Dein Vertrauen in meine Lesegewohnheiten ehrt mich fast so sehr wie dein Vorschlag, erst das Goethe-Institut und dann den MPH-Geschäftsbericht zu studieren. Vielleicht gibt es ja bald einen Kurs „Geschäftsbericht-Interpretation für Fortgeschrittene mit literarischem Schwerpunkt“?
Keine Sorge, ich habe tatsächlich schon mehr als nur das Inhaltsverzeichnis eines MPH-Geschäftsberichts gesehen und sogar die Fußnoten gelesen. Denn wie du selbst sagst: Zuerst kommt das Textverständnis, dann die Zahlen. Und genau da lohnt sich ein zweiter Blick:
Jahresüberschuss nach IFRS:
32 Mio. € klingen solide – aber wie viel davon stammt aus nachhaltigem operativem Geschäft und wie viel aus Bewertungs- oder Sondereffekten, gerade nach dem Absturz der Immobilienbeteiligung CR Capital Real Estate?
EBIT-Steigerung:
9,1% mehr EBIT ist schön, aber wie viel davon bleibt übrig, wenn Beteiligungen wie CR Capital Real Estate plötzlich ins Straucheln geraten?
Eigenkapitalquote:
95,5% sieht beeindruckend aus solange die zugrundeliegenden Bewertungen nicht durch Marktverwerfungen (Stichwort: Immobilienkrise) relativiert werden.
Net Asset Value (NAV):
60 € je Aktie klingt nach Reichtum, aber der Börsenkurs liegt bei etwa 20–25 €. Das ist kein Geschenk, sondern ein Ausdruck von Marktskepsis gegenüber den bilanzierten Werten.
Zwischen Dichtung und Wahrheit
Du zitierst die Highlights, aber im Geschäftsbericht stehen auch die Risiken: Wertberichtigungen, Abschreibungsbedarf, Unsicherheiten bei der Werthaltigkeit der Beteiligungen gerade nach der Insolvenz von CR Capital Real Estate. Ein hoher Discount zum NAV ist nicht automatisch ein Schnäppchen, sondern oft ein Risikoaufschlag, den der Markt für Unsicherheiten verlangt.
Oder, um im Goethe-Stil zu bleiben:
„Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“
Vielleicht sollte MPH tatsächlich mal das Goethe-Institut konsultieren aber weniger für die Aktionäre, mehr für die Bilanzautoren: Denn manchmal klingt der Geschäftsbericht wie ein literarisches Werk schön formuliert, aber mit offenem Ende.
Und wer den 50%-Discount als Hauptargument bringt, sollte nicht vergessen:
„Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen –
Doch jedem recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.“ (frei nach Goethe)
Ich bleibe lieber bei kritischer Analyse und prüfe, ob hinter den Zahlen auch Substanz steckt und nicht nur dichterische Freiheit. In diesem Sinne: Viel Spaß beim Dichten ich bleibe beim Rechnen!