Wenn die EZB die Leitzinsen am Donnerstag senkt, hat sie strategisch und taktisch alles richtig gemacht.
Aus der Gefahr ist Realität geworden. Der immer noch nur drohende Krieg bremst die Weltwirtschaft. Das in Europa kaum erkennbare, kümmerliche Pflänzchen Aufschwung wird verhagelt. Der hohe Ölpreis wirkt negativ. Die Unsicherheit über die Folgen des Kriegsprojekts der amerikanischen Regierung lässt Investoren und Konsumenten noch zurückhaltender werden, als sie es ohnehin schon sind.
Da ist es nicht mehr sinnvoll, auf den Ausgang eines Krieges zu warten. Es ist an der Zeit zu handeln. Der entstandene ökonomische Schaden muss, so gut es eben geht, bekämpft und abgemildert werden. Die Europäische Zentralbank muss mit der Senkung der Leitzinsen ihren Anteil dazu leisten.
Wenn Wim Duisenberg die Zinssenkung am Donnerstag wie erwartet verkündet, haben er und seine Leute alles richtig gemacht - sogar das Timing stimmt. Genau das war bisher nicht gerade die Stärke des großen und deshalb unbeweglichen Führungsgremiums der EZB. Zinsveränderungen - nach oben und unten - kamen in der Vergangenheit oft zu spät. Dieses Mal aber stimmt alles, vorausgesetzt natürlich, der entsprechende Beschluss kommt auch zustande.
Erwarteter Aufschwung
Als die EZB vor drei Monaten den Refinanzierungssatz um einen halben Prozentpunkt auf 2,75 Prozent zurücknahm, erklärte sie deutlich wie nie zuvor, unter welchen Voraussetzungen sie dieses Zinsniveau als "angemessen" beurteilt: So sollte die Inflationsrate im ersten Halbjahr 2003 unter die von der EZB selbst gesetzte Zielmarke von zwei Prozent sinken. Zweitens hegte die Zentralbank die Erwartung, im Laufe dieses Jahres würde sich die Wirtschaft erholen. Die Wachstumsraten würden sich dem so genannten Potenzialwachstum annähern. Damit, so die damals noch berechtigte Hoffnung, könnte das "Europa der zwölf" 2004 mit einem angemessenen und doch inflationsneutralen Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent beginnen.
Als der Führung der Notenbank Anfang Februar schwante, dass ihre Wachstumserwartung unwahrscheinlicher wurde, hat sie damit nicht hinter dem Berg gehalten. In der Pressekonferenz im Anschluss an die EZB-Ratssitzung am 6. Februar drückte Duisenberg diesen Verdacht deutlich aus. Er ließ keinen Zweifel, dass die Notenbank handeln werde, wenn ihr optimistisches Szenario nicht mehr wahrscheinlich sein würde. Zwei Wochen später war es beinahe so weit. Wenige Tage nach der "stummen" EZB-Ratssitzung am 20. Februar, also einer Sitzung ohne anschließende Pressekonferenz, sagte Duisenberg im G7-Rat der Finanzminister und Notenbankgouverneure, "die Aussichten für eine Belebung auf Potenzialwachstum werden durch jüngste Daten nicht gestützt".
Deutlicher kann man kaum sagen, dass die Voraussetzungen sich geändert haben, die das bisherige Zinsniveau begründen. Presse und Volkswirte rechnen deshalb fast einhellig schon am Donnerstag mit einer Leitzinssenkung.
Zumal der erste Teil der EZB-"Prognose" vom Dezember fast wie erwartet in Erfüllung gegangen ist. Zwar blieb die Inflationsrate im Euroraum mit 2,2 Prozent im Januar und vorläufig 2,3 Prozent im Februar zunächst über dem EZB-Ziel und zeigt damit auch leicht steigende Tendenz. Die Kerninflationsrate war aber überraschend niedrig. Die um Steuern, Alkohol, Tabak und vor allem Energie bereinigte Preissteigerungsrate fiel von 2,2 Prozent im Dezember auf 1,9 Prozent im Januar.
Inflation bleibt gedämpft
Wichtiger als diese Momentaufnahme ist es, dass die Inflationstendenz wie prognostiziert nach unten weist. Auch die Steigerungsrate des breiten harmonisierten Preisindex dürfte im April unter zwei Prozent sinken. Die allgemeine Nachfrageschwäche, die in Europa das Wachstum behindert, wirkt sich an der Preisfront lehrbuchartig positiv aus - trotz steigender Ölpreise.
Die Hoffnung, dass das Wirtschaftswachstum sich 2003 spürbar beleben würde, gründete sich bei der EZB-Prognose vom Dezember auf zwei Elemente. Erstens rechneten die Volkswirte mit einer Belebung der Auslandsnachfrage und damit des Exports. Zweitens glaubten sie, dass "ein Rückgang der Inflation das real verfügbare Einkommen steigern und den privaten Verbrauch stützen dürfte".
Beide Faktoren werden nicht im erhofften Umfang wirken. Da das Wachstum in den Vereinigten Staaten auch 2003 verhaltener ausfallen wird als erhofft und der Euro gegenüber den wichtigen Außenhandelswährungen kräftig gestiegen ist, werden die Exporte Eurolands in diesem Jahr allenfalls einen mäßigen Wachstumsimpuls geben.
Die segensreiche Wirkung sinkender Inflationsraten auf die Realeinkommen bleibt zweitens wegen des starken Ölpreisanstiegs gedämpft. Gewinne und Lohneinkommen bleiben trotz mäßiger werdender Inflation hinter der Preisentwicklung zurück. Die Frage, ob steigende Ölpreise inflationär oder nachfragedämpfend wirken, kann aktuell klar beantwortet werden. Es ist das Zweite.
So ist es auch klug von der Zentralbank, mit der Zinssenkung nicht zu warten, bis das Bombardement Bagdads beginnt. Der Schaden ist längst da. Er ist groß genug, dass eine entschlossene Zinssenkung um einen halben Punkt auf dann 2,25 Prozent angemessen ist. Es wäre das niedrigste Zinsniveau in der jungen Geschichte der EZB. Eine Krisenreaktion auf Krisenzeiten.
© 2003 Financial Times Deutschland
Aus der Gefahr ist Realität geworden. Der immer noch nur drohende Krieg bremst die Weltwirtschaft. Das in Europa kaum erkennbare, kümmerliche Pflänzchen Aufschwung wird verhagelt. Der hohe Ölpreis wirkt negativ. Die Unsicherheit über die Folgen des Kriegsprojekts der amerikanischen Regierung lässt Investoren und Konsumenten noch zurückhaltender werden, als sie es ohnehin schon sind.
Da ist es nicht mehr sinnvoll, auf den Ausgang eines Krieges zu warten. Es ist an der Zeit zu handeln. Der entstandene ökonomische Schaden muss, so gut es eben geht, bekämpft und abgemildert werden. Die Europäische Zentralbank muss mit der Senkung der Leitzinsen ihren Anteil dazu leisten.
Wenn Wim Duisenberg die Zinssenkung am Donnerstag wie erwartet verkündet, haben er und seine Leute alles richtig gemacht - sogar das Timing stimmt. Genau das war bisher nicht gerade die Stärke des großen und deshalb unbeweglichen Führungsgremiums der EZB. Zinsveränderungen - nach oben und unten - kamen in der Vergangenheit oft zu spät. Dieses Mal aber stimmt alles, vorausgesetzt natürlich, der entsprechende Beschluss kommt auch zustande.
Erwarteter Aufschwung
Als die EZB vor drei Monaten den Refinanzierungssatz um einen halben Prozentpunkt auf 2,75 Prozent zurücknahm, erklärte sie deutlich wie nie zuvor, unter welchen Voraussetzungen sie dieses Zinsniveau als "angemessen" beurteilt: So sollte die Inflationsrate im ersten Halbjahr 2003 unter die von der EZB selbst gesetzte Zielmarke von zwei Prozent sinken. Zweitens hegte die Zentralbank die Erwartung, im Laufe dieses Jahres würde sich die Wirtschaft erholen. Die Wachstumsraten würden sich dem so genannten Potenzialwachstum annähern. Damit, so die damals noch berechtigte Hoffnung, könnte das "Europa der zwölf" 2004 mit einem angemessenen und doch inflationsneutralen Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent beginnen.
Als der Führung der Notenbank Anfang Februar schwante, dass ihre Wachstumserwartung unwahrscheinlicher wurde, hat sie damit nicht hinter dem Berg gehalten. In der Pressekonferenz im Anschluss an die EZB-Ratssitzung am 6. Februar drückte Duisenberg diesen Verdacht deutlich aus. Er ließ keinen Zweifel, dass die Notenbank handeln werde, wenn ihr optimistisches Szenario nicht mehr wahrscheinlich sein würde. Zwei Wochen später war es beinahe so weit. Wenige Tage nach der "stummen" EZB-Ratssitzung am 20. Februar, also einer Sitzung ohne anschließende Pressekonferenz, sagte Duisenberg im G7-Rat der Finanzminister und Notenbankgouverneure, "die Aussichten für eine Belebung auf Potenzialwachstum werden durch jüngste Daten nicht gestützt".
Deutlicher kann man kaum sagen, dass die Voraussetzungen sich geändert haben, die das bisherige Zinsniveau begründen. Presse und Volkswirte rechnen deshalb fast einhellig schon am Donnerstag mit einer Leitzinssenkung.
Zumal der erste Teil der EZB-"Prognose" vom Dezember fast wie erwartet in Erfüllung gegangen ist. Zwar blieb die Inflationsrate im Euroraum mit 2,2 Prozent im Januar und vorläufig 2,3 Prozent im Februar zunächst über dem EZB-Ziel und zeigt damit auch leicht steigende Tendenz. Die Kerninflationsrate war aber überraschend niedrig. Die um Steuern, Alkohol, Tabak und vor allem Energie bereinigte Preissteigerungsrate fiel von 2,2 Prozent im Dezember auf 1,9 Prozent im Januar.
Inflation bleibt gedämpft
Wichtiger als diese Momentaufnahme ist es, dass die Inflationstendenz wie prognostiziert nach unten weist. Auch die Steigerungsrate des breiten harmonisierten Preisindex dürfte im April unter zwei Prozent sinken. Die allgemeine Nachfrageschwäche, die in Europa das Wachstum behindert, wirkt sich an der Preisfront lehrbuchartig positiv aus - trotz steigender Ölpreise.
Die Hoffnung, dass das Wirtschaftswachstum sich 2003 spürbar beleben würde, gründete sich bei der EZB-Prognose vom Dezember auf zwei Elemente. Erstens rechneten die Volkswirte mit einer Belebung der Auslandsnachfrage und damit des Exports. Zweitens glaubten sie, dass "ein Rückgang der Inflation das real verfügbare Einkommen steigern und den privaten Verbrauch stützen dürfte".
Beide Faktoren werden nicht im erhofften Umfang wirken. Da das Wachstum in den Vereinigten Staaten auch 2003 verhaltener ausfallen wird als erhofft und der Euro gegenüber den wichtigen Außenhandelswährungen kräftig gestiegen ist, werden die Exporte Eurolands in diesem Jahr allenfalls einen mäßigen Wachstumsimpuls geben.
Die segensreiche Wirkung sinkender Inflationsraten auf die Realeinkommen bleibt zweitens wegen des starken Ölpreisanstiegs gedämpft. Gewinne und Lohneinkommen bleiben trotz mäßiger werdender Inflation hinter der Preisentwicklung zurück. Die Frage, ob steigende Ölpreise inflationär oder nachfragedämpfend wirken, kann aktuell klar beantwortet werden. Es ist das Zweite.
So ist es auch klug von der Zentralbank, mit der Zinssenkung nicht zu warten, bis das Bombardement Bagdads beginnt. Der Schaden ist längst da. Er ist groß genug, dass eine entschlossene Zinssenkung um einen halben Punkt auf dann 2,25 Prozent angemessen ist. Es wäre das niedrigste Zinsniveau in der jungen Geschichte der EZB. Eine Krisenreaktion auf Krisenzeiten.
© 2003 Financial Times Deutschland