Das Ende einer Wunderwährung

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Das Ende einer Wunderwährung

 
27.02.02 19:21
Erhards geldpolitischer Geniestreich hat die Deutschen von der Planwirtschaft befreit
 
Von Peter Gillies

"Mit Wirkung vom 21. Juni 1948 gilt die Deutsche-Mark-Währung." So beginnt der Paragraf eins des "Ersten Gesetzes zur Neuordnung des deutschen Geldwesens" vom 19. Juni 1948. Hinter dem kühlen Text verbarg sich dreierlei: die Sturzgeburt einer Währung, politisch der staatsstreichartige Alleingang eines gewissen Ludwig Erhard und historisch der Startschuss für eine epochale Erfolgsgeschichte. Die Deutsche Mark, deren letzte Scheine und Münzen wir heute endgültig aus der Hand geben, wurde zum Motor und Begleiter des "Wirtschaftswunders."

Aus heutiger Sicht erscheint die Geschichte der Deutschen Mark als historische Zwangsläufigkeit; dem Zusammenbruch von Hitlers inflationierter Reichsmark folgte eben neues Geld. Dieser Eindruck ist falsch. Ludwigs Erhards Geniestreich, mit dem neuen Geld auch gleich Bewirtschaftung, Bezugsscheine und die Elemente von Planwirtschaft abzuschaffen, war ein Minderheitencoup. Er sei, so erinnerte sich Erhard später, stets "vom wütenden Hass der Sozialisten und vom mitleidigen Lächeln des bürgerlichen Lagers verfolgt worden."

Marion Gräfin Dönhoff schrieb 1948 über Erhard: "Wenn Deutschland nicht schon eh ruiniert wäre, dieser Mann mit seinem absurden Plan, alle Bewirtschaftung aufzuheben, würde es gewiss fertig bringen. Gott schütze uns davor. Das wäre nach Hitler und der Zerstückelung Deutschlands die dritte Katastrophe." Ein scharfsinniger, wiewohl damals verzeihlicher Irrtum.

Dass dieses Geld später zur zweitwichtigsten Leit- und Reservewährung der Welt aufstieg, verdankt sie neben dem Fleiß seiner Bevölkerung einem anderen Glücksfall: seiner Zentralbank zuerst Bank deutscher Länder und dann Deutsche Bundesbank. Ihre auf Stabilität gerichtete Geldpolitik war ein Erfolgsfaktor, die stete und betonte Distanz zur jeweils herrschenden Politik der andere.

Als der Euro über die Deutschen kam, wurde mancher Spott über jene gehöhnt, die mit einem Anflug von Wehmut von ihrem Gelde Abschied nahmen. Woran sollten die Deutschen ihre Heimat und Nation festmachen, wo ihnen jede Identitätssuche in dieser Richtung ausgetrieben wurde? Außer an Fußball, Goethe und Daimler natürlich an ihrer D-Mark. Viele Eltern schildern ihr unglaubliches und mit Stolz gemischtes Selbstwertgefühl, als sie bei ihrer ersten Reise nach Rimini zuerst mit dem Motorrad, später mit dem Käfer am Brenner anstandslos Lira für ihre Mark bekamen. Auch in Franc und Gulden, Peseta und sogar in Dollar wurde sie gewechselt. Vergessen war der Inflationsschub kurz nach der Währungsreform von 1948.

Die ebenso kurze wie erfolgreiche Geschichte der Deutschen Mark vergoldet manche Erinnerung. Zu ihr gehören aber auch die großen und kleinen Krisen, die diese Währung ertragen musste oder gar auslöste. Anfangs war zu viel Geld in Umlauf, was die Inflation traben ließ, danach zu wenig, um den Investitionshunger einer Wirtschaft zu stillen, die ihre Trümmer wegräumen musste.

Die erste Bundesregierung war noch kein Jahr im Amt, da brach der Korea-Krieg aus. Ökonomisch ein warmer Regen für die deutsche Wirtschaft, freilich mit deftigen Preis- und Lohnsteigerungen verbunden. Prompt geriet Kanzler Adenauer mit Wilhelm Vocke, dem Chef der Bank deutscher Länder, in Streit, ob man die Zinsen erhöhen sollte, um eine Überhitzung zu vermeiden. Dem Korea-Schock folgte ein stürmischer Aufschwung, beflügelt durch den Marshallplan. In den goldenen Jahren der Nierentische und Petticoats rollten die Fress- und die Bekleidungswelle über die Deutschen. Man war wieder wer. Elektroherd und Kühlschrank, das erste Auto, Reisen ins Ausland. Und daneben auch wachsende Sparguthaben, denn die D-Mark strahlte Vertrauen aus. Die Bundesrepublik häufte Devisen- und Goldreserven an, was ihr Ansehen in aller Welt mehrte. Zur Vollbeschäftigung gesellte sich die volle Konvertibilität der D-Mark, Devisen unterlagen fortan keiner Bewirtschaftung mehr.

Europäische Nachbarwährungen wie Frankreichs Franc und Italiens Lira wurden in Schüben von Schwächeanfällen heimgesucht. Die Bundesrepublik hatte das gegenteilige Problem: Die Härte rief Kritiker auf den Plan, die mit Exportverlusten kämpften. 1961 wurde die Parität zum Dollar von 4,20 auf vier Mark geändert. Um diese erste Aufwertung tobte ein heftiger Streit zwischen Bundesbank, Regierung und der damals mächtigen Industrie. Ludwig Erhard wollte sogar auf 3,90 Mark je Dollar gehen, aber Adenauer beschied ihn: "Herr Professor Erhard, nehmen wir doch vier D-Mark für einen Dollar. Dat is ne runde Zahl, dat lässt sich leichter rechnen." So geschah es.

Auch die Aufwertungsdebatte, die die Große Koalition unter Kurt-Georg Kiesinger durchzustehen hatte (und letztlich verlor), war eine Folge der harten Mark und des spiegelbildlich schwachen Franc. Alle Welt flüchtete in die D-Mark, was Inflationsgefahren herauf beschwor. In der Krise des Weltwährungssystems Anfang der Siebziger fungierte die geachtete Deutsche Bundesbank bereits als Nothelfer. Der Dollar wurde abgewertet.

Der Zusammenbruch des Festwährungssystems von Bretton Woods fiel mit der ersten Ölpreiskrise zusammen. Auch hier litt die D-Mark unter ihrer Härte: Die durch die hohen amerikanischen Zahlungsbilanzdefizite ausgelöste Dollarflut ergoss sich vor allem in die Deutschmark. Damit geriet sie unter ständigen Aufwertungsdruck. Da man ihm auf Dauer nicht standhalten konnte, wurden die Kurse freigegeben. Als Reaktion auf diese Turbulenzen begannen die Europäer über ein eigenes Währungssystem nachzudenken. Das war die gedankliche Geburtsstunde des Euro.

Schließlich leistete die Deutsche Mark am Ende ihrer glanzvollen Geschichte durch ihren Untergang einen Beitrag zur deutschen Einheit. Wäre da nicht die hohe Staatsverschuldung, die in den Zeiten der Mark aufgehäuft wurde, könnte die Deutschmark auf eine stolze, schöne, identitätsstiftende und erfolgreiche Geschichte zurückblicken. Es war ein weiter Weg von der 40-Mark-Kopfquote am 20. Juni 1948 bis zum Pro-Kopf-Durchschnittsvermögen von geschätzten 300.000 Mark pro Haushalt.

"Herr Professor Erhard, nehmen wir doch vier D-Mark für einen Dollar. Dat is ne runde Zahl, dat lässt sich leichter rechnen."

Konrad Adenauer


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