Die diskreten Kontrakte des Herrn Liu

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EinsamerSam.:

Die diskreten Kontrakte des Herrn Liu

 
12.12.05 17:35
Rohstoffhandel

Die diskreten Kontrakte des Herrn Liu

Ein chinesischer Kupferhändler hat sich kolossal verspekuliert, gerade stehen muss dafür wohl der chinesische Staat. Die Geschichte von Liu Qibing offenbart große Mängel im Finanzsystem der Volksrepublik - und weckt Erinnerungen.

PEKING. Das Handy bleibt seit Wochen stumm. Die Wohnungstür im 10. Stock des Pekinger Apartment-Hochhauses öffnet sich auch nach mehrfachem Klingeln nicht. Und an seinem Schreibtisch in Schanghai, wo Liu Qibing sonst die Märkte studierte, ist der Kupferhändler schon lange nicht mehr gesehen worden. Nur zwei chinesische Malereien an der Wand geben vage Auskunft über den als „still und sehr intelligent“ beschriebenen Kunstliebhaber, der die Finanzwelt seit Wochen in Atem hält.

Nicht in Luft aufgelöst haben sich dagegen seine Terminkontrakte. Beim umfangreichen Handel des begehrten Rohstoffs scheint sich Liu kräftig verspekuliert zu haben. Und das im Namen des Volkes. Denn der jungen Mann war für das staatliche Reservenbüro RSB tätig. Damit droht nun Chinas Regierung „ein Verlust von Hunderten von Millionen Dollar“, heißt es in den staatlichen Medien.

Um die RSB-Zentrale, ein trister Betonklotz im Westen Pekings, weht seit Tagen ein kalter Novemberwind. Das Klima ist frostig. Und die obligatorische rote Fahne vor dem Haupteingang müsste am 21. Dezember wohl auf Halbmast wehen. Dann ist Zahltag, dann werden die Verträge des Händlers Liu fällig.

Liu soll vor Monaten bis zu 200 000 Tonnen Kupfer zum Preis von 3300 Dollar je Tonne verkauft und auf sinkende Preise am Kupfermarkt spekuliert haben. Der Trick bei diesen so genannten Leerkäufen: Der Händler hat das Metall gar nicht, sondern leiht es sich für wenige Monate aus – hier vom chinesischen Staat. Bei Fälligkeit wird nachgekauft. Ist der Preis gesunken, bleibt ein Gewinn.

Doch diesmal ging die Rechnung nicht auf. Inzwischen kostet eine Tonne Kupfer mehr als 4400 Dollar. Statt des Gewinns zeichnet sich nun also bei anhaltend hohen Kupferpreisen ein satter Verlust ab. Die 300 Mill. Dollar, die Händler Liu zwischen 2002 und 2004 durch solche riskanten Kupfer-Deals in Chinas Staatskasse gespielt haben soll, dürften bald dahinschmelzen.

Liu ist keineswegs ein Draufgänger, er kannte sich gut aus. Der 36-Jährige, ein hochqualifizierter KP-Mann und schon seit 1990 bei der Reservenbehörde tätig, war für seinen Job eigens an der Londoner Metallbörse (LME) ausgebildet worden. „Er ist einer der besten Händler der Welt“, urteilt ein Analyst. Er sei es gewesen, der in den vergangenen Jahren den Bullenmarkt im Kupferhandel geschaffen habe – von seinem Büro im 9. Stock, im Herzen des Schanghaier Finanzviertels Pudong, gleich neben der Börse. Hier, zwischen den polierten Glaspalästen des neuen Chinas, soll er schon mal gern Marktstrategien diskutiert haben. Und wenn ihm jemand sagte, er solle seine riskanten Geschäfte lieber lassen, dann habe Liu nur gelacht. Doch sein Erfolg machte andere aufmerksam. Vor allem ebenso spekulative Anleger, internationale Hedge-Fonds, die nun in den Kupfermarkt investierten. In London betreiben diese Anleger – in China „Krokodile“ genannt – zur Zeit rund 70 Prozent des gesamten Handels, wie in der Branche gemunkelt wird.

Liu habe die Krokodile unterschätzt, heißt es nun. Und plötzlich ging für den Super-Händler alles schief. Wenn so etwas passiere, wolle es in China plötzlich keiner gewesen, sagt Andy Xie, Ökonom von Morgan Stanley in Hongkong. Denn es gebe einfach einen großen Mangel an Transparenz. Schon mehren sich die Stimmen, die Liu Qibing nicht als Täter, sondern als Bauernopfer sehen

So hieß es erst bei den obersten Stellen in Peking, der Händler Liu sei gar nicht bekannt. Als sich dies nicht halten ließ, wurde verbreitet, er habe nicht im Auftrag des Staates, sondern im eigenen Auftrag gehandelt. China bleibt sich treu. Ob Vogelgrippe, Umweltkatastrophe oder Kupferskandal – immer wird erst vertuscht, dann ein bisschen zugegeben und am Ende bleiben viele unbeantwortete Fragen.

Es sei schon bedenklich, dass China so stark die Weltmärkte bewegen könne, aber keinerlei Verpflichtung sehe, Informationen preisgeben zu müssen, meint Ökonom Xie. Und so geht es nicht nur um die Termingeschäfte des Herrn Liu. Der Fall gibt auch einen Einblick, welche Aufsichtsmängel in China bei Staatsbetrieben und auf den Finanzmärkten bestehen. Denn für die Experten ist die Theorie vom Einzeltäter Liu unhaltbar. „Es ist definitiv unvorstellbar, dass dies seine persönlichen Entscheidungen waren“, sagt Huang Xiao, Analyst von Beijing Capital Futures. Kollege Gavin Wendt von Fat Prophets Fund Management pflichtet bei: „Seine Vorgesetzten scheinen zu glauben, sie könnten ihre Haut retten, indem sie einem Einzelnen die Schuld in die Schuhe schieben.“ Ein Hauptproblem sei, dass es viele Grauzonen gebe und meist völlig unklar bleibe, wer eigentlich für was verantwortlich sei, sagt Robert Broadfoot, Direktor der Beratungsfirma Political & Economical Risk in Hongkong. „Es ist ein fehlerhaftes System.“ Er finde es erstaunlich, dass es nicht öfter solche Skandale wie jetzt im Kupferhandelhandel gebe.

Dabei ist es nicht der erste spektakuläre Vorfall. Zuletzt hatte im vergangenen Jahr der Chef der Handelstochter von China Aviation Oil (CAO), dem größten Lieferanten von Flugbenzin in Asien, durch Spekulationen auf den Ölpreis rund 550 Mill. Dollar des Konzerns verspielt. Auch er hatte die Preisentwicklung falsch vorhergesagt. Und damals wie heute hat keine Aufsicht bemerkt, welch riskante Milliarden-Geschäfte ein einzelner Spekulant über Monate einfädelte.

Liu Qibing ist nun schon als „Nick Leeson der Rohstoffmärkte“ zu Ruhm gekommen. Der englische Börsenhändler Leeson, der Mitte der 90er-Jahre mit seinen Verlusten die Barings Bank in die Pleite stürzte, war ähnlich schlecht kontrolliert worden. Warum Lius wichtiges Handelsbüro nicht wie andere im Land der obersten Finanzaufsicht unterstellt ist, gehört zu den offenen Fragen. Ein Grund könnte sein, dass das RSB mit seinem Wetteifer seine Aufgabe überzogen hat. Die 1953 eingerichtete Behörde gehörte lange zum Instrument der kommunistischen Planwirtschaft. Der Rohstoffhandel solle nur „helfen, die Preise zu stabilisieren und den Nachschub zu sichern“, sagt Analyst Huang. Es gehe nicht um Gewinn.

Liu, Sohn einer Bauernfamilie aus der chinesischen Provinz Hubei, hat es nun geschafft, die mächtige Führung in Peking in eine peinliche und absurde Situation zu manövrieren. Gerade das Land, das so viel Kupfer wie kein anderer Staat auf der Welt benötige, habe nun den Preis nach oben getrieben, sagt ein Händler.

China braucht Kupfer für sein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Ob Kabel oder Rohre, ob bei der Fertigung von Computern, Handys oder Kühlschränken – immer ist der Rohstoff dabei. China steht bereits für ein Viertel des weltweiten Kupferverbrauchs, hat im vergangenen Jahr 3,3 Millionen Tonnen verarbeitet. Tendenz steigend.

Ausgerechnet die Gerüchte um Lius Kontrakte haben aber in den vergangenen Wochen an den Metallbörsen London, New York und Schanghai zu einer wahren Kupfer- Rally geführt. Denn die Lager sind weltweit leergefegt, die Vorräte liegen auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren. China steckt in der Kupfer-Falle.

Die Führung in Peking ist inzwischen aktiv geworden. Peking versucht momentan mit Kupfer-Auktionen den Weltmarktpreis zu drücken. Verkauft wurden bereits mindestens 50 000 Tonnen, eine ähnliche Größenordnung soll folgen. Zudem soll gelungen sein, einige Kontrakte zu stornieren.

Außerdem ließen die Behörden verbreiten, das Land habe 1,3 Millionen Tonnen Kupfer auf Lager. Diese Zahl – sonst Staatsgeheimnis – wird jedoch angezweifelt. Selbst beim Händler China International Futures in Shenzen heißt es, dass Chinas Kupfervorräte höchstens 720 000 Tonnen betragen.

Eine Antwort gibt es darauf nicht. Denn das chinesische Motto lautet: Schweigen ist Gold. Und so weiß vielleicht nur einer, was wirklich am Stichtag, am 21. Dezember, auf dem Spiel steht – Kupferhändler und Kunstliebhaber Liu Qibing. Doch der bleibt spurlos verschwunden.

Quelle: HANDELSBLATT, Montag, 12. Dezember 2005, 16:50 Uhr

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