Wall Street - Trendwende oder Strohfeuer?
Die US-Börsen haben im bisherigen Wochenverlauf deutlich an Wert gewonnen. So beträgt das Plus im Dow Jones 3,14 Prozent, im Nasdaq Composite 4,55 Prozent und im S&P-500 3,65 Prozent. Der international viel beachtete – weil marktbreite – Standard & Poor's 500 Index hat von seinem Tief aus gerechnet mehr als 20 Prozent an Boden gewonnen – per Definition ein Bullenmarkt.
Nicht so schnell. Denn die Profis an Wall Street sind weit davon entfernt, den jüngsten Kursavancen das Prädikat "Trendwende" aufdrücken zu wollen.
"Es einen Bullenmarkt nennen zu wollen, wäre meiner Ansicht nach ein wenig zu aggressiv, wenngleich die Erholung stärker als erwartet ausgefallen ist", sagt John Hughes von Shields & Co. Der Analyst glaubt, dass es sich bei dem Anstieg um eine Kursrallye innerhalb des Bärenmarktes handelt: "Der Sprung über die 9.000er-Marke ist eine echte Leistung, aber die 200-Tage-Linie zeigt weiterhin abwärts." Bevor sich dieser Trend nicht umkehre, sei das Erreichen weiterer "Milestones" unwahrscheinlich.
Jude Wanniski von Polyconomics macht für den Anstieg bei den Standardwerte vor allem die Aussicht auf Frieden verantwortlich. "Wir befinden uns in einem Irak-Markt", so der Analyst. Die Möglichkeit, dass die Vereinigten Staaten ihre Angriffspläne vorerst auf Eis gelegt haben, lasse die Kurse anziehen. "Ein Angriff hätte für Wall Street katastrophale Folgen", ist sich Wanniski sicher.
Keine Hurra-Trendwende
Robert Mohn von Liberty Wanger Asset Management warnt vor überzogenen Hoffnungen: "Meiner Ansicht nach wird es kein weiteres Kursfeuerwerk geben, weder in die eine, noch in die andere Richtung. Ich denke, die Erholung ist lediglich die Reaktion des Marktes auf die Panikverkäufe im Juli."
"Die Anleger sehen sich in diesen Tagen vor allem als Schnäppchenjäger", sagt Al Kugel von Stein Roe & Farnham. "Jedes mal, wenn der Markt nachgibt, kommen sie und gehen auf Einkaufstour." Kugel sieht in diesem Verhalten einen Beweis, dass sich die Stimmung im Handel weiter verbessert.
Die überwiegend vorsichtigen Kommentare der Analysten zum jüngsten Kursaufschwung an Wall Street sind berechtigt, denn die konjunkturellen Rahmenbedingungen haben sich bislang nicht verbessert und die Unternehmen sind den Beweis, dass es mit den Gewinnen aufwärts geht, schuldig geblieben.
Eine Hurra-Trendwende wird es demnach kaum geben. Aber die wäre ohnehin kontraproduktiv.
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