Ein Paket gegen den Konjunkturabsturz

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Ein Paket gegen den Konjunkturabsturz

 
07.03.03 13:04
Der Kanzler scheint bei seinem angekündigten wirtschaftspolitischen Neuanfang jetzt weitgehend darauf verzichten zu wollen, die Konjunktur zu stützen. Damit droht er alle guten Reformen zu konterkarieren.

Fast hätte Deutschland so etwas wie ein Konjunkturpaket bekommen. Von Milliardenhilfen war die Rede und von niedrigeren Steuern. Jetzt sollen den Kommunen günstige Kredite geboten werden, die sie aus lauter Finanznot ohnehin nicht abrufen können. Eine Steuersenkung scheint vom Tisch.

Ein Konjunkturpaket sähe anders aus. Und die Frage ist, ob das nur für jene Gewerkschafter eine Niederlage ist, die solche Programme fordern - und nicht bei nüchterner Betrachtung auch für die gesamte Wirtschaft. Denn: Vor lauter deutscher Ideologiedebatten um die überall sonst auf der Welt pragmatisch gehandhabten Programme droht außer Acht zu geraten, dass Rot-Grün derzeit de facto ein katastrophales Paket zur Verstärkung der Konjunkturkrise umsetzt. Es wäre viel gewonnen, wenn der Kanzler seine Regierungserklärung zum Neustart nächsten Freitag nutzen würde, um das wenigstens zu stoppen. Sonst drohen auch die besten strukturellen Reformen für die Wirtschaft wirkungslos zu bleiben.



Gefährliches Ignorieren der Konjunktur


Die Bundesregierung hat sich seit Herbst auf eher tragikomische Weise an die zweifelhafte Maßgabe gehalten, wonach sich die Politik nicht um die Konjunktur scheren sollte. Mit den Steuer- und Abgabenerhöhungen entzog sie in ohnehin heikler Lage Unternehmen und Verbrauchern Geld in zweistelliger Milliardenhöhe. Die Zwischenbilanz der konjunkturellen Folgen wirkt beängstigend: Das Konsumentenvertrauen stürzte im November ab; das Geschäftsklima im Handel liegt auf dem niedrigsten Stand seit Mitte der 70er Jahre. Die Sparquote der verunsicherten Deutschen sprang auf den höchsten Stand seit 1998.


Dazu kommt, dass die Krise zu neuen Problemen führt: etwa bei den Kommunen, die ihre ohnehin drastisch reduzierten Investitionen mangels Geld weiter zu streichen drohen. Das macht sich in den Auftragsbüchern von Handwerkern bemerkbar. Vergangenes Jahr investierten Bund, Länder und Gemeinden in Deutschland insgesamt gerade noch so viel wie vor der Einheit allein im Westen; in kaum einem entwickelten Land steckt der Staat so wenig von seinen Ressourcen in die Zukunft.


Seit September ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland nach saisonbereinigter Rechnung um eine Viertel Million gestiegen. Das liegt nicht nur, aber auch an den konjunkturellen Folgen des Regierungsstarts. Nach jetzigem Stand ist 2003 damit zu rechnen, dass der Staat zu einer Dämpfung des Wirtschaftswachstums um 0,7 Prozentpunkte beiträgt.


Schröders Pläne für Strukturreformen werden daran auf Anhieb kaum etwas ändern. "Selbst wenn es reale Arbeitsmarktreformen gibt, wird dies den starken Negativtrend 2003 kaum mehr kippen", sagt Jörg Krämer, Chefökonom bei Invesco Asset Management.


Bei nüchterner Betrachtung könnte die ein oder andere Maßnahme unter den jetzigen Bedingungen sogar das Gegenteil bewirken. Eine deutliche Lockerung etwa des Kündigungsschutzes würde derzeit erst einmal eins bewirken: eine Beschleunigung des Arbeitsplatzabbaus. Und wenn die Reformen der Sozialsysteme nicht überzeugend auf Wirtschaft und Verbraucher wirken, könnte dies neue Schübe des Vorsichtssparens auslösen.


Die Umsetzung der Riester-Rente ließ nach Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Ende 2002 die Ersparnis weiter steigen - in einem Moment, in dem es auf eine Stabilisierung des Konsums angekommen wäre. Ähnlich zwiespältige Erfahrungen machte in jüngster Zeit Frankreich: Die Debatte um eine private Altersvorsorge hat laut Analysten sehr stark zum jüngsten Absturz des Konsumvertrauens beigetragen.


Es wäre völlig unsinnig, vernünftige Strukturreformen deshalb nicht zu machen. Nur gibt es unter den viel gelobten Reformländern der Welt kein einziges, dessen Regierung seine mehr oder weniger radikalen Reformen einst durch Steuer- und Abgabenerhöhungen begleiten ließ, wie es in Deutschland 2003 droht. Zur Erinnerung: Ronald Reagan senkte Anfang der 80er Jahre die Steuern und erhöhte viele Staatsausgaben drastisch.


Der Verdacht liegt eben nahe, manche Projekte würden in konjunkturell stabilerem Umfeld mehr bewirken als jetzt, wo sie bei falscher Dosierung eine gefährliche wirtschaftliche Abwärtsspirale zu beschleunigen drohen. Schon deshalb sollte die Bundesregierung konjunkturpolitisch gegensteuern - gerade wenn sie nun einen größeren Wurf in Sachen Strukturreformen plant.



Steuerschecks für die Schlagzeilen


Der Versuch lohnt allemal: Der Abstand zwischen tatsächlicher und potenziell möglicher Wirtschaftsleistung in Deutschland dürfte nach jüngsten Schätzungen dieses Jahr fast drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Das wäre allein durch eine bessere Konjunktur zu gewinnen. Auf Basis der eher großzügigen Schätzungen der OECD zur strukturellen Arbeitslosigkeit lässt sich umgekehrt ableiten, dass die deutsche Joblosenquote bei normaler Konjunktur um rund 20 Prozent reduziert werden könnte, ohne dass Überhitzungserscheinungen aufträten. Das wären immerhin 900.000 Jobs.


Die deutschen Kommunen brauchen keine Kredite, sondern sehr reale finanzielle Unterstützung, damit der Absturz der Investitionen zumindest gebremst werden kann. Dem desaströsen Stimmungstief unter Deutschlands Konsumenten könnte Gerhard Schröder derweil begegnen, indem er die Steuerreform 2003 vorzieht und die Entlastung von insgesamt gut 6 Mrd. Euro per Steuerschecks in den nächsten Wochen auszahlen lässt, wie es die USA 2001 vorgemacht haben.


Beides zusammen würde das Staatsdefizit in Richtung 3,5 Prozent treiben - nur droht das ohnehin so zu kommen, wenn mangels Konjunkturstabilisierung das Wachstum gegen null tendiert. Ein Drama wäre es nicht. Dafür aber könnte sich der Kanzler ziemlich sicher sein, was kommenden Samstag nach seiner Rede die Schlagzeilen bestimmt: der Steuersenkungscoup und die Schecks, die jeder dann vom Finanzamt bekommt.
© 2003 Financial Times Deutschland

So long,
Calexa
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