Peter Hartz, VW-Manager und Missionar in Sachen Beschäftigungssicherung: „Jeden Tag kriege ich hier den Realismus beigebracht“
Des Leuchtenden Pfad
Mit Charisma beeindruckt er die Mitglieder der Kanzler-Kommission, mit Bedacht schont er deren heilige Kühe – weil es um sein Lebensthema geht
Erst denkt man möglicherweise, dass es am Gegenlicht liegen könnte oder an den sehr weißen Haaren. Nach einer Weile aber spürt man, dass dieses Leuchten offenbar und erstaunlicherweise von innen kommt, dass da einer vor lauter Überzeugung und Leidenschaft seine Aura zum Strahlen bringen kann. Wahrscheinlich ist es das, was man Charisma nennt. Dabei sieht Peter Hartz eigentlich vor allem bieder aus, bieder und freundlich, wie viele Arbeitsdirektoren und Manager aus der Generation der jetzt Anfang Sechzigjährigen nun einmal aussehen: Gute, aber unaufdringliche Umgangsformen, teures aber unauffälliges Tuch, goldgeränderte, schlichte Brille. Und eigentlich ist er auch alles andere als ein großer Rhetoriker. Er scheint überhaupt kein Talent zur Show zu haben. Er setzt seine kleinen Knalleffekte und Pointen eher nebenbei. Und was er sagt in diesem leicht saarländisch eingefärbten Tonfall, mag möglicherweise klug sein, geschickt ist es nicht.
Und trotzdem. Obwohl er einem unentwegt Sachen sagt, die ein kluger Mann Journalisten überhaupt nicht sagen sollte und die ein geschickter Mann auch nicht sagen würde, kommt man sich am Ende so eines Gespräches mit seinen eigenen, wohl vorbereiteten „Ja-Abers“ schließlich ganz schäbig und kleinlich vor. Peter Hartz macht sich in diesen letzten Tagen vor der Verabschiedung des Kommissionsberichts gar nicht mehr die Mühe, fundierte Detaileinwände zur Finanzierung des Job-Floaters oder banale Hinweise auf die Weltwirtschaft zu entkräften. „Ja klar“, sagt er dann zum Beispiel, „wir können uns natürlich auch alle zurücklehnen, nichts tun und auf das große Weltwirtschaftswachstum warten.“ Oder: „Jeden Tag kriege ich hier den Realismus beigebracht. Sie werden es nicht glauben, aber die Grundweisheiten sind auch der Kommission bekannt.“
Hausaufgaben-Päckchen
Dann dreht er die eingespielte Rollenverteilung und Beweislast zwischen Journalist und Kommissionsvorsitzendem einfach um und sagt: „Das sind eben jetzt Ihre Hausaufgaben, den Menschen das zu erklären. Jetzt beginnt Ihre Arbeit. Gehen Sie raus und sagen Sie Ihren Lesern, dass wir es einfach machen müssen. Auch wenn Wahlkampf ist. Es sind nicht die Arbeitslosen des jetzigen oder vorigen Kanzlers, es sind die Arbeitslosen dieser Gesellschaft.“ Dazu hält er beide Hände in Kopfhöhe und schleudert im Sprechrhythmus kleine, imaginäre Hausaufgaben-Päckchen über den Tisch.
Und erstaunlicherweise wird man überhaupt nicht sauer, denkt nicht, was maßt der sich eigentlich an, Hausaufgaben aufgeben zu wollen, anstatt schlaue Fragen zu beantworten. Im Gegenteil: Wenn man sich erst eine Weile dem Einfluss dieses Peter Hartz aussetzte, würde man wahrscheinlich tatsächlich aufstehen, hinausgehen und alle Gewerkschaftsfunktionäre und Arbeitgebervertreter, jeden einzelnen Bundesbedenkenträger und vor allem die wahlkämpfenden Damen und Herren Politiker aller Parteien auffordern, nicht länger die üblichen Partikularinteressen, Scheinargumente und Ja-Abers hin- und herzuschieben, sondern endlich anzufangen, wirklich etwas zu tun. Obwohl Wahlkampf ist. Das ist ja gefährlich hier, denkt man schließlich möglicherweise. Wie ein Besuch beim Missionar.
Ganz offensichtlich geht es anderen Menschen ähnlich, den Kommissionsmitgliedern zum Beispiel. Gehen immer wieder in die Beratungen, angestachelt, ausgebremst, mit Argumenten und Drohpotenzial ausgerüstet von ihrer jeweiligen Klientel. Und verwandeln sich drinnen hinter verschlossenen Türen offenbar dann doch immer wieder in gesamtverantwortlich und tabulos am Gemeinwohl entlang denkende Menschen, die an nichts anderem als an der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit interessiert sind.
Isolde Kunkel-Weber, die einzige Frau in der Kommission, die als Verdi- Vizevorsitzende naturgemäß eine harte Gegnerin jeder kollektiven Leistungskürzung sein muss, schildert es so: „Peter Hartz macht das eben toll. Er hört sehr gut zu. Aber er nimmt nur an, was geht. Er interessiert sich nicht für das, was nicht geht. Und so sagt er es auch: Lassen Sie uns proaktiv diskutieren. Sagen Sie mir nur, was geht, und nicht, was alles nicht geht.“ „Hochcharismatisch“ würde sie ihn nennen. „Er wird richtig leuchtend, wenn er überzeugen will.“ Sie habe sich auch schon ein paar Mal dabei „erwischt“, dass sie am liebsten einfach aufstehen, alles unterschreiben, rausgehen und endlich anfangen möchte.
So aber wird es möglicherweise nicht kommen. Dazu hat der Bundeskanzler diese Kommission viel zu spät eingesetzt und viel zu augenscheinlich als Wahlkampfinstrument. Und obwohl Peter Hartz ganz offensichtlich Weltmeister darin ist, heilige Kühe zu identifizieren, um sie dann aber nicht zu schlachten, sondern nur auf neue Wiesen zu führen, ist diese angeblich so wunderbare Deutschland-AG im Ernstfall eben nichts anderes als eine zähe Ja-Aber-Gesellschaft. Vor allem, wenn Wahlkampf ist.
Das Gesprächszimmer in der Vorstandsetage der Volkswagen-AG ist ohne jede Ambition und Prätention eingerichtet, auch ohne jeden Geschmack: Die Dreißiger-Jahre-Architektur kämpft vergeblich mit den Insignien der Sechziger, den dicken Teppichen und mit goldgerahmten Gemälden vom Typus Röhrender Hirsch. Durch die Panoramascheibe ein beeindruckender Blick auf den Mittellandkanal, der zwischen der Fabrik fließt und der Stadt, die es ohne die Fabrik nicht geben würde.
1993, als Peter Hartz gerade Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektor der Volkswagen-AG geworden war, hatte Ferdinand Piëch soeben ausgerechnet, dass der Konzern 30000 Mitarbeiter entlassen müsse. Peter Hartz verhandelte mit den Tarifparteien die Viertagewoche und das „atmende Unternehmen“. Die Personalkosten wurden dadurch sofort um rund zwei Millionen Mark pro Jahr gesenkt. Milliarden Mark für Sozialpläne wurden nicht ausgegeben, niemand wurde entlassen. Im Gegenteil: 1998 schenkte Peter Hartz der Stadt Wolfsburg zu ihrem 60. Geburtstag ein Versprechen: Die Halbierung der Arbeitslosenzahl in fünf Jahren. Die Bürgermeisterin soll damals ganz blass geworden sein. Nicht so sehr vor Freude, sondern weil sie fürchtete, dass ihr Parteifreund Peter Hartz dieses Versprechen niemals würde einlösen können. Im vergangenen Jahr stellte die VW-AG dann mit dem „5000 mal 5000 Modell“ fünftausend Arbeitslose weit unter Haustarif ein. Peter Hartz ist wie besessen von der Idee, Arbeitslosigkeit zu verhindern und zu bekämpfen. Es ist sein Lebensthema und Motor. Der Schlüssel zu diesem Thema liegt nur zum Teil in den Lebenserfahrungen eines Hüttenarbeitersohnes aus St. Ingbert, der sich hochgearbeitet hat. Die entscheidende Erfahrung muss vielmehr der Sommer 1983 gewesen sein, als Peter Hartz, der inzwischen Arbeitsdirektor der Saarstahl AG war, 2500 Arbeiter entlassen musste.
Wenn er davon erzählt, wie die Betroffenen sich im Stadion versammelten, wie tagelang „Spiel mir das Lied vom Tod“ aus den Lautsprechern klang, wie die Kirchenglocken läuteten, und wie sich das alles in seiner Erinnerung mit der Angst in den Gesichtern der Menschen vermischte, dann erzählt er das zwar alles wie nebenbei, überhaupt nicht auf Effekt angelegt. So wie er ganz frohgemut sagt: Ich höre diese Mundharmonika manchmal heute noch. Aber seine Augen sagen: Hiervon kommt die Kraft, das ist die dunkle Erfahrung, die meine helle Seite immer wieder zum Leuchten bringt.
Entlassungen sind Unsinn, sagt er seither. So wie er seither Bücher schreibt darüber, wie Großunternehmen gerade auch in schwierigen Zeiten ohne Entlassungen besser klarkommen. Auf der ganzen Welt hat er Modelle zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit studiert, hat auf Kongressen, Reisen und im Internet mit jedem Lieferanten und Praktikanten jeder guten Idee diskutiert, hat geschildert, wie man die „Wachstumsbranche Schwarzarbeit“ legalisieren könnte, zum Beispiel durch niedrigbesteuerte Ich-AGs. Die ganze Welt hat er umgekrempelt auf der Suche nach Antworten zu der Frage: Wie entsteht Beschäftigung, warum funktionieren die kundenorientierten Jobcenter in England, den Niederlanden und der Schweiz so viel besser als die Bundesanstalt für Arbeit mit ihren manipulierten Vemittlungszahlen?
Als er vor einem Jahr sein neuestes Buch „Job Revolution“ vorstellte, sagte Peter Hartz zwar: „Wir müssen die Leute anstecken und eine richtige Bewegung daraus machen“. Aber er wusste damals noch nicht, wie schnell er Gelegenheit bekommen sollte, genau dieses zu versuchen. Mit den harten Einwänden und den ewigen Ja-Abers kann er umgehen. Nicht so gut umgehen kann er mit der Frage, was er tut, wenn die Kommission scheitert, wenn es kein einhelliges Votum gibt. Gar nicht umgehen kann er damit, wenn Edmund Stoiber seine Bemühungen eine „Selbstfindungskommission“ nennt. Obwohl er wissen müsste, dass Stoiber damit alle beleidigt hat, die in der Kommission sitzen und dass genau darin möglicherweise eine Chance liegt.
Das kleine Wunder
Über seine Strategien und Pläne spricht er lieber als über seine Zweifel und Befürchtungen. Und wenn alles richtig festgefahren und öffentlich zerredet ist, zaubert Hartz ein neues Kaninchen aus dem Hut wie den Job-Floater. Dann diskutieren alle darüber, wie das nun wieder funktionieren kann und ob man tatsächlich das Schwarzgeld von erst noch zu amnestierenden Steuerhinterziehern für den Aufbau Ost einsetzen kann. In der Zwischenzeit kann Peter Hartz möglicherweise mit seiner Kommission unauffällig noch ein paar von den heiligen Kühen auf ganz neue Wiesen führen.
Gelingt ihm das nicht, findet die Kommission bis zum 16. August nicht Formulierungen, denen alle zustimmen können, dann ist auf lange Sicht eine Chance vertan. Der Mann, der diese Chance repräsentiert, wird beschädigt sein. Dann kann Deutschland bleiben, was es ist: ein Musterland für Bürokratismus und Ineffizienz in der Beschäftigungspolitik, mit stetig steigenden Arbeitslosenzahlen bei wechselnden Regierungen. „Aber an diesem Freitag habe ich ja erst einmal Geburtstag, da können sie doch nicht ganz so garstig mit mir sein.“
Man muss Peter Hartz erlebt haben, um sich trotz allem vorstellen zu können, dass er die Mitglieder der Kommission hinreichend angesteckt hat mit seinem Leuchten. Das wäre es dann tatsächlich: Die größte Reform auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Nicht sofort das große Job-Wunder, aber doch schon einmal das kleine Hartz-Wunder. Und endlich ein Anfang. „Die Kommission wird am nächsten Freitag im Französischen Dom zu Berlin ihre Bitten an alle gesellschaftlichen Gruppen verteilen“, sagt Peter Hartz, und er tut sehr zuversichtlich.
Hausaufgaben für alle also? „Schreiben Sie bloß nichts von Hausaufgaben. Schreiben Sie Bitten. Hausaufgaben, das sage ich doch nur zu Ihnen, weil ich Ihnen dabei in die Augen schauen kann und Sie also sehen können, wie ich es meine“. Wie gesagt, Peter Hartz macht das alles gut, aber nicht geschickt. Und wahrscheinlich ist gerade das so überzeugend in einer Zeit, in der die meisten anderen ihre Geschicklichkeit vor allem dazu einsetzen, dass sich bloß nichts bewegt.
Süddeutsche Zeitung