Kolumne
FTD, 14.1.07
Überfällige Korrekturvon Lucas Zeise
Der Aktienmarkt brummt seit Jahren - doch die Bewertungen sind zu hoch und von Sonderfaktoren getrieben.Die Hausse am Aktienmarkt ist alt geworden. Sie dauert nun fast vier Jahre. Auf ihre alten Tage scheint das Fräulein aber ganz schön spritzig zu werden.
Man schaue sich nur an, wie sich am vergangenen Donnerstag der Dax nachmittags aufmachte und mühelos fast zwei Prozent zulegte. Es war nichts Besonderes los an dem Tag. Auch die US-Börsen waren fest. In einigen Werten mussten Short-Positionen eingedeckt werden, was zu anspringenden Preisen führte. Der Kern der Geschichte aber war der nachgebende Ölpreis.
Der Ölpreis gibt der alt gewordenen Hausse neuen Schwung. Sinkende Preise für Energie lassen den Konsumenten und den Industrieunternehmen mehr Geld in der Kasse. Die seit 2001 vom starken Konsum getragene US-Konjunktur kann sich so um ein paar Monate verlängern.
Die Hausse kann noch weiter gehen - obwohl sie eine der längsten ist, die es je gab und mit fortschreitendem Alter schon rein statistisch gesehen fürs Ableben anfällig wird.Diese Hausse hat dem Dax in vier Jahren eine Verdreifachung des Kursniveaus beschert. Die Rückschläge, zum Beispiel der zwischen Mai und Juli 2006, waren harmlos und blieben bei den wichtigsten Indizes unter zwei Prozent. Der Dow hat seit mehr als zwei Jahren keinen Tagesverlust von mehr als zwei Prozent erlebt.
Der Aktienkauf auf Kredit hat in den USA wieder ein Volumen wie im Jahr 2000 erreicht.Mär von der moderaten Bewertung
Die Strategen hatten zum Jahreswechsel Mühe, nach vier guten Jahren 2007 einen weiteren Anstieg von Dow und Dax vorherzusagen. Aber sie schafften es. Die Floskel lautete: Nicht so gut wie 2006 werde das neue Aktienjahr werden, aber doch gut. Argumentativ verwiesen sie auf die trotz der drastisch gestiegenen Kurse als
"moderat" bezeichnete Bewertung. Dem deutschen Markt wird ein durchschnittliches Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 13 attestiert, für die Werte des US-Index S&P-500 eines von 15.
In Wirklichkeit sind diese Kennzahlen keineswegs moderat. Sie liegen über den langfristigen Durchschnittswerten und sie kommen zustande auf Basis von Gewinnen, die ebenso wie der Aktienmarkt eine grandiose Wachstumsperiode hinter sich haben. Es ist deshalb kühn, den Unternehmensgewinnen nach drei Jahren zweistelligen Wachstums weiteren ungebremsten Anstieg vorherzusagen.
Man kann auch sagen, nahe dem Höhepunkt des Gewinnzyklus müssten die KGVs viel niedriger sein. Andernfalls legen sie eine Korrektur der Kurse nahe.Da die
Gewinne - die veröffentlichten, nicht die realen - zusätzlich durch die veränderten Rechnungslegungsvorschriften seit 2005 aufgebläht worden sind, ist das Wort vom moderaten KGV noch weniger angemessen. Die Kölner Investmentbank Sal. Oppenheim kam in einer Studie zu dem Ergebnis, dass das mit 13 errechnete KGV des Dax eigentlich, nach alter Gewinnrechnung schon bei 15 liege. Die US-Sitten bei der Feststellung der Gewinne sind mindestens ebenso auf eine Überzeichnung ausgerichtet. Es wird damit doppelt irreführend, das aktuelle KGV als "moderat" zu bezeichnen.
Interessant ist auch ein anderes Argument
positiv gestimmter Aktienstrategen. Sie verweisen darauf, dass die Übertreibung bei anderen Vermögensklassen viel schlimmer sei - und haben sogar recht damit. Die Immobilienmärkte haben in manchen Ländern Spekulationsexzesse durchgemacht. Am gewöhnlich sehr nüchtern bewerteten Markt für Staatsanleihen werden dank der Extra-Nachfrage asiatischer Notenbanken unangemessen hohe Preise bezahlt, was die Rendite dieser Papiere real in die Nähe von Null bringt und auch die Sicherheitsfanatiker unter den Anlegern in Risikopapiere wie Aktien oder Unternehmensanleihen treibt.
Letztere sind durch den dauernden Nachfrageüberschuss ebenso wie die Risikoanleihen der Schwellen- und Entwicklungsländer ebenfalls sehr teuer geworden.
Die Risikoaufschläge der Bonds sind historisch niedrig, der Anteil der Papiere hohen Risikos am Gesamtmarkt extrem hoch [siehe # 2639]. Die Lage ist also ganz ähnlich wie am Aktienmarkt. Der Markt ist ausgereizt. Die Preise sind nur unter der Voraussetzung zu rechtfertigen, dass absolut nichts Negatives dazwischenkommt.Preistreibende Heuschrecken
Zu den preistreibenden Sonderfaktoren am Aktienmarkt zählen außerdem die lebhaften Aktivitäten der Private-Equity-Branche...
[ Details hier:
http://www.ariva.de/board/276125 ]
...Sie fachen den Wettbewerb beim gegenseitigen Kauf der Unternehmen an.
Wurden strategische, sprich exorbitant hohe Kaufpreise an der Börse früher nur von Konkurrenzunternehmen bezahlt, treten nun die "Heuschrecken" mit scheinbar unbegrenzten Mitteln und völlig anderer Kalkulation als gewöhnliche institutionelle Anleger auf und treiben das Preisniveau hoch. Ihre Kalkulation basiert auf einem sehr hohen Verschuldungsgrad der erworbenen Unternehmen, den sich diese selber allenfalls in einer Notsituation, niemals aber in goldenen Finanzzeiten wie den heutigen zumuten würden. Sonst müssten sie befürchten, wie der oberste deutsche Finanzaufseher Jochen Sanio letzte Woche anmerkte, "spätestens vom nächsten konjunkturellen Abschwung dahingerafft zu werden".Die Leichtigkeit, mit der Private-Equity-Firmen Kredit für ihre
prekären Verschuldungskonstruktionen erhalten, das Geld, das in diese Fonds fließt, der Andrang an den Bondmärkten, die hohen Preise für Kunst und Commodities sowie die Hausse am Aktienmarkt - all das sind
Symptome des überbordenden Finanzsektors. Die sprudelnden Gewinne aus diesen verschiedenen Anlageformen treiben die Preise in den Märkten noch weiter hoch. Das ist eine klassische Spekulationsblase. Das Besondere daran ist, dass es nicht um ein Produkt allein oder einen spezifischen Markt geht.
Praktisch alle Finanzmärkte sind davon erfasst. Die im Augenblick positiven Wirkungen spürt man in Peru, Kanada, Thailand und sogar in Deutschland. Wenn die große Blase platzt, wird sich dem kein Land und kein Teilmarkt entziehen können.
Der Aktienmarkt am allerwenigsten. Eine Korrektur der Aktienkurse ist überfällig. Sie wird auch kommen. Je länger die Hausse noch dauert, desto übler wird das Gemetzel ausfallen. Hoffen wir also auf den Frühling.Lucas Zeise ist Finanzkolumnist der FTD.
FTD, 2.11.06
Das Kapital
Zweifel an der VernunftIn der laufenden Aktienhausse war oft von Vernunft die Rede. Nach dem Desaster von 2000 haben die Firmen ihre Bilanzen saniert, bei ihren Investitions-, Übernahme- sowie Einstellungsentscheidungen mit spitzem Bleistift gerechnet und ihre Mittelüberschüsse brav ausgeschüttet. Die Anleger derweil haben dem Markt nur bescheidene KGVs zugebilligt.
Bei so viel Vernunft würde man fast an eine fröhliche Fortsetzung der Hausse glauben - wenn nur die Bankkredite der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften in der Euro-Zone über die letzten sechs Jahre nicht um 42 Prozent zugenommen hätten (die der Verbraucher übrigens um 53 Prozent), die realen Ausrüstungsinvestitionen nicht um ein Zehntel über dem Wahnsinnsniveau vor sechs Jahren lägen (in den USA um sieben Prozent, in Japan um 27 Prozent, in China um ein Vielfaches) und Eon/Endesa oder Schneider/APC nicht wären. Und wenn die nichtfinanziellen Euroland-Sektoren nicht mit dem 16-fachen Gewinn auf Basis der augenblicklichen Spitzenmargen notierten.
Schon richtig, dass die Liquidität für die Märkte spricht. Bedenklich stimmt allerdings langsam, dass scheinbar nicht mehr wahr sein darf, was nicht ins vernünftige Bild passt. Wen interessiert schon der US-Einkaufsmanagerindex (der auf dem jetzigen Niveau angesichts der Kostenentwicklung fallende US-Gewinne signalisiert), wenn in Europa doch der Konsum anzieht? Die lausigen hiesigen Einzelhandelszahlen können schließlich nur auf eine statistische Fehleinschätzung zurückgehen. Die Inlandsumsätze von Metro wohl auch.