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Dienstag 23. Januar 2001, 12:41 Uhr
Die GoingPublic-Kolumne: Gut geklagt ist halb verloren
WOLFRATSHAUSEN (GoingPublic) - Durch die katastrophalen Kurseinbrüche am Neuen Markt löste sich eine Anlegermilliarde nach der anderen in Luft auf. Die geschädigten Investoren versuchen nun zu retten, was noch übrig geblieben ist.
Sie wollen den Betrug, die Lügen und die Vertuschung der Tatsachen nicht länger auf sich sitzen lassen: Jetzt sind die Anwälte an der Reihe! Wie gewonnen so zerronnen, denkt sich der schon länger investierte Börsianer. Besonders schmerzhaft waren die Ereignisse aber für diejenigen, die zu spät auf den Zug aufgesprungen sind und nun fast einen Totalverlust zu beklagen haben. Das Horrorszenario an der deutschen Wachstumsbörse hat jetzt der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) eine Menge Arbeit verschafft. Diese prüft zur Zeit die rechtlichen Möglichkeiten der EM.TV-geschädigten Anleger, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Anspruchsgrundlage sollen Börsenprospekte sein, die anläßlich der Kapitalerhöhung im Herbst 1999 und der Begebung einer Wandelanleihe im Frühjahr 2000 erstellt wurden. Auch die Rolle der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC, die den Jahresabschluß 1999 absegnete, soll untersucht werden.
Im Mittelpunkt der Überprüfung des EM.TV-Vorstandes durch das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe) stehen deren Aktienbestände und die damit verbundenen Transaktionen. So soll der Vorstandsvorsitzende von EM.TV, Thomas Haffa, vor Ablauf der Sperrfrist im Januar und Februar vergangenen Jahres Aktien im Wert von 40 Mio. DM verkauft haben. Sollte sich dieser Verdacht erhärten, könnte die Situation für Haffa prekär werden. Denn anläßlich der Kapitalerhöhung im November 1999 unterwarf er sich einer Sperrfrist von sechs Monaten. Wegen ähnlichen Insidergeschäften sitzen beispielsweise zwei Vorstände des Pleitekandidaten Infomatec bereits in Untersuchungshaft.
Auch andere Bruchpiloten des Neuen Markts wie Gigabell , Teles , Advanced Medien , Metabox oder Softmatic werden von der Münchner Anwaltskanzlei Rotter auf den Verdacht der vorsätzlichen Täuschung von Anlegern hin geprüft. Das ehemalige Vorzeigeunternehmen Intershop steht nach seiner überraschenden Gewinn- und Umsatzwarnung Anfang des Jahres ebenfalls im Focus der Juristen. Da die Jenaer auch an der Nasdaq gelistet sind, ist sogar ein Schadensersatzanspruch nach US-Recht nicht auszuschließen. Bei Intershop wie auch zuvor bei EM.TV beteuerte das Management bis zum letzten Moment, daß die Prognosen eingehalten werden können.
Doch die Beteuerungen entpuppten sich als bloße Versprechungen. Das Verhalten der Vorstände war somit nicht nur unverantwortlich und unglaubwürdig, weil sich ein schwächeres Quartalsergebnis nicht erst am Tag vor der Ad hoc-Meldung abzeichnet. Es war zudem sinnlos und vertrauensschädigend, da die Zahlen irgendwann doch veröffentlicht werden müssen und die Börse solche Fakten dann nur noch herber quittiert. Intershop mußte so einen Kursabschlag von 70 % hinnehmen.
Die Finanzabteilungen einzelner Wachstumsunternehmen scheinen sich offenbar der Auswirkungen von Bilanzkorrekturen nicht bewußt zu sein. Fast noch skandalöser ist es, daß viele Analysten und Banker im Vorfeld eines Börsenganges anscheinend beide Augen zudrückten. Wie kann sonst eine Gewinnwarnung von Ad Pepper Media nur acht Wochen nach dem Börsengang interpretiert werden? Solche Entwicklungen stellen sich nicht von heute auf morgen ein.
Bei den betroffenen Aktionären herrscht nun das Prinzip Hoffnung, doch noch einen Teil der verlorenen Gelder auf gerichtlichem Wege einklagen zu können. Anleger sollten aber ihre Erwartungen schon einmal nach unten revidieren, da die Ad hoc-Publizität strafrechtlich nicht geregelt ist. Schadensersatzforderungen können lediglich nach dem Börsengesetz (BörsG, § 88) oder dem Aktiengesetz (AktG, § 400) in Verbindung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB, § 823) als Anspruchsgrundlage geltend gemacht werden. Bei beiden Varianten haften jedoch nur die Vorstände mit ihrem persönlichen Vermögen. Im Klartext müßte den Verantwortlichen der betroffenen Unternehmen eindeutig nachgewiesen werden, daß sie bewußt falsche Angaben über die Geschäftssituation gemacht haben. Vorsatz ließ sich in bisher vergleichbaren Verfahren noch nie nachweisen. Deshalb fordert die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) die Aufnahme der groben Fahrlässigkeit in den Paragraphen 400 des Aktiengesetzes, falls die Strafanzeige gegen EM.TV ohne Erfolg bleibt. Zusätzlich sind die kurzen Verjährungsfristen von sechs Monaten kaum als anlegerfreundlich zu werten und bedürfen einer rechtlichen Überarbeitung.
Nach den Ereignissen des letzten Jahres haben die Anleger viel Lehrgeld dafür bezahlt, blind Analystenempfehlungen und heißen Tips von selbsternannten Gurus gefolgt zu sein. Es hat sich aber auch gezeigt, daß es lohnend sein kann, ein Unternehmen sorgfältig zu analysieren, anstatt wahllos irgendwelche Werte zu kaufen. Da kann dann der beste Anwalt nicht mehr helfen.
Die GoingPublic-Kolumne ist ein Service des GoingPublic Magazins, Deutschlands führendem Börsenmagazin zu Neuemissionen und Neuer Markt. Bezogen werden kann das Magazin unter www.goingpublic-online.de. GoingPublic ist allein für die Inhalte der Kolumne verantwortlich. Informationen zu einzelnen Unternehmen stellen keine Aufforderung zum Kauf bzw. Verkauf von Aktien dar. Die Kolumne erscheint in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.
NEU!!! GoingPublic-TV auf www.goingpublic-online.de
Dienstag 23. Januar 2001, 12:41 Uhr
Die GoingPublic-Kolumne: Gut geklagt ist halb verloren
WOLFRATSHAUSEN (GoingPublic) - Durch die katastrophalen Kurseinbrüche am Neuen Markt löste sich eine Anlegermilliarde nach der anderen in Luft auf. Die geschädigten Investoren versuchen nun zu retten, was noch übrig geblieben ist.
Sie wollen den Betrug, die Lügen und die Vertuschung der Tatsachen nicht länger auf sich sitzen lassen: Jetzt sind die Anwälte an der Reihe! Wie gewonnen so zerronnen, denkt sich der schon länger investierte Börsianer. Besonders schmerzhaft waren die Ereignisse aber für diejenigen, die zu spät auf den Zug aufgesprungen sind und nun fast einen Totalverlust zu beklagen haben. Das Horrorszenario an der deutschen Wachstumsbörse hat jetzt der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) eine Menge Arbeit verschafft. Diese prüft zur Zeit die rechtlichen Möglichkeiten der EM.TV-geschädigten Anleger, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Anspruchsgrundlage sollen Börsenprospekte sein, die anläßlich der Kapitalerhöhung im Herbst 1999 und der Begebung einer Wandelanleihe im Frühjahr 2000 erstellt wurden. Auch die Rolle der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC, die den Jahresabschluß 1999 absegnete, soll untersucht werden.
Im Mittelpunkt der Überprüfung des EM.TV-Vorstandes durch das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe) stehen deren Aktienbestände und die damit verbundenen Transaktionen. So soll der Vorstandsvorsitzende von EM.TV, Thomas Haffa, vor Ablauf der Sperrfrist im Januar und Februar vergangenen Jahres Aktien im Wert von 40 Mio. DM verkauft haben. Sollte sich dieser Verdacht erhärten, könnte die Situation für Haffa prekär werden. Denn anläßlich der Kapitalerhöhung im November 1999 unterwarf er sich einer Sperrfrist von sechs Monaten. Wegen ähnlichen Insidergeschäften sitzen beispielsweise zwei Vorstände des Pleitekandidaten Infomatec bereits in Untersuchungshaft.
Auch andere Bruchpiloten des Neuen Markts wie Gigabell , Teles , Advanced Medien , Metabox oder Softmatic werden von der Münchner Anwaltskanzlei Rotter auf den Verdacht der vorsätzlichen Täuschung von Anlegern hin geprüft. Das ehemalige Vorzeigeunternehmen Intershop steht nach seiner überraschenden Gewinn- und Umsatzwarnung Anfang des Jahres ebenfalls im Focus der Juristen. Da die Jenaer auch an der Nasdaq gelistet sind, ist sogar ein Schadensersatzanspruch nach US-Recht nicht auszuschließen. Bei Intershop wie auch zuvor bei EM.TV beteuerte das Management bis zum letzten Moment, daß die Prognosen eingehalten werden können.
Doch die Beteuerungen entpuppten sich als bloße Versprechungen. Das Verhalten der Vorstände war somit nicht nur unverantwortlich und unglaubwürdig, weil sich ein schwächeres Quartalsergebnis nicht erst am Tag vor der Ad hoc-Meldung abzeichnet. Es war zudem sinnlos und vertrauensschädigend, da die Zahlen irgendwann doch veröffentlicht werden müssen und die Börse solche Fakten dann nur noch herber quittiert. Intershop mußte so einen Kursabschlag von 70 % hinnehmen.
Die Finanzabteilungen einzelner Wachstumsunternehmen scheinen sich offenbar der Auswirkungen von Bilanzkorrekturen nicht bewußt zu sein. Fast noch skandalöser ist es, daß viele Analysten und Banker im Vorfeld eines Börsenganges anscheinend beide Augen zudrückten. Wie kann sonst eine Gewinnwarnung von Ad Pepper Media nur acht Wochen nach dem Börsengang interpretiert werden? Solche Entwicklungen stellen sich nicht von heute auf morgen ein.
Bei den betroffenen Aktionären herrscht nun das Prinzip Hoffnung, doch noch einen Teil der verlorenen Gelder auf gerichtlichem Wege einklagen zu können. Anleger sollten aber ihre Erwartungen schon einmal nach unten revidieren, da die Ad hoc-Publizität strafrechtlich nicht geregelt ist. Schadensersatzforderungen können lediglich nach dem Börsengesetz (BörsG, § 88) oder dem Aktiengesetz (AktG, § 400) in Verbindung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB, § 823) als Anspruchsgrundlage geltend gemacht werden. Bei beiden Varianten haften jedoch nur die Vorstände mit ihrem persönlichen Vermögen. Im Klartext müßte den Verantwortlichen der betroffenen Unternehmen eindeutig nachgewiesen werden, daß sie bewußt falsche Angaben über die Geschäftssituation gemacht haben. Vorsatz ließ sich in bisher vergleichbaren Verfahren noch nie nachweisen. Deshalb fordert die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) die Aufnahme der groben Fahrlässigkeit in den Paragraphen 400 des Aktiengesetzes, falls die Strafanzeige gegen EM.TV ohne Erfolg bleibt. Zusätzlich sind die kurzen Verjährungsfristen von sechs Monaten kaum als anlegerfreundlich zu werten und bedürfen einer rechtlichen Überarbeitung.
Nach den Ereignissen des letzten Jahres haben die Anleger viel Lehrgeld dafür bezahlt, blind Analystenempfehlungen und heißen Tips von selbsternannten Gurus gefolgt zu sein. Es hat sich aber auch gezeigt, daß es lohnend sein kann, ein Unternehmen sorgfältig zu analysieren, anstatt wahllos irgendwelche Werte zu kaufen. Da kann dann der beste Anwalt nicht mehr helfen.
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