Das Pop-Geschäft ist gelegentlich schmutzig,
oder: Warum die Retorten-Band Bro'Sis jede
Form von Mitleid redlich verdient hat
Von Stefan Krulle
Der einen war die Hose schon kaputtgegangen, gleich am
Anfang, wir glauben, es war Hila. Ein Bein war nackt, das
andere nicht. Wir hätten so eine Jeans in die
Altkleidersammlung gegeben, aber vorsichtshalber werden
wir noch mal durch alle Modehäuser streifen, womöglich
gibt es so was jetzt zu kaufen. Trotz der Hose, ob sie nun
kaputt war oder nicht, hat die Frau übrigens gesungen und
getanzt und sich nicht geschämt. Vor ihr standen knapp
4000 Menschen, die wegen des Singens gekommen waren.
Nicht wegen der Hose.
Die Frau hat schon viel durchgemacht in ihrem
achtzehneinhalb Jahre währenden Leben. Wahrscheinlich
kommt es ihr inzwischen so vor, als habe knapp die Hälfte
davon vor laufender Kamera stattgefunden. Was aber gar
nicht stimmt. Ein paar Wochen indes stand diese Hila,
zuerst mit hundert anderen, dann mit immer weniger
Verbleibenden, tatsächlich unter Beobachtung. Auf RTL 2
wollten sie zu Popstars werden, wie vor ihnen die No
Angels.
So zufällig und überraschend wie Michael Schumacher in
Monza trudelten schließlich sechs Kandidaten über die
Ziellinie, die neun Sekunden später zu dicken
unzertrennlichen Freunden geworden waren. O tempora, o
mores! Pop kann, wir wollen das hier mal völlig unverblümt
sagen, ein mieses Drecksgeschäft sein. Hila und die
anderen fünf, also Giovanni und Shaham, Faiz, Ross und
Indira, haben im Grunde in der Lotterie gewonnen und
gucken nun dumm aus der Wäsche, weil ihnen der
Geldbote sagt, es gebe da draußen im Land so Leute, naja,
die meisten noch verteufelt jung, die hätten das alles
irgendwie geglaubt mit dem Singen und den anderen
Sachen, und, tja, nun müsse man halt da raus und sich der
Meute stellen. Was überhaupt nicht lustig ist, wenigstens
nicht für die sechs Eleven.
"Heaven must be missing an Angel", singen sie nun unter
dem Zelt im Stadtpark, der Rasen vorn liegt voller kleiner
Teddybären, wer pickt die bloß alle wieder auf und entsorgt
die Dinger? Wir wissen ja nicht so genau, was der Himmel
wohl vermisst, aber solche Lieder können es kaum sein.
Auch wenn die sechs, welche, bevor wir es vergessen, als
Bro'Sis an- und auftreten, aufs immer neue den ganz und
gar kläglichen Versuch machen, sich zu unentbehrlichen
Galionsfiguren einer zeitgeistigen Popkultur zu erklären.
Der Denn-sie-wissen-nicht-was-sie-tun-Bonus hilft ihnen ein
bisschen. Mit dem im Rücken singen sie nun Lieder, die
auch Barry White hätte singen können. Bloß völlig anders
eben, so dass man irgendwann das Licht ausknipst und
nach den Laken tastet.
Hier aber ist - neben den Kindergärten auf
Donnerstagsfahrt - ein anderer Schlag Leute gekommen,
hier wird man von pickligen Damen Mitte 20 zur Seite
geschoben, "Ich war zuerst hier!". Auf Parzelle 1407 der
Stadtparkwiese??? Danach pfeifen sie einem auf zwei
Fingern vor lauter Begeisterung ins Ohr und juchzen schrill,
weil Shaham oder Faiz oder Ross oder Giovanni in
orangefarbenem Dress über die Bühne purzelt, ohne auf
der Gehaltsliste der Müllabfuhr zu stehen. Weil die ganze
Aufregung hinter uns nicht wirklich auszuhalten ist,
bewegen wir uns langsam nach ganz vorn. Und zehn Meter
vor der Bühne wünschen wir uns dringlich, dass
Jugendschutz doch bitte ab und zu auch Lärmschutz
heißen sollte. Bro'Sis wirft seinen Retortenpop derart
grauenhaft überrissen verstärkt ins grüne Rund, dass die
Kids ganz vorn wohl schon vor der Hochschulreife Kunden
beim Hörgeräte-Akustiker werde. Superidee.
Und während wir noch so ins Blaue grübeln, hat die "Band"
längst die Mangelverwaltung angetreten. Man hüpft herum,
tut als sänge man, klettert über Bühnen-Deko ans Licht,
behauptet ergo eine Show, wo nichts als Leere und
Langeweile ist. Ein DJ überbrückt peinliche Pausen, die
Sänger lösen den peinlichen DJ ab, gäbe es im Juni
nachmittags Dunkelheit, könnte nun ein bisschen Licht die
peinlichen Sänger erlösen. Shaham krault sich am bloßen
Nabel und wird damit zum Darling der elfjährigen Mädels.
Die Mittzwanzigerin hinter uns singt hingegen jede Silbe in
der falschen Tonart mit und pfeift auch wieder.
Am Ende wissen Bro'Sis nicht mehr aus noch ein und
annoncieren Rock'n'Roll. Nach "We will rock you", "Living on
a Prayer" und Europes "Final Countdown" sind wir
zufrieden, kein Rockfan hat diese Schmonzetten je
gemocht, also sind sie ohnehin zur Exekution freigegeben.
Als der Gitarrist Hendrix zu spielen sucht, suchen wir das
Weite. Bevor wieder irgendwer singt.
www.welt.de
:o) Bizzi
www.tetsche.de/kalau/kalau-bilder/...ic=rabe&datum=1022623200" style="max-width:560px" >
oder: Warum die Retorten-Band Bro'Sis jede
Form von Mitleid redlich verdient hat
Von Stefan Krulle
Der einen war die Hose schon kaputtgegangen, gleich am
Anfang, wir glauben, es war Hila. Ein Bein war nackt, das
andere nicht. Wir hätten so eine Jeans in die
Altkleidersammlung gegeben, aber vorsichtshalber werden
wir noch mal durch alle Modehäuser streifen, womöglich
gibt es so was jetzt zu kaufen. Trotz der Hose, ob sie nun
kaputt war oder nicht, hat die Frau übrigens gesungen und
getanzt und sich nicht geschämt. Vor ihr standen knapp
4000 Menschen, die wegen des Singens gekommen waren.
Nicht wegen der Hose.
Die Frau hat schon viel durchgemacht in ihrem
achtzehneinhalb Jahre währenden Leben. Wahrscheinlich
kommt es ihr inzwischen so vor, als habe knapp die Hälfte
davon vor laufender Kamera stattgefunden. Was aber gar
nicht stimmt. Ein paar Wochen indes stand diese Hila,
zuerst mit hundert anderen, dann mit immer weniger
Verbleibenden, tatsächlich unter Beobachtung. Auf RTL 2
wollten sie zu Popstars werden, wie vor ihnen die No
Angels.
So zufällig und überraschend wie Michael Schumacher in
Monza trudelten schließlich sechs Kandidaten über die
Ziellinie, die neun Sekunden später zu dicken
unzertrennlichen Freunden geworden waren. O tempora, o
mores! Pop kann, wir wollen das hier mal völlig unverblümt
sagen, ein mieses Drecksgeschäft sein. Hila und die
anderen fünf, also Giovanni und Shaham, Faiz, Ross und
Indira, haben im Grunde in der Lotterie gewonnen und
gucken nun dumm aus der Wäsche, weil ihnen der
Geldbote sagt, es gebe da draußen im Land so Leute, naja,
die meisten noch verteufelt jung, die hätten das alles
irgendwie geglaubt mit dem Singen und den anderen
Sachen, und, tja, nun müsse man halt da raus und sich der
Meute stellen. Was überhaupt nicht lustig ist, wenigstens
nicht für die sechs Eleven.
"Heaven must be missing an Angel", singen sie nun unter
dem Zelt im Stadtpark, der Rasen vorn liegt voller kleiner
Teddybären, wer pickt die bloß alle wieder auf und entsorgt
die Dinger? Wir wissen ja nicht so genau, was der Himmel
wohl vermisst, aber solche Lieder können es kaum sein.
Auch wenn die sechs, welche, bevor wir es vergessen, als
Bro'Sis an- und auftreten, aufs immer neue den ganz und
gar kläglichen Versuch machen, sich zu unentbehrlichen
Galionsfiguren einer zeitgeistigen Popkultur zu erklären.
Der Denn-sie-wissen-nicht-was-sie-tun-Bonus hilft ihnen ein
bisschen. Mit dem im Rücken singen sie nun Lieder, die
auch Barry White hätte singen können. Bloß völlig anders
eben, so dass man irgendwann das Licht ausknipst und
nach den Laken tastet.
Hier aber ist - neben den Kindergärten auf
Donnerstagsfahrt - ein anderer Schlag Leute gekommen,
hier wird man von pickligen Damen Mitte 20 zur Seite
geschoben, "Ich war zuerst hier!". Auf Parzelle 1407 der
Stadtparkwiese??? Danach pfeifen sie einem auf zwei
Fingern vor lauter Begeisterung ins Ohr und juchzen schrill,
weil Shaham oder Faiz oder Ross oder Giovanni in
orangefarbenem Dress über die Bühne purzelt, ohne auf
der Gehaltsliste der Müllabfuhr zu stehen. Weil die ganze
Aufregung hinter uns nicht wirklich auszuhalten ist,
bewegen wir uns langsam nach ganz vorn. Und zehn Meter
vor der Bühne wünschen wir uns dringlich, dass
Jugendschutz doch bitte ab und zu auch Lärmschutz
heißen sollte. Bro'Sis wirft seinen Retortenpop derart
grauenhaft überrissen verstärkt ins grüne Rund, dass die
Kids ganz vorn wohl schon vor der Hochschulreife Kunden
beim Hörgeräte-Akustiker werde. Superidee.
Und während wir noch so ins Blaue grübeln, hat die "Band"
längst die Mangelverwaltung angetreten. Man hüpft herum,
tut als sänge man, klettert über Bühnen-Deko ans Licht,
behauptet ergo eine Show, wo nichts als Leere und
Langeweile ist. Ein DJ überbrückt peinliche Pausen, die
Sänger lösen den peinlichen DJ ab, gäbe es im Juni
nachmittags Dunkelheit, könnte nun ein bisschen Licht die
peinlichen Sänger erlösen. Shaham krault sich am bloßen
Nabel und wird damit zum Darling der elfjährigen Mädels.
Die Mittzwanzigerin hinter uns singt hingegen jede Silbe in
der falschen Tonart mit und pfeift auch wieder.
Am Ende wissen Bro'Sis nicht mehr aus noch ein und
annoncieren Rock'n'Roll. Nach "We will rock you", "Living on
a Prayer" und Europes "Final Countdown" sind wir
zufrieden, kein Rockfan hat diese Schmonzetten je
gemocht, also sind sie ohnehin zur Exekution freigegeben.
Als der Gitarrist Hendrix zu spielen sucht, suchen wir das
Weite. Bevor wieder irgendwer singt.
www.welt.de
:o) Bizzi
www.tetsche.de/kalau/kalau-bilder/...ic=rabe&datum=1022623200" style="max-width:560px" >