Schröders Schachzug

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klecks1:

Schröders Schachzug

 
14.11.01 18:22
Beispiel aus Herdecke: von hier kommt die Grünen-Spitzenfrau Schewe-Gerigh. Tag für Tag liest man bei uns, dass sie gegen den Krieg ist, verurteilt teilweise die SPD-Politik recht heftig, aber heute, welch wundersame Wandlung, erklärt sie im Radio, dass in diesem speziellen Fall -natürlich mit Gewissensbissen- für den Antrag gestimmt werden muss, da der Kanzler die Vertrauensfrage bla, bla, bla..

Man könne ja in 1 Woche bei der Grünen-Versammlung noch einmal alles besprechen und evtl. die Koalition mit der SPD beenden, aber man müsse halt diskutieren, aber am Freitag sollte man die Abstimmung mittragen....

Grünen behalten die Posten, Schröder wahrt sein Gesicht...

Kluge Taktik, aber auch gefährlich?!
MJJK:

Blöde Vertrauensfrage!

 
14.11.01 18:26
Man sollte nicht durch eine Vertrauensfrage die Einheitsstimme einer Fraktion erzwingen! Die Bundestagsabgeordneten sind ihrem Gewissen und nicht ihrem Fraktionsvorsitzenden verpflichtet.

Meiner Meinung nach hätte die Regierung genügend Stimmen von CDU, CSU und FDP für den Einsatz der Bundeswehr bekommen...
klecks1:

und das

 
14.11.01 19:00
ANALYSE

Schröder will den Wechsel

Von Markus Deggerich

Gerhard Schröder ruft den Bündnisfall aus für die Koalition. Der schwarze Peter liegt bei den Grünen. Der eiserne Kanzler sucht die Eskalation in einer Situation, die er selber herbeigeführt hat.

Berlin - Der Kanzler verlangt uneingeschränkte Loyalität vom Koalitionspartner. Gerhard Schröder macht mit den Grünen, was die USA mit der Nato durchgespielt haben. Er ruft den Bündnisfall für die Regierung aus: Folgt mir nach meinen Maßstäben, oder ihr gehört nicht mehr dazu! Der Kanzler sucht mit der Vertrauensfrage die Eskalation. Aber warum? Eine Mehrheit für den Bundeswehr-Einsatz hätte Schröder mit CDU und FDP sicher gehabt.
Drohungen, Machtpoker oder ein nur Spiel des Kanzlers mit dem Feuer: Die Fortsetzung der rot-grünen Koalition steht auf Messers Schneide. Schröder lässt die Grünen am langen Arm über dem Abgrund baumeln. Das diszipliniert und zeigte sofort Wirkung: Die übereinstimmenden Mahnungen aus SPD und Grünen zur Geschlossenheit überschlugen sich am Dienstag.

   
Unmissverständlich hatte Schröder am Montagabend bei einem Treffen mit rund 70, dem linken Flügel zugerechneten SPD-Abgeordneten deutlich gemacht, dass er sich "das Heft des Handelns" nicht aus der Hand nehmen lassen wolle. Eine von Schröders Visionen, die er dem Kreis offenbarte: Die Koalition schafft zwar die Bundestags-Entscheidung über den Afghanistan-Einsatz noch mit Blessuren - doch eine Woche später zeigt der Parteitag der Grünen in Rostock der eigenen Fraktion die rote Karte.

Keine Garantien

Bereits im SPD-Vorstand am Montagvormittag hatte Schröder seinem Ärger Luft gemacht und sich über die mangelnde Geschlossenheit der Grünen beklagt. Da hatte Schröder bereits mit der Grünen-Spitze verhandelt, die ihm beim bevorstehenden Afghanistan-Beschluss zusätzliche Zusagen etwa humanitärer Art oder eine Begrenzung der Entsendung abringen wollte. Könnt ihr mir denn dann garantieren, dass eure Mehrheit in der Fraktion und auf dem Parteitag steht, hatte der Kanzler seinen Koalitionspartner gefragt. Die Antwort war erwartungsgemäß Nein.

Vorsorglich richtete Schröder an das SPD-Präsidium die Aufforderung, sich unmittelbar nach dem Afghanistan-Beschluss für eine unverzügliche Sondersitzung bereitzuhalten und begutachtete demonstrativ öffentlich im Vier-Augen-Gespräch mit Guido Westerwelle den möglichen neuen Partner FDP. Ein Scheitern bei der Vertrauensfrage würde nicht gleich Neuwahlen bedeuten. Schröder kann auch mit einer Minderheit weitermachen, zurücktreten oder beim Bundespräsidenten Neuwahlen beantragen. Seine Vertrauensfrage ist ein kalkuliertes Risiko: Für ein konstruktives Misstrauensvotum mit dem ein anderer Kanzler an die Macht gewählt wird, fehlen bei der Union alle Voraussetzungen. Sie hätte nicht mal einen Kandidaten. Aber bei Neuwahlen müssten die Grünen fürchten, den dritten Platz im Parteienspektrum an die FDP abgeben zu müssen.

Historische Entscheidung

Vor den Partei-Linken zitierte Schröder eine aktuelle Umfrage, die das Kanzleramt in Auftrag gegeben hatte. Danach sind 56 Prozent der Bundesbürger bei einem rot-grünen Koalitionsbruch für Neuwahlen, nur 17 Prozent für ein Zusammengehen mit der FDP.

Dass sich Schröder am Dienstag noch vor Beginn der entscheidenden Fraktionssitzungen mit Alt-Kanzler Helmut Schmidt und Ex-Parteichef Hans-Jochen Vogel zur Beratung zurückzog, entspricht alter sozialdemokratischer Tradition in Stunden der Not. Schmidt gilt in der Partei immer noch als der "Macher", der vor dem Regierungsverlust der alten sozialliberalen Koalition mehrere Krisen meisterte. Der Hanseate ist auch ein persönliches Vorbild für Schröder, ein kühler Machtpragmatiker, ein Wirtschafts-Kanzler. Vogel hingegen ist das "moralische Gewissen" der SPD und hatte noch am Samstag ausdrücklich den Anti-Terror-Kurs des Kanzlers gebilligt.

 
AP

Pokert hoch: Regierungschef Schröder


Viele SPD-Linke fühlen sich zerrieben. Auf der einen Seite gibt es schwere Zweifel an der Richtigkeit der US-Strategie, verbunden mit der pazifistischen Tradition der Partei. Aber jetzt das "Reformbündnis" mit den Grünen aufgeben? Einlassen auf die FDP oder gar eine große Koalition? Der gleiche Zwiespalt zwischen Pazifismus an der Basis und Verlust der Handlungsfähigkeit im Regierungsbündnis treibt auch viele Grüne um. Händeringend sucht man nach Argumenten, nun doch noch auf Kanzler-Kurs einschwenken zu dürfen. Die Eroberung Kabuls muss dafür herhalten. Jetzt sei es doch möglich, auch politische Lösungen in dem Krieg voranzutreiben.

Die SPD-Fraktionsspitze ist bemüht, jeden Zweifler einzufangen und in Einzelgesprächen zu bearbeiten. Die Abgeordnete Renate Rennebach, die Ende August mit 18 anderen Fraktionskollegen gegen den Mazedonien-Einsatz der Bundeswehr stimmte, fühlt sich trotz des Drucks diesmal "angenommen", weil "dieses miteinander Reden" ihr damals fehlte. Schröder hat durch sein Vorgehen diesen Druck weiter verschärft. Fraktions-Vize Gernot Erler erwartet inzwischen bei der Bundestagsentscheidung aus seiner Fraktion "nicht eine einzige Gegenstimme".

Zwang zur Zustimmung

Damit liegt der schwarze Peter bei den Grünen. Da Schröder die Sachfrage mit seiner Person verknüpft, verlangt er von den Grünen nicht nur die Entscheidung über deutsche Kriegsbeteiligung, sondern über die Fortsetzung des gemeinsamen Weges. Seit Tagen werden in der SPD-Spitze des Willy-Brandt-Hauses Strategien durchgespielt, wie auf ein deutliches Veto der Grünen gegen die Kanzler-Linie reagiert werden soll. Anfangs hieß es, dann machen wir eben weiter und gehen ohne Koalitionsaussage in den nächsten Bundestagswahlkampf. Noch am Montag spottete SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, dass der Kanzler 85 Prozent der Stimmen erhielte, wenn er denn für seine Politik im Parlament die Vertrauensfrage stelle.

Aber das stimmt so nicht. Die Verknüpfung von Bundeswehr- mit der Vertrauensfrage soll die Grünen zur Zustimmung zwingen, verschreckt aber die Union. Fraktionschef Friedrich Merz hat bereits das Nein der Konservativen angekündigt, die bei einer alleinigen Bundeswehr-Entscheidung Ja gesagt hätten. Für die Grünen ist es nun genau umgekehrt.

Es wird hoch gepokert

"Wir befinden uns in einer Phase, in der in der Koalition hoch gepokert wird", umschrieb der Grünen-Außenpolitiker Christian Sterzing die Situation. Als "historisch" wertet sie die SPD-Linke Andrea Nahles. Die Grüne Michaele Hustedt zeigte sich fast verzweifelt: "Ich bin schon so lange dabei. Vor einer so großen Entscheidung standen wir noch nie." Auch der grüne Abweichler Christian Ströbele betonte, der Kanzler habe ja sein Vertrauen. Doch er legte den Finger in die Wunde: "Die Verbindung der Vertrauensfrage mit der Abstimmung über den Einsatz der Bundeswehr halte ich nicht für richtig." Denn der Kanzler fragt nicht allgemeingültig nach Unterstützung aus den Regierungsfraktionen. Er verknüpft sein Schicksal mit der historischen Neuausrichtung deutscher Außenpolitik nach seinen Maßstäben: eine Machtdemonstration, die keine Kritik zulassen will.

Der grüne Winfried Hermann klagt deshalb: "Wir haben die Vertrauensfrage nicht gestellt. Wir wollen die Koalition. Unsere Kritik richtet sich nicht gegen unsere Regierung, sondern gegen die Ausgestaltung der Bundeswehr-Entscheidung. Ich lasse mich nicht durch die Vertrauensfrage des Kanzlers zwingen." Es müsse möglich sein, bei einer so schwierigen Situation das Recht auf Gewissensentscheidung und ein freies Mandat wahrzunehmen. Diese Ausdifferenzierung ist nach Schröders Schachzug nicht mehr möglich. Der eiserne Kanzler nötigt die Grünen zu der Entscheidung: alles oder nichts.

Schröder will außenpolitische Handlungsfreiheit

Darum hängt der Kanzler die Abstimmung plötzlich so hoch. Es geht um einen politischen Kurswechsel: Weg vom Inneren, dem Image des Reformers und Wirtschaftskanzlers. Hin zum Äußeren, dem großen Staatsmann, dem Kriegskanzler, der die Bundesrepublik in der neu zu ordnenden internationalen politischen Architektur mit starker Hand fest verankert. Dafür will er außen- und militärpolitische Handlungsfreiheit. Auf dem Weg dorthin betrachtet er die grünen Bedenkenträger als Sicherheitsrisiko, die es loszuwerden oder massiv zu disziplinieren gilt.

Schröder diskutiert nicht mehr. Gerade vor dem Hintergrund der veränderten Lage in Afghanistan wäre ein Kompromiss mit den Grünen durchaus möglich. Er will den Politik-Wechsel. Mit wehenden Fahnen zur FDP überzulaufen würde ihm eine schwächere Mehrheit bescheren als mit den Grünen, aber sie müsste auch nur ein Jahr halten. Und auch bei Neuwahlen hätte Schröder wenig zu befürchten. Die Union liegt am Boden, kann nicht mal einen Kanzlerkandidaten präsentieren. Und nach einem Urnengang würde die FDP die Grünen sehr wahrscheinlich als drittstärkste Partei ablösen und für stabile Mehrheiten sorgen.

Die Grünen sind an der Macht und stehen dem Kanzler im Weg. Die FDP will an die Macht und frisst dem Kanzler aus der Hand. Vermutlich würden sie sogar einen parteilosen Außenminister Joschka Fischer im neuen Kabinett des Kriegskanzlers Schröder mittragen.
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klecks1:

STRUCK DROHT GRÜNEN

 
14.11.01 21:01
Sollte am Freitag nicht "alles glattgehen" und es würden Neuwahlen kommen, so würde es auf keinen Fall mehr eine rot-grüne Koalition geben.
klecks1:

Jusos und Schröder

 
15.11.01 06:48
JUSO-VORSITZENDER NIELS ANNEN

"Schröders Weg ist abenteuerlich"

Von Holger Kulick

Deutschland müsse zum Vorreiter für zivile Konfliktlösungen in Mittelasien werden, fordert Niels Annen, der Bundesvorsitzende der SPD-Jungsozialisten, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Der Weg in einen undefinierten Krieg sei falsch. Annen rechnet mit Parteiaustritten, falls sich die SPD zu weit von ihrer "Identität" als Friedenspartei entfernt.

SPIEGEL ONLINE: Wie solidarisch sind die Jusos noch mit Gerhard Schröder und Amerika?
Niels Annen: Ich könnte mir das einfach machen und sagen, alles ist schlecht, was jetzt in Afghanistan passiert. Das tue ich nicht. Wir haben von Anfang an gesagt, uneingeschränkte Solidarität kann es nicht geben, aber konstruktive und kritische Solidarität muss sein. Das meint: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben, und das Völkerrecht ist bindend.
SPIEGEL ONLINE: Geschieht das nicht?
Annen: Streubombeneinsätze haben nichts mit einem zielgerichtetem Einsatz gegen den Terrorismus zu tun. Zudem haben die Amerikaner Stück für Stück die ursprüngliche Vorgehensweise der Anti-Terror-Allianz umdefiniert. Es geht immer weniger um zielgerichtete Verfolgung von Terroristen. Stattdessen wird ein konventioneller Krieg mit dem Ziel geführt, das ganze Land zu zermürben, um eine Regierung zu stürzen. Deshalb halte ich den Antrag der Bundesregierung für falsch, weil Deutschland damit Teil der amerikanischen Militärstrategie wird.
SPIEGEL ONLINE: Aber die deutschen Truppen sollen doch gar nicht bombardieren.

Annen: Wenn wir mit eigenen Soldaten in der Region agieren, dann muss die Bundesregierung wenigstens offen diese Vorgehensweise der USA kritisieren. Im Übrigen: Die Vorlage konkreter Beweise gegen Bin Laden sollte den Militäraktionen vorausgehen.
SPIEGEL ONLINE: Hat Ihnen denn die Regierungserklärung des Kanzlers am Donnerstag nicht weitergeholfen?
Annen: Nein. Gerhard Schröder hat zwar auch nichtmilitärische Aspekte behandelt, aber er hat nicht plausibel gemacht, wofür die deutschen Soldaten wirklich eingesetzt werden sollen. Außerdem halte ich einen Vorratsbeschluss in so einer wesentlichen Frage für grundfalsch. Die Abgeordneten wären schlecht beraten, sich ihre Entscheidungskompetenz aus der Hand nehmen zu lassen.
SPIEGEL ONLINE: Käme es denn den Zweiflern entgegen, diesen Vollmachtszeitraum von zwölf auf sechs Monate zu verkürzen?
Annen: Diese trickreiche Idee stammt von Edmund Stoiber, um der Koalition mitten im Wahlkampf noch einmal eine Zerreißprobe zu bescheren. Deshalb meine ich: Entweder der Bundestag entscheidet jetzt ausschließlich für einen ganz konkreten Einsatz der Bundeswehr, oder er lässt es.
SPIEGEL ONLINE: Und stattdessen?
Annen: Johannes Raus Forderung beim Wort nehmen: Das beste Mittel gegen den Terrorismus ist eine gerechte internationale Ordnung. Nach dem 11. September war der Bundeskanzler klug auf die Amerikaner zugegangen, um einen US-Gegenschlag im Alleingang zu verhindern. Dafür zolle ich ihm Respekt. Jetzt muss er verhindern, dass dieser Krieg weiter eskaliert.
SPIEGEL ONLINE: Welchen Weg schlagen Sie vor?
Annen: Schröder muss endlich den politischen deutschen Beitrag in den Vordergrund seiner Reden und seines Handelns rücken: Deeskalation, humanitäre Hilfe und eine Perspektive für die Menschen in der Region.
SPIEGEL ONLINE: Vielleicht weiß die Regierung aber gar keinen Ausweg.
Annen: Ich erwarte auch keine Patentlösungen. Aber die Führung in dieser Frage. Gerhard Schröder hat mit dem Begriff der "Enttabuisierung des Militärischen" die völlig falsche Debatte in Gang gesetzt. Wichtig wäre, für eine konsequentere Stärkung der Vereinten Nationen einzutreten, und sie durchaus auch mit einem eigenen militärisch-polizeilichen Stand-Kontingent auszustatten. Dazu dürfen dann auch Bundeswehrsoldaten gehören.
SPIEGEL ONLINE: Brenzlig wären solche Einsätze aber auch.
Annen: Deshalb braucht auch das Völkerrecht einen sehr viel höheren Stellenwert. Aber nicht sektoral - hier mit einem Tribunal über den Ruanda-Konflikt oder da mit einem über Jugoslawien. Das muss man den USA vorhalten: Warum sträuben sie sich gegen einen internationalen Gerichtshof? Auch so etwas durchzusetzen, wäre Teil einer glaubwürdigeren Anti-Terror-Allianz.
SPIEGEL ONLINE: Regiert ihnen Schröder zu sehr von oben herab - mit allwissender Kohlscher Attitüde?
Annen: Ein Bundeskanzler muss auch politische Linien vorgeben können. Bislang konnte ich die Schritte des Bundeskanzlers alle gutheißen oder zumindest nachvollziehen, bei dieser Entscheidung kann ich das nicht mehr. Schon die Irritationen über die Frage, ob es überhaupt eine konkrete Anfrage der US-Regierung gab, zeigt das derzeitige Vermittlungsproblem dieser Bundesregierung. Unbefriedigend finde ich auch immer noch den Umgang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das keinen "Vorratsbeschluss" über die Entsendung deutscher Soldaten vorgesehen hat.
JUSO-VORSITZENDER NIELS ANNEN

"Schröders Weg ist abenteuerlich" (2)

SPIEGEL ONLINE: Rechnen Sie jetzt mit Parteiaustritten aus Protest?
Annen: Die Gefahr ist ganz real. Es gibt sogar prominente Mitglieder, die mit dem Gedanken gespielt haben, der Landtagspräsident aus Mecklenburg-Vorpommern Hinrich Kuessner zum Beispiel. Aber ich kann nur dazu auffordern, sich einen solchen Schritt sehr gründlich zu überlegen. Wir haben nur Rot-Grün als gesellschaftliche Reformkraft, eine andere sehe ich nicht. Und was ist die Alternative? Wie die Beschlüsse zu Afghanistan in einer Großen Koalition aussehen würden, möchte ich gar nicht erst wissen.
SPIEGEL ONLINE: Dann braucht die SPD ihren Parteitag am 19. November dringend als Ventil?
Annen: Eher als ein ganz selbstverständliches Forum für eine sehr offene, kritische Debatte. Den Unmut an der Basis kann schließlich keiner leugnen.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie denn, dass der Parteivorsitzende Schröder offenen Streit überhaupt will? Der Bundeskanzler hat der IG Metall gerade erst einen Maulkorb verpassen wollen.
Annen: Das war unangebracht und unklug. Aber jeder redet mal Blödsinn. Er ist auch nicht der alleinige Herrscher über den Diskurs in der Partei. Im Parteivorstand hat er einmal betont, dass ihm eine kritische Öffentlichkeit lieber ist als Hurrapatriotismus. Ich hoffe, er meint das ernst.
SPIEGEL ONLINE: Auch der Weimarer SPD-Abgeordnete Edelbert Richter hat uns gesagt: "Ich spüre immer mehr den alten Osten" im Stil, wie plötzlich Meinung vorgegeben wird.
Annen: Eine Partei, die solche Sensibilitäten, besonders im Osten, nicht ernst nimmt, ist schlecht beraten und handelt sich gravierende politische Probleme ein. Wir Jusos spüren das doch auch. In Berlin haben 30 Prozent der Jungwähler PDS gewählt, und das nicht nur im Osten. Dort herrscht eine große Ablehnung des Krieges vor, schon deshalb, weil diese jungen Menschen den Eindruck haben, dass die Regierung ihre Sorgen nicht ernst nimmt.
SPIEGEL ONLINE: Trauen Sie denn Ihrer Partei überhaupt so viel Wagemut zu, auf dem Parteitag offen zu streiten?
Annen: Das wird an jedem einzelnen liegen. Zumindest wir Jusos werden uns nicht den Mund verbieten lassen.
SPIEGEL ONLINE: Aber der Parteitag kommt nach dem Bundestagsbeschluss. Was nützt dann die Debatte noch?
Annen: Der Bundestag wird dann schon entschieden haben, das ist richtig. Damit sind aber noch keine Soldaten im Einsatz. Die Entscheidung darüber liegt danach bei der Regierung. Und eine Parteitagsentscheidung sollte doch bitte schön auch Einfluss auf das Regierungshandeln haben.
SPIEGEL ONLINE: Einige Mutige könnten ja am Dienstag schon in der Fraktion mit Nein votieren? Trauen die sich das?
Annen: Ich weiß, dass eine sehr große Zahl der Abgeordneten so denkt wie wir Jusos. Aber es gibt eben auch die nicht ganz unberechtigte Sorge, dass Deutschland jeglichen Einfluss auf die Anti-Terror-Allianz verliert, wenn wir uns jetzt nicht mit Soldaten beteiligen. Deswegen rate ich der Parteiführung: Selbst wenn es eine überwältigende Mehrheit für den Beschluss gibt, sollte sie nicht davon ausgehen, dass dort alle mit dieser Maßnahme einverstanden sind.
SPIEGEL ONLINE: Das bedeutet aber, dass die meisten kuschen werden, schon allein deshalb, weil SPD-Generalsekretär Franz Müntefering die Abweichler in der Mazedonienfrage schon so streng abgemahnt hat?
Annen: Das war sehr unklug und schadet auch der Glaubwürdigkeit einer Partei. Abgeordnete sind in letzter Instanz nur ihrem Gewissen verpflichtet. Darüber gibt es keine Entscheidungsgewalt von Seiten der Parteiführung. Deshalb hoffe ich, dass sich so etwas nicht wiederholen wird.
JUSO-VORSITZENDER NIELS ANNEN

"Schröders Weg ist abenteuerlich" (3)

SPIEGEL ONLINE: Geht es nicht aber auch um die Rettung der Koalition durch diszipliniertes Abstimmen?
Annen: Eine eigene rot-grüne Mehrheit für diesen Beschluss als Junktim mit der Zukunft der Regierungskoalition zu verknüpfen wäre töricht. Der Kanzler wird eine Mehrheit im Deutschen Bundestag für seinen Vorschlag finden. Damit bleibt die Koalition handlungsfähig.
Es geht in dieser Frage für alle Abgeordneten um eine der gravierendsten Fragen deutscher Politik. Nicht um Koalitionen. Das sehen doch auch Wähler ein, die in dieser Grundsatzfrage genauso zerrissen sind wie viele Abgeordnete. Eine Partei dürfte gerade in dieser Frage viel glaubwürdiger abschneiden, wenn sie die Gewissensfreiheit ernst nimmt.
SPIEGEL ONLINE: Hat die SPD nicht auch ihren Ruf als Friedenspartei zu verlieren?
Annen: Das ist unser besonderes Dilemma, dessen Dimension viele noch gar nicht überschauen. Sicherlich: Die Debatte bei den Grünen ist zur Zeit noch eruptiver und emotionaler als bei uns, weil diese Entscheidung an die grünen Gründungswurzeln geht.
Aber auch alle SPD-Parteivorsitzenden von Brandt bis Schröder sind zu festlichen Anlässen durch die Partei getingelt und haben immer den alten Satz zitiert: Die SPD hat nie die Hand für die Entsendung deutscher Soldaten gehoben, das ist unsere Tradition als Friedenspartei. Damit bin auch ich sozialisiert worden. Die Gratwanderung als Partei lautet: Wir dürfen unsere Identität nicht verlieren und müssen gleichzeitig anerkennen, dass gegen den Terrorismus gehandelt werden muss.
SPIEGEL ONLINE: Wie könnte denn die alte Identität Anschluss an die neue Weltlage finden?
Annen: Wir brauchen vorrangig eine Debatte um die Kernpunkte sozialdemokratischer Außenpolitik. Hier kann der Parteitag ein deutliches Zeichen setzen. Dazu gehören der Vorrang für zivile Konfliktlösungen und Konfliktprävention, aber nicht nur durch 0,7 Prozent Entwicklungshilfe. Es geht auch darum, unser Mitspracherecht in IWF oder Weltbank konkret zu nutzen, Globalisierung gerecht zu gestalten. Und in diesem Fall: Wir müssen eine viel konkretere Perspektive für Afghanistan entwickeln.
SPIEGEL ONLINE: Sie fordern den "Feldherren" heraus.
Annen: Feldherrenmentalität möchte ich Schröder nicht unterstellen, auch er hat diese Situation nie gewollt. Nun hat er das Problem, dass er als Kanzler agieren muss und als Parteivorsitzender kommunizieren müsste.
SPIEGEL ONLINE: Werden denn Sie als Juso-Vorsitzender mit Ihrer Kritik überhaupt ernst genommen? Der Ruf der Jusos ist doch inzwischen eher der von zahmen Spielkindern der SPD im Buddelkasten.
Annen: Diese Wahrnehmung ist mir nicht unbekannt. Hier hat die politische Kultur unserer Vorgängergenerationen tatsächlich viel kaputt gemacht. Aber wir sind als Verband deutlich jünger geworden, und dabei sowohl kritisch als auch konstruktiv gegenüber der Regierungspolitik. Jetzt haben wir sogar eine privilegierte Stellung in der SPD, weil wir ohne Fraktionszwang offen artikulieren können, was viele an der Basis oder in der Fraktion denken.
SPIEGEL ONLINE: Wenn die Fraktion aber am Dienstag so entscheidet wie geschehen, Bundeswehrsoldaten nicht zum Ramadan einzusetzen?
Annen: Moment! Ich kritisiere primär die US-Militärstrategie. Der Ramadan liefert mir dafür nicht die entscheidende Argumentation. In Afghanistan werden derzeit Massenbombardements und Streubomben eingesetzt. Das ist mit uns nicht zu machen. Es gibt keine zielgerichtete Aktion, keine Konzeption für die Zukunft und der Einsatz ist nicht verhältnismäßig. Dies gilt für uns nicht nur im Fastenmonat Ramadan. Gerhard Schröder hat gesagt: Militärische Abenteuer machen wir nicht mit. Aber was er jetzt macht, halte ich für abenteuerlich.
Das Interview führte Holger Kulick
rionegro:

Schachzug oder Falle !?

 
15.11.01 10:04
Morgen wird meiner Ansicht nach, mal wieder alles gut gehen.Alle werden jubeln.Jetzt ist
der Kanzler noch stärker als je zuvor.Doch der nächste Schachzug der Amerikaner steht
bestimmt bevor.Es sah ja alles so leicht aus in der letzten Woche.Im Handumdrehen waren
die Taliban geschlagen.Ich wundere mich nur wie die Nord-Al.so schnell vorrücken konnte.
Bedenkt man doch, dass Afgan.viel größer ist als Deutschland und vor allem das schwierige
Gelände.Die Frage nur:Wo ist Bin Laden?Es wurde ja schon vor Beginn des Krieges auf einen
langen Kampf gegen den Terrorismus hingewiesen.Wenn jetzt Bin Landen nach Irak oder
sonstwo flüchtet,muss man doch damit rechnen das der Krieg auf andere Länder übergreift.
Was sagen dann die Grünen?Ich glaube diese Regierung wird es nicht mehr lange in dieser
Form geben,und selbst Schröder wird so seine Probleme in der eigenen Partei bekommen.
antoinette:

Abweichlerin der SPD,

 
15.11.01 15:09
die mit nein stimmen will, soll gezwungen werden, ihr Mandat niederzulegen  
numpsi99:

@antoinette

 
15.11.01 15:16

Und wie will man die zwingen ?
Daumenschrauben ?

Gruß
Numpsi
antoinette:

begründung

 
15.11.01 15:24
wer gegen den kanzler stimmt, stimmt gegen die partei und sollte deshalb mandat niederlegen...
numpsi99:

Sinngemäß also

 
15.11.01 15:34

Sinngemäß also, wer vor seinem Gewissen die Handlungen der Regierung nicht mehr vertreten kann, sollte sich überlegen ob er/sie noch länger Mitglied der Regierung bleibt ?

Ich habe hier der Einfachheit halber Regierung und Mandatsträger der Regierungspartei gleichgesetzt.

Dann kann sie immer noch aufgrund Ihres Gewissens aus der Partei austreten und ihr Mandat behalten ...

Diese Lösung ist natürlich nur bei Direktmandaten akzeptabel, nicht aber bei Apparatschiks, die über die Landesliste, also über die Partei, das Mandat für den Bundestag bekamen.

Numpsi
antoinette:

ein happy-end für schröder??

 
15.11.01 16:18
...
blau.ariva.de/board/thread.m?a=all&showthread=1&nr=88956&0
007Bond:

Was passiert eigentlich, wenn

 
15.11.01 16:36
die Grünen am Freitag Schröder geschlossen unterstützen - aber 8 Abgeordnete der SPD "Abweichler" werden?!

Vermutlich würde dann Schröders politischer Schachzug nicht so ganz aufgehen?!

Auf der einen Seite kann man Herrn Schröder schon verstehen. Um Regieren zu können, müssen seine Partei und auch sein Koalitionspartner geschlossen hinter seiner Politik stehen.
Aber der gefährliche Poker war nicht notwendig und eher unangebracht. Geht Schröders Poker nicht auf, besteht die Gefahr, dass sich Deutschland international lächerlich macht und an Glaubwürdigkeit verliert. Der Bundeskanzler hätte zusammen mit den Stimmen von CDU und FDP die Konfrontation und das damit verbundene Risiko der Unglaubwürdigkeit durchaus vermeiden können.

Fast entsteht der Eindruck: "Will er denn etwa nicht mehr"?!

Es scheint doch schlechthin der "Fluch" der SPD zu sein - denn jedesmal, wenn sie die politische Führung in Deutschland übernahm, stagnierte das Wirtschaftswachstum und die Arbeitslosenzahlen nahmen zu.

Sollte tatsächlich das eintreten, dass seine eigene Partei ihn und seine Politik zum Scheitern brächte, wäre es für ihn angebracht, sich Gedanken darüber zu machen, ob er denn wirklich der richtigen Partei angehört.

Aber auch schon bei Helmut Schmidt bestanden ähnliche Probleme und Zweifel - es wiederholt sich eben fast alles im Leben.

Zu guter Letzt: Auch CDU und FDP verlören erheblich national als auch international an Ansehen, sofern sie die Politik des Bundeskanzlers in solch einer entscheidenden Frage nicht stützen würden! Ein solches Verhalten könnte internationl als amerikafeindlich interpretiert werden!
antoinette:

SPD-Abgeordnete ist aus SPD-Fraktion

 
15.11.01 18:46
ausgeschieden und wird als parteilose gegen schröder stimmen:

die grünen werden wohl für schröder stimmen (bis auf 3, die nicht nur zum diätenkassieren da sind)
DarkKnight:

Was passiert eigentlich, wenn morgen einige Grüne

 
15.11.01 18:54
oder auch ZwergenaufstandsSozis "todkrank" sind, einen "Motorschaden" haben oder eine sonstige "unplanbare" Verhinderung? hähähä ...
zombi17:

Die Deutschen waren schon immer gut....

 
15.11.01 18:58
...Entscheidungen nicht zu entscheiden.
Irgendwo muß die Bürokratie herkommen.
antoinette:

urlauber, kranke...

 
15.11.01 19:14
werden mit Schröder Paradies Daimler abgeholt
vega2000:

Gerhard fährt Audi o.T.

 
15.11.01 20:15
MJJK:

Nein! Gerhard läßt sich im Audi kutschieren. o.T.

 
16.11.01 15:24
McMurphy:

up, für den lieben Klecks

 
29.08.11 19:47
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