Sollte er nicht zugeben, dass er millionenschwere Aufträge schwarz abgerechnet habe, werde er sein Haus am Ende der Polizeiaktion in Handschellen verlassen.
Derart bedroht, durfte der Architekt erst nach eineinhalb Stunden mit seinem Anwalt telefonieren.
Als die Richter das Verfahren gut zwei Jahre später abschlossen, war von den Vorwürfen wenig geblieben. Staatsanwälte und Ermittler konnten Weimar lediglich nachweisen, dass er seine Putzfrau schwarz beschäftigt und dem Fiskus deshalb 60.000 Mark Lohnsteuer vorenthalten hatte.
Überfälle wie dieser sind meist von langer Hand vorbereitet. Bevor die Steuerfahnder ausrücken, haben sie sich oft über Wochen und Monate mit den persönlichen und finanziellen Verhältnissen der Beschuldigten vertraut gemacht.
Die Ermittler haben Hinweise des Zolls ausgewertet, die Berichte von Betriebsprüfern studiert und Zeugen befragt. Der Verdächtige hat sich - ohne dass er die Nachforschungen bemerkt - längst im Schleppnetz der Steuerpolizei verheddert.
Die Möglichkeiten der Fahnder sind nahezu unbegrenzt. Kaum eine Behörde, keine Dienststelle, die nicht im Dienst des Fiskus Informationen sammelt und weiterreicht.
Steuerschonende Immobiliendeals, bei denen nur ein Teil des Preises beurkundet und die restliche Summe unter der Hand bezahlt wird, fliegen häufig auf. Der Grund: Die Finanzbeamten kennen über Routinemitteilungen der Grunderwerbsteuerstellen die gängigen Quadratmeterpreise des fraglichen Objekts.
Straf- und Zivilrichter müssen die Finanzbehörden informieren, wenn sie in Prozessakten Hinweise auf Steuerhinterziehung finden. Aus diesem Grund verzichten Opfer von Kapitalanlagebetrügern, die ihren Einsatz mit Schwarzgeldern finanziert haben, häufig auf eine Anzeige.
Derlei Vorsichtsmaßnahmen helfen den betrogenen Steuervermeidern allerdings wenig, wenn die Kripo dem Anlagehai auf die Spur kommt, dessen Büro durchsucht und dabei die Kundenkartei beschlagnahmt. Die Daten gehen postwendend an das Finanzamt. Dann drohen dem geprellten Anleger zusätzlich zu dem bereits verlorenen Geld Steuernachzahlungen und Bußgelder.
Der gläserne Steuerzahler
Meist verdeckt und scheinbar nur zur besseren Bekämpfung von Mafiabanden und Terroristen gedacht, wurden die ohnehin schon weit reichenden Zugriffsmöglichkeiten der Finanzermittler in den vergangenen Jahren systematisch ausgebaut. Dabei brachte jedes neue Gesetz zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität oder Geldwäsche gleichzeitig neue Rechte und Kompetenzen für die Finanzbehörden.
So können seit der Ende 2001 in Kraft getretenen Verschärfung der Abgabenordnung die Telefone vermeintlicher Steuerhinterzieher abgehört werden. Auch Durchsuchungen an den Grenzen dienen vornehmlich der Blockade von Steuerflüchtlingen. Bei den 40.000 Bargeldkontrollen der baden-württembergischen Zöllner im Jahr 2001 an der deutsch-schweizerischen Grenze gab es kaum Erkenntnisse über Geldwäschestraftaten; dafür wurden aber über 600 Hinweise auf Abgabenverweigerer gefunden.
"Der gläserne Steuerzahler wird Stück für Stück Realität", sagt der Bonner Steuerstrafrechtler Karsten Randt. Datenschutz scheint für die Steuerfahndung nicht zu gelten. In manchen Fällen haben die Beamten gar ein regelrechtes Bewegungsprofil ihrer Zielperson, wissen über Aufenthaltsorte, Zeitvertreib und Zahlungsgewohnheiten bestens Bescheid.
Finanzbeamte und Steuerfahnder dürfen, wenn sie es für nötig halten, Kontounterlagen vermeintlicher Steuersünder bei den Kreditkartenfirmen anfordern.
Aus den Daten kann hervorgehen, wer sich häufig in Luxemburg, Zürich oder einem anderen der bevorzugten Steuerstandorte aufhält. Oder aber es fällt auf, dass der Kreditkartenbesitzer ein Skiwochenende in Österreich in seiner Steuererklärung als Geschäftsreise deklariert hat.
Den letzten Schritt zum totalen Steuerüberwachungsstaat hat die rot-grüne Regierung in ihrem Koalitionsvertrag vollzogen: die Abschaffung des Bankgeheimnisses. Wenn der Paragraf 30a der Abgabenordnung fällt, werden Deutschlands Geldhäuser zu Außenstellen der Finanzämter. Die Beamten verfügen dann über ein komplettes Bild der Wertpapiergeschäfte und Zinseinkünfte - und das rückwirkend für die vergangenen Jahre.
Spätestens mit der Legalisierung der Kontendurchleuchtung rollt eine Fahndungswelle an, die ähnliche Dimensionen annehmen könnte wie die Durchsuchungen nach Einführung der Zinsabschlagsteuer. Zwei Gruppen von Anlegern werden sich die Beamten bevorzugt vornehmen.
Erstens die Zocker und Daytrader, die während des Booms am Neuen Markt ihre Kursgewinne brutto für netto kassierten. Zweitens die große Zahl der Anleihebesitzer. Die mussten zwar 30 Prozent Abschlagsteuer auf ihre Zinseinnahmen zahlen; viele haben es jedoch vorgezogen, ihre Kapitaleinkünfte in der Steuererklärung zu verschweigen, um den Differenzbetrag zwischen Abschlagsteuer und Spitzensteuersatz zu vermeiden.
Für beide Gruppen geht es um viel Geld. Mehrere Milliarden Euro hat Finanzminister Hans Eichel an zusätzlichen Einnahmen einkalkuliert.
Die Beamten kassieren
Der Brief war knapp in der Form, harsch im Ton und mündete in eine für den Empfänger absurd anmutenden Forderung. 800.000 Euro sollte Richard Grundei*, Vorstand eines großen deutschen Konzerns, dem Finanzamt schuldig geblieben sein.
Den Zahlungsbefehl verdankt der Mann der eigenwilligen Interpretation eines an sich völlig alltäglichen Geschäfts durch das zuständige Finanzamt. Der Manager hatte seinem Bruder, der in Ostdeutschland ein Autohaus führte, mit einer Bürgschaft von drei Millionen Euro beigestanden. Der Betrieb ging pleite, und Grundei musste den Kredit tilgen.
Die familiäre Hilfe kam bei der Steuerbehörde schlecht an: Die Bürgschaft sei eine verdeckte Schenkung - und daher steuerpflichtig. Grundei fürchtete einen langwierigen Prozess und einigte sich mit dem Finanzamt auf einen fünfstelligen Abschlag.
Der Fall ist extrem, zeigt aber, wie weit das Abgabenrecht im Kleinkrieg gegen die Steuerzahler gedehnt wird. "Ob jemand Steuern hinterzogen hat oder nicht, entscheidet der zuständige Beamte zunächst allein", sagt der Münchener Steuerstrafverteidiger Jan Olaf Leisner.
Mit weit reichenden Befugnissen und großen Ermessensspielräumen ausgestattet, aber de facto ohne Kontrollinstanz, nutzen die Beamten jede Gelegenheit, zu streichen, abzulehnen und Steuerzahler mit umfangreichen Ermittlungen zu überziehen.
Manche Finanzamtsbezirke haben es sich regelrecht zur Aufgabe gemacht, Steuervorteile auf eigene Faust einzukassieren. Sie gehen oft bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten - und manchmal darüber hinaus.
Rücken die Fahnder aus, fehlt ihnen häufig die rechtliche Grundlage für eine Durchsuchung. "In neun von zehn Fällen genügt schon der richterliche Beschluss nicht den gesetzlichen Normen", beschwert sich der Düsseldorfer Steueranwalt Peter Feldhausen.
Der Hauptmangel: Die Wohnungen oder Büros verdächtiger Steuerzahler werden auf den Kopf gestellt, obwohl die Verdachtsmomente einen solchen Eingriff in die Privatsphäre oft nicht rechtfertigen. Gesetzlich ist vorgeschrieben, den Zeitraum der vermuteten Steuerhinterziehung, die gesuchten Beweise oder die Art der hinterzogenen Abgaben konkret aufzulisten. Doch viele Beschlüsse enthalten nur vage Angaben.
Ganz bewusst agieren die Steuerpolizisten in rechtlichen Grauzonen. Sie hoffen auf Zufallsfunde, die weitere Steuervergehen belegen sollen.
Die Steuerlöcher schwinden
Gewiss, diese Funde werden bei Steuerstrafprozessen regelmäßig nicht als Beweismittel zugelassen; so die 1996 bei Boris Becker beschlagnahmten privaten Tagebücher.
Das Verwertungsverbot der Strafrichter nehmen die Fahnder aber aus zwei Gründen in Kauf. Erstens liefert das Material häufig Ansätze für neue Ermittlungen. Zweitens dürfen die Finanzämter auf Grund solch umstrittener Belege hohe Steuernachzahlungen fordern - auch wenn diese Erkenntnisse bei der Bemessung einer Geld- oder Haftstrafe keine Rolle spielen dürfen.
Bevor Richter derartige Fälle überhaupt wahrnehmen, haben die Betroffenen meist bereits eine langwierige Auseinandersetzung mit den Steuerbehörden hinter sich.
Am häufigsten eskaliert der Streit dort, wo das Steuerrecht die vermeintlich größten Schlupflöcher bietet: bei Mietshäusern und Eigentumswohnungen.
Oft nur mit dürftigen Anhaltspunkten ausgestattet, zweifeln die Beamten Verträge an oder erklären Mietverträge zu Scheingeschäften. Für Ausbau, Renovierung oder Kreditzinsen gewährte Steuervergünstigungen fordern sie anschließend zurück - oft rückwirkend für mehrere Jahre. Da kommt einiges zusammen: Nachzahlungen von mehreren 10.000 Euro sind die Regel.
Die Begründungen, mit denen der Nachschlag eingefordert wird, lesen sich dann oft bizarr, wie etwa im Fall von Thomas Walther*.
Der 38-jährige Programmierer und seine Frau hatten sich just zu dem Zeitpunkt getrennt, als sie in das gemeinsam geplante Zweifamilienhaus hätten einziehen können. Das Paar in Scheidung einigte sich darauf, dass er Haus und Schulden übernehmen und sie die zweite Wohnung als Mieterin nutzen würde.
Eine gütliche Lösung mit einem entscheidenden Makel. Die monatliche Miete lag am unteren Rand des in Freising üblichen Niveaus.
Zu wenig für die Steuerbehörde. Die Beamten erklärten Scheidung und Mietverhältnis zu Scheingeschäften. In Wahrheit, so der Vorwurf, hätte das Paar die Trennung nur inszeniert, um Steuern zu sparen und würde weiter zusammen im gemeinsamen Haus leben.
Die Folge: Ausgaben für Erwerb und Umbau wurden nicht als Werbungskosten akzeptiert. Walther soll 150.000 Euro Steuern und Verzugszinsen nachzahlen.
Die Richter kapitulieren
Gestrichene Vergünstigungen, unterstellte Schwindeleien, hohe Nachforderungen - zwischen 25 und 30 Prozent der jährlich ausgestellten Steuerbescheide sind nach Schätzung der Stiftung Warentest falsch. Bei den deutschen Finanzrichtern stapeln sich deshalb die Fälle. Jedes Jahr klagen gut 100.000 Steuerbürger gegen die Bescheide ihrer Finanzämter.
.......................................................
Die Rache des Fiskus
Mit welchem Strafmaß Steuersünder rechnen müssen*
Steuerschuld (in Euro) Strafe
bis 10.000 Einstellung gegen Geldauflage**
10.000 bis 25.000 Geldstrafe*** vom Finanzamt
25.000 bis 50.000 Geldstrafe*** per Gerichtsurteil
50.000 bis 200.000 Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren auf Bewährung
ab 200.000 Haftstrafe bis zu fünf Jahren
* Die Strafen können je nach Gerichtsbezirk und Besonderheiten des Falles stark von den hier genannten abweichen.
** Bis zur doppelten Hinterziehungssumme oder bis zu zwei Netto-Monatsgehälter.
*** Geldstrafen werden in Tagessätzen bemessen; ein Tagessatz entspricht einem Netto-Tageseinkommen des Verurteilten. Ungefähre Strafhöhen: Steuerhinterziehung 15 000 Euro: 90 Tagessätze; 25 000: 180; 40 000: 270; 50 000: 360.
Quelle: Haarmann, Hemmelrath & Partner, München
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Auf ein Urteil können sie allerdings lange warten. Oft dauert es fast ein Jahr, bis das Verfahren überhaupt eröffnet wird. Bis zu einer Entscheidung vergehen meist noch einmal zwölf Monate. Wer sein Anliegen bis zum Bundesfinanzhof durchziehen will, muss mit einer Verfahrensdauer von drei bis vier Jahren rechnen.
Die Richter sind mit der Klagewelle völlig überfordert. Allein am Hamburger Finanzgericht müssen gerade einmal 23 Richter jedes Jahr etwa 2500 Verfahren abarbeiten und quasi nebenher eine Welle neuer Gesetze und Verordnungen bewältigen.
Allein der 2001 neu formulierte Paragraf 51 des Einkommensteuergesetzes umfasst 63 Absätze und erstreckt sich über 19 eng bedruckte Seiten. Jeder einzelne Passus setzt für 2002 eine andere Steuerregel außer Kraft.
Trotz zahlreicher Durchführungsverordnungen und Anwendungserlasse herrscht über einzelne Bestimmungen häufig völlige Unklarheit. "Selbst ich steige da oft nicht durch", gibt Jan Grotheer, Präsident des Hamburger Finanzgerichts zu.
Die Richter wehren sich auf ihre Weise: Sie drängen beinahe immer auf einen Vergleich. Aus Angst vor jahrelangen Prozessen geben rund 85 Prozent der Kläger nach - "viele zahlen drauf", sagt Steueranwalt Leisner: "Die Finanzämter verzichten so gut wie nie vollständig auf ihre Forderung, fast immer bleiben erhebliche Kosten am Kläger hängen."
Fazit
Seit Anfang der 90er Jahre zehntausende die Zinsabschlagsteuer mit einer noch nie da gewesenen Kapitalflucht beantworteten, gilt vielen Bürgern Steuerverweigerung als legitime Notwehr. Die Pläne, Gewinne aus Wertpapierverkäufen und Immobiliengeschäften zu besteuern, können deshalb leicht zu einer ähnlichen Massenbewegung führen.
Nur über eines müssen sich die potenziellen Steuerverweigerer im Klaren sein: Der Staat hat in den vergangenen Jahren massiv aufgerüstet. Je größer die Summen, desto massiver die Konsequenzen, wenn der Steuerschwindel auffliegt. Schon wer das Finanzamt um 200.000 Euro prellt, muss mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen.
Bislang konnten sich reuige Steuersünder der Bestrafung mit einer Selbstanzeige leicht entziehen. Bei nachträglicher Erklärung unversteuerter Einkünfte gab sich der Fiskus mit den überfälligen Abgaben und Verzugszinsen zufrieden und verzichtete auf eine Anklage.
Seit Ende 2001 aber sind die Selbstbezichtigungen nicht mehr automatisch strafbefreiend. Der neue Paragraf 370a der Abgabenordnung erklärt die wiederholte Hinterziehung großer Summen zum Verbrechen.
Die Konsequenz: Ob ein Finanzbeamter nach einer Selbstanzeige von jeglicher Strafe absieht oder ob er gleich einen Haftbefehl beantragt, liegt in seinem Ermessen.
"Wer sich in solcher Lage mit den Behörden einigen will, muss die Beamten erst einmal davon überzeugen, dass keine gewerbsmäßige Steuerhinterziehung vorliegt", meint der Steuerstrafrechtler Franz Salditt aus Neuwied am Rhein. Und er prophezeit: "Deals zur Korrektur von Steuersünden werden künftig schmerzhafter und teurer."
Gewiss, es ist längst nicht geklärt, ob der umstrittene Paragraf überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Vermögensteuerpläne bleiben vielleicht in der Schublade ihrer Erfinder. Und möglicherweise werden die Folgen der Besteuerung von Kursgewinnen durch eine gleichzeitige Reform der Zinssteuern abgemildert.
Doch selbst wenn von den rot-grünen Plänen am Ende tatsächlich nur ein Bruchteil verwirklicht werden sollte, eines ist klar: Die Regierenden, gleich welcher Couleur, werden nach neuen Geldquellen fahnden, die Betroffenen nach neuen Ausflüchten suchen.
Letzten Endes werden die Inkassopolitiker mit jedem neuen Dreh an der Abgabenschraube aber nur erreichen, was sie selbst am meisten fürchten: dass dieser Steuerstaat bei den Bürgern die letzte Akzeptanz verliert, die er heute noch hat.
S T E U E R F A H N D U N G
Der Raubzug des Steuerstaats
Von Jonas Hetzer und Dietmar Palan
Neue Abgaben, schärfere Kontrollen, härtere Strafen - der Feldzug der staatlichen Geldeintreiber eskaliert. manager magazin zeigt, wie Finanzbeamte, behördliche Hilfspolizisten und Steuerfahnder den Bürgern nachstellen.
Es ist ungefähr zwölf Jahre her, dass Manfred Martens* den Schritt vollzog, über den viele Steuerzahler jetzt verschärft nachdenken: Der Unternehmer verkaufte seine Firma, transferierte das Vermögen auf eine Züricher Bank und zog in die Schweiz. Mit der deutschen Finanzbürokratie, so viel stand für ihn fest, würde er künftig nichts mehr zu tun haben.
Da hatte Martens geirrt. Nach seinem Wegzug verfing sich der Pensionär heillos im Netz von Finanzbeamten und Fahndern.
Zunächst entdeckten Steuerpolizisten bei der Durchsuchung von Martens` ehemaliger Bank, dass der Pensionär zu einer Zeit, als er längst weggezogen war, Anleihen im Wert von 7500 Euro gekauft hatte. Anschließend machten die Beamten ein Haus in den bayerischen Alpen ausfindig, das Martens weiterhin gehörte. Das Chalet hatte der Ex-Unternehmer zwar den Kindern überlassen, bei Besuchen in Deutschland aber selbst bewohnt. Ein schwerer Fehler, denn für die Beamten war er mit der Nutzung der Immobilie hier zu Lande weiter steuerpflichtig.
Nach diesen Zufallsfunden lief die Steuermaschine zu Hochform auf.
Anhand des Wertpapiergeschäfts rechnete das Finanzamt das Vermögen des heute 70-Jährigen hoch. Einfach so. Eine halbe Million Euro soll Martens im Depot haben, befand der Fiskus. Die Zinsen auf diese Summe muss er nun nachversteuern - und zwar für zehn Jahre. Macht inklusive Zinsen und Strafzinsen rund eine halbe Million, den Wert des angeblichen Vermögens. Martens wird wohl nie zahlen - in der Schweiz ist er vor den Nachstellungen des deutschen Fiskus sicher.
Bürger auf der Flucht - vor einem Staat, dessen Steuer-Häscher keinen Winkel des Privatlebens aussparen; vor einem Fiskus, der ungebremst dabei ist, das Land mit einem nahezu lückenlosen Kontrollsystem zu überziehen; vor einer Obrigkeit, die jede Hemmung verloren hat, die Steuerzahler auszuplündern.
Wer privat fürs Alter vorsorgen muss, hatte bisher schon Probleme, sein Gespartes vor Geldentwertung und dem konfiskatorischen Zugriff des Finanzamts zu schützen. Nun aber, mit ihren Plänen, die Gewinne aus dem Verkauf von Mietimmobilien und Wertpapieren abzuschöpfen, dreht die Regierung erst richtig auf.
Der Steuer-Frust grassiert
Selbst wenn es nur zu einem abgemilderten Zugriff in Form einer Abgeltungssteuer kommen sollte, die deutlich niedriger als die heutige Kapitalertragsteuer ausfallen dürfte - eines hat Rot-Grün mit der ständigen Forderung nach noch mehr Geld für den Staat erreicht: Die Akzeptanz des Steuersystems geht gegen null, gerade beim bürgerlichen Mittelstand.
Rund 60 Prozent der privaten Aktionäre glauben inzwischen - laut einer repräsentativen Emnid-Umfrage -, dass die geplanten Abgaben Aktien unattraktiv machen. Insgesamt 16 Prozent der Befragten wollen demnach ihre Depots entweder auflösen oder ins Ausland schaffen.
Der Steuer-Leviathan wird auf die Welle von Abgabenverweigerung und Kapitalflucht mit aller Härte reagieren. Früh baute Finanzminister Hans Eichel die Informations- und Zugriffsrechte von Finanzbeamten und Fahndern aus und setzte die Strafen für säumige Zahler nach oben.
Gleichzeitig stieg der Druck auf mutmaßliche Steuerverweigerer. Seit Anfang der 90er Jahre hat sich die Zahl der Fiskalfahnder verdoppelt. Zöllner, die mit Bargeldkontrollen eigentlich Geldwäschestraftaten aufklären sollen, fahnden in großem Umfang nach Steuerflüchtlingen.
Rechtsstaatliche Normen sind nicht viel wert, wenn es um die Staatseinnahmen geht. Schwere Steuervergehen gelten seit der Verschärfung der Abgabenordnung im Sommer 2002 als Kapitalverbrechen. Banken und Sparkassen können den Steuerpolizisten die Einsicht in Kundenkonten kaum verwehren.
manager magazin hat recherchiert, wie die Maschinerie aus Beamten, behördlichen "Hilfspolizisten" und Steuerfahndern arbeitet. Lesen Sie,
wie der Steuerstaat seine Bürger überwacht und wie leicht Sie ins Raster der Fahnder geraten;
wie die Beamten im rechtsstaatlichen Grenzbereich agieren und mit welchen Methoden sie vermeintliche Steuersünder unter Druck setzen;
warum die Finanzrichter kapituliert haben, und welche Folgen die Justizmisere für die Anleger hat.
Der Staat spioniert
Als es am 17. Mai 2000 gegen 7.15 Uhr an der Haustür von Robert Weimar * klingelte, erwarteten ihn nicht die Pläne und Aufzeichnungen, die er am Abend zuvor von seinem Architektenbüro angefordert hatte. Statt eines Kuriers drängten sieben Steuerfahnder und zwei uniformierte Polizisten an dem Architekten vorbei in den Flur des großzügig gebauten Hauses.
Von diesem Moment an ging alles sehr schnell. Weimar bekam von den Fahndern einen Durchsuchungsbefehl präsentiert. Die uniformierten Beamten schoben den Mann, seine Ehefrau und die drei Kinder in das Wohnzimmer und hielten sie dort für die nächsten Stunden fest.
In der Zwischenzeit durchwühlten die übrigen Ermittler Schreibtische, Kommoden und Regale; sie stöberten in Schränken und Kisten; packten Ordner und Briefe in Kartons. Die Eheleute durften kein Wort miteinander wechseln. Weimar wurde vor die Wahl gestellt: Sollte er nicht zugeben, dass er millionenschwere Aufträge schwarz abgerechnet habe, werde er sein Haus am Ende der Polizeiaktion in Handschellen verlassen.
Derart bedroht, durfte der Architekt erst nach eineinhalb Stunden mit seinem Anwalt telefonieren.
Als die Richter das Verfahren gut zwei Jahre später abschlossen, war von den Vorwürfen wenig geblieben. Staatsanwälte und Ermittler konnten Weimar lediglich nachweisen, dass er seine Putzfrau schwarz beschäftigt und dem Fiskus deshalb 60.000 Mark Lohnsteuer vorenthalten hatte.
Überfälle wie dieser sind meist von langer Hand vorbereitet. Bevor die Steuerfahnder ausrücken, haben sie sich oft über Wochen und Monate mit den persönlichen und finanziellen Verhältnissen der Beschuldigten vertraut gemacht.
Die Ermittler haben Hinweise des Zolls ausgewertet, die Berichte von Betriebsprüfern studiert und Zeugen befragt. Der Verdächtige hat sich - ohne dass er die Nachforschungen bemerkt - längst im Schleppnetz der Steuerpolizei verheddert.
Die Möglichkeiten der Fahnder sind nahezu unbegrenzt. Kaum eine Behörde, keine Dienststelle, die nicht im Dienst des Fiskus Informationen sammelt und weiterreicht.
Steuerschonende Immobiliendeals, bei denen nur ein Teil des Preises beurkundet und die restliche Summe unter der Hand bezahlt wird, fliegen häufig auf. Der Grund: Die Finanzbeamten kennen über Routinemitteilungen der Grunderwerbsteuerstellen die gängigen Quadratmeterpreise des fraglichen Objekts.
Straf- und Zivilrichter müssen die Finanzbehörden informieren, wenn sie in Prozessakten Hinweise auf Steuerhinterziehung finden. Aus diesem Grund verzichten Opfer von Kapitalanlagebetrügern, die ihren Einsatz mit Schwarzgeldern finanziert haben, häufig auf eine Anzeige.
Derlei Vorsichtsmaßnahmen helfen den betrogenen Steuervermeidern allerdings wenig, wenn die Kripo dem Anlagehai auf die Spur kommt, dessen Büro durchsucht und dabei die Kundenkartei beschlagnahmt. Die Daten gehen postwendend an das Finanzamt. Dann drohen dem geprellten Anleger zusätzlich zu dem bereits verlorenen Geld Steuernachzahlungen und Bußgelder.
Der gläserne Steuerzahler
Meist verdeckt und scheinbar nur zur besseren Bekämpfung von Mafiabanden und Terroristen gedacht, wurden die ohnehin schon weit reichenden Zugriffsmöglichkeiten der Finanzermittler in den vergangenen Jahren systematisch ausgebaut. Dabei brachte jedes neue Gesetz zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität oder Geldwäsche gleichzeitig neue Rechte und Kompetenzen für die Finanzbehörden.
So können seit der Ende 2001 in Kraft getretenen Verschärfung der Abgabenordnung die Telefone vermeintlicher Steuerhinterzieher abgehört werden. Auch Durchsuchungen an den Grenzen dienen vornehmlich der Blockade von Steuerflüchtlingen. Bei den 40.000 Bargeldkontrollen der baden-württembergischen Zöllner im Jahr 2001 an der deutsch-schweizerischen Grenze gab es kaum Erkenntnisse über Geldwäschestraftaten; dafür wurden aber über 600 Hinweise auf Abgabenverweigerer gefunden.
"Der gläserne Steuerzahler wird Stück für Stück Realität", sagt der Bonner Steuerstrafrechtler Karsten Randt. Datenschutz scheint für die Steuerfahndung nicht zu gelten. In manchen Fällen haben die Beamten gar ein regelrechtes Bewegungsprofil ihrer Zielperson, wissen über Aufenthaltsorte, Zeitvertreib und Zahlungsgewohnheiten bestens Bescheid.
Finanzbeamte und Steuerfahnder dürfen, wenn sie es für nötig halten, Kontounterlagen vermeintlicher Steuersünder bei den Kreditkartenfirmen anfordern.
Aus den Daten kann hervorgehen, wer sich häufig in Luxemburg, Zürich oder einem anderen der bevorzugten Steuerstandorte aufhält. Oder aber es fällt auf, dass der Kreditkartenbesitzer ein Skiwochenende in Österreich in seiner Steuererklärung als Geschäftsreise deklariert hat.
Den letzten Schritt zum totalen Steuerüberwachungsstaat hat die rot-grüne Regierung in ihrem Koalitionsvertrag vollzogen: die Abschaffung des Bankgeheimnisses. Wenn der Paragraf 30a der Abgabenordnung fällt, werden Deutschlands Geldhäuser zu Außenstellen der Finanzämter. Die Beamten verfügen dann über ein komplettes Bild der Wertpapiergeschäfte und Zinseinkünfte - und das rückwirkend für die vergangenen Jahre.
Spätestens mit der Legalisierung der Kontendurchleuchtung rollt eine Fahndungswelle an, die ähnliche Dimensionen annehmen könnte wie die Durchsuchungen nach Einführung der Zinsabschlagsteuer. Zwei Gruppen von Anlegern werden sich die Beamten bevorzugt vornehmen.
Erstens die Zocker und Daytrader, die während des Booms am Neuen Markt ihre Kursgewinne brutto für netto kassierten. Zweitens die große Zahl der Anleihebesitzer. Die mussten zwar 30 Prozent Abschlagsteuer auf ihre Zinseinnahmen zahlen; viele haben es jedoch vorgezogen, ihre Kapitaleinkünfte in der Steuererklärung zu verschweigen, um den Differenzbetrag zwischen Abschlagsteuer und Spitzensteuersatz zu vermeiden.
Für beide Gruppen geht es um viel Geld. Mehrere Milliarden Euro hat Finanzminister Hans Eichel an zusätzlichen Einnahmen einkalkuliert.
Die Beamten kassieren
Der Brief war knapp in der Form, harsch im Ton und mündete in eine für den Empfänger absurd anmutenden Forderung. 800.000 Euro sollte Richard Grundei*, Vorstand eines großen deutschen Konzerns, dem Finanzamt schuldig geblieben sein.
Den Zahlungsbefehl verdankt der Mann der eigenwilligen Interpretation eines an sich völlig alltäglichen Geschäfts durch das zuständige Finanzamt. Der Manager hatte seinem Bruder, der in Ostdeutschland ein Autohaus führte, mit einer Bürgschaft von drei Millionen Euro beigestanden. Der Betrieb ging pleite, und Grundei musste den Kredit tilgen.
Die familiäre Hilfe kam bei der Steuerbehörde schlecht an: Die Bürgschaft sei eine verdeckte Schenkung - und daher steuerpflichtig. Grundei fürchtete einen langwierigen Prozess und einigte sich mit dem Finanzamt auf einen fünfstelligen Abschlag.
Der Fall ist extrem, zeigt aber, wie weit das Abgabenrecht im Kleinkrieg gegen die Steuerzahler gedehnt wird. "Ob jemand Steuern hinterzogen hat oder nicht, entscheidet der zuständige Beamte zunächst allein", sagt der Münchener Steuerstrafverteidiger Jan Olaf Leisner.
Mit weit reichenden Befugnissen und großen Ermessensspielräumen ausgestattet, aber de facto ohne Kontrollinstanz, nutzen die Beamten jede Gelegenheit, zu streichen, abzulehnen und Steuerzahler mit umfangreichen Ermittlungen zu überziehen.
Manche Finanzamtsbezirke haben es sich regelrecht zur Aufgabe gemacht, Steuervorteile auf eigene Faust einzukassieren. Sie gehen oft bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten - und manchmal darüber hinaus.
Rücken die Fahnder aus, fehlt ihnen häufig die rechtliche Grundlage für eine Durchsuchung. "In neun von zehn Fällen genügt schon der richterliche Beschluss nicht den gesetzlichen Normen", beschwert sich der Düsseldorfer Steueranwalt Peter Feldhausen.
Der Hauptmangel: Die Wohnungen oder Büros verdächtiger Steuerzahler werden auf den Kopf gestellt, obwohl die Verdachtsmomente einen solchen Eingriff in die Privatsphäre oft nicht rechtfertigen. Gesetzlich ist vorgeschrieben, den Zeitraum der vermuteten Steuerhinterziehung, die gesuchten Beweise oder die Art der hinterzogenen Abgaben konkret aufzulisten. Doch viele Beschlüsse enthalten nur vage Angaben.
Ganz bewusst agieren die Steuerpolizisten in rechtlichen Grauzonen. Sie hoffen auf Zufallsfunde, die weitere Steuervergehen belegen sollen.
Die Steuerlöcher schwinden
Gewiss, diese Funde werden bei Steuerstrafprozessen regelmäßig nicht als Beweismittel zugelassen; so die 1996 bei Boris Becker beschlagnahmten privaten Tagebücher.
Das Verwertungsverbot der Strafrichter nehmen die Fahnder aber aus zwei Gründen in Kauf. Erstens liefert das Material häufig Ansätze für neue Ermittlungen. Zweitens dürfen die Finanzämter auf Grund solch umstrittener Belege hohe Steuernachzahlungen fordern - auch wenn diese Erkenntnisse bei der Bemessung einer Geld- oder Haftstrafe keine Rolle spielen dürfen.
Bevor Richter derartige Fälle überhaupt wahrnehmen, haben die Betroffenen meist bereits eine langwierige Auseinandersetzung mit den Steuerbehörden hinter sich.
Am häufigsten eskaliert der Streit dort, wo das Steuerrecht die vermeintlich größten Schlupflöcher bietet: bei Mietshäusern und Eigentumswohnungen.
Oft nur mit dürftigen Anhaltspunkten ausgestattet, zweifeln die Beamten Verträge an oder erklären Mietverträge zu Scheingeschäften. Für Ausbau, Renovierung oder Kreditzinsen gewährte Steuervergünstigungen fordern sie anschließend zurück - oft rückwirkend für mehrere Jahre. Da kommt einiges zusammen: Nachzahlungen von mehreren 10.000 Euro sind die Regel.
Die Begründungen, mit denen der Nachschlag eingefordert wird, lesen sich dann oft bizarr, wie etwa im Fall von Thomas Walther*.
Der 38-jährige Programmierer und seine Frau hatten sich just zu dem Zeitpunkt getrennt, als sie in das gemeinsam geplante Zweifamilienhaus hätten einziehen können. Das Paar in Scheidung einigte sich darauf, dass er Haus und Schulden übernehmen und sie die zweite Wohnung als Mieterin nutzen würde.
Eine gütliche Lösung mit einem entscheidenden Makel. Die monatliche Miete lag am unteren Rand des in Freising üblichen Niveaus.
Zu wenig für die Steuerbehörde. Die Beamten erklärten Scheidung und Mietverhältnis zu Scheingeschäften. In Wahrheit, so der Vorwurf, hätte das Paar die Trennung nur inszeniert, um Steuern zu sparen und würde weiter zusammen im gemeinsamen Haus leben.
Die Folge: Ausgaben für Erwerb und Umbau wurden nicht als Werbungskosten akzeptiert. Walther soll 150.000 Euro Steuern und Verzugszinsen nachzahlen.
Die Richter kapitulieren
Gestrichene Vergünstigungen, unterstellte Schwindeleien, hohe Nachforderungen - zwischen 25 und 30 Prozent der jährlich ausgestellten Steuerbescheide sind nach Schätzung der Stiftung Warentest falsch. Bei den deutschen Finanzrichtern stapeln sich deshalb die Fälle. Jedes Jahr klagen gut 100.000 Steuerbürger gegen die Bescheide ihrer Finanzämter.
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Die Rache des Fiskus
Mit welchem Strafmaß Steuersünder rechnen müssen*
Steuerschuld (in Euro) Strafe
bis 10.000 Einstellung gegen Geldauflage**
10.000 bis 25.000 Geldstrafe*** vom Finanzamt
25.000 bis 50.000 Geldstrafe*** per Gerichtsurteil
50.000 bis 200.000 Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren auf Bewährung
ab 200.000 Haftstrafe bis zu fünf Jahren
* Die Strafen können je nach Gerichtsbezirk und Besonderheiten des Falles stark von den hier genannten abweichen.
** Bis zur doppelten Hinterziehungssumme oder bis zu zwei Netto-Monatsgehälter.
*** Geldstrafen werden in Tagessätzen bemessen; ein Tagessatz entspricht einem Netto-Tageseinkommen des Verurteilten. Ungefähre Strafhöhen: Steuerhinterziehung 15 000 Euro: 90 Tagessätze; 25 000: 180; 40 000: 270; 50 000: 360.
Quelle: Haarmann, Hemmelrath & Partner, München
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Auf ein Urteil können sie allerdings lange warten. Oft dauert es fast ein Jahr, bis das Verfahren überhaupt eröffnet wird. Bis zu einer Entscheidung vergehen meist noch einmal zwölf Monate. Wer sein Anliegen bis zum Bundesfinanzhof durchziehen will, muss mit einer Verfahrensdauer von drei bis vier Jahren rechnen.
Die Richter sind mit der Klagewelle völlig überfordert. Allein am Hamburger Finanzgericht müssen gerade einmal 23 Richter jedes Jahr etwa 2500 Verfahren abarbeiten und quasi nebenher eine Welle neuer Gesetze und Verordnungen bewältigen.
Allein der 2001 neu formulierte Paragraf 51 des Einkommensteuergesetzes umfasst 63 Absätze und erstreckt sich über 19 eng bedruckte Seiten. Jeder einzelne Passus setzt für 2002 eine andere Steuerregel außer Kraft.
Trotz zahlreicher Durchführungsverordnungen und Anwendungserlasse herrscht über einzelne Bestimmungen häufig völlige Unklarheit. "Selbst ich steige da oft nicht durch", gibt Jan Grotheer, Präsident des Hamburger Finanzgerichts zu.
Die Richter wehren sich auf ihre Weise: Sie drängen beinahe immer auf einen Vergleich. Aus Angst vor jahrelangen Prozessen geben rund 85 Prozent der Kläger nach - "viele zahlen drauf", sagt Steueranwalt Leisner: "Die Finanzämter verzichten so gut wie nie vollständig auf ihre Forderung, fast immer bleiben erhebliche Kosten am Kläger hängen."
Fazit
Seit Anfang der 90er Jahre zehntausende die Zinsabschlagsteuer mit einer noch nie da gewesenen Kapitalflucht beantworteten, gilt vielen Bürgern Steuerverweigerung als legitime Notwehr. Die Pläne, Gewinne aus Wertpapierverkäufen und Immobiliengeschäften zu besteuern, können deshalb leicht zu einer ähnlichen Massenbewegung führen.
Nur über eines müssen sich die potenziellen Steuerverweigerer im Klaren sein: Der Staat hat in den vergangenen Jahren massiv aufgerüstet. Je größer die Summen, desto massiver die Konsequenzen, wenn der Steuerschwindel auffliegt. Schon wer das Finanzamt um 200.000 Euro prellt, muss mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen.
Bislang konnten sich reuige Steuersünder der Bestrafung mit einer Selbstanzeige leicht entziehen. Bei nachträglicher Erklärung unversteuerter Einkünfte gab sich der Fiskus mit den überfälligen Abgaben und Verzugszinsen zufrieden und verzichtete auf eine Anklage.
Seit Ende 2001 aber sind die Selbstbezichtigungen nicht mehr automatisch strafbefreiend. Der neue Paragraf 370a der Abgabenordnung erklärt die wiederholte Hinterziehung großer Summen zum Verbrechen.
Die Konsequenz: Ob ein Finanzbeamter nach einer Selbstanzeige von jeglicher Strafe absieht oder ob er gleich einen Haftbefehl beantragt, liegt in seinem Ermessen.
"Wer sich in solcher Lage mit den Behörden einigen will, muss die Beamten erst einmal davon überzeugen, dass keine gewerbsmäßige Steuerhinterziehung vorliegt", meint der Steuerstrafrechtler Franz Salditt aus Neuwied am Rhein. Und er prophezeit: "Deals zur Korrektur von Steuersünden werden künftig schmerzhafter und teurer."
Gewiss, es ist längst nicht geklärt, ob der umstrittene Paragraf überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Vermögensteuerpläne bleiben vielleicht in der Schublade ihrer Erfinder. Und möglicherweise werden die Folgen der Besteuerung von Kursgewinnen durch eine gleichzeitige Reform der Zinssteuern abgemildert.
Doch selbst wenn von den rot-grünen Plänen am Ende tatsächlich nur ein Bruchteil verwirklicht werden sollte, eines ist klar: Die Regierenden, gleich welcher Couleur, werden nach neuen Geldquellen fahnden, die Betroffenen nach neuen Ausflüchten suchen.
Letzten Endes werden die Inkassopolitiker mit jedem neuen Dreh an der Abgabenschraube aber nur erreichen, was sie selbst am meisten fürchten: dass dieser Steuerstaat bei den Bürgern die letzte Akzeptanz verliert, die er heute noch hat.