Allensbach-Geschäftsführerin Renate Köcher über das TV-Duell zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber, seine Folgen für den Wahlausgang und die aktuellen Diskussionen über einen Stimmungswechsel
DIE WELT: Ihre jüngsten Umfragenzahlen weichen wieder deutlich von denen der anderen Institute ab. Beunruhigt Sie das nicht allmählich?
Renate Köcher: Auch 1998 wichen unsere Daten deutlich ab, gaben aber ein realistisches Bild der Situation, wie der Ausgang der Bundestagswahl dann zeigte. Zurzeit ergeben die Daten der verschiedenen Institute ein ungewöhnlich heterogenes Bild.
DIE WELT: Aber Sie halten an Ihren Daten fest?
Köcher: Wir sehen bisher auch nach der Flut keine gravierenden Veränderungen in der Wahlneigung der Bevölkerung.
DIE WELT: Also hat die Flut keinen Stimmungswechsel gebracht?
Köcher: Die Flut hat die Themen verändert, über die in den letzten zwei Wochen gesprochen wurde. Aber in der kommenden Woche werden wieder andere Themen in den Vordergrund drängen. Die Resonanz auf das Kandidatenduell wird in den nächsten Tagen das Thema Flut deutlich überlagern.
DIE WELT: Kann so eine Naturkatastrophe das Wählerverhalten überhaupt beeinflussen?
Köcher: Unserer Erfahrung nach führt eine solche Katastrophe zunächst zur Entpolitisierung. Die unmittelbaren Existenzsorgen der Betroffenen und die Anteilnahme der Nichtbetroffenen lassen die Parteipolitik in den Hintergrund treten. Aber die Exekutive, die Regierung, profitiert natürlich, weil sie handeln kann. Daher kommt es häufig zu Verschiebungen in der Wahrnehmung von einzelnen Politikern. Manche profilieren sich in der Krise, weil ihnen die Rolle des Krisenmanagers zufällt. Aber die Auswirkungen sind meist begrenzt.
DIE WELT: Hilft die Flut dem Kanzler?
Köcher: Gerhard Schröder steht nach vier Jahren Regierung zur Wahl und nicht nach zwei Wochen Hochwasser. An der Wahlurne geht es um die Frage, wem die Wähler in der nächsten Legislaturperiode eine effiziente Regierung zutrauen.
DIE WELT: Können 14 Tage Hochwasser die Bilanz einer Legislaturperiode verändern?
Köcher: Die Wähler ziehen eine überwiegend kritische Bilanz der letzten vier Jahre. Die Vertrauenseinbußen aus vier Jahren in vier Wochen wettzumachen ist schwer.
DIE WELT: Welche Rolle wird das Fernsehduell spielen?
Köcher: Es gibt in Deutschland wenig Erfahrung damit. In den USA hat sich aber gezeigt, dass die Duelle selbst relativ geringe Auswirkungen auf die Wähler haben. Viel wichtiger scheint die mediale Nachbereitung. Die könnte die allgemeine Vorstellung verändern, wer Siegeschancen hat und wer nicht. Aber wir müssen bei der Übertragung solcher Erfahrungen auf die deutschen Verhältnisse vorsichtig sein. Die Deutschen sind politisch, interessieren sich sehr viel mehr für Politik als etwa der Durchschnittsamerikaner. Eine politisch interessierte Bevölkerung aber ist sehr viel schwerer kurzfristig in ihren Wahlentscheidungen zu beeinflussen als eine eher unpolitische. Deshalb wird es auch spannend werden, wie sich der unpolitische Teil der Bevölkerung in den nächsten Wochen verhält.
DIE WELT: Aber auch Sie registrieren einen Stimmungsknick, ist das womöglich der Anfang einer Trendwende?
Köcher: So kurz vor der Wahl würde ich eher vom Beginn der ganz heißen Phase der Wahl reden. Da kocht die Erregung natürlich hoch. Anzeichen für eine Trendwende sehe ich bisher in unseren Daten nicht.
DIE WELT: Könnte denn noch ein Umschwung in letzter Minute erfolgen?
Köcher: Ich kann nur von der bisherigen Erfahrung ausgehen. Danach wäre es sehr ungewöhnlich, wenn sich in den letzten drei, vier Wochen vor der Wahl mehr als zwei Prozent der Wähler umorientieren. Zur Zeit führen nach unseren Erkenntnissen die Union und die FDP mit klarer Mehrheit.
DIE WELT: Was ist Ihre Prognose?
Köcher: Prognosen geben wir einen Tag vor der Wahl ab.
DIE WELT: Und Ihre Erwartung?
Köcher: Der Abstand ist so groß, dass es eine erdrutschartige Veränderung in der Wählergunst erfordern würde. Den sehen wir bisher nicht.
DIE WELT: Wie wirkt sich die Flut bei den kleinen Parteien aus?
Köcher: Bisher nicht gravierend. Die Grünen sind stabil. Die FDP verzeichnet leichte Einbußen, ist aber nach unseren Erkenntnissen nach wie vor zweistellig. Die PDS schwankt um die fünf Prozent. Eine Polarisierung der beiden Großen könnte die FDP allerdings noch Stimmen kosten.
DIE WELT: Was ist mit den Ostwählern?
Köcher: Die Parteibindungen sind dort schwächer. Entsprechend kann es in Ostdeutschland eher zu Verschiebungen kommen als im Westen.
DIE WELT: Aus den Fluten taucht jetzt auch wieder das Thema Große Koalition auf.
Köcher: Es ist zu erwarten, dass eine der großen Parteien zusammen mit einer der kleineren eine klare Mehrheit bekommt. Die große Mehrheit der Wähler zieht eine andere Koalition der Großen Koalition vor, auch weil sie eine starke Opposition möchte.
Mit Renate Köcher vom Allensbach-Institut sprach Johann Michael Möller