Geld, Glück und Ungeduld
Wirtschaftliche Vorgänge bestimmen die Geschichte von
Individuen, Familien, Organisationen und ganzen Nationen. Die Untersuchung ihrer psychologischen und soziologischen
Grundlagen ist in den letzten Jahren zum Gegenstand
zahlreicher neuer Forschungen geworden.
Ein prominenter Vertreter der "behavioural economics" ist der Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr. Er hat bei einem Vortrag in Wien seine wichtigsten Thesen vorgestellt.
Noch nicht Mainstream-Ökonomik
"Was ich Ihnen heute erzähle, ist noch nicht der Mainstream - aber hoffentlich wird er es bald sein." Die Mainstream-Ökonomik, so stellt Ernst Fehr gleich zu Beginn
seines Vortrags fest, erweist sich mehr und mehr als zu
kurzsichtig, indem sie den Menschen seit Jahrzehnten als
rationalen Nutzenoptimierer definiert.
Den homo oeconomicus, der kühl überlegt stets und
ausschließlich auf die Optimierung des Eigennutzes aus ist,
gibt es in der Realität nicht. Was intuitiv schon lange klar sein mag, hält nun aber in Form der behavioural economics auch Einzug in die Wirtschaftswissenschaften, und hat in jüngster Zeit - zusammengefasst - zu drei wichtigen Erkenntnissen geführt.
Wie Du mir, so ich dir
In vielen Bereichen, vor allem da, wo es um menschliche
Interaktionen geht, gilt weniger die strikte Regelung, dass das Verhältnis von Angebot und Nachfrage Preise bestimme. Viel mehr verhalten sich die Menschen reziprok, mit einem starken Empfinden für Fairness, was eines der berühmtesten und gleichzeitig einfachsten Beispiele der Spieltheorie, das
Ultimatum Spiel, eindrucksvoll zeigt.
Ultimatum Spiel
Stellen Sie sich vor, Sie sind zu zweit und ein Dritter verspricht Ihnen 100 Euro. Einzige Voraussetzung dafür ist, dass Sie sich darauf einigen, wie Sie das Geld aufteilen. Dazu können Sie ihrem Partner ein Teilungsangebot machen, das er entweder akzeptiert - dann bekommen Sie beide entsprechend die Teile der 100 Schilling - oder er akzeptiert nicht - und keiner von Ihnen bekommt etwas.
Reine Nutzenoptimierung würde daraus hinauslaufen, dass
Sie so wenig wie möglich, also in diesem Fall einen Cent anbieten, und der andere nimmt an - ein Cent ist
schließlich mehr als nichts. Tatsächlich zeigte sich in unzähligen Wiederholungen dieses Spiels und auch bei
wesentlich höheren Geldbeträgen, dass Angebote unter 30 Prozent so gut wie immer ausgeschlagen, und auch sehr selten überhaupt gemacht werden.
Lehrreich für Wirtschaft
Von seinem Gegenüber übervorteilt zu werden, scheint man
sich nicht gefallen lassen zu wollen - auch wenn sich objektiv dennoch für einen selbst ein (materieller) Nutzen ergebe.
Für Ernst Fehr ist das mit ein Grund, weshalb auch in
Rezessions-Zeiten, bei "Überangebot" an Arbeitnehmern,
Lohnsenkungen so gut wie nicht stattfinden. Die Arbeitnehmer
würden sie mit geringerer Motivation und damit geringerer
Leistung "vergelten".
Auch unter gegenteiligen Vorzeichen funktioniert dieses
"wie-du-mir-so-ich-dir-Prinzip". Zu wissen, dass Arbeitgeber
sich reziprok verhalten, hat auch eine enorme Anreizwirkung für die Arbeitnehmer, wie Fehr in Experimenten mit Freiwilligen nachweisen konnte. Menschen sind bereit, mehr zu arbeiten, als von ihnen verlangt wird, wenn sie, einfach gesagt, damit rechnen, von ihren Arbeitgebern fair behandelt zu werden.
Verluste treffen doppelt hart
Eine zweite, wichtige Erkenntnis der behavioural economics ist die, dass zum Beispiel Tausend Schilling zu gewinnen oder tausend Schilling zu verlieren für die meisten genau nicht bedeutet, das selbe zu gewinnen oder eben zu verlieren. Verluste bewerten Menschen im Schnitt als doppelt so schmerzhaft wie der Gewinn des gleichen Betrages an Freude bringt.
Die Konsequenzen dieser "Verlustaversion" wären auf den
internationalen Aktienmärkten zu beobachten, meint Fehr. An
Wert verlierende Aktien würden von vielen allzu lange gehalten, weil ein Verkauf zu einem Betrag unter dem Einkaufswert das schmerzhafte Eingestehen eines Verlustes bedeuten würde - auch wenn die Vernunft schon lange zum Abstoßen der Wertpapiere rät.
Übermäßige Ungeduld
Drittens schließlich wird das vermeintlich kalte Kalkül des
Homo oeconomicus auch durch seine Ungeduld getrübt. Wer
zwischen Nutzen unmittelbar in der Gegenwart und einem
deutlich größeren Nutzen in ferner Zukunft zu entscheiden hat, wählt meist ersteren. "Die Karotte vor der Nase ist
unwiderstehlich", fasst Fehr zahlreiche Untersuchungen und
Experimente zu dem Thema zusammen.
Auch hier gibt es reale Auswirkungen von großer Tragweite.
Persönliche Altersvorsorge, die vernünftige Überlegungen nahe legen würden, scheint vielen wenig attraktiv. Ein System, das auf rein eigenverantwortlicher Altersvorsorge gründet, ist daher klar zum Scheitern verurteilt wäre.
Binsenweisheiten?
Nun mag man einwenden, dass das alles doch tatsächlich
Binsenweisheiten seien und ohnehin klar für jeden, der mit
offenen Augen durch die Welt geht. Ein Einwand, mit dem auch
Ernst Fehr immer wieder konfrontiert wird, dem er aber die
Bedeutung der neuen Wissenschaftlichkeit dieser Erkenntnisse
entgegenhält.
"Früher war das ein Streit um Intuitionen. Die experimentelle Ökonomik hat es möglich gemacht, Skeptikern, die immer noch mit der reinen Eigennutz-Hypothese argumentieren, wissenschaftlich belegte Fakten entgegenzuhalten."
Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft
Wirtschaftliche Vorgänge bestimmen die Geschichte von
Individuen, Familien, Organisationen und ganzen Nationen. Die Untersuchung ihrer psychologischen und soziologischen
Grundlagen ist in den letzten Jahren zum Gegenstand
zahlreicher neuer Forschungen geworden.
Ein prominenter Vertreter der "behavioural economics" ist der Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr. Er hat bei einem Vortrag in Wien seine wichtigsten Thesen vorgestellt.
Noch nicht Mainstream-Ökonomik
"Was ich Ihnen heute erzähle, ist noch nicht der Mainstream - aber hoffentlich wird er es bald sein." Die Mainstream-Ökonomik, so stellt Ernst Fehr gleich zu Beginn
seines Vortrags fest, erweist sich mehr und mehr als zu
kurzsichtig, indem sie den Menschen seit Jahrzehnten als
rationalen Nutzenoptimierer definiert.
Den homo oeconomicus, der kühl überlegt stets und
ausschließlich auf die Optimierung des Eigennutzes aus ist,
gibt es in der Realität nicht. Was intuitiv schon lange klar sein mag, hält nun aber in Form der behavioural economics auch Einzug in die Wirtschaftswissenschaften, und hat in jüngster Zeit - zusammengefasst - zu drei wichtigen Erkenntnissen geführt.
Wie Du mir, so ich dir
In vielen Bereichen, vor allem da, wo es um menschliche
Interaktionen geht, gilt weniger die strikte Regelung, dass das Verhältnis von Angebot und Nachfrage Preise bestimme. Viel mehr verhalten sich die Menschen reziprok, mit einem starken Empfinden für Fairness, was eines der berühmtesten und gleichzeitig einfachsten Beispiele der Spieltheorie, das
Ultimatum Spiel, eindrucksvoll zeigt.
Ultimatum Spiel
Stellen Sie sich vor, Sie sind zu zweit und ein Dritter verspricht Ihnen 100 Euro. Einzige Voraussetzung dafür ist, dass Sie sich darauf einigen, wie Sie das Geld aufteilen. Dazu können Sie ihrem Partner ein Teilungsangebot machen, das er entweder akzeptiert - dann bekommen Sie beide entsprechend die Teile der 100 Schilling - oder er akzeptiert nicht - und keiner von Ihnen bekommt etwas.
Reine Nutzenoptimierung würde daraus hinauslaufen, dass
Sie so wenig wie möglich, also in diesem Fall einen Cent anbieten, und der andere nimmt an - ein Cent ist
schließlich mehr als nichts. Tatsächlich zeigte sich in unzähligen Wiederholungen dieses Spiels und auch bei
wesentlich höheren Geldbeträgen, dass Angebote unter 30 Prozent so gut wie immer ausgeschlagen, und auch sehr selten überhaupt gemacht werden.
Lehrreich für Wirtschaft
Von seinem Gegenüber übervorteilt zu werden, scheint man
sich nicht gefallen lassen zu wollen - auch wenn sich objektiv dennoch für einen selbst ein (materieller) Nutzen ergebe.
Für Ernst Fehr ist das mit ein Grund, weshalb auch in
Rezessions-Zeiten, bei "Überangebot" an Arbeitnehmern,
Lohnsenkungen so gut wie nicht stattfinden. Die Arbeitnehmer
würden sie mit geringerer Motivation und damit geringerer
Leistung "vergelten".
Auch unter gegenteiligen Vorzeichen funktioniert dieses
"wie-du-mir-so-ich-dir-Prinzip". Zu wissen, dass Arbeitgeber
sich reziprok verhalten, hat auch eine enorme Anreizwirkung für die Arbeitnehmer, wie Fehr in Experimenten mit Freiwilligen nachweisen konnte. Menschen sind bereit, mehr zu arbeiten, als von ihnen verlangt wird, wenn sie, einfach gesagt, damit rechnen, von ihren Arbeitgebern fair behandelt zu werden.
Verluste treffen doppelt hart
Eine zweite, wichtige Erkenntnis der behavioural economics ist die, dass zum Beispiel Tausend Schilling zu gewinnen oder tausend Schilling zu verlieren für die meisten genau nicht bedeutet, das selbe zu gewinnen oder eben zu verlieren. Verluste bewerten Menschen im Schnitt als doppelt so schmerzhaft wie der Gewinn des gleichen Betrages an Freude bringt.
Die Konsequenzen dieser "Verlustaversion" wären auf den
internationalen Aktienmärkten zu beobachten, meint Fehr. An
Wert verlierende Aktien würden von vielen allzu lange gehalten, weil ein Verkauf zu einem Betrag unter dem Einkaufswert das schmerzhafte Eingestehen eines Verlustes bedeuten würde - auch wenn die Vernunft schon lange zum Abstoßen der Wertpapiere rät.
Übermäßige Ungeduld
Drittens schließlich wird das vermeintlich kalte Kalkül des
Homo oeconomicus auch durch seine Ungeduld getrübt. Wer
zwischen Nutzen unmittelbar in der Gegenwart und einem
deutlich größeren Nutzen in ferner Zukunft zu entscheiden hat, wählt meist ersteren. "Die Karotte vor der Nase ist
unwiderstehlich", fasst Fehr zahlreiche Untersuchungen und
Experimente zu dem Thema zusammen.
Auch hier gibt es reale Auswirkungen von großer Tragweite.
Persönliche Altersvorsorge, die vernünftige Überlegungen nahe legen würden, scheint vielen wenig attraktiv. Ein System, das auf rein eigenverantwortlicher Altersvorsorge gründet, ist daher klar zum Scheitern verurteilt wäre.
Binsenweisheiten?
Nun mag man einwenden, dass das alles doch tatsächlich
Binsenweisheiten seien und ohnehin klar für jeden, der mit
offenen Augen durch die Welt geht. Ein Einwand, mit dem auch
Ernst Fehr immer wieder konfrontiert wird, dem er aber die
Bedeutung der neuen Wissenschaftlichkeit dieser Erkenntnisse
entgegenhält.
"Früher war das ein Streit um Intuitionen. Die experimentelle Ökonomik hat es möglich gemacht, Skeptikern, die immer noch mit der reinen Eigennutz-Hypothese argumentieren, wissenschaftlich belegte Fakten entgegenzuhalten."
Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft