ftd.de, Mo, 4.12.2000, 14:57
IWF-Hilfe löst türkisches Finanzproblem
Die vorzeitige Auszahlung von Krediten des Internationalen
Währungsfonds (IWF) wird nach Ansicht von Experten die massive
Finanzkrise der Türkei lösen.
"Die Unterstützung des IWF und der Weltbank werden die Fähigkeit der
Zentralbank, Liquidität herzustellen, erhöhen", teilte das Finanzministerium
am Montag in Istanbul mit. Eine Zufuhr von ausländischen Mitteln durch die
Finanzinstitute würde zudem der Zentralbank die Möglichkeit geben, die
Hilfsprogramme zu finanzieren, ohne gegen die vom IWF gegebenen
Richtlinien für zusätzliches Zentralbankgeld zu verstoßen.
Die Türkei verhandelt seit Ende vergangener Woche mit dem IWF über die
vorzeitige Auszahlung von Geld aus bereits bewilligten Krediten. Auch die
Weltbank erwägt derzeit Kredite in Höhe von 1,03 Mrd. $. Analysten
schätzen den Gesamtwert der Hilfskredite auf insgesamt vier bis fünf Mrd. $.
Die Geldmittel sollen zur Überbrückung der in der vergangenen Woche
ausgebrochenen Liquiditätskrise im Bankensektor des Landes bereitgestellt
werden.
Banken unter Zwangsverwaltung
Die Finanzkrise war von Befürchtungen über die Stabilität des türkischen
Bankensektors ausgelöst worden, nachdem mehrere Banken unter
Zwangsverwaltung gestellt worden waren und gegen einige von ihnen nun
Untersuchungen wegen möglicher krimineller Machenschaften laufen. Die
Banken hatten vergangene Woche untereinander die Kreditlinien gekürzt und
massiv Zentralbankgeld für ihre Refinanzierung in Anspruch genommen.
Nachdem die Zentralbank die zusätzlichen Repo-Auktionen am Donnerstag
stoppte, stiegen die Geldmarktsätze drastisch an.
Bei der derzeitigen Liquiditätskrise handelt es sich nach Aussagen des
Finanzministeriums allerdings um "temporäre Marktschwankungen". Sie
beeinflussten nicht die Pläne der Zentralbank, die Inflation bis Ende 2002 auf
eine einstellige Zahl zu reduzieren.
Aktienmarkt reagiert mit Kursverlusten
Am türkischen Aktienmarkt kam es am Montag erneut zu deutlichen
Kursverlusten. Am frühen Nachmittag notierte der Aktienindex
ISE-National-100 mit zehn Prozent im Minus auf einem neuen Jahrestief von
7183 Punkten.
Aus der FTD vom 4.12.2000
www.ftd.de/tuerkei
Finanzkrise scheint auf Türkei begrenzt
Von Rolf Lebert, Frankfurt
Die Panik hat ihr erstes Opfer gefordert. Vergangene Woche schoss
ein aufgebrachter Anleger in der Türkei einen Banker nieder. Der
Vorfall ist symptomatisch für die schwere Finanzkrise, die das Land
seit zwei Wochen heimsucht.
Am vorigen Freitag schossen die Sätze für dreitägige
Wertpapierpensionsgeschäfte auf die Rekordhöhe von 1133,52 Prozent,
obwohl die türkische Zentralbank 850.000 Mrd. türkische Pfund zur Dämpfung
des Zinsauftriebs in den Markt gepumpt hatte.
Die Aktienbörse in Istanbul sackte auf den tiefsten Stand dieses Jahres ab. In
Ankara gingen am Freitag Tausende auf die Straße, um gegen
Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne und Sozialabbau zu protestieren, die viele
den harten Sanierungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds (IWF)
anlasten. Am Montag treffen in Ankara Vertreter der türkischen Regierung
und des IWF zusammen, um über Auswege aus der Liquiditätskrise zu
beraten.
Das Land hofft auf die vorzeitige Auszahlung von Geldern aus einem
Programm bereits bewilligter Kredite. Seit Beginn der Krise pumpte die
Zentralbank rund 6 Mrd. $ in das Bankensystem, um eine Kettenreaktion von
Zusammenbrüchen vermeiden. Die damit verbundene Aufblähung der
Geldmenge verstößt gegen Auflagen des IWF. Inzwischen kündigte die
Zentralbank an, sie werde das Geldvolumen wieder in vom IWF akzeptierten
Grenzen zurückfahren.
Anders als die Krise in Asien vor drei Jahren scheinen die Auswirkungen des
zum Teil chaotischen Geschehens in der Türkei die internationalen
Finanzmärkte allenfalls am Rande zu tangieren. Große Banken in
Deutschland, Österreich und der Schweiz fühlen sich davon jedenfalls kaum
betroffen und sehen keine Veranlassung, für ihre Engagements mit
zusätzlicher Risikovorsorge Vorkehrungen zu treffen.
Bei der Deutschen Bank heißt es, es gebe kein signifikantes Kreditrisiko in
der Türkei. Vorort ist die Deutsche Bank mit einem Broker in Istanbul
vertreten, an dem sie zu 40 Prozent beteiligt ist. Kreditgeschäfte werden aus
Frankfurt heraus gemacht. Ähnliches ist von Dresdner Bank und
Commerzbank zu berichten. Größenordnungen werden von den Banken nicht
genannt. Die meisten Banken, so die HypoVereinsbank und ihre neue
Konzerngesellschaft Bank Austria begleiten überwiegend inländische Kunden
in der Türkei und sprechen davon, dass die Kreditrisiken entsprechend gut
abgesichert sind. Meist soll es sich um kurzfristige kommerzielle
Ausleihungen handeln, in einigen Fällen um Beiträge zu
Projektfinanzierungen, an denen auch internationale Institutionen beteiligt
sind. Auch die Schweizer Großbanken Credit Suisse und UBS sprechen von
einem allenfalls kleinen Risiko.
Die Krise des türkischen Finanzsystems hat nach Auffassung der
Beobachter weniger mit fundamentalen Wirtschaftsdaten zu tun, als mit
einem rapiden Vertrauensverlust in das Bankensystem.
"Banken können leicht Auslöser einer Krise sein, da sie bei
einemökonomischen Stabilisierungsprogramm besonderen Risiken
ausgesetzt sind", sagt Charles Blitzer, Analyst des auf die Türkei
spezialisierten Asset-Managers AIS. Nahrung erhielt die Krise durch laufende
Ermittlungen bei zehn Banken, die im Zuge des Stabilitätsprogramms unter
staatliche Kuratel gestellt wurden und jetzt privatisiert werden sollen.
Inzwischen wurden mehrere Banker verhaftet. Sie werden verdächtigt, Gelder
aus den Instituten abgezogen zu haben. Die dabei zu Tage geförderten
Details über Korruption und Missmanagement trugen maßgeblich zu dem
Vertrauensverlust in das gesamte Bankensystem bei.
Vor allem ausländische Investoren wurden nervös und zogen in großem Stil
Gelder aus der Türkei ab. Zugleich wurde die Kreditvergabe an türkische
Unternehmen und öffentliche Stellen heruntergefahren. Die durch die
Auslandsverkäufe ausgelöste Dollar-Nachfrage zwang die Zentralbank zu
Interventionen, was zu einer erheblichen Reduzierung der offiziellen
Devisenreserven führte. Als Folge davon muss die Türkei den IWF bitten,
zusätzliche Mittel bereitzustellen. In einem auf drei Jahre befristeten
Beistandspakt hatte der Fonds der Türkei vor einem Jahr 3,7 Mrd. $
zugesagt. Zurzeit sprechen die Türkei und der IWF über die vorzeitige
Auszahlung von 600 Mio. $ aus dem bewilligten Gesamtpaket.
Gruß Dampf