Ein Hauch von Tigerstimmung
Zweistellige Kursgewinne in Südostasien
Man ist versucht, den saloppen Werbespruch eines nicht unbedeutenden Bierherstellers in Südostasien zurzeit auf die hiesigen Börsen zu übertragen: «It's Tiger time», heisst es an allen Ecken und Enden, rund um die Uhr natürlich. Tatsächlich hat sich seit Jahresbeginn an den im letzten Jahr arg gebeutelten Börsen in Bangkok, Manila, Kuala Lumpur und Jakarta ein Hauch von Tigerstimmung breit gemacht, die zweistellige Indexgewinne nach sich gezogen hat. Gewiss, es handelt sich teilweise bloss um Korrekturen zum Vorjahr. Doch die einschlägigen Indizes liegen zum Teil auch bereits wieder deutlich über dem Niveau vor Jahresfrist.
Avancen trotz Hindernissen
Die jüngste Entwicklung muss - und das macht sie um so bemerkenswerter - auch vor dem Hintergrund unvorteilhafter Ereignisse gesehen werden. Die Region wird zumindest am Rande mit der islamistischen Terrorszene in Verbindung gebracht. Zudem sind Korruption und Vetternwirtschaft in Thailand, auf den Philippinen, in Indonesien und Malaysia aus dem Alltag nicht wegzudenken. Dann kam mit dem Enron-Fall die Erkenntnis das man selbst schönen Geschäftsberichten nicht trauen kann und wenig transparenten asiatischen Konzernen wohl noch weniger. Schliesslich platzte im Februar die Nachricht herein, dass der kalifornische Verwalter von Pensionsgeldern, Calpers, aus politischen und wirtschaftlichen Gründen seine Milliardeninvestition in Entwicklungs- und Schwellenländern überprüft und sich aus Südostasien zurückzieht.
Und trotzdem waren die Antriebskräfte stärker. Bangkok hat sich von der Schocknachricht, die zunächst einen Einbruch um 3,9% nach sich gezogen hat, bestens erholt und liegt mit 386 Punkten bereits um 25% über dem Stand zu Jahresbeginn. Auf den Philippinen spurtete der Composite-Index um 21% nach vorne und steht nun bei 1417,75 Punkten. In Indonesien legten die Papiere im Durchschnitt um 23% zu, und für einmal wird dieser Gewinn auch nicht durch Währungsverluste geschmälert weil sich die Rupiah gegenüber dem US-Dollar bei rund 10 000 Rp. halten kann. Diese drei Länder liegen mit ihren Avancen nur wenig hinter dem absoluten Renner in Asien, Seoul, zurück, wo seit dem Tiefstand im September 2001 Energien freigesetzt worden sind, die den Kospi fast verdoppelt haben. Auch Kuala Lumpur, wo ein Währungsrisiko fast völlig ausgeschlossen werden kann, hat Aufwind: Getragen von hoher Liquidität, verbesserten Ratings und Berichten über eine konjunkturelle Belebung, zog der Index Mitte März über die psychologische Marke von 750 Zählen hinaus und verzeichnet zurzeit einen Gewinn (seit Januar) von 8%.
Verschiedene Gründe
Das gute Abschneiden kann auf verschiedene Gründe zurückgeführt werden. Allgemein gilt offenbar, dass nach den massiven Korrekturen im letzten Jahr die südostasiatischen Märkte praktisch ausverkauft waren und die Risiken eines weiteren Absinkens zusehends schwanden. Das im Vergleich auffallend schwache Abschneiden Hongkongs, wo das Wachstumspotenzial begrenzt scheint, eine hohe Zinssensibilität herrscht und praktisch nur festlandorientierte Titel angezogen haben, legt zudem den Schluss nahe, dass Kapital in den Süden umgelagert worden ist. Man muss sich dabei auch der Grössenrelationen bewusst sein: Die Börsenkapitalisierung Hongkongs ist zweieinhalbmal höher als das Gewicht aller vier Emerging Markets zusammen. Zur Erklärung des erwachten Interesses an den kleinen Exoten kann argumentiert werden, dass in der stark exportorientierten Region den Zeichen einer Belebung in den USA mehr Bedeutung beigemessen wird als dem Risiko einer geldpolitischen Trendwende des Fed. Bezeichnend ist auch, dass Merrill Lynch in einer kürzlich veröffentlichten Umfrage unter Fondsmanagern eine Verlagerung des Interesses von amerikanischen und britischen Titeln hin zu asiatischen Papieren feststellt.
Dazu kommen länderspezifische Eigenheiten. In Thailand etwa herrschte bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von unter 10 alleine schon rechnerisch Raum für eine Korrektur nach oben. Der erfolgreiche Börsengang des staatlichen Erdöl- und Treibstoffkonglomerats PTT Plc im November scheint zudem stimmungsmässig zum Umschwung beigetragen zu haben. Auf den Philippinen kann auf ein relativ stabiles Wachstum bei stark rückläufiger Inflation und entsprechend stetig nach unten korrigierten Leitzinsen verwiesen werden. Auch das forsche militärische Engagement der USA im Süden und Norden des Landes weckt offenbar Vertrauen. Dass das mitunter als «Bananenrepublik» unterschätzte Land wieder höher im Kurs steht, ist an der erfolgreichen Placierung von Bundestiteln im Umfang von 1 Mrd. US-$ zu sehen, die eine dreifache Nachfrage auf sich gezogen hat und nur mit einem Aufpreis von 3,44 Prozentpunkten über vergleichbaren US- Schatztiteln versehen werden musste. In Indonesien fallen gegenwärtig zwei Sachverhalte auf: Die Regierung scheint entschlossener, Korruptionsfällen auf die Spur zu kommen, was in diesen Tagen durch zahlreiche Verhaftungen zum Ausdruck gekommen ist. Mit dem Verkauf der Bank Central Asia an ein US-Investmenthaus ist zudem ein Signal gesetzt worden, dass - selektiv - in Indonesien durchaus investiert werden kann.
nzz-online