Aus der FTD vom 13.2.2001
Rückzug aus dem Online-Handel
Von Jürgen Hoffmann
Statt der Verheißungen bleiben für viele Unternehmen der Old Economy nur Enttäuschungen und Verluste.
Nach nur neun Monaten hat der Sportartikel-Hersteller Adidas seinen Internet-Store in Europa wieder geschlossen. Das elektronische Angebot hatte sich ohnehin auf 90 Sportartikel für sechs olympische Sportarten beschränkt. Nach dem Herunterholen des "Testballons", so Unternehmenssprecher Jan Runau, wollen die Adidas-Manager nun "die Erfahrungen mit dem neuen Vertriebsweg auswerten".
Zuvor hatten bereits Nike und Puma ihre Online-Angebote in Europa wieder vom Netz genommen. Reebok war erst gar nicht angetreten. Einen zweiten Anlauf mit einem eigenen Internet-Shop für ihre Kunden schließt Adidas jedoch in absehbarer Zeit nicht aus.
Man gibt aber freimütig zu, dass man die größeren Potenziale des Internets im Business-to-Business-Bereich sehe. "Im Endkunden-Geschäft bauen wir statt aufs E-Business lieber unsere Position als Fachhandelspartner Nummer eins aus", sagt Runau.
Einer Hängepartie glich der erste Versuch von Karstadt, das Internet zu erobern: Im Oktober 1996 starteten die Essener, "weil unsere Techniker gesagt haben, das wird was", erinnert sich Sprecher Elmar Kratz. Die Marketing-Manager wurden nicht gefragt. Das Kind bekam einen Namen, der keinen Rückschluss auf die Mutter zuließ: My-World. "Das war der zweite Fehler", konstatiert Kratz. Der E-Commerce-Vorstoß schlug fehl, weil das Warenangebot der damals noch fast ausschließlich jungen, männlichen Internet-Gemeinde nicht gefiel und die Eins-zu-eins-Abbildung der Produkte fantasielos war. Ein Flop.
1998 schlug die Stunde der Karstadt-Verkäufer: Sie machten dem Vorstand klar, dass man zwar CDs, Bücher und Reisen übers Netz verkaufen kann, nicht aber modische Textilien. Die Projektgruppe, die im Frühjahr 2000 My-World beerdigte, baut seither "Schaufenster", in denen Waren Internet-gerecht präsentiert werden. Trotzdem musste der für Oktober geplante Start des neuen Shopping-Portals Karstadt.de verschoben werden: Das Feintuning fehlte. Neuer Starttermin ist nun März.
Millionenverluste
Mindestens 20 Mio. DM hat der Kaufhauskonzern bisher im Internet-Ozean versenkt. Zu leichtfertig hat sich die Konzern-Spitze in das Netz-Abenteuer gestürzt. "Hinterher ist man immer schlauer", sagt Kratz, der versucht, den finanziellen Verlusten etwas Gutes abzugewinnen: "Wir haben viel Geld verloren, aber viele Erfahrungen gewonnen." Gleichwohl haben die Essener den Optimismus behalten: Nach gerade 880 Mio. DM Umsatz im Internet-Handel im vergangenen Jahr sollen es 2003 "mehrere Milliarden Mark" werden.
Zu Deutschlands Spezialisten für Onlinehandel gehört Patrick Cowden, Vorstandschef der Hamburger World of Internet (WOI). Im Poker um die Übernahme des Internetportals Sport.de kam der Amerikaner dem Kaufhauskonzern zuvor. "Wir waren einfach schneller als die Konkurrenz", gibt sich Cowden höflich. Ihm war Sport.de mehr wert als den renommierten Mitbietern. Cowdens Mannschaft will auf dem 1996 gegründete Portal künftig mehr bieten als nur News, Termine, Spiele und Werbung. "Die Zukunft gehört Lösungen, die Inhalt, Produkte, Lösungen und Services unter einer Adresse anbieten", sagt Cowden. "Das ist eigentlich auch das, was ein Konzern wie Karstadt braucht: die Kombination mehrerer E-Commerce-Beine."
Auf die Kunden hören
Nach Überzeugung des WOI-Chefs haben viele Unternehmen der Old Economy bei ihren ersten, "oft überhasteten B2C-Engagements" das Internet falsch eingeschätzt: "Sie glaubten, es würde reichen, die Technik zu beherrschen, und haben nicht dort angefangen, wo man beginnen muss: bei den Kundenwünschen." Cowden ist sicher, dass an den Internet-Gehversuchen der Traditionsfirmen nur einige Consulting- und IT-Firmen richtig verdient haben.Cowden ist sicher, dass sich an den Internet-Gehversuchen der Traditionalisten nur einige Consulting- und IT-Firmen "gesund gestoßen" haben.
Auch die Modehauskette C&A hatte schmerzliche Erfahrungen mit ihrem E-Business gesammelt: Mit großen Vorschusslorbeeren war das virtuelle Einkaufsparadies im Januar 2000 eröffnet worden, fünf Monate später war schon wieder Schluss. C&A hatte sowohl die Start- als auch die laufenden Kosten des Projekts unterschätzt und fast alle Arbeiten im eigenen Haus erledigt. Ein Fehler. "Unsere Stärke liegt klar im Produktbereich", gibt Unternehmenssprecher Thorsten Rolfes heute zu. "Der damals gewählte Weg war nicht richtig." Heute nutzt C&A das Netz nur noch als Informations- und Kommunikationsmedium. "Trotzdem suchen wir weiter nach Möglichkeiten für eine erfolgreiche E-Commerce-Lösung", heißt es bei C&A. Beim zweiten Anlauf will das Modehaus die Stärken verschiedener Partner bündeln.
Auch beim Unterhaltungskonzern Disney ist man überzeugt, dass vor allem die Inhalte über Top oder Flop entscheiden. Ende Januar hat das Unternehmen sein Onlineportal Go.com geschlossen. Künftig will der amerikanische Medienkonzern nur noch Content im Internet anbieten. Auch andere Konzerne wie NBC oder Time Warner dampften in jüngster Zeit ihr Internetgeschäft ein. Hauptgrund: drastisch rückläufige Werbeeinnahmen. Selbst einige Technologiekonzerne lagen mit ihren Prognosen für ihr Internetgeschäft schief. So legte vor kurzem Compaq einen außerordentlichen Abschreibungsverlust von 1,8 Mrd. $ bei der Internet-Beteiligungsgesellschaft CMGI offen.
© 2001 Financial Times Deutschland
URL des Artikels: www.ftd.de/tm/it/FTDHH0I55JC.html
Dieser Artikel erinnert mich an eine Studie die ich vor ca. 2 Jahre in Händen hatte. Dort wurde berichtet, dass viele Unternehmen erstmal eine grosse Entäuschung erleben dürften was ihre Internetaktivitäten anbelangt. Erst dann würde man aus den Fehlern lernen und das Internet als Vermarktungsweg und Vertriebskanal richtig einzusetzten wissen.
mfG: Speculator