Viele Anleger hoffen darauf, dass die nun beschlossenen Hilfspakete die Rettung aus der Finanzkrise bringen. Doch diese Hoffnung könnte verfrüht sein. Noch liegen viele Aspekte der Finanzkrise im Dunkeln. Vor allem sind die Ursachen noch nicht ganz geklärt. Damit besteht ein gewisses Risiko, dass die Rettungspakete möglicherweise nicht an der richtigen Stelle ansetzen.
Zunehmend befürchten Marktbeobachter, dass die Weltwirtschaft nicht nur in eine Rezession, sondern sogar in eine Deflation abstürzen könnte. Im Gegensatz zur Inflation ist die Deflation durch ein allgemeines Sinken der Preise gekennzeichnet - die Verbraucher halten dabei ihr Geld zurück, weil sie darauf hoffen, morgen die Güter noch billiger kaufen zu können, die sie heute gesehen haben. Dieser Effekt würde auch die Finanzmärkte erfassen und beispielsweise schwer auf den Aktienkursen lasten, langlaufende Anleihen jedoch interessanter für die Anleger machen.
„Die amerikanische Wirtschaft ist in einer Rezession, und damit nimmt das Risiko einer Deflation zu“, sagte Hiromasa Nakamura, Fondsmanager von Mizuho Asset Management in Tokio. Auch in Deutschland nehmen die Sorgen zu: Die Analysten von Commerzbank Corporates and Markets (CBCM) erwarten beispielsweise für die deutschen Immobilienunternehmen ein schwieriges Jahr 2009. Zum einen werde sich die Deflation von Vermögenswerten fortsetzen, zum anderen fordere die Kreditkrise ihren Tribut.
Es gibt zahlreiche Zweifel an der Wirksamkeit des Rettungspakets. So bekommen nun Vertreter einer Wirtschaftstheorie Auftrieb, die sich bei ihrer ersten Formulierung vor mehr als 70 Jahren nicht durchsetzen konnte. Es ist die Theorie der Verschuldungs-Deflation, die der amerikanische Ökonom Irving Fisher 1933 nach dem großen Börsenkrach 1929 formuliert hatte.
In seiner Analyse des Börsenkrachs war Fisher zur paradoxen Schlussfolgerung gelangt, dass - in einer Krise - mit jeder getilgten Schuld die reale Schuld aller ausstehenden Verbindlichkeiten einer Volkswirtschaft stieg, führte Claude Million in seinem Aufsatz „Irving Fisher als Geldreformer“ aus. „Mit anderen Worten: je mehr Schulden zurück bezahlt wurden, desto höher drückte die reale Schuldenlast auf die Wirtschaft und lähmte diese. Jede Rückzahlung einer Schuld kam nämlich einer Geldvernichtung gleich und perpetuierte auf diese Weise das Absinken des Preisniveaus.
Dieser Theorie kommt deshalb wieder Aufmerksamkeit zu, weil sie nachweist, dass eine höhere Staatsverschuldung nicht zwangsläufig zu einer höheren Inflation führt, sondern auch in eine Deflation münden kann. Durch die Immobilienkrise sind in den Vereinigten Staaten die Bewertungen für Häuser schon so stark gesunken, dass sie unter dem Kreditbetrag liegen. Durch die Baisse an den Aktienmärkten ist die Bewertung der Aktien enorm gesunken.
Der „unheilvolle Zusammenprall von Überschuldung und Deflation“ löst demnach Überproduktion, Konsumschwäche, Überinvestition und somit in letzter Konsequenz eine Rezession aus. Diese Situation tritt Fisher zufolge dann ein, wenn der Vermögenswert, der mit dem Kredit beliehen wurde, stark an Wert verliert. Die Abwertung kann sogar so hoch ausfallen, dass der Schuldner einen höheren Nachschuss leisten oder den Kredit sogar ganz zurückzahlen muss. Obwohl das beliehene Gut an Wert verloren hat, bleiben die Zahlungen an die Bank gleich hoch. Tritt dieses Phänomen auf breiter Front auf, könnte dies deflationäre Tendenzen verstärken.
Es zeichnet sich ab, dass Deflation in der laufenden Finanzkrise im Vergleich zu einer Inflation als die größere Gefahr wahr genommen wird. Mit diesem Begriff wird ein allgemeiner Preisverfall bezeichnet, ausgelöst durch einen Rückgang der vergebenen Kredite oder des Geldangebots. Deflation ist auch dadurch gekennzeichnet, dass sich die Verbraucher, oft jedoch auch der Staat, mit Ausgaben zurückhalten und Unternehmen ihre Investitionen kürzen. Die gesamte Wirtschaftsaktivität wird zurück gefahren, und das wiederum hat zur Folge, dass die Aktienmärkte im besten Fall stagnieren, wenn nicht gar fallen.
Das Vertrackte an der Deflation ist, dass niemand so recht weiß, wie sich eine Volkswirtschaft wieder daraus befreien kann. Denn die sich selbst verstärkenden Tendenzen sind in einer Deflation besonders groß. So wurde in den Vereinigten Staaten die Große Depression der dreißiger Jahren erst mit dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg überwunden.
So kann zwar die Notenbank ihren Leitzins so weit senken und damit Kredite verbilligen, dass es für Verbraucher und Unternehmen wieder interessant wird sich zu verschulden. Doch dieser Zinssenkungspolitik sind Grenzen gesetzt. In Japan beispielsweise hatte die Notenbank nach Ausbruch der Rezession 1993 ihren Leitzins über die Jahre hinweg bis auf 0,5 Prozent heruntergefahren, ohne dass die Wirtschaft wieder angesprungen wäre.
Charles Goodhart von der London School of Economics hatte sich in seinem Working Paper “Beyond current policy frameworks“ 2005 mit den Optionen einer Zentralbank befasst, eine so genannte schlechte Deflation zu bekämpfen. Schlecht sei eine Deflation, wenn die kurzfristigen Zinsen gegen Null streben und gleichzeitig die Aktien- und Immobilienpreise sinken; bei einer als gut definierten Deflation passiere weder das eine noch das andere. Goodhart kommt zum Schluss, dass in diesem Fall Interventionen auf Vermögensmärkten, insbesondere auch Immobilienmärkten erforderlich, effektiv und daher gerechtfertigt wären.
Fisher hielt eine „Reflation“ - eine kontrollierte Anhebung des Preisniveaus - für den einzigen Ausweg, um das Problem der drückenden Schuldenlast zu entschärfen und schließlich zu beheben.
Forderungen nach erhöhten Staatsausgaben werden schon in Frankreich laut, aber auch von Seiten der deutschen Industrie offen gefordert. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hatte in dieser Woche vehement höhere Investitionen des Staates eingefordert. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat diese Forderungen bisher zurück gewiesen und seine Ablehnung damit begründet, dass die Staatskasse leer sei.
Irving Fisher hatte seine eigene Idee, um diese Schwierigkeit zu beheben - sie mag nicht sehr originell klingen und war in jüngster Zeit auch gar nicht in Mode: Fisher war zeitweilig einer der größten Verfechter des Gelddruckens, um dem damaligen Konsumverzicht entgegenzuwirken. Diese Lösung birgt jedoch ihre eigenen Gefahren. Denn langfristig hängt der Wert des Geldes auch vom Vertrauen in seine Stabilität ab.
Dies bedeutet jedoch für die Anleger, dass die nun beschlossenen Rettungspakete der unterschiedlichen Regierungen womöglich nicht den Flächenbrand löschen werden, den die Finanzkrise ausgelöst hat, sondern bloß die ersten Versuche sind, ihn Kontrolle zu bringen. Dies sollten Anleger nicht unterschätzen - das ist viel wert. Aber sie bedeuten noch nicht das Ende der Krise.
Christian von Hiller/FAZ