Mit der Wahrheit muss man rechnen
ANALYSE / Krisengerede in Deutschland. Viele Bürger warten auf den neuen Bismarck, der die soziale Sicherung wetterfest macht
BERLIN. Die Deutschen sind besser als ihr Ruf. Trotz des Krisengeredes ist die wirtschaftliche Leistung zwischen Flensburg und Passau im vergangenen und in diesem Jahr um satte 85 Mrd E gestiegen.
Diese 85 Mrd E sind keine Kleinigkeit, Siemens und Daimler Chrysler brauchen jeweils rund 400 000 hochproduktive Beschäftige, um einen entsprechenden Umsatz zu erwirtschaften.
Am Ende des laufenden Jahres werden die 38 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland Güter und Dienstleistungen im Gegenwert von 2,115 Billionen E geschaffen haben - 1998 waren es noch 1,929 Billionen E.
Noch immer erfolgreiche Wirtschaftsnation
Wer in diesen Tagen dem Kanzler und seinem Finanzminister begegnet, hat nicht das Gefühl Politiker vor sich zu sehen, die eine - trotz mancher Schwächen - noch immer erfolgreiche Wirtschaftsnation führen. Weder Gerhard Schröder noch Hans Eichel vermitteln den Eindruck, zu wissen, was sie tun und - was schlimmer ist - zu wissen, wohin sie wollen. Sie reden unentwegt von neuen Milliarden-Defiziten, sie präsentieren in atemverschlagendem Tempo Vorschläge, um die Löcher zu stopfen und merken meistens erst zu spät, dass sie Unsinn erzählt haben und korrigieren sich erneut.
Weder der eine, noch der andere ist bisher zu einer schonungslosen Analyse bereit gewesen. Ein schlichter Blick in die volkswirtschaftliche Steuerstatistik würde ihnen helfen, die Lage zu erfassen.
Im Jahre 2000 haben die Deutschen insgesamt 467 Mrd beim Fiskus abgeliefert, von jedem Euro waren das exakt 23 Cent. Bis zum 31. Dezember 2002 werden wir nur 439 Mrd in die Eichel´sche Kasse einzahlen. Das sind 27 Mrd weniger als vor 2 Jahren oder anders ausgedrückt: nur noch knapp 21 Cent pro Euro.
Die Steuerquote, darauf lohnt sich hinzuweisen, liegt inzwischen wieder so niedrig wie 1960. Wenn man berücksichtigt, dass die umstrittene Ökosteuer in diesen Einnahmen mit rund 14 Mrd enthalten ist - die ja an anderer Stelle die Rentenkasse entlastet - , zahlen die Deutschen in diesem Jahr insgesamt mindestens 50 Mrd weniger in die Steuerkasse als noch vor 2 Jahren.
Hatten uns die Politiker nicht Steuersenkungen versprochen? Offenbar haben sie in diesem Punkt wirklich Wort gehalten. Sie haben sowohl die Privathaushalte als auch die Unternehmen entlastet. Der Durchschnittsverdiener mit 2 Kindern zahlt heute erst dann den ersten Euro an Steuern, wenn er mehr als 18 500 E pro Jahr verdient, seine Steuersätze sind gesunken. Die Unternehmen haben von der Steuerreform ebenfalls erheblich profitiert, die Wohltaten für sie machen rund ein Drittel der Mindereinnahmen des Staates aus.
Unehrlich sind die Politiker dennoch gewesen. Sie haben massive Steuersenkungen durchgesetzt, aber vergessen, in gleichem Umfang ihre Ausgaben zurückzuführen. Sie haben darauf gesetzt, dass das wirtschaftliche Wachstum stärker ausfällt, als es war und hatten gehofft, dass über die schleichende Progression am Ende mehr Geld in Kasse kommt - im Kern wollten sie die Steuerquote offenbar nie senken. Sie haben geglaubt, dass die Bürger das nicht merken und sie so weiter machen können, wie bisher.
Weder Schröder noch Eichel werden darauf verzichten können, den Bürgern die volle Wahrheit zu erzählen. Dazu gehört, dass der Staat künftig nicht mehr alles machen kann, was er heute veranstaltet.
Je eher sie eine offene Debatte darüber führen, können sie verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Sie werden übrigens feststellen, dass die Bürger das längst ahnen, wenn nicht sogar wissen.
Bei dieser Gelegenheit müssen sie die überfällige Debatte um die notwendigen grundlegenden Reformen in den Systemen der sozialen Sicherung gleich mit führen. Auch da sind die Bürger weiter als die politische Klasse. Sie warten auf den neuen Bismarck, der die soziale Sicherung auch in Zeiten der Globalisierung wetterfest macht. (NRZ)
von JÜRGEN ZURHEIDE
www.nrz.de/nrz/...rik=Wirtschaft&kategorie=WIR®ion=National
ANALYSE / Krisengerede in Deutschland. Viele Bürger warten auf den neuen Bismarck, der die soziale Sicherung wetterfest macht
BERLIN. Die Deutschen sind besser als ihr Ruf. Trotz des Krisengeredes ist die wirtschaftliche Leistung zwischen Flensburg und Passau im vergangenen und in diesem Jahr um satte 85 Mrd E gestiegen.
Diese 85 Mrd E sind keine Kleinigkeit, Siemens und Daimler Chrysler brauchen jeweils rund 400 000 hochproduktive Beschäftige, um einen entsprechenden Umsatz zu erwirtschaften.
Am Ende des laufenden Jahres werden die 38 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland Güter und Dienstleistungen im Gegenwert von 2,115 Billionen E geschaffen haben - 1998 waren es noch 1,929 Billionen E.
Noch immer erfolgreiche Wirtschaftsnation
Wer in diesen Tagen dem Kanzler und seinem Finanzminister begegnet, hat nicht das Gefühl Politiker vor sich zu sehen, die eine - trotz mancher Schwächen - noch immer erfolgreiche Wirtschaftsnation führen. Weder Gerhard Schröder noch Hans Eichel vermitteln den Eindruck, zu wissen, was sie tun und - was schlimmer ist - zu wissen, wohin sie wollen. Sie reden unentwegt von neuen Milliarden-Defiziten, sie präsentieren in atemverschlagendem Tempo Vorschläge, um die Löcher zu stopfen und merken meistens erst zu spät, dass sie Unsinn erzählt haben und korrigieren sich erneut.
Weder der eine, noch der andere ist bisher zu einer schonungslosen Analyse bereit gewesen. Ein schlichter Blick in die volkswirtschaftliche Steuerstatistik würde ihnen helfen, die Lage zu erfassen.
Im Jahre 2000 haben die Deutschen insgesamt 467 Mrd beim Fiskus abgeliefert, von jedem Euro waren das exakt 23 Cent. Bis zum 31. Dezember 2002 werden wir nur 439 Mrd in die Eichel´sche Kasse einzahlen. Das sind 27 Mrd weniger als vor 2 Jahren oder anders ausgedrückt: nur noch knapp 21 Cent pro Euro.
Die Steuerquote, darauf lohnt sich hinzuweisen, liegt inzwischen wieder so niedrig wie 1960. Wenn man berücksichtigt, dass die umstrittene Ökosteuer in diesen Einnahmen mit rund 14 Mrd enthalten ist - die ja an anderer Stelle die Rentenkasse entlastet - , zahlen die Deutschen in diesem Jahr insgesamt mindestens 50 Mrd weniger in die Steuerkasse als noch vor 2 Jahren.
Hatten uns die Politiker nicht Steuersenkungen versprochen? Offenbar haben sie in diesem Punkt wirklich Wort gehalten. Sie haben sowohl die Privathaushalte als auch die Unternehmen entlastet. Der Durchschnittsverdiener mit 2 Kindern zahlt heute erst dann den ersten Euro an Steuern, wenn er mehr als 18 500 E pro Jahr verdient, seine Steuersätze sind gesunken. Die Unternehmen haben von der Steuerreform ebenfalls erheblich profitiert, die Wohltaten für sie machen rund ein Drittel der Mindereinnahmen des Staates aus.
Unehrlich sind die Politiker dennoch gewesen. Sie haben massive Steuersenkungen durchgesetzt, aber vergessen, in gleichem Umfang ihre Ausgaben zurückzuführen. Sie haben darauf gesetzt, dass das wirtschaftliche Wachstum stärker ausfällt, als es war und hatten gehofft, dass über die schleichende Progression am Ende mehr Geld in Kasse kommt - im Kern wollten sie die Steuerquote offenbar nie senken. Sie haben geglaubt, dass die Bürger das nicht merken und sie so weiter machen können, wie bisher.
Weder Schröder noch Eichel werden darauf verzichten können, den Bürgern die volle Wahrheit zu erzählen. Dazu gehört, dass der Staat künftig nicht mehr alles machen kann, was er heute veranstaltet.
Je eher sie eine offene Debatte darüber führen, können sie verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Sie werden übrigens feststellen, dass die Bürger das längst ahnen, wenn nicht sogar wissen.
Bei dieser Gelegenheit müssen sie die überfällige Debatte um die notwendigen grundlegenden Reformen in den Systemen der sozialen Sicherung gleich mit führen. Auch da sind die Bürger weiter als die politische Klasse. Sie warten auf den neuen Bismarck, der die soziale Sicherung auch in Zeiten der Globalisierung wetterfest macht. (NRZ)
von JÜRGEN ZURHEIDE
www.nrz.de/nrz/...rik=Wirtschaft&kategorie=WIR®ion=National