Financial Times Deutschland
US-Finanzskandal alarmiert Anleger
Montag 5. März 2007, 08:15 Uhr
Am Anfang war es nur eine Schnapsidee. Ersonnen am Tresen der Oyster Bar, jenem Restaurant in den Katakomben der New Yorker Grand Central Station, das für seine traditionell rot-weiß karierten Tischtücher ebenso berühmt ist wie für die 29 Sorten Austern, das Riesenaquarium voller lebender Hummer oder die über und über mit Stuck und Fresken verzierten Gewölbedecke.
Hier treffen sich Manhattans Investmentbanker, um mittags Geschäfte abzuschließen oder nach Feierabend noch ein, zwei frisch gezapfte Biere zu trinken. Und hier trafen sich im Jahr 2001 auch zwei alte Freunde, um ein Problem aus der Welt zu schaffen: Mitchel Guttenberg und ANZEIGE
Erik Franklin.
Schmiergelder in Kartoffelchipstüten
Guttenberg, Berater für Großinvestoren beim Schweizer Bankkonzern UBS, stand beim Hedge-Fonds-Manager Franklin in der Kreide: mit 25.000 $. Schnell kamen die beiden auf einen Plan, wie Guttenberg seine Schulden begleichen könnte: Als einer der Chefs der Beratungsabteilung für institutionelle Anleger erhielt der UBS-Mann vorab Einblick in die Kaufs- und Verkaufsempfehlungen der Analysten der Bank. So konnte er Franklin noch vor der Veröffentlichung mitteilen, dass die UBS Aktien bestimmter Firmen auf- oder abwerten würde.
Solche Einschätzungen können Kurse kräftig in Bewegung bringen. Die Absprache klappte so gut, dass die Freunde ihr System auch beibehielten, als Guttenbergs Schulden getilgt waren. Schon bald wurde aus dem Duo eine Bande. Die Betrüger benutzten Wegwerfhandys, verständigten sich mit Geheimcodes und übergaben Schmiergelder in Kartoffelchipstüten.
Was wie der Stoff für einen Taschenbuchreißer klingt, ist der vielleicht größte Insiderskandal der vergangenen Jahrzehnte an der Wall Street. Die Täter: Mitarbeiter der angesehensten Investmentbanken der Welt, unter ihnen Morgan Stanley (NYSE: MS - Nachrichten) und Bear Stearns. Mindestens 15 Mio. $ haben Guttenberg und seine zwölf Komplizen nach Angaben der US-Börsenaufsicht SEC über Jahre durch illegale Tipps kassiert, Tausende Handelstransaktionen manipuliert - zum Nutzen der Hedge-Fonds Lyford Cay Capital, Chelsey Capital und Q Capital.
Dreistigkeit, die beeindruckt
Selbst die Ermittler zeigten sich beeindruckt von der Dreistigkeit der Bande: "Dies sind keine Hinterzimmerabzocker, sondern es ist bei Top-Institutionen der Wall Street passiert", sagt Linda Chatman Thomsen, Leiterin der SEC-Ermittlungsabteilung. "Sie haben fast alle ethischen und juristischen Regeln der Wall Street gebrochen."
Dass Hedge-Fonds im Zentrum des illegalen Zockernetzes stehen, ist wohl kein Zufall. Viele der kaum regulierten Geldpools setzen auf kurzfristige Spekulationsprofite. Märchenhafte Gewinne in den 90er-Jahren und der Nimbus des Geheimnisvollen haben in Scharen Investoren angelockt. Heute gibt es mehr als 8000 Hedge-Fonds, die rund 1300 Mrd. $ verwalten. Doch damit wächst auch die Konkurrenz, und die zweistelligen Traumrenditen sind in den vergangenen Jahren merklich geschrumpft. "Die Hedge-Fonds versprechen überdurchschnittliche Renditen in einem schwierigen Umfeld. Umso wichtiger ist es für sie, sich einen Informationsvorsprung zu verschaffen", sagt Jacob Zamansky, Wertpapieranwalt in New York. Und sei es auf illegale Weise.
Fusionen und Übernahmen bieten lukrative Chance
Die Verdachtsmomente häufen sich. Die Marktordner der New York Stock Exchange melden eine steigende Zahl auffälliger Handelstransaktionen. Seit 2004 haben sich die Fälle mehr als verdoppelt, in denen die Aufseher Insiderhandel vermuten. Und Hedge-Fonds sind daran immer häufiger beteiligt.
Vor allem Fusionen und Übernahmen bieten illegalen Vorab-Zockern eine lukrative Chance. Und an ihnen herrscht zurzeit kein Mangel: Allein in den vergangenen beiden Jahren wurden laut dem Finanzdatendienstleister Thomson Financial fast 20.000 Unternehmenszusammenschlüsse mit einem Volumen von 2580 Mrd. $ angekündigt. In diese Deals sind immer mehr Beteiligte eingeweiht: Meist beraten mehrere Investmentbanken die Firmen, auf der Bieterseite schließen sich häufig Gruppen von Beteiligungsgesellschaften zusammen. Damit vergrößert sich der Kreis der Insider - und auch die Gefahr undichter Stellen.
"Manche Leute wissen mehr als andere und nutzen das", warnt Christopher Thomas von Measuredmarkets, einer Finanzanalysefirma, die auffällige Handelsmuster verfolgt. Bei einer Studie im vergangenen Sommer stellten die Experten fest, dass bei mehr als 40 Prozent aller US-Übernahmen offenbar im Vorfeld gehandelt worden war.
Ins Visier der Fahnder geraten zunehmend die traditionellen Wall-Street-Häuser, die mit den Hedge-Fonds immer enger verflochten sind. Die Banken bieten den Spekulantenpools Kredite und Dienstleistungen wie die Abwicklung von Handelsaufträgen an - ein Geschäft, das ihnen inzwischen jährliche Einnahmen von rund 10 Mrd. $ beschert. Und in manchen Fällen bleibt es nicht bei legaler Kooperation. "Manager klassischer Investmentfonds klagen zunehmend darüber, dass die Banken ihrer Ansicht nach Informationen über ihre Großaufträge vorab Hedge-Fonds zuspielten", berichtet John Nester, Sprecher der US-Börsenaufsicht SEC.
Diesem Vorwurf geht die Behörde jetzt nach: Im Herbst hat sie eine breit angelegte Untersuchung gestartet und die zehn größten Wall-Street-Häuser - darunter auch die Deutsche Bank (Xetra:
514000 - Nachrichten) - aufgefordert, ihre Handelsdokumentation zu übergeben.
Aus kleinem Betrug wird Insiderrring
Jüngster Fall auf dem Radarschirm der Ermittler ist der Kauf des texanischen Energieversorgers TXU durch die Beteiligungsgesellschaften KKR und Texas Pacific, der vorvergangene Woche offiziell bekannt wurde. Einige Marktteilnehmer waren da offenbar schon im Bilde und hatten sich entsprechend Kaufoptionen auf die TXU (NYSE: TXU - Nachrichten) -Aktie gesichert. Am Freitag fror die SEC Konten mit verdächtigen Transaktionen ein. Auch bei der Übernahme des Softwareanbieters Hyperion durch den SAP (Xetra:
716460 - Nachrichten) -Konkurrenten Oracle am vergangenen Donnerstag weisen Beobachter auf verdächtige Optionskäufe im Vorfeld hin.
Eben an diesem Donnerstag wurde Guttenberg vor seinem Haus an der vornehmen New Yorker Upper Eastside verhaftet. Nun drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft. Sein Fall ist eine Blaupause, wie aus einem kleinen Betrug ein ganzer Insiderring erwachsen kann.
Guttenberg arbeitete mit denkbar einfachen Mitteln. So erfuhr er einmal, dass die UBS die Aktien von Goldman Sachs am folgenden Tag zum Kauf empfehlen würden. Daraufhin kaufte einer seiner Komplizen 7300 Goldman-Papiere. Als der Kurs nach der Empfehlung gestiegen war, veräußerte er sie umgehend wieder - mit rund 20.000 $ Profit. Einen Teil davon bekam Guttenberg ab.
Erst Kleckerbeträge, dann Hunderttausende
Die anfänglichen Kleckerbeträge summierten sich bald zu Hunderttausenden. Schnell waren Händler bei Bear Stearns, mit denen Franklin zusammenarbeitete, auf die lukrativen Tipps aufmerksam geworden. Kurz darauf gehörten auch sie zur Bande.
Noch gewinnbringender arbeitete das Netz, als es gelang, auch Morgan Stanley anzuzapfen. Die Verschwörer nutzten Informationen über bevorstehende Fusionen und Übernahmen, bei der die Investmentbank die beteiligten Firmen beriet. Die Ankündigung von Unternehmenshochzeiten lässt in der Regel die Aktie des aufgekauften Unternehmens steigen, während die des Käufers oft fallen. Quelle bei Morgan Stanley war nach Angaben der Ermittler ausgerechnet eine Mitarbeiterin der Rechtsabteilung, welche die geplanten Transaktionen auf ihre juristische Stimmigkeit prüfen sollte. Sie gab wesentliche interne Dokumente an ihre Komplizen weiter.
Die Machenschaften treffen das Herz der Wall Street. Doch kaum ein Vergehen an den Finanzmärkten ist so schwierig zu beweisen wie Insiderhandel. "Meist haben wir nur Indizien. Die Beschuldigten können alle möglichen Gründe angeben, warum sie die Aktie gekauft haben", sagt SEC-Mann Nester.
Hinweise unter Freunden galten an der Wall Street lange Zeit als Kavaliersdelikt. "Das änderte sich erst nach dem Fall Ivan Boesky, der seinen Tippgebern ganze Koffer voller Geldscheine auf den Schreibtisch stellte", sagt der Wall-Street-Historiker John Steele Gordon. Boesky diente dem Regisseur Oliver Stone als Vorbild für Gordon Gekko, jenen gewissenlosen Spekulanten in seinem 80er-Jahre-Hollywoodstreifen "Wall Street". "Insiderhandel wird es in der Branche immer geben, schließlich dreht sich alles um Information und Timing", prophezeit Historiker Gordon. Oder wie Gekko sagen würde: "Entweder du bist drin. Oder du bist draußen."
Mitarbeit: Anja Eicke