warum das Blut der Märtyrer immer ungesühnt bleibt:
(PS vorab: ich blicks nicht mehr, das ist ein Text aus konkret: man kann ihn heute unter zwei Aspekten interpretieren, sei es, daß die Israelis ihre negativen Erfahrungen in operative Politk umgesetzt haben, sei es auch, daß sie gelernt haben aus den Techniken ihrer Vernichter)
konkret, februar 2000, wie auch immer zu interpretieren: auf jeden Fall eine Dokumentation dahingehend, daß "wir Deutsche" noch lange das Maul halten müssen:
Conrad Schuhler
Der große Coup
Wie Deutschland sich mit einem Almosen von seinen Kriegsschulden befreite
Die "Münchner Abendzeitung" erklärte ihn im Dezember 1999 zum Politiker der Woche: Graf Lambsdorff, den alten, wegen Bestechung vorbestraften FDP-Profi. Der Graf hatte das Abkommen über die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter über die Bühne gebracht. zehn Milliarden DM - fünf von der öffentlichen Hand, fünf von der Wirtschaft - sollten, hieß es, die Opfer des Nazi-Programms "Vernichtung durch Arbeit" und andere Zwangsarbeiter bekommen. Endlich, freuten sich die Kommentatoren der liberalen Medien, ein Sieg der Menschlichkeit. Lang lebe Rot-Grün.
In der Tat, was die Regierung da vollbracht hat, ist keine Kleinigkeit: Unter dem Vorwand, etwas für die letzten überlebenden NS-Sklaven- und Zwangsarbeiter zu tun, schaffte sich Deutschland im Dezember 1999 mit Hilfe des korrupten Grafen alle Schulden aus seinem vorläufig letzten großen Krieg und alle sonstigen Verbindlichkeiten aus der Zeit des Nationalsozialismus vom Hals. Nie hatte die Bundesrepublik Reparationen zahlen müssen für den Nazikrieg, der 60 Millionen Menschen das Leben kostete und die halbe Welt verwüstete. Auf der Londoner Schuldenkonferenz 1952/53 wurden den Deutschen alle Schulden gestundet - bis zur Wiedervereinigung und einem endgültigen Friedensvertrag. Man brauchte die Bundesrepublik als Basis und Stoßtrupp gegen den kommunistischen Teil Europas. Man wollte sie in der Nato haben, um den Sozialismus kaputt zu kriegen. Das hat prima funktioniert. Aber dann kamen der Mauerfall, der "2-plus-4-Vertrag", die Wiedervereinigung. Was war jetzt mit den Reparationen, Zwangsarbeit inklusive, die damals in London so großzügig gestundet worden waren?
Man bedenke, allein die Tschechische Republik hat Forderungen in Höhe von 70 Milliarden DM gegen das wiedervereinigte Deutschland errechnet. Nimmt man die Russen, Polen, Ukrainer, Belorussen, Ungarn, Jugoslawen, Griechen usw. dazu, kommt man leicht über eine Billion DM. Nicht zu vergessen die Forderungen von Juden und anderen Verfolgten wegen Arisierung und Versicherungsbetrug, wegen Vermögensschäden aller Art. Womit immer noch nicht die Rede ist von den Millionen und Abermillionen Menschen in Osteuropa, denen Nazi-Deutschland Schäden an Körper und Gesundheit, an Freiheit und beruflichem Fortkommen zugefügt hatte, die aber von Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) ausgenommen worden waren, weil die Schäden ihnen außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches zugefügt wurden und sie überdies in sozialistischen Staaten lebten. Man stelle sich vor, die Welt hätte Deutschland nach der Wiedervereinigung wenigstens finanziell zur Rechenschaft gezogen wegen der Nazi-Verbrechen! Das wäre teuer geworden. Vielleicht zwei Billionen DM, ein Drittel dessen, was die Erben in den Jahren um die Jahrtausendwende von der Kriegs- und Wirtschaftswundergeneration an Vermögenswerten einstreichen können. Nun aber wird das Ganze mit einer höhnisch betitelten Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" und mit zehn Milliarden DM abgefertigt.
Die rotgrüne Regierung hat mit der Zwangsarbeiter-Stiftung den größten Deal der Nachkriegsgeschichte hingekriegt - für die Konzerne, für die sie anschafft, und für die Zukunft eines großen Deutschland, das mit der Stiftung alle Fesseln der Vergangenheit abstreifen will.
Rechtslage nach Herrenmenschenart
Die Rechtslage nach dem verlorenen Krieg war eindeutig und für die Bonner Republik sehr unpassend. Das Internationale Militärtribunal in Nürnberg verurteilte z. B. die Verantwortlichen der IG Farben 1945/46 als Kriegsverbrecher. Dasselbe Urteil fällte die US-Militärregierung über die Vorstände von Dresdner und Deutscher Bank. Der Hauptankläger der USA, General Talford Taylor, nannte die Industrie- und Bankchefs die Hauptschuldigen der NS-Barbarei. Die Alliierten forderten, daß keiner dieser Wirtschaftskapitäne je wieder eine Rolle im wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands spielen dürfe.
Dies hinderte Konrad Adenauer, den ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, nicht, die Nummer eins der Deutschen Bank, Hermann J. Abs, zu seinem Chefberater in Fragen der Wirtschaft zu machen. Abs war im NS-Staat Aufsichtsratsmitglied der IG Farben gewesen, die ein eigenes Konzentrationslager in Auschwitz unterhielt, wo allein 30.000 KZ-Häftlinge im Programm "Vernichtung durch Arbeit" zugrunde gingen. Im Hauptberuf war Abs Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, welche SS-Anlagen in Auschwitz inklusive der Verbrennungsöfen finanzierte. Selbst konservative Historiker, die im Auftrag der Deutschen Bank das Wirken von Abs erforschten, meinen, daß man davon auszugehen hat, daß Abs auch von den letzten Unmenschlichkeiten des NS-Systems gewußt haben muß, wie zum Beispiel davon, daß ein Teil des von der Deutschen Bank für den NS-Staat verkauften Goldes aus den Gebissen in Auschwitz vergaster KZ-Opfer stammte.
Dieser Abs nun wird aparterweise der Leiter der deutschen Delegation bei der 1952/53 stattfindenden Londoner Schuldenkonferenz, wo es um die Regelung der deutschen Kriegs- und Nachkriegsschulden geht. Der Kalte Krieg ist mit dem Krieg in Korea heiß geworden, die Westmächte wollen, daß die Bundesrepublik militärisch aufrüstet und eine tragende Rolle in der Nato gegen den Sowjetblock spielt. Dafür soll ihre Finanzkraft geschont werden. Den Deutschen wird nur eine pauschale Tilgung der Nachkriegsschulden von 7,3 Milliarden DM auferlegt, die sie in wenigen Jahren bezahlt haben. Für die schier unermeßlichen Kriegsschulden, darunter auch die Zwangsarbeit, wird ihnen ein Moratorium bis zu einem Friedensvertrag und zur Wiedervereinigung Deutschlands gewährt. Der entscheidende Artikel 5 des Abkommens lautet: "Eine Prüfung der aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden oder deren Gebiet von Deutschland besetzt war, und von Angehörigen dieser Staaten ... wird bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt."
Individuelle Entschädigungsansprüche, geregelt per Bundesentschädigungsgesetz (1953 und 1956) und Bundesrückerstattungsgesetz (1957) wurden ebenso listig minimiert. Anspruchsberechtigt waren nur solche Personen, denen das Unrecht in den Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 widerfahren war. Auch kamen nur Menschen in Betracht, die während der sehr knappen Antragsfristen in Staaten lebten, mit denen die BRD diplomatische Beziehungen unterhielt, also niemand aus den osteuropäischen Staaten, aus denen mindestens 80 Prozent der Zwangsarbeiter stammten. Wer all diese Hürden überspringen konnte und wessen Antrag genehmigt wurde, der erhielt eine pervers niedrige Entschädigung: fünf DM für einen Tag KZ-Haft. Ein Jahr KZ, ein Jahr Prügel und Unterernährung, ein Jahr Sklavenarbeit und Todesangst - 1.800 DM. Für "Zwangsarbeit als solche" gab es gar nichts. Auch der Bundesgerichtshof befand, daß Zwangsarbeit eine "allgemeine Begleiterscheinung von Krieg und Besatzungsherrschaft" sei. Ein zeitgenössischer Kommentar zum BEG (Becker/Huber/Küster) bekam einen Schreck: "Man bedenke etwa, daß zivilrechtliches Schmerzensgeld schon für ›Kummer, Sorgen, Unbehagen‹ geschuldet wird, ja ›für die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand, den Entgang des Jagdvergnügens‹ und vergleiche die Haftentschädigung von ganzen 150 DM für einen Monat geschundenen, verzweifelten Daseins, die überdies alle Martern und alle bleibenden Entstellungen mit abgilt, wenn sie die Erwerbsfähigkeit nicht um mindestens 30 Prozent gemindert haben." Im zuständigen Bundestagsausschuß erklärt der Regierungsvertreter ohne Umschweife, daß nach den zuständigen Vorschriften über Amtsunrecht "die Verpflichtungen weiter gingen, wenn es keine Wiedergutmachungsgesetzgebung gäbe".
Die weithin entschädigungslose Zeit endet für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Konzerne auch 1990 nicht, dem Jahr der deutschen Wiedervereinigung. Zwar hatten die Sowjets gefordert, die Frage der Reparationen in den "2-plus-4"-Vertrag aufzunehmen. Aber Kohl, der Kanzler der Einheit, wehrte sich dagegen, und auch hier hatte Gorbatschow nichts zu melden. Doch dann kam der 3. Mai 1996. An diesem Tag entschied das Bundesverfassungsgericht über eine Vorlage des Landgerichtes Bonn, wo Klagen jüdischer Zwangsarbeiter gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Nachzahlung von Lohn anhängig waren. Zwar mochte sich das Gericht nicht im einzelnen zu den Fragen der vertraglichen Regelungen Deutschlands mit dem Ausland zur Entschädigung von NS-Opfern und zum Reparationsrecht äußern, aber in einem zentralen Punkt erklärte es die bisherige Rechtsauffassung der Bundesregierung für irrig. Die Meinung, die Forderung nach Entschädigung für den Lohnausfall bei Zwangsarbeit sei als Reparationsfrage nur zwischen ehemals kriegführenden Staaten selbst zu verhandeln, sei falsch. Die individuell Geschädigten könnten vielmehr auch individuell Schadenersatzansprüche einklagen.
Nachhilfe-Unterricht aus der Neuen Welt
Für die deutsche Rechtslandschaft war der Spruch des Bundesverfassungsgerichts zunächst ohne Bedeutung. Wer hier individuell Schadenersatzansprüche anmelden wollte, sah sich, wie beispielsweise die ungarische Jüdin Hannah Mandel, dem VW-Konzern gegenüber. Frau Mandel hatte zwar nachweisbar viele Monate als Zwangsarbeiterin für VW am Band gestanden, keinen Lohn erhalten und ständig unter Haftbedingungen gelebt, aber den Nachweis mußte sie selbst im Detail erbringen und die Kosten, auch ihres Rechtsbeistands, allein tragen. Auf der anderen Seite stand ein Weltkonzern mit den besten und teuersten Anwälten des Landes. Ein überlebender Zwangsarbeiter mußte zunächst vielleicht 30.000 DM aufbringen, um möglicherweise 15.000 DM als Entschädigung zu erhalten. Was die Rechtslage in Deutschland anlangte, mußten sich Staat und Firmen in Deutschland auch nach dem 3. Mai 1996 somit nicht sorgen.
Anders aber sah die Situation in den USA aus. Dort existiert das Rechtsinstitut der "class action", des Sammelverfahrens. Ein einziger Kläger kann für sich selbst und für alle anderen Personen klagen, die eine ähnliche Lage geltend machen können - ohne daß diese Mandanten des Anwalts oder diesem auch nur bekannt wären. Nehmen wir die Tabakindustrie: Ein New Yorker Anwalt hat drei Mandanten, die infolge Nikotingenusses erkrankt sind. Er verklagt die Tabakindustrie auf Schadenersatz, natürlich auch im Namen aller Personen in ähnlicher Lage. Das aber sind in den USA schätzungsweise 150 Millionen. Holt er für einen Mandanten 100.000 Dollar Schadenersatz heraus, dann ergibt das nicht bloß diese 100.000, sondern 100.000 mal 150 Millionen = 225 Milliarden Dollar.
Die Geschichte ist aus dem Leben gegriffen. Der New Yorker Anwalt heißt Mel Weiss, und sein Kampf gegen die Tabakindustrie trug ihm den Kriegsnamen "Camel Joe" ein. Der einzige Unterschied zu unserer Version der Story ist, daß er und seine Kollegen etwa doppelt soviel wie die berechneten 225 Milliarden Dollar erstritten. Mel Weiss ist Spezialist für Klagen gegen Großkonzerne. Er befehligt 150 Anwälte und Hunderte Spezialisten aller Art. Wenn Weiss naht, schreiben die New Yorker Zeitungen, sehen die Firmen schwarz und Weiss selbst grün, die Farbe des Dollars.
Als Weiss den Schweizer Banken nahte, weil diese Konten verstorbener Holocaust-Opfer unterschlagen hatten, sahen die beiden größten Schweizer Geldinstitute schwarz und zahlten im schnell ausgehandelten Vergleich 2,5 Milliarden DM. Weiss' wichtigste Mitarbeiterin in NS-Fällen, Deborah Sturman, führte auch die Feder bei der ersten Klage in Sachen Zwangsarbeit vor US-Gerichten, gegen den Autobauer Ford. Schnell folgten Klagen gegen alle großen deutschen Konzerne: DaimlerChrysler, BMW, Krupp, Continental, Hoechst, Bayer usw. 50 Milliarden Dollar Entschädigung für Zwangsarbeit, rechnete Mel Weiss vor, wären keineswegs zu viel. Weiss ist einer der wichtigsten "fund raiser", Geldauftreiber, der Demokratischen Partei. Er ist der Vertraute von Hillary Clinton, die er in New York zur Senatorin machen will. Sein Wort gilt viel in Washington. Als er in seinem New Yorker Büro saß, die Truppen seiner Anwaltsfirma und seine Politik-Verbindungen aufzählen ließ, da lächelte er zufrieden und sagte: "Ich bin ein bescheidener Mensch. Aber wir können es aufnehmen mit der deutschen Regierung und den Konzernen dort. Deren Reichtum gibt es doch nur noch, weil die Zwangsarbeiter ihnen damals die Produktionsanlagen gerettet haben. Sie können zahlen, und sie müssen jetzt endlich ran."
Das Schweizer Beispiel vor Augen, fühlten einschlägige deutsche Unternehmen sich bedrängt. Am 16. Februar 1999 begründeten zwölf Firmen, darunter jene, die Weiss und Sturman in den USA verklagt hatten, die Stiftungsinitiative "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Bevor US-Gerichte sie möglicherweise zu Hunderten Milliarden Dollar Schadenersatz verurteilten, wollten sie sich doch lieber freiwillig eine "humanitäre Geste" leisten und gleich alle denkbaren Ansprüche von NS-Opfern ein für allemal aus der Welt schaffen.
Berlin vollendet, was Bonn begann
Die Präambel der Stiftungsinitiative formuliert eingangs und wegweisend jene Lüge, die schon von den Verteidigern der Wirtschaftskriegsverbrecher in Nürnberg ins Feld geführt worden war: "Deutsche Unternehmen waren ... in das NS-Regime und damit auch in das von ihm ausgelöste Unrecht eingebunden. Dabei gingen nationalsozialistische Verfolgung und Zwangsarbeit vom NS-Staat aus ... Rechtsansprüche gegen deutsche Unternehmen im Hinblick auf Zwangsarbeit und Verfolgung während der NS-Zeit bestehen nicht." Vielmehr beabsichtige die Stiftung "freiwillige Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter (zu zahlen), sowie durch das Nazi-Regime verursachte, noch unbearbeitete Vermögensschäden zu regulieren".
Ob Zwangsarbeit oder Arisierung, ob Hochrüstung oder Übernahme ausländischer Firmen und Vermögenswerte - schuldig waren nicht Unternehmen und Unternehmer, sondern der "NS-Staat", dem man sich fügen mußte. Diese schäbige Lüge hat die rotgrüne Bundesregierung auf die Spitze getrieben, als sie im Juni 1999 dem Degussa-Konzern mit einem förmlichen Amicus-Curiae-Brief vor einem Gericht im US-Bundesstaat New Jersey zur Seite trat. Ehemalige Zwangsarbeiter hatten die größte Edelmetall-Scheideanstalt NS-Deutschlands auf Entschädigung verklagt. Das 13seitige Dokument aus Berlin beginnt mit dem Satz: "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unterstützt den Antrag der Beschuldigten." Nämlich, die Klage abzuweisen. Die Kernsätze der rotgrünen Begründung lauten: "Die Industrie war gezwungen, die Vorgaben einzuhalten, die für die Produktion von Material für die Kriegswirtschaft festgelegt waren, ebenso wie alle anderen Vorgaben, die vom Nazi-Regime gesetzt wurden ... Dies gilt insbesondere für die frühere Degussa, die ein Monopol auf dem Feld der Scheidung von Edelmetallen hatte."
Mit dieser Intervention hat es die Berliner Regierung geschafft, daß das Gericht in New Jersey sich für nicht zuständig erklärt und die Kläger auf die völkerrechtliche Ebene verwies, da es in Deutschland keine privat Haftenden für Schäden aus der NS-Zeit gebe, sondern eben nur den Staat. Rot-Grün hat sich also auch im Detail für die Belange der an NS-Verbrechen beteiligten Unternehmen eingesetzt und dabei keine Unwahrheit gescheut. Denn tatsächlich waren die deutschen Konzerne keineswegs von den Nazis gezwungen worden, sondern hatten sich danach gedrängt, von der Barbarei zu profitieren.
So gerade auch die Degussa, die eine der schrecklichsten Firmengeschichten aufzuweisen hat. Zusammen mit der IG Farben besaß sie die Degesch, die Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung. Die Degesch bemühte sich erfolgreich um Aufträge für ihr Zyklon B, mit dem die KZ-Häftlinge in Auschwitz vergast wurden. Den Ermordeten wurden die Gebisse herausgebrochen, aus denen wiederum das Zahngold entfernt und an die Degussa versandt wurde, die es zu Goldbarren einschmolz. In den Scheidbüchern der Degussa-Zweigniederlassung Berlin finden sich unter "Herkunft des Scheidgutes" Einträge wie "Jd", "Judensilber", "Judengold" oder "reichsfeindliches Material". Eine damalige Volontärin berichtet, daß an dem Zahngold oft noch Gaumenteile hafteten. Das Firmenarchiv, das derzeit von dem US-Historiker Peter Hayes untersucht wird, liefert die Belege, daß die Firma sich anstrengte, an alles verfügbare Scheidgut heranzukommen, wo immer es auch herrührte. Darin, würde die Berliner Regierung vielleicht sagen, bestand schließlich ihr Geschäft.
So wie Degussa verhielten sich andere Unternehmen auch. Die IG Farben beispielsweise errichtete nicht nur ein eigenes KZ neben ihrer Baustelle in Auschwitz, sie hätte gerne noch ein zweites gehabt. Am 27. Juli 1943 schreibt IG-Farben Direktor Krauch an Heinrich Himmler, den Reichsführer SS: "Sehr geehrter Herr Reichsführer! ... ich habe es besonders begrüßt, daß Sie gelegentlich dieser Besprechung angedeutet haben, eventuell den Ausbau eines weiteren Synthesewerkes, ... ähnlich wie Auschwitz, durch die Zurverfügungstellung von Insassen aus Ihren Lagern gegebenenfalls zu unterstützen. Ich habe im entsprechenden Sinne auch dem Herrn Minister Speer geschrieben und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dieser Frage weiter Ihre Förderung und volle Unterstützung angedeihen ließen."
Die Firmen rissen sich um die Zwangsarbeiter, die sie bei der SS schriftlich mit ausführlicher Begründung beantragen mußten. Immerhin waren elf Millionen deutsche Arbeiter in Uniform gesteckt und an immer mehr Fronten geschickt worden. Allein in Berlin gab es 500 Zwangsarbeiterlager, im ganzen Deutschen Reich mehr als 20.000. Mindestens elf Millionen Sklaven- und Zwangsarbeiter hielten die Wirtschaft in Gang - im Sommer 1944 stellten sie 46 Prozent der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, in der Industrie waren es 40 Prozent. 500.000 Deutsche waren in die Organisation dieses riesigen Arbeitsheeres einbezogen. Zwangsarbeit war ein nationales deutsches Projekt. Peter Hayes stellt fest, daß im letzten Kriegsjahr, als den meisten führenden Managern klar war, daß der Krieg verloren war, die Nachfrage nach Arbeitskräften noch dringender und ruchloser wurde. Die Unternehmer wollten ihre Produktionsanlagen unter die Erde schaffen, um sie vor den Luftangriffen zu schützen. Hayes' Fazit: "Man kaufte sich Chancen für die eigene Zukunft mit dem Leben anderer in der Gegenwart." Und auf die Frage, wieso die grausamen und mörderischen Pläne der Nazis zum Gesamtprojekt der deutschen Gesellschaft hatten werden können, gibt er die Antwort: "Der Weg dahin war nicht einfach durch Gleichgültigkeit geebnet, sondern durch Selbstinteresse." Dieses Selbstinteresse war im Fall der deutschen Unternehmen gewaltig. Nach einer Untersuchung der "Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts" haben die deutschen Arbeitgeber ihren Zwangsarbeitern - auf den heutigen Wert umgerechnet - 180 Milliarden DM an Lohn vorenthalten.
Warum aber hat sich die so kostenbewußte deutsche Wirtschaft bereit erklärt, Geld zu einem Entschädigungsfonds beizusteuern, wenn doch das Gericht in New Jersey die Klage gegen Degussa abgewiesen hat? Wieder landen wir bei US-Anwalt Mel Weiss. Auf sein Betreiben brachten die Senatoren Schumer und Toricelli im November 1999 eine Gesetzesvorlage im US-Senat ein, die verlangte, daß Entschädigungsklagen von NS-Opfern künftig von US-Gerichten entschieden werden müßten und nicht mehr auf die völker- bzw. staatsrechtliche Ebene abgeschoben werden dürften. Auf der Pressekonferenz zur Einbringung der Vorlage in Washington erklärte Mel Weiss, für die im Januar 2000 anstehende Abstimmung im US-Senat gäbe es bereits eine klare Mehrheit.
Die deutsche Wirtschaft glaubte ihm aufs Wort. Der Sprecher ihrer Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski, sprach bereits vom Ende der gemeinsamen Initiative und davon, "daß dann Krieg herrscht". Es wäre ein kostspieliger Krieg für die deutsche Wirtschaft geworden. Da legte man doch lieber noch ein paar Milliarden auf die Offerte drauf, um noch vor dem Januar 2000 zu einem Deal zu kommen. Gerade noch rechtzeitig, eine Woche vor Weihnachten, war's vollbracht. Unter dem Druck der Regierung der USA und Israels willigten die US-Anwälte ein: Für zehn Milliarden DM konnten die Deutschen mit einem Schlag alle Schulden aus der Nazi-Zeit loswerden und sich auch noch als Helden der Humanität feiern lassen.
Der Zehn-Milliarden-DM-Schwindel
In den acht Verhandlungsrunden des Jahres 1999 hat die deutsche Seite, allen voran Graf Lambsdorff, den US-Anwälten immer wieder vorgeworfen, mit ihren hohen Forderungen eine schnelle Einigung zu verhindern, die aber nötig wäre, um den betagten Opfern noch helfen zu können. Auch die Vertreter der Wirtschaft ließen sich kaum übertreffen an Mitleid für die armen Alten, die ihre Entschädigung doch noch erleben müßten. In Wahrheit sind nicht einmal die völlig unzureichenden zehn Milliarden DM für die überlebenden Opfer der Zwangsarbeit reserviert. Vielmehr kaufen sich der deutsche Staat, die deutschen Unternehmen und überhaupt alle Deutschen damit von jedem Unrecht aus der Zeit der Nazi-Herrschaft frei.
In ihrem "Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung ›Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‹", die für die Vergabe der zehn Milliarden zuständig sein wird, proklamiert die Bundesregierung: "Zweck der Stiftung ist es, über Partnerorganisationen Finanzmittel zur Gewährung von Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter und von Arisierung oder anderem Unrecht aus der Zeit des Nationalsozialismus Betroffene bereitzustellen." An vielen anderen Stellen bekräftigt der Entwurf die eigentliche Intention von Bundesregierung und Wirtschaft: ein für allemal Schluß zu machen mit Forderungen von NS-Opfern. Damit da kein Zweifel bleibt, heißt es in der "Begründung" des Gesetzentwurfs: "Die Stiftung soll zur Jahrtausendwende ein abschließendes Zeichen für die umfassende Wiedergutmachung und Entschädigung nationalsozialistischen Unrechts in der Bundesrepublik Deutschland setzen. Die bisherigen Regelungen und Leistungen ergänzend, soll sie die Diskussionen über weitere Maßnahmen beenden und allen Beteiligten Rechtsfrieden einräumen. Daher übernimmt die Stiftung alle möglichen Ansprüche aus nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen. Ansprüche gegen Dritte werden mit Inkrafttreten des Gesetzes ausgeschlossen."
"Abschließendes Zeichen", "umfassende Wiedergutmachung", "Ansprüche gegen Dritte ausgeschlossen" - so schreibt sich "Schlußstrich" im Jahr 2000. Was aber bleibt für die Opfer? In diesen Wochen wird ausgehandelt, welche Kategorie von Opfern wieviel erhalten soll. Als das deutsche Angebot bei sechs Milliarden DM lag, sollten für ehemalige Zwangsarbeiter rund vier Milliarden zur Verfügung gestellt werden. Auf zehn Milliarden hochgerechnet sind das rund 6,3 Milliarden DM. Die von der Bundesregierung selbst bestallten Historiker haben festgestellt, daß heute noch rund 2,4 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter am Leben sind. Die Entschädigungssumme pro Kopf betrüge demnach rund 2.700 DM.
Dies erschien selbst der deutschen Seite etwas wenig. Was sie aber nicht etwa auf die Idee brachte, die Summe zu erhöhen, sondern auf den Einfall, den Kreis der Berechtigten einzuengen. Leistungsberechtigt ist nur, wer in einem Konzentrationslager oder einem Ghetto "unter vergleichbaren Bedingungen" mindestens zwei Monate inhaftiert und zur Arbeit gezwungen war (Kategorie A) oder wer aus seinem Heimatstaat in das Gebiet des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 deportiert, mindestens zwei Monate inhaftiert und zur Arbeit gezwungen worden ist (Kategorie B). Kategorie A umfaßt nach Angaben regierungsamtlicher Historikern 250.000 noch lebende Opfer, die je 15.000 DM bekommen sollen. Kategorie B beträfe 750.000 Personen, für die man je 5.000 DM zahlen will. Da man damit statt bei 6,3 bei rund 7,5 Milliarden DM wäre, wird man die Kopfquoten kürzen müssen: A-Opfer werden mit maximal 12.000 DM rechnen können, B-Opfer mit 4.000 DM.
Gar nichts erhalten werden Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft, denn sie waren in der Regel nicht in Lagern inhaftiert. Ebenso leer ausgehen werden Menschen, die außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 gequält wurden, immerhin zwei bis drei Millionen damals. Und natürlich bekommt die große Mehrheit - alle, die man damals umgebracht hat und alle, die seit damals gestorben sind - nichts. Denn: " Leistungen ... sind höchstpersönlich und nicht vererbbar."
Auch wer alle Hürden innerhalb der vorgeschriebenen Frist von sechs Monaten nehmen kann - den behördlich bestätigten Nachweis, daß er nach den Kategorien A und B Sklaven- bzw. Zwangsarbeit in den Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 geleistet hat -, erhält noch längst nicht die zugesagte Summe. Zwar muß er schon bei der Antragstellung die Erklärung abgeben, "daß er mit Erhalt einer Leistung nach diesem Gesetz auf jede weitere Inanspruchnahme der öffentlichen Hand und der deutschen Unternehmen aus dem Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht unwiderruflich verzichtet". Aber die Leistung, die er dann vielleicht erhält, beträgt nur 30 Prozent (nach der 2. Fassung des Stiftungsgesetzes 35 bis 50 Prozent) der in Aussicht gestellt Summe. Den Rest wird er erst "nach Abschluß der Bearbeitung aller Anträge" erhalten, "wenn und soweit dies im Rahmen der verfügbaren Mittel möglich ist". Die Bearbeitung der Anträge kann natürlich dauern, jedes Jahr sterben 10 bis 15 Prozent der Antragsteller, und weil das Sterbetempo der sehr alten Menschen sich natürlich beschleunigt, kann da noch manche Mark gespart werden.
Überdies ist es fraglich, ob weitere Zahlungen "im Rahmen der verfügbaren Mittel möglich" sind. Denn mit den Stiftungsgeldern soll ja, wie gesagt, alles NS-Unrecht zur Gänze abgegolten werden. Ausdrücklich zum Beispiel auch die Arisierungen, also die Aneignung jüdischen Vermögens. Die Deutsche Bank allein hatte im Juli 1938 700 Arisierungen bis dahin jüdischer Unternehmen in der Planung, 300 solcher Arisierungen hatte sie bis August 1938 bereits durchgeführt. Mit anderen Banken zusammen machte sie den Nazi-Behörden Vorschläge, wie das Arisierungsprogramm zweckdienlicher ausgestaltet werden kann. Mit dem Vorrücken der deutschen Truppen blieb es für die Deutsche Bank nicht mehr bei der Enteignung jüdischen Vermögens: 1938, die Nazis besetzten die Tschechei und schlossen Österreich an, übernahm sie die Böhmische Union-Bank und die Deutsche Agrar- und Industriebank in Prag sowie die Österreichische Creditanstalt Wiener Bankverein. Sie expandierte im Gefolge der Wehrmacht weiter: In Kroatien, Rumänien, in Polen und Frankreich kassierte sie das örtliche Bankwesen.
Kein Wunder, daß die Deutsche Bank zu den Gründungsmitgliedern der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft" gehört. Schließlich war auf einer internationalen Konferenz 1998 in Washington festgelegt worden, daß den Holocaust-Opfern bis zum Jahr 2000 elf bis vierzehn Milliarden Dollar an geraubten Vermögenswerten zurückgegeben werden müsse, also bis zu 27 Milliarden DM. Im jetzigen Abkommen sind allerdings lediglich rund 1,1 Milliarden DM für den Komplex "Arisierung" vorgesehen.
Zu den Gründungsmitgliedern der Initiative gehört auch die Allianz-Versicherung. Mit der Stiftung macht sie ein ebenso gutes Geschäft wie die Deutsche Bank. Gegen die Allianz sind nämlich 55,9 Prozent aller Forderungen von Holocaust-Opfern bzw. deren Erben gerichtet, die von Versicherungen um ihre Policen betrogen wurden. Nach einem geheimen Bericht der "Internationalen Kommission über Versicherungsansprüche aus der Holocaust-Zeit" hat die Allianz bislang überhaupt nur auf 28 Prozent dieser Forderungen geantwortet, von denen sie wiederum über 80 Prozent abgelehnt hat. Erst eine Boykottdrohung jüdischer Organisationen hat die Allianz Ende 1999 zu dem Versprechen gebracht, ihre Bücher aus der Nazi-Zeit offenzulegen. Nun wird sie auch dies nicht mehr tun müssen, deckt die neue Stiftung doch auch dieses Feld ab.
180 Milliarden DM, die Summe, die allein den NS-Zwangsarbeitern an Entschädigung für entgangenen Lohn zusteht, entsprechen einem knappen Prozent des Vermögens, über das das reichste Zehntel der Bundesrepublik Deutschland verfügt. Die jetzt bewilligten zehn Milliarden der Stiftung sind 0,05 Prozent dieser Mittel.