Die Marktteilnehmer scheinen Colin Powells Rede vor dem UN-Sicherheitsrat
bereits weitgehend verarbeitet zu haben. Wer gestern die Märkte genau beobachtet
hat, konnte zusehen wie der DAX peu à peu nach oben zog: Zunächst als die
Präsentation anfing, dann mit jedem abgespielten Tonband und schließlich als das
erste Beweisbild gezeigt wurde. Als ob die Akteure bei jeder Aussage mehr gehofft
hätten, dass damit die allgegenwärtige Unsicherheit endlich beendet würde. Doch
keine 24 Stunden später war die Börse bereits wieder in ihren alten Abwärtstrott
zurück gefallen. Offenbar hielten längst nicht alle die Beweislage für erdrückend.
Beim DAX geht das Hoffen und Bangen also weiter. Und manch einer legt sich jetzt
schon seine Strategie für den Tag X zurecht. Wer da in der Börsenhistorie
zurückblättert, stößt schnell darauf, dass nach dem Angriff der USA auf Bagdad im
Jahre 1991 die amerikanische Börse nur noch einen Weg kannte: nach oben.
Ähnliches galt damals auch für den US-Dollar, der in der Folge stark aufwertete.
Dass sich die Geschichte wiederholen könnte, halten einige durchaus für möglich.
Und so könnte, wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, der Abwärtstrend an den
Börsen mit Ausbruch des Krieges sein Ende finden – so zynisch das klingen mag.
Die Mehrheit vertritt die Meinung, dass egal, was tatsächlich passiert, es den Markt
auf jeden Fall stabilisieren werde. Hauptsache, es gehe schnell, heißt es.
Betrachtet man allerdings die Überschriften in den Finanzzeitungen, so fällt auf,
dass Unternehmen für sehr viel mehr negative Schlagzeilen in der vergangenen
Woche gesorgt haben als noch in der Woche zuvor. Trotzdem sind die
institutionellen Anleger optimistischer geworden, wie die aktuelle
Stimmungserhebung der Deutschen Börse AG zeigt. Hinter diesem Optimismus
verbergen sich Käufer, die sicherlich vorsichtig agiert und sich vermutlich auch nicht
allzu stark positioniert haben. Die ungünstigen Unternehmensnachrichten haben
zumindest diese Gruppe nicht irritiert.
Hilfreich ist diese jüngste Positionsentwicklung für den DAX jedoch keineswegs.
Denn wer sich als Käufer derzeit im Aktienmarkt bewegt, geht ein größeres
Commitment ein, als derjenige, der leer verkauft oder sich von seinen Beständen
trennt. Denn die Abweichung von der derzeit allgemein gültigen Ansicht, dass doch
jeder Laie sehen könne, dass sich der Markt im Abwärtstrend befinde, erfordert von
einem Bullen einen hohen psychischen Einsatz. Und der will bezahlt sein: Mit
schnellen Gewinnen, die schnell mitgenommen werden - wenn sie denn überhaupt
entstehen sollten. Genau dies aber führt erneut zu Abgabedruck, der spätestens in
der Zone 2.825/2.850 sichtbar wird. Deswegen muss der DAX diese Schwelle
überschreiten, um ein erstes Stabilitätssignal zu senden. Und auch dies ist klar:
Sollten die Oktobertiefs vom Vorjahr unterschritten werden, würden die jüngsten
Käufer nicht lange fackeln und sich schnell wieder von ihren Positionen trennen. Mit
der Folge, dass die Kurse weiter fallen.
Joachim Goldberg