Es wird dann wieder fallen wenn sich die grossen wieder verabschieden.
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#4 - Vier US-Dollar pro Gallone
Zu Anfang des Jahres 2008 befand sich die Finanzwelt in Aufruhr. Wall Street hatte die vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte damit zugebracht, einen Skandal nach dem anderen zu produzieren, was dazu führte, daß es nicht mehr viel Unverdächtiges zu verkaufen gab. Ausdrücke wie Junk Bond, Börsengang/Erstemission von Aktien, Subprime (zweitklassige) Hypothek und andere einst heißgehandelte Finanzinstrumente sind heute im öffentlichen Bewußtsein eng mit Betrug und Abzocke verbunden. Die Begriffe Credit Swaps und CDOs kamen gerade neu dazu. Die Kreditmärkte steckten in der Krise und das Mantra, das die Phantasie-Wirtschaft während der Bush-Jahre am Laufen gehalten hatte – die Überzeugung, daß Immobilienpreise niemals sinken – war jetzt ein vollständig zerstörter Mythos, und ließ Wallstreet jammernd zurück, auf der Suche nach nach einer neuen Bullshit-Maxime.
Wie sollte es weitergehen? Da das Publikum zögerte, Geld in irgendetwas zu stecken, das auch nur entfernt einer Investition in Wertpapiere ähnelte, wechselte Wall Street in aller Stille auf den Rohstoffmarkt, wo mit physisch greifbaren Produkten gehandelt wird: mit Mais, Kaffee, Kakao, Weizen und vor allem mit Rohstoffen zur Energieerzeugung, insbesondere Öl. Im Zusammenspiel mit dem Wertverlust des Dollars verursachten die Kreditknappheit und der Zusammenbruch des Immobilienmarktes eine „Flucht in die Rohstoffe“. Insbesondere schnellten die Preise für Termingeschäfte mit Rohöl in die Höhe: Der Preis pro Barrel stieg von rund 60 Dollar Mitte 2007 auf ein Hoch von 147 Dollar im Sommer 2008.
Während der Präsidentschafts-Wahlkampf in jenem Sommer in Fahrt kam, war die allgemein akzeptierte Erklärung für den Anstieg des Benzinpreises auf $4,11 pro Gallone, daß es ein Problem mit der weltweiten Ölversorgung gab. Republikaner und Demokraten lieferten ein klassisches Beispiel, wie sie auf Krisen mit dem engagierten Austausch von schwachsinnigen Bedeutungslosigkeiten reagieren: John McCain beharrte darauf, daß ein Ende des Moratoriums für Ölbohrungen vor den Küsten „kurzfristig sehr hilfreich“ sein würde, während Barack Obama auf typisch liberale Yuppie-Art argumentierte, die staatliche Förderung von Hybridfahrzeugen sei der Ausweg.
Goldman verwandelte einen schläfrigen Ölmarkt in eine riesige Wettstube – Höhenflug der Preise an den Tankstellen
Aber es war alles Lüge. Es ist zwar richtig, daß der weltweite Ölfluß irgendwann austrocknen wird, doch die aktuelle Versorgung mit dem Rohstoff war in Wirklichkeit im Steigen begriffen. In den sechs Monaten bevor die Preise explodierten, stieg das weltweite Angebot an Rohöl nach Angaben der U.S. Energie-Informationsbehörde (U.S. Energy Information Administration) von täglich 85,24 Millionen Barrel auf täglich 85,72 Millionen Barrel. Im selben Zeitraum fiel die weltweite Nachfrage nach Öl von 86,82 Millionen Barrel täglich auf 86,07 Barrel täglich. Also gab es nicht nur kurzfristig ein steigendes Angebot an Öl, gleichzeitig ging auch noch die Nachfrage zurück. Die hätte nach klassischem ökonomischem Verständnis zu niedrigeren Benzinpreisen führen müssen.
Also was verursachte den gewaltigen Preisanstieg? Raten Sie mal. Offensichtlich hatte Goldman Hilfe – es gab andere Mitspieler auf dem Rohstoffmarkt – aber im wesentlichen lag die Ursache im Verhalten von einigen mächtigen Akteuren, deren Absicht es war, den den einst stabilen Markt in ein Spekulations-Casino zu verwandeln. Goldman erreichte dies, indem die Firma Pensionsfonds und andere große institutionelle Investoren überzeugte, in Termingeschäfte mit Erdöl zu investieren – d.h. sich einverstanden zu erklären, zu einem festgelegten Zeitpunkt Öl zu einem bestimmten Preis zu kaufen. Diese Entwicklung machte aus dem Rohstoff Öl, der strikt den Schwankungen von Angebot und Nachfrage unterworfen war, ein Spekulationsgut, auf das man wetten konnte. Zwischen 2003 und 2008 wuchs der Anteil von spekulativem Geld auf dem Rohstoffmarkt von 13 Milliarden Dollar auf 317 Milliarden Dollar, ein Anstieg von 2300 Prozent. Im Jahr 2008 wurde ein Barrel Öl im Durchschnitt 27 Mal gehandelt, ehe es tatsächlich geliefert und verbraucht wurde.
Wie dies oft der Fall ist, gab es auch hier ein gültiges Gesetz aus den Zeiten der Depression, das speziell entworfen war, diese Dinge zu verhindern. Der Rohstoffmarkt war im wesentlichen geschaffen worden, um den Landwirten zu helfen: Ein Farmer, der sich Sorgen um künftigen Preisverfall machte, konnte einen Vertrag abschließen und seinen Mais zu einem bestimmten Preis zu einem späteren Lieferzeitpunkt verkaufen. So mußte er sich weniger Sorgen darum machen, große Lagerbestände seiner Ernterträge anzulegen. Falls niemand Mais kaufte, konnte der Farmer an einen Mittelsman, einen sogenannten „traditionellen Spekulanten“ verkaufen, der den Mais lagerte und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn es wieder Nachfrage gab, verkaufte. Auf diese Weise gab es immer jemanden, der dem Farmer seinen Mais abkaufte, auch wenn es auf dem Markt vorübergehend keine Nachfrage dafür gab.
Begrenzung von Spekulation
Im Jahr 1936 erkannte der Kongreß an, daß auf diesem Markt mehr Spekulanten als echte Produzenten und Konsumenten geben durfte. Wenn das nämlich geschah, wüden die Preise von anderen Dingen als von Angebot und Nachfrage bestimmt werden und Preismanipulationen würden die Folge sein. Ein neues Gesetz ermächtigte die Commodity Futures Trading Commission – also genau jene Behörde, die später de Versuch unternahm, den Handel mit Credit Swaps zu regulieren und dabei scheiterte – dem spekulativen Handel mit Rohstoffen Grenzen zu setzen. Als Ergebnis der Aufsicht durch die CFTC herrschten auf dem Rohstoffmarkt über 50 Jahre lang Frieden und Harmonie.
All dies änderte sich im Jahr 1991 als vom Rest der Welt unbemerkt eine Tochtergesellschaft von Goldman namens J. Aron, die mit Rohstoffen handelte, an die CFTC schrieb und ein ungewöhnliches Anliegen vortrug. Farmer, die große Getreidevorräte bereithielten, so die Argumentation von Goldman, seien nicht die einzigen, die sich gegen das Risiko künftigen Preisverfalls absichern müßten – Händler von der Wall Street, die mit großem Einsatz auf die Entwicklung der Ölpreise spekulierten, müßten sich ebenfalls gegen Risiken absichern, weil, nun, weil sie ebenfalls viel zu verlieren hätten.
Dies war natürlich vollkommener Unsinn – das Gesetz von 1936 war speziell entworfen worden, um zwischen Leuten die tatsächliche, physisch vorhandene Waren kauften und verkauften, und Leuten die lediglich Geschäfte auf dem Papier machten, zu unterscheiden. Aber erstaunlicherweise folgte die CFTC der Argumentation von Goldman. Die Behörde stellte der Bank einen Freibrief mit dem Namen „Bona Fide Absicherungs“ – Ausnahme aus, mit dem der Goldman-Tochter erlaubt wurde, als Händler mit physisch vorhandenen Waren (und entsprechendem Bedarf für Absicherung) aufzutreten und so praktisch allen Einschränkungen zu entgehen, die Spekulanten auferlegt waren. In den folgenen Jahren sollte die Behörde in aller Stille 14 weitere Ausnahmeregelungenn für andere Unternehmen treffen.
Jetzt hatten Goldman und andere Banken freie Hand, weitere Investoren an den Markt für Rohstoffe zu bringen und damit den Spekulanten die Möglichkeit zu geben, Wetten über immer höhere Einsätzen einzugehen. Der Brief von Goldman aus dem Jahre 1991 führte mehr oder weniger direkt zur Öl-Blase des Jahres 2008, als die Zahl der Spekulanten am Markt – die die Angst vor dem fallenden Dollar und dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes dorthin getrieben hatte – schließlich größer war als die Zahl der tatsächlichen Lieferer und Konsumenten. 2008 entfielen einem Mitarbeiter des Kongreß zufolge, der die Zahlen untersuchte, wenigstens drei Viertel der Handelsaktivität an den Rohstoffbörsen auf spekulative Transaktionen – und dies ist wahrscheinlich eine eher konservative Schätzung. In der Mitte des vergangenen Sommers zahlten wir (in den USA) 4 Dollar pro Gallone, wann immer wir eine Tankstelle aufsuchten.
Heimliche Ausnahmegenehmigungen
Noch erstaunlicher ist der Umstand, daß der Brief an Goldman ebenso wie die Ausnahmebescheinigungen für weitere Händler mehr oder weniger heimlich verschickt wurden. „Ich leitete die Abteilung für Handel und Märkte, und Brooksley Born war die Vorsitzende der CFTC,“ sagt Greenberger, „und keiner von uns beiden wußte von diesem Brief“. Tatsächlich wurden die Briefe nur durch einen Zufall bekannt. Im letzten Jahr war ein Mitarbeiter der Komission für Energie und Handel des Repräsentantenhauses zufällig bei einer Besprechung zugegen, auf der Beamte der CFTC die Ausnahmegenehmigungen beiläufig erwähnten.
„Ich war zu einer Besprechung der Komission geladen, bei der es um Energiefragen ging,“ erinnert sich der Mitarbeiter. „Plötzlich, irgendwann mittendrin fangen sie an zu sagen ‚Ja, diese Briefe stellen wir jetzt schon seit Jahren aus.‘ Ich hebe meine Hand und sage: ‚Wirklich? Sie haben derartige Briefe ausgestellt?‘. Sie fangen an, herumzudrucksen und sagen schließlich: ‚Wir müssen das mit Goldman Sachs klären.‘‘ Ich frage natürlich nach: ‚Was meinen Sie damit, Sie müssen das mit Goldman Sachs klären?“
Die CFTC zitierte eine Bestimmung, die es ihr verbot, irgendwelche Informationen weiterzugeben, die etwas über die gegenwärtige Position eines Unternehmens am Markt aussagten. Aber die Nachfrage des Mitarbeiters betraf einen Brief, der 17 Jahre zuvor ausgestellt worden war. Er hatte nichts mehr mit Goldmans gegenwärtiger Position am Markt zu tun. Außerdem gibt Absatz 7 des Gesetzes von 1936 über den Handel mit Rohstoffen dem Kongreß das Recht auf jedwede Information, die er von der Komission einholen möchte. Dennoch lieferte die CFTC ein klassisches Beispiel dafür, wie weitgehend die Übernahme der Regierung durch Goldman ist, und wartete erst die Freigabe durch Goldman ab, ehe sie den Brief übergab.
Ausgerüstet mit der halb-geheimen Ausnahmegenehmigung durch die Regierung war Goldman zum Chef-Architekten einer riesigen Wettstube für Rohstoffgeschäfte geworden. Der Goldman Sachs Commodities Index, der die Preise für 24 wesentliche Rohstoffe auflistet und sich dabei wesentlich auf Öl konzentriert, entwickelte sich zu dem Ort, wo Pensionsfonds und Versicherungsunternehmen mit hohen Einsätzen langfristige Wetten auf Rohstoff Preise eingehen konnten. Das war schön und gut – abgesehen von ein paar Kleinigkeiten. Eine davon war der Umstand, daß Index-Spekulanten überwiegend langfristige Geschäfte abschließen und wenn überhaupt nur selten Short positions einnehmen, d.h. kurzfristige Wiederverkäufe in Betracht ziehen – was bedeutet, daß sie nur darauf setzen, daß die Preise steigen.
Solches Verhalten wirkt sich am Aktienmarkt positiv aus – am Rohstoffmarkt hat es schreckliche Folgen, weil es die Preise unablässig nach oben treibt. „Wenn die Spekulanten am Index sowohl Short Positions einnähmen als auch langfristige Investitionen tätigten, könnten wir beobachten, wie die Preise sich nicht nur nach oben sonern auch nach unten entwickelten,“ sagt Michael Masters, Manager eines Hedge Fonds, der dazu beitrug, die Rolle der Investment-Banken bei der Manipulation der Ölpreise offenzulegen. „Aber sie bewegen die Preise lediglich in eine Richtung: nach oben.“
Was die Angelegenheit noch weiter komplizierte, war der Umstand, daß Goldman selbst mit aller Macht Stimmung für einen Anstieg der Ölpreise machte. Arjun Murti, Analytiker für Goldman, der von der New York Times als „Öl-Orakel“ gepriesen wurde, sagte Ölpreise in extremer Höhe voraus und sprach von einem Anstieg des Preises auf 200 Dollar pro Barrel. Zu diesem Zeitpunkt hatte Goldman über seine Tochte J. Aron groß in das Ölgeschäft investiert. Außerdem gehörte der Bank auch eine größere Ölraffinerie in Kansas, wo sie das Rohöl lagerte, mit dem sie handelte. Obwohl das Angebot an Erdöl mit der Nachfrage Schritt hielt, warnte Murti unablässig vor Unterbrechungen in der weltweiten Ölversorgung.
Er ging dabei sogar soweit, allgemein bekanntzugeben, daß er selbst Eigentümer von zwei Hybridfahrzeugen war. Die Bank behauptete, letztlich habe sich der amerikanische Konsument die hohen Preise selbst zuzuschreiben. 2005 erklärten Goldman-Analytiker, daß der Ölpreis nicht fallen würde, solange „der amerikanische Konsument nicht damit aufhört, spritfressende Sport- und Freizeitvehikel zu kaufen und sich statt dessen nach energie-effizienten Alternativen umsieht.“
Handel mit fiktivem Öl
Aber es war gar nicht der Verbrauch von tatsächlich vorhandenem Öl, der die Preise in die Höhe trieb – es war der Handel mit Öl, das nur auf dem Papier existierte. Bis zum Sommer 2008 hatten Rohstoff-Spekulanten genügend noch zu förderndes Rohöl aufgekauft und gehortet, um 1,1 Milliarden Barrel damit zu füllen. Das bedeutete, daß die Spekulanten mehr Öl besaßen, das noch gar nicht gefördert war, als wirkliches, tatsächlich existentes Öl in allen kommerziellen Speichern der USA und der strategischen Erdölreserve zusammengenommen vorhanden war. Es war eine Wiederholung des Geschehens bei Internet- und Immobilien-Blase, als Wall Street die aktuellen Gewinne in die Höhe trieb, indem man ahnungslosen Kunden Anteile an einer fiktiven Phantasie-Zukunft von endlos steigenden Preisen verkaufte.
Nach dem mittlerweile schmerzhaft bekannten Muster schlug auch die Erdöl-Rohstoff-Melone im Sommer 2008 hart auf dem Straßenpflaster auf und verursachte einen massiven Verlust von Werten. Die Preise von Rohöl fielen von 147 Dollar auf 33 Dollar pro Barrel. Wieder einmal waren die kleinen Leute die großen Verlierer. Die Pensionäre, deren Fonds auf diesen Unrat gesetzt hatten, wurden massakriert. CalPERS (California Public Employees Retirement System), das Altersversorgungssystem der öffentlichen Angestellten hielt 1,1 Milliarden Dollar in Rohstoffen, als der Crash kam. Und der Schaden wurde nicht allein durch Erdöl verursacht. Von der Rohstoffblase in die Höhe getriebene Preise für Lebensmittel führten überall auf dem Planeten zu Katastrophen, bedeuteten Hunger für geschätzte 100 Millionen Menschen und lösten Hungeraufstände an vielen Orten in der Dritten Welt aus.
Gegenwärtig steigen die Ölpreise erneut: im Mai allein stiegen sie um 20 Prozent und haben sich in diesem Jahr bis jetzt insgesamt verdoppelt. Und wieder liegt das Problem nicht bei Angebot und Nachfrage. „Im Moment haben wir den höchsten Stand des Angebots an verfügbarem Öl in den letzten 20 Jahren,“ sagt das Mitglied des Repräsentantenhauses Bart Stupak, ein Demokrat aus Michigan, der Mitglied der Energiekomission des Repräsentantenhauses ist. „Die Nachfrage ist so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Trotzdem sind die Preise hoch.“
Gefragt, warum Politiker sich trotzdem weiterhin lang und breit über Dinge wie Ölbohrungen und Hybridfahrzeuge auslassen, wenn das Problem nichts mit Angebo und Nachfrage zu tun hat, schütelt Stupak mit dem Kopf. „Ich glaube, die verstehen das Problem nicht besonders gut. „Man kann es nicht in 30 Sekunden erklären, also ignorieren die Politiker es.“