Am 21. August 1994 wurde unsere Tochter Lotta in Frankreich, nahe Bordeaux vergewaltigt und ermordet. 6 Wochen später wäre sie 9 Jahre alt geworden. Einen Tag später wurde der Mörder von der französischen Polizei gefaßt.
Der 35-jährige Deutsche hat den Mord in derselben Nacht gestanden. Er stammt aus Höckelhoven, Kreis Mönchengladbach. Aus den Zeitungen erfuhren wir, daß er bereits 1985 zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, wegen Totschlags an einer 56-jährigen Nachbarin.
Später haben wir erfahren, daß der Mörder diese Frau 1984 erdrosselt und vermutlich vergewaltigt hat. Er hat die Leiche im Abwasserkanal versteckt, wo sie erst ein halbes Jahr später gefunden wurde. Beim Prozeß konnte man ihm die Vergewaltigung nicht mehr nachweisen, wohl aber, daß er zum Zeitpunkt des Mordes alkoholisiert war. Deshalb wurde er nur wegen Totschlag zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Auf Freigang hat er dann eine Frau "angefallen", wie sich der Staatsanwalt ausdrückte. Daraufhin wurde er zu einem weiteren Jahr verurteilt. 1991 wurde er entlassen und bekam eine sogenannte Führungsaufsicht, bei der er sich 3 Jahre lang melden mußte.
Im Januar 1995 haben wir aus der Presse erfahren, daß der Mörder unserer Tochter, Peter Franz, zwei weitere Gewaltverbrechen gestanden hat; den Mord an einem 12-jährigen Mädchen in Viersen bei Mönchengladbach, und die Vergewaltigung und den Mordversuch (das Mädchen wurde bewußtlos aufgefunden) an einem 8-jährigen Mädchen in Mönchengladbach. Diese Verbrechen geschahen 1983. Wegen weiterer Delikte wird ermittelt.
Der Mann sitzt in Bordeaux in Untersuchungshaft. Mit einer Verhandlung ist nicht vor Mitte 96 zu rechnen. Sie ist vom Abschluß der Ermittlungen in Deutschland abhängig. Es ist uns zugesichert worden, daß keine Auslieferung vor der Verurteilung stattfindet. In Frankreich hat er für den Mord an Lotta mit 30 Jahren Gefängnis und anschließender Sicherheitsverwahrung zu rechnen. Die Deutschen müssen, auch nach einer eventuellen Auslieferung, das französische Urteil vollstrecken.
Auf Grund dieses Sachverhalts tun sich für uns viele Fragen auf, z.B.: Wie arbeiten Polizei und Staatsanwaltschaft? Wie ist es möglich, das ein einschlägig vorbestrafter Sexualmörder in seinem Umkreis mindestens zwei grausame Gewaltverbrechen begehen kann, ohne gefaßt zu werden? Wie ist es möglich, daß dieser Mann trotz Verurteilung und Geständnis in seinem engsten Umkreis als Opfer eines Justizirrtums gelten konnte? (Aussage des Staatsanwalts)
(...)
Wir stellen uns vor, eine Initiative zu gründen, in der sich Eltern ermordeter Kinder finden, ohne politische oder religiöse Zugehörigkeit. In Frankreich gibt es eine solche Organisation, mit der wir auch in Kontakt stehen. Wir haben einige uns wichtige Zielsetzungen und Forderungen formuliert und wünschen uns aber, da jeder Fall anders gelagert ist und andere Schwerpunkte hat, einen gemeinsamen Forderungskatalog erstellen zu können.
Wir erhoffen uns:
1.Den Austausch von Erfahrungen mit anderen Betroffenen:
Wie ist das Weiterleben nach solch einem Schicksalsschlag möglich? Umgang mit Trauer. Wie ist ein Alltag danach möglich?
2.Den Austausch von Erfahrungen mit Polizei und Justiz: Welche Erfahrungen wurden in Gerichtsverhandlungen gemacht? Vertritt der Staatsanwalt wirklich unsere Interessen?
3.Sensibilisierung der Verantwortlichen in Polizei und Justiz für die Interessen der Opfer und Hinterbliebenen.
Aufgrund unserer Erfahrungen fordern wir ein grundlegendes Umdenken bei der Staatsanwaltschaft. Sie darf nicht aus dem Blickwinkel des Täters heraus agieren. Als Vertreter der Anklage muß sie die Interessen der Opfer vertreten und sich mit ihnen konfrontieren.
4.Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Sichtweise der Opfer. Wir protestieren gegen die Presse, die Opfer zu Aktiven macht ("Sie lief ihrem Mörder in die Arme") und den Täter zum eigentlichen Opfer ("Er weinte nach jedem Mord").
5.Die Urteile der Gerichte müssen mit Blick auf die Opfer und zum Schutz aller Kinder und Frauen gefällt werden, und sich nicht daran orientieren, was einem Täter zugemutet werden kann. Höhere Haftstrafen sind schon aus Gründen der Schwere der Verbrechen - es gibt keine Wiedergutmachung - zu fordern.
6.Abschaffung des Begriffs "Triebtäter": Vergewaltigungsstudien sind übereinstimmend zu dem Schluß gekommen, daß Vergewaltigung in der Psyche des Täters keine sexuellen Funktionen erfüllt. Woraus der Täter Befriedigung zieht, ist die Demütigung und Erniedrigung der Opfer und das Gefühl von Macht und Herrschaft.
7.Schluß mit der Ent-Schuldung der Täter durch Alkoholismus, verminderte Schuldfähigkeit, Unzurechnungsfähigkeit, usw.
8.Therapie mit Tätern kann nur mit Blick auf die Opfer sinnvoll sein. (Nicht im Interesse der Täter, sondern zum Schutz der Kinder). Voraussetzung für eine Therapie ist die Verantwortungsübernahme für die Tat.
9.Knast und Couch ist keine Alternative. Es darf nicht sein, daß die Justiz die Verantwortung für solche Täter in die Psychiatrie abschiebt.
10.Psychotherapeuten, die die Freilassung ihrer Probanden betreiben, haben für diese in vollem Umfang Haftung zu übernehmen.
11.Erfassung und Katalogisierung der Verbrechen und der Täter:
Sexualtäter sind Wiederholungstäter. (...) Bekanntgabe von Freilassung und Aufenthaltsort der Täter sind zu fordern.
Und nicht zuletzt hoffen wir, in der Zusammenarbeit eine Form zu finden, unserer Trauer und Wut Ausdruck zu verleihen und unseren Kindern gerecht zu werden und sie nicht totzuschweigen. B. H. / A. P.