"Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen", lautet eine beliebte Politiker-Phrase im Wahlkampf. SPIEGEL ONLINE ist schon mal losgelaufen und besuchte Wähler und Nichtwähler dort, wo sie jeden Tag stehen.
WAHLENTSCHEIDUNG IN ELTE
Schwarz in schwarz: Merz und Stoiber
In der heißen Phase können Details entscheiden. Und seien sie noch so klein, wie ein Dorf im Münsterland. Für die Union war es ein schwarzes Wochenende, denn von Elte ging ein Ruck aus.
Elte - Die Wahl wurde in Elte entschieden. Denn "Wahlkampf ist ein Marathon", weiß Sportsfreund Gerhard Schröder und erzählte deshalb immer gerne, als er in den Umfragen noch weit hinterherhechelte: "Da ist nicht entscheidend, wer als erster losläuft, sondern wer als erster durch's Ziel geht". Wir haben nachgeguckt.
Bei der Deutschen Meisterschaft im 100-Kilometer-Lauf am Wochenende im hübschen Dorf Elte (Nordrhein-Westfalen) war das zu besichtigen. Und wenn es stimmt, was dauernd zu lesen ist, dass die Wahl in NRW entschieden wird, dann ist dort an diesem Wochenende die Vorentscheidung gefallen. So viel Symbolik kann kein Zufall sein, diese Dramaturgie keine Kampa-Idee sein.
Ausgehend von Elte zog sich an diesem Wochenende eine schwarze Pannenserie durch das bevölkerungsstärkste Bundesland. Edmund Stoiber stolperte in Düsseldorf in seine heiße Phase, Fraktionschef Friedrich Merz spielte bei der Jungen Union in Rheine den Berufsjugendlichen und Helmut Kohl stand in Kleve vor Gericht. Und was machte die SPD? Nichts. Nicht mal einen Fehler.
Nicht ohne meinen Anwalt: Kohl
Aber der Reihe nach: Obwohl man sich wundert, dass es überhaupt Menschen gibt, die freiwillig 100.000 Meter durch einen Wald rennen, kam es in Elte zum entscheidenden Showdown zwischen dem Bayern und dem Niedersachsen.
Der Bayer, mit Doktortitel und der ältere von beiden, führte auf halber Strecke bereits mit einem satten Vorsprung von über acht Minuten gegenüber dem Niedersachsen. Dann kam der Regen. Und Runde um Runde schmolz der Abstand. Bei Kilometer 86 schließlich zog der Taktiker dann an dem Spurter vorbei, der das Rennen zu schnell angegangen war, und brachte seinen Vorsprung sicher ins Ziel. Volker Krajenski aus Niedersachsen wurde Deutscher Meister vor dem Oberarzt Dr. Thomas Miksch aus Bayern. Krajenski sagte danach erschöpft: "Damit habe ich so nicht gerechnet." Miksch erklärte: "Ich habe gekämpft, bin aber ein guter Verlierer. Und fahre direkt zurück nach Bayern". Die Dopingprobe war bei beiden negativ.
Von Elte aus ging ein Ruck durchs Bundesland. Sieben Kilometer entfernt von dem bisher nur durch ausschweifende Schützenfeste bekanntem Dorfe hatte die Junge Union NRW in Rheine zur Hauptversammlung getrommelt. Als Stargast hatten sie den jungen wilden und als Mofa-Rocker im Sauerland nur schwer zu bändigenden Friedrich Merz geladen. Mit 22 Jahren ist Jens Spahn als einer der jüngsten Direktkandidaten der Union im Wahlkreis Steinfurt/Borken I am Start. Und Merz sagte vor den 330 Delegierten wieder diesen magischen Satz: "Die Wahl wird in NRW entschieden." Da konnte er noch nicht wissen, dass sie bereits in Elte gelaufen war. Und weil sie gerade so jung und frei am "Münsterländer Abend" beieinander hockten, übten sich die Jungunionisten in lustigen Wortspielen, die daneben gingen, wie der Einsatz von "Geier Sturzflug" beim Playback-Auftritt unweit der JU-Versammlung.
MOFA-MERZ BEI DER JUNGEN UNION
Mofa-Merz frisierte seine Rede mit Wortneuschöpfungen der Marke "Sauerland-Humor". Unter dem unsittlichen Gejohle der angehenden Rechtsanwälte und Beamten scholt er den "Deichgrafen" und "Medienkasper". Und das Schenkelklopfen nahm kein Ende, die Krawatten wippten vor Kichern über das frische Motto der JU-NRW: "Politik ist wie Sex - bloß drüber reden bringt nichts." Da Stoiber vor allem bei Frauen hinten liegt konterte die lokale SPD in dem Zusammenhang genüsslich mit dem Unions-Bundesslogan: "Zeit für Taten!"
Tatkräftig griff nur einige Kilometer weiter griff auch Helmut Kohl ein, denn, man ahnt es: "Die Wahl wird in NRW entschieden." Er schwelgte wortreich in Erinnerungen über Mitterand, Wiedervereinigung und zitierte Thomas Mann. Warum Kohl in Kleve überhaupt auftrat, wird deutlich, wenn man weiß, wer dort als CDU-Direktkandidat antritt. Richtig nötig ist Wahlkampf dort eigentlich nicht, am Niederrhein herrschen, politisch gesehen, bayerische Verhältnisse. Der Wahlkreis ist so schwarz, dort würde selbst ein Strohpuppe das Direktmandat erobern, vorausgesetzt sie hat das richtige Parteibuch.
"Willkommen vor Gericht"
Dass Kohl dem Bewerber Ronald Pofalla seine Aufwartung machte, hat mit dessen Beruf zu tun. Der Mann ist Jurist und arbeitet in der Kanzlei Holthoff-Pförtner. Das ist die Kanzlei, die Kohl in der Spendenaffäre verteidigte. Der Rheinländer Adenauer sagte in solchen Fällen: Man kennt sich, man hilft sich. Vor diesem Hintergrund war der Hintergrund des Kohl-Auftritts in Kleve ein weiteres PR-Desaster. Die Bühne stand vor der Schwanenburg in deren Gemäuer heute Prozesse geführt werden. "Willkommen vor Gericht, Herr Dr. Kohl" lautete die schlichte, aber wirksame Parole auf dem Plakat des Häufleins Jungsozialisten. Sie hatten die Lacher auf ihrer Seite, Kohl seinen Anwalt.
Gepaart mit der finalen Stolperattacke Stoibers am Sonntagabend in der NRW-Landeshauptstadt war das im wahlentscheidenden Bundesland ein Marketing-Misserfolgs-Serie für die Union. SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement bewahrte ruhige Hand brauchte nur zuschauen: Auf der Tribüne beim Spiel Rot Weiss Essen gegen Bayer Leverkusen. Entscheidend ist eben auf'm Platz. Der Wendepunkt im Richtungs-Wahlkampf 2002, merken Sie sich diesen Namen, geht in die Geschichte ein: Elte.
© SPIEGEL ONLINE 2002
WAHLENTSCHEIDUNG IN ELTE
Schwarz in schwarz: Merz und Stoiber
In der heißen Phase können Details entscheiden. Und seien sie noch so klein, wie ein Dorf im Münsterland. Für die Union war es ein schwarzes Wochenende, denn von Elte ging ein Ruck aus.
Elte - Die Wahl wurde in Elte entschieden. Denn "Wahlkampf ist ein Marathon", weiß Sportsfreund Gerhard Schröder und erzählte deshalb immer gerne, als er in den Umfragen noch weit hinterherhechelte: "Da ist nicht entscheidend, wer als erster losläuft, sondern wer als erster durch's Ziel geht". Wir haben nachgeguckt.
Bei der Deutschen Meisterschaft im 100-Kilometer-Lauf am Wochenende im hübschen Dorf Elte (Nordrhein-Westfalen) war das zu besichtigen. Und wenn es stimmt, was dauernd zu lesen ist, dass die Wahl in NRW entschieden wird, dann ist dort an diesem Wochenende die Vorentscheidung gefallen. So viel Symbolik kann kein Zufall sein, diese Dramaturgie keine Kampa-Idee sein.
Ausgehend von Elte zog sich an diesem Wochenende eine schwarze Pannenserie durch das bevölkerungsstärkste Bundesland. Edmund Stoiber stolperte in Düsseldorf in seine heiße Phase, Fraktionschef Friedrich Merz spielte bei der Jungen Union in Rheine den Berufsjugendlichen und Helmut Kohl stand in Kleve vor Gericht. Und was machte die SPD? Nichts. Nicht mal einen Fehler.
Nicht ohne meinen Anwalt: Kohl
Aber der Reihe nach: Obwohl man sich wundert, dass es überhaupt Menschen gibt, die freiwillig 100.000 Meter durch einen Wald rennen, kam es in Elte zum entscheidenden Showdown zwischen dem Bayern und dem Niedersachsen.
Der Bayer, mit Doktortitel und der ältere von beiden, führte auf halber Strecke bereits mit einem satten Vorsprung von über acht Minuten gegenüber dem Niedersachsen. Dann kam der Regen. Und Runde um Runde schmolz der Abstand. Bei Kilometer 86 schließlich zog der Taktiker dann an dem Spurter vorbei, der das Rennen zu schnell angegangen war, und brachte seinen Vorsprung sicher ins Ziel. Volker Krajenski aus Niedersachsen wurde Deutscher Meister vor dem Oberarzt Dr. Thomas Miksch aus Bayern. Krajenski sagte danach erschöpft: "Damit habe ich so nicht gerechnet." Miksch erklärte: "Ich habe gekämpft, bin aber ein guter Verlierer. Und fahre direkt zurück nach Bayern". Die Dopingprobe war bei beiden negativ.
Von Elte aus ging ein Ruck durchs Bundesland. Sieben Kilometer entfernt von dem bisher nur durch ausschweifende Schützenfeste bekanntem Dorfe hatte die Junge Union NRW in Rheine zur Hauptversammlung getrommelt. Als Stargast hatten sie den jungen wilden und als Mofa-Rocker im Sauerland nur schwer zu bändigenden Friedrich Merz geladen. Mit 22 Jahren ist Jens Spahn als einer der jüngsten Direktkandidaten der Union im Wahlkreis Steinfurt/Borken I am Start. Und Merz sagte vor den 330 Delegierten wieder diesen magischen Satz: "Die Wahl wird in NRW entschieden." Da konnte er noch nicht wissen, dass sie bereits in Elte gelaufen war. Und weil sie gerade so jung und frei am "Münsterländer Abend" beieinander hockten, übten sich die Jungunionisten in lustigen Wortspielen, die daneben gingen, wie der Einsatz von "Geier Sturzflug" beim Playback-Auftritt unweit der JU-Versammlung.
MOFA-MERZ BEI DER JUNGEN UNION
Mofa-Merz frisierte seine Rede mit Wortneuschöpfungen der Marke "Sauerland-Humor". Unter dem unsittlichen Gejohle der angehenden Rechtsanwälte und Beamten scholt er den "Deichgrafen" und "Medienkasper". Und das Schenkelklopfen nahm kein Ende, die Krawatten wippten vor Kichern über das frische Motto der JU-NRW: "Politik ist wie Sex - bloß drüber reden bringt nichts." Da Stoiber vor allem bei Frauen hinten liegt konterte die lokale SPD in dem Zusammenhang genüsslich mit dem Unions-Bundesslogan: "Zeit für Taten!"
Tatkräftig griff nur einige Kilometer weiter griff auch Helmut Kohl ein, denn, man ahnt es: "Die Wahl wird in NRW entschieden." Er schwelgte wortreich in Erinnerungen über Mitterand, Wiedervereinigung und zitierte Thomas Mann. Warum Kohl in Kleve überhaupt auftrat, wird deutlich, wenn man weiß, wer dort als CDU-Direktkandidat antritt. Richtig nötig ist Wahlkampf dort eigentlich nicht, am Niederrhein herrschen, politisch gesehen, bayerische Verhältnisse. Der Wahlkreis ist so schwarz, dort würde selbst ein Strohpuppe das Direktmandat erobern, vorausgesetzt sie hat das richtige Parteibuch.
"Willkommen vor Gericht"
Dass Kohl dem Bewerber Ronald Pofalla seine Aufwartung machte, hat mit dessen Beruf zu tun. Der Mann ist Jurist und arbeitet in der Kanzlei Holthoff-Pförtner. Das ist die Kanzlei, die Kohl in der Spendenaffäre verteidigte. Der Rheinländer Adenauer sagte in solchen Fällen: Man kennt sich, man hilft sich. Vor diesem Hintergrund war der Hintergrund des Kohl-Auftritts in Kleve ein weiteres PR-Desaster. Die Bühne stand vor der Schwanenburg in deren Gemäuer heute Prozesse geführt werden. "Willkommen vor Gericht, Herr Dr. Kohl" lautete die schlichte, aber wirksame Parole auf dem Plakat des Häufleins Jungsozialisten. Sie hatten die Lacher auf ihrer Seite, Kohl seinen Anwalt.
Gepaart mit der finalen Stolperattacke Stoibers am Sonntagabend in der NRW-Landeshauptstadt war das im wahlentscheidenden Bundesland ein Marketing-Misserfolgs-Serie für die Union. SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement bewahrte ruhige Hand brauchte nur zuschauen: Auf der Tribüne beim Spiel Rot Weiss Essen gegen Bayer Leverkusen. Entscheidend ist eben auf'm Platz. Der Wendepunkt im Richtungs-Wahlkampf 2002, merken Sie sich diesen Namen, geht in die Geschichte ein: Elte.
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