Aus ARD (SWR 2):
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Der zweite Tag: Eine chilenische Familiengeschichte
René Schneider treffe ich in der Chefetage von TVN, des staatlichen chilenischen Fernsehens. Dort arbeitet er seit über 30 Jahren. An jenen Tag im Oktober 1970 erinnert er sich noch ganz genau. Er war damals 28 Jahre alt, ledig und wohnte bei seinen Eltern. In der Regel verließ er morgens zusammen mit seinem Vater, dem Oberbefehlshaber der chilenischen Streitkräfte, René Schneider Senior, gemeinsam das Haus. Aber an diesem Morgen hatte er andere Pläne.
Die Mörder warteten schon
Unten auf der Straße warteten die Mörder. Geplant war, Schneider zu entführen; als der General Widerstand leistete, schossen sie mehrere Male auf ihn. Drei Tage später starb er im Krankenhaus. Eine Welle der Empörung erschütterte das Land. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es praktisch keine bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen rechts und links gegeben, das politische Klima war angenehm. An der Beerdigung nahmen auch christdemokratische Politiker teil.
Komplott der CIA
Wer hinter dem blutigen Attentat steckte, konnten sich damals die politisch einigermaßen Interessierten denken: der US-amerikanische Geheimdienst CIA, der mit allen Mitteln versuchte, die gerade an die Regierung gelangte sozialistische Regierung von Salvador Allende zu stürzen oder zumindest zu schwächen, um sie dann zu stürzen. Und René Schneider Senior, das war allseits bekannt, war kein Putschist. Ihm war die Verfassung heilig. Er musste weg.
CIA finanzierte Allende-Gegner
Dass wirklich die CIA die Fäden bei diesem Attentat zog, ist in den letzten Wochen bekannt geworden. In Washington sind Regierungsdokumente veröffentlicht worden, die die Verstrickung des Geheimdienstes in den Putsch gegen Allende eindeutig belegen. Aus den Papieren geht nicht nur hervor, welche Parteien jahrelang von der CIA geschmiert worden sind, die Radikale Partei, die Christdemokraten, die Nationale Partei, um die Anti-Allende Front zu stärken. Auch die angesehene Tageszeitung »El Mercurio« hat dankend die Hand aufgehalten und Schmiergeld bekommen. Vergangene Woche strahlte das chilenische Fernsehen einen zweistündigen Film über die Finanzierung der rechten Parteien durch den amerikanischen Geheimdienst aus. Eine Sensation in Chile.
Ein General war Drahtzieher des Attentats
Drahtzieher des Attentats auf René Schneider, das geht aus Dokumenten hervor, war der chilenische General Roberto Viaux. Er hatte sich vor dem Anschlag der CIA angedient und sich mit ihren Agenten an geheimem Ort getroffen. Der Plan von Viaux und der CIA bestand darin, Schneider aus dem Weg zu räumen, da dieser sich den Putschgelüsten der chilenischen Militärs in den Weg stellte. Nach dem Attentat sollte der Staatsstreich gegen Salvador Allende stattfinden. Die Gruppe um Viaux erhielt von der CIA Waffen und 35.000 Dollar, heißt es in den jetzt freigegebenen Papieren.
Ermittlungen wurden eingestellt
Nach dem Attentat ermittelte die Justiz nur halbherzig gegen die Mörder. General Viaux tauchte vorübergehend in Paraguay unter. Einer seiner Spezis wurde zu zwei Jahren Haft wegen versuchter Entführung verurteilt, erzählt der Sohn René. Im September 73 putschten sich die Generäle an die Macht, und danach wurden die Ermittlungen endgültig eingestellt.
Eine Familie klagt an
Was wird er jetzt, dreißig Jahre nach den Ereignissen tun? René Schneider lächelt. Gegen General Viaux vorzugehen scheint ihm wenig sinnvoll, er sei krank und nicht prozessfähig. Aber die Familie überlegt, gegen die US-amerikanische Regierung in Washington zu klagen, da sie mitschuldig, wenn nicht gar Auftraggeberin für den Tod Schneiders ist. Nur noch ein Familienmitglied widersetzt sich: sein Bruder, der in die väterlichen Fußstapfen getreten ist; er ist Offizier im chilenischen Heer.
aus DeutschlandRadio Berlin:
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BuchTipp
21.07.2002 • 12.50
Günther Wessel
Die Allendes
Campus Verlag, Frankfurt/Main 2002 /
Vorgestellt von Claus Bredel
Am 11. September 1973 , an einem dieser magischen Daten, hielt Salvador Allende, der erste frei gewählte marxistische Präsident, wohl auch wissend, das dies in die Geschichte eingehen würde, seine letzte Rundfunkansprache. Im umkämpften Präsidentenpalast von Santiago de Chile.
O-Ton: Allende: “Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Arbeiter!“
„Allende trug während der Rede – so schrieb sein Sekretär Osvaldo Puccio später – auf dem Kopf einen Stahlhelm und im Arm ein Maschinengewehr – ein Gewehr, das Fidel Castro ihm geschenkt hatte. Gegen 14.20 Uhr fanden ihn die Putschisten in einem Lehnstuhl vor, er war tot.“
Salvador Allende wurde eine Legende. Aber er ist nicht allein. Mit eindrucksvoller Kontinuität steht die Familie seit fast 200 Jahren in den Geschichtsbüchern Chiles. Der in den USA lebende Journalist und Autor Günther Wessel hat sich durch den umfangreichen Stammbaum gearbeitet und eine mitunter verwirrende Vielzahl von Details zusammengetragen. Sie zeigen den buchstäblich 'roten' Faden des politischen Anliegens aller Allendes: soziale Gerechtigkeit für jedermann.
Im Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien 1814 tauchten erstmalig die Namen dreier Brüder auf, die dem ersten chilenischen Präsidenten O’Higgins ins Exil nach Peru folgen mussten. Gregorio, Ramón und José Maria. 1845 wurde Gregorio ein Sohn geboren, Ramón Allende Padin - genannt, der ‚rote Allende’. Eine schillernde Persönlichkeit der chilenischen Geschichte, die mit Sicherheit in Vielem ein Vorbild für seinen Enkel Salvador gewesen sein muss.
„Glaubt man den erhaltenen, leider oft nur knappen Beschreibungen seiner Person, hatte er etwas für seine Herkunft untypisch Kämpferischer und Getriebenes. Ramón war Mitglied der Radikalen Partei, vertrat sie acht Jahre als Abgeordneter im Parlament, kämpfte für Bürgerrechte und für die Trennung von Staat und Kirche. Er wollte die Säkularisierung der Friedhöfe und Personenstandsakten und setzte die Gründung der ersten weltlichen Schule in Chile durch, Die Kirche exkommunizierte ihn dafür, was der Großmeister der Freimaurerloge wohl eher als Ritterschlag empfand.“
Nach dem Salpeterkrieg, an dem Ramon als Freiwilliger teilnahm, starb er erst vierzigjährig und fast mittellos. Sein Sohn, Salvador Allende Castro, hielt sich als Rechtsanwalt weitgehend aus der Politik heraus. Nur durch ein Sonett auf den peruanischen Diktator Augusto Bernardino Leguia wurde er berühmt.
„Die Hymne gefiel dem Peruaner und er ordnete an, sie in allen peruanischen Zeitungen zu veröffentlichen. Als sie erschien, lachten die Chilenen über die Eitelkeit des Diktators. Dieser hatte übersehen, dass die Anfangsbuchstaben der Gedichtzeile hintereinander gelesen den derben Fluch ‚Me cago en Leguia’ (Ich scheiße auf Leguia) ergaben.“
Über Salvador Allende Castro gelangen wir zu seinem Sohn Salvador Allende. Der Leser braucht allerlei Geduld, um sich durch die vielen ähnlichen Namen zu finden, durch Situationen, Zeiten und Zeitsprünge und auch einige Ungereimtheiten. Aber er erhält das Bild einer Epoche andauernder sozialer Machtkämpfe in Chile, bei denen die Allendes durchweg Ämter und Gefängniszellen wechselten, und stets auf der Seite des Volkes standen, mit allem dazugehörigen Pathos der Zeit.
„Salvador Allende, so erzählen viele Freunde und Mitstreiter, hatte durchaus schon früh Sinn für Gesten und Selbstinszenierungen. So soll er Freunden seinen Arm hingehalten haben mit den Worten: Fühlt einmal. Irgendwann wird der aus Marmor sein.“
Dreimal mühte sich Allende vergeblich um das Präsidentenamt. Aber der demokratische Weg an die Macht, war der einzige, den er akzeptierte.
„Allende ging es schon damals um die Überzeugung der Menschen. Sie sollten sich aus freien Stücken für seine und damit für die besseren Vorschläge entscheiden, eine Strategie, die der Auffassung Che Guevaras, der über Guerillakämpfer revolutionäre Bewegungen in andere Länder tragen wollte, diametral gegenüberstand.“
Isabel, die Schriftstellerin, die Nichte Salvador Allendes, wuchs zeitweise im Haus der Großeltern auf - dem Geisterhaus. Der Wahlkampf des Onkels interessierte die Heranwachsende weniger.
„Ich habe mich meist gelangweilt. In Chile wird über nichts anderes gesprochen. Ich war nicht einmal 20 und wollte nicht immer nur über Politik reden. Meine Cousinen waren da anders. Die ganze Familie war von der Politik besessen. Wahrscheinlich wurde ich rein aus Rebellion dagegen so unpolitisch.“
In Ihren Buch ‚Das Geisterhaus’ lässt sie den konservativen Großgrundbesitzer und Senator Esteban Trueba folgendes sagen:
O-Ton Filmausschnitt „Das Geisterhaus“:
„Also ich meine, wann hat die Linke je eine demokratische Wahl gewonnen? Niemals! Ich meine, selbst ein Kind kann das sehen, dass die Linken die Feinde der Demokratie sind. Schauen wir in die Geschichtsbücher. Wann sind je Revolutionäre durch freie Wahlen an die Macht gekommen? (Tochter)Wie einfach du immer alles siehst. (Trueba)Ich weiß doch wovon ich spreche.“
Am 24. Oktober 1970 wurde Salvador Allende gewählt. Er wurde in der Tat der erste frei gewählte marxistische Präsident, und blieb der einzige seiner Zeit. Es begann eine Zeit der Erwartungen und Utopien, der Misserfolge, Ungewissheiten und Veränderungen. Allendes Frau Hortensia Bussi bemerkte aber auch eine Veränderung bei ihrem Mann:
„Die Macht hat ihn nicht etwa verdorben. Augenblicke der Gelassenheit wurden jedoch immer seltener. Sein Humor wurde allmählich immer polemischer. Seine Antworten, die früher einmal feinfühlig und ironisch gewesen waren, wurden jetzt schroff und trocken.“
Die Fülle der sozialen Maßnahmen war immens - am weitreichendsten die Verstaatlichung der Kupferkonzerne. Ich brauche mehr Zeit, sagte Allende immer wieder und wusste wohl, das er sie nicht haben würde. Der Militärputsch war längst beschlossene Sache.
Im letzten Teil seines Buches widmet sich Günther Wessel vor allem den Schicksale der anderen Familienmitglieder. Allendes Tochter Isabel, die Politikerin, sagte Ende der 90iger Jahre in Madrid gegen Augusto Pinochet aus. Die Tochter Beatriz hingegen beging bereits 1977 Selbstmord, vermutlich aus Verzweiflung und Ausweglosigkeit.
200 sehr empfehlenswerte und faktenreiche Seiten, die sich zügig lesen lassen und die dennoch eine eher bedrückende Lektüre sind.