27. August 2001
Der Schweriner Vize-Ministerpräsident Helmut Holter hat wegen der Ehefrauen-Affäre seinen Staatssekretär entlassen. Ausgestanden ist die Krise damit noch längst nicht: Wegen eines dubiosen Millionendeals gerät die Truppe des Postkommunisten weiter ins Zwielicht.
Warme Worte, harte Schnitte und ein Höchstmaß an Heuchelei: Helmut Holter (PDS), Minister für Arbeit und Bau sowie stellvertretender Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern, ließ am vergangenen Donnerstag nichts aus, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Am Tag zuvor hatten in Schwerin noch Gerüchte über einen "Befreiungsschlag" des Ministers in der seit zwei Wochen schwelenden so genannten Ehefrauen-Affäre die Runde gemacht. Doch was Holter dann in einer überraschend einberufenen Pressekonferenz zum Besten gab, trug zur Aufklärung der Vorwürfe (SPIEGEL 33+34/2001) wenig bei.
Eine "bevorteilende Einflussnahme" seines Staatssekretärs und PDS-Genossen Joachim Wegrad zu Gunsten der Weiterbildungsfirma SBW von dessen Frau Veronika Wegrad-Paul, die überdurchschnittlich hohe Fördermittel aus dem Ministerium erhalten hatte, habe es keineswegs gegeben: "Weder er noch ich haben Förderbescheide an die SBW unterschrieben", so Holter. Auch der Minister ist privat verwickelt, denn seine Ehefrau Karina wiederum arbeitet im schön alimentierten Unternehmen von Wegrads Frau.
Dann schob Holter seinen Staatssekretär, mit Dank für dessen "Engagement und loyales Wirken", in den einstweiligen Ruhestand ab, schloss aber gleichzeitig persönliche Konsequenzen aus. Schließlich habe er, Holter, "Klarheit geschaffen".
Ob das Bauernopfer Wegrad und Holters Ankündigung, seine Ehefrau werde ihre Tätigkeit bei SBW beenden, ihn aus der Schusslinie bringen, ist zu bezweifeln. Nicht nur Oppositionsführer Eckhardt Rehberg (CDU) sprach von "schlechtem Stil" und verwies auf die politische Verantwortung des Ministers für Finanzschiebereien in dessen Haus. Auch beim PDS-Koalitionspartner SPD rumort es. Einige Mitglieder der Landtagsfraktion sehen bereits schwarz. "Wenn Holter fällt", unkt ein einflussreicher Genosse, "ist Rot-Rot Geschichte, nicht nur hier, sondern auch in Berlin und anderen Ländern, wo ein Bündnis angedacht ist."
Regierungschef Harald Ringstorff (SPD) beschränkte seine Solidarität mit Holter auf ein paar dürre Worte aus dem Urlaub - Wegrads Entlassung sei mit ihm abgestimmt, darüber hinaus wisse er die Angelegenheit bei Holter in guten Händen. Von vollstem Vertrauen und jedweder Unterstützung, sonst gern genommene Floskeln, war nicht die Rede.
Für Skepsis bei der SPD sorgt etwa die Ankündigung des Arbeits- und Bauministers, einen unabhängigen Gutachter beauftragen zu wollen. Der solle die Förderpraxis des Ministeriums prüfen und Vorschläge zur Veränderung ausarbeiten. "Wenn alles in Ordnung war", räsoniert ein Abgeordneter, "ist das überflüssig, wenn nicht, hilft der ihm auch nicht mehr."
Hohe Beamte in Holters Ministerium sehen dies ähnlich. Bestenfalls komme bei einer solchen Überprüfung heraus, dass sich Holter "mit traumwandlerischer Sicherheit" die falschen Leute ausgesucht habe und nicht wisse, was in seinem Ministerium vorgehe.
"Dann war allen klar, wie das gelaufen ist - auf der Muttischiene"
Denn fest steht: Für die Personalie Wegrad ist Holter ganz allein verantwortlich - und schon die erschien selbst PDS-Genossen seltsam: Als 1998 klar wird, dass es in Schwerin zu einem SPD/PDS-Bündnis kommt, werden in der Landesgeschäftsstelle der SED-Nachfolgepartei Wetten abgeschlossen, wer auf welchen Posten gehoben wird. "Wegrad", erinnert sich Konstantin Brandt, Mitglied des Parteirats der PDS, "hatte keiner auf der Liste."
Als der Name des Genossen bekannt geworden sei, habe es ein großes Rätselraten gegeben, wer das denn eigentlich sei und worin seine Qualifikation bestehe. "Als dann einer sagte, es handele sich um den Lebensgefährten der SBW-Chefin, bei der Holters Frau arbeite", so Brandt, "war allen klar, wie das gelaufen ist - auf der Muttischiene."
Dass Holter mit Wegrad schlecht beraten war, räumen selbst enge Vertraute des Ministers mittlerweile ein: "Der hat ihn belogen und über vieles gar nicht oder unzureichend informiert." So erfuhr Holter von der Beteiligung der Wegrad-Ehefrau Veronika an der Nobel-Immobilienfirma Wohnen am Wasser angeblich erst, als der SPIEGEL in der vorvergangenen Woche nachfragte, ob dieser Umstand im Ministerium bekannt sei.
Auch über unschöne Hintergründe der Besetzung eines Referatsleiterpostens ließ Wegrad Holter offenbar lange im Unklaren: Auf Initiative des Staatssekretärs wurde der Leiter des Versorgungsamts Rostock, Winfried Regner, als Leiter des Referats 510 (Qualifizierung und Weiterbildung) ins Ministerium geholt - ohne dass der seinen Posten aufgeben musste.
Streng genommen ist der Doppeljob ein Unding, für die Amtsgeschäfte aber sehr praktisch, denn Regner wurde sein eigener Kontrolleur: Als Amtsleiter in Rostock war er für die Bewilligung von stattlichen Fördergeldern für Weiterbildung zuständig. Dort soll er sich, nach Angaben von Mitarbeitern, mit Nachdruck für die Gewährung von Geldern für die SBW von Veronika Wegrad stark gemacht haben. Der unter Honecker noch linientreue Lehrer an einer Offiziersschule bestreitet dies.
Sicher ist, dass er einen Kontrolleur kaum fürchten musste: Mit dem Zweitposten in Schwerin hatte er die Fachaufsicht über seine eigene Vergabepraxis. Regner verteidigt sich mit dem Hinweis, er habe seit seiner Abordnung ins Ministerium "sämtliche Fachaufgaben der Arbeitsmarktförderung" in Rostock an seine Vertreterin abgegeben. Ihr Chef blieb er dennoch.
Von all dem, so Holter, habe er nichts gewusst. Er sei davon ausgegangen, dass Regner voll in Schwerin arbeite. Auch über die Tatsache, dass Regner, via Landesversorgungsamt, der Hauptfürsorgestelle in Neubrandenburg ein Dienstfahrzeug entzog, um seine Doppelfunktion besser wahrnehmen zu können, will er nicht informiert worden sein. Als der Wegrad-Vertraute den Wagen auf der Autobahn A 20 zu Schrott fuhr, ließ der Staatssekretär seinen Minister offenbar im Unklaren. "Mir ist gesagt worden, er sei mit seinem Privat-Pkw verunglückt."
Auf jeden Fall hatte Crash-Pilot Regner Glück im Unglück: Fortan durfte er sich mit einer chauffeurgesteuerten Landeslimousine ins Ministerium fahren lassen. "Bis zu zweimal in der Woche", sagt Regner, habe er den Service in Anspruch genommen, weil seine "Fahrtüchtigkeit durch ein Schleudertrauma und die Einnahme von Tabletten" eingeschränkt gewesen sei.
Augenzeugen schildern das anders. Seit Monaten sei Regner nahezu jeden Tag per Dienstkarosse nach Schwerin kutschiert worden - ein Privileg, das sonst nur den Spitzen der Regierung und dem Präsidenten des Landesrechnungshofes zusteht.
Dass Holter die Personalie Regner am vergangenen Donnerstag gleich mit erledigte und dessen Abordnung "in beiderseitigem Einverständnis" beendete, wird beiden nun auch nicht mehr viel helfen. Denn gefährlicher als sein Fahrstil scheint Regners Förderpraxis in Sachen SBW. Für die ist er als Leiter des Versorgungsamts auch weiterhin zuständig, und dort wird Holters unabhängiger Gutachter wohl die Akten einsehen wollen.
Dessen Hauptaufgabe dürfte allerdings in der Durchleuchtung des undurchsichtigen Geflechts zwischen der Abteilung 5 (Arbeit) des Holter-Ministeriums und dem Beratungsunternehmen BBJ Servis GmbH bestehen. Auch hier drängt sich der Verdacht der Vetternwirtschaft nach Ansicht von Experten deutlich auf. Von einem "Biotop der Schieber" ist die Rede.
Im Februar schloss die Schweriner Tochter der Berliner BBJ Consult Aktiengesellschaft i.G. mit dem Ministerium für Arbeit und Bau einen Millionenvertrag über "Dienstleistungen im Rahmen der Technischen Hilfe des Europäischen Sozialfonds". Im Klartext: BBJ ebnet Unternehmen und Fortbildungsgesellschaften im Auftrag des Landes den Weg zu EU-Fördergeldern und berät die Leitung des Ministeriums "bei der Steuerung der Arbeitsmarktförderung".
Der Vertrag läuft bis Ende 2003 und kann per Option bis Ende 2006 verlängert werden. Für den ersten Abschnitt zahlt das Land mehr als 15 Millionen Mark an BBJ, bei einer Verlängerung bis 2006 sind es insgesamt mehr als 30 Millionen.
Dass Regierungen im Zusammenhang mit EU-Fördermitteln Aufträge an spezialisierte Consulting-Unternehmen vergeben, ist üblich. Doch BBJ ist mit diversen Töchtern in den neuen Bundesländern mehrfach ins Gerede gekommen. 1995 ermittelten Staatsanwälte in Thüringen ebenso wie die Anti-Betrugseinheit der EU gegen BBJ-Mitarbeiter und Ministerialbeamte - wegen Veruntreuung von Fördergeldern. Auch beim Skandal um die Haushaltsrechtsverstöße im brandenburgischen Sozialministerum 1998 war BBJ mit von der Partie, als Geschäftsbesorger.
Nicht zuletzt durch solche Meldungen sensibilisiert, hatte Holters Vorgänger in Sachen Arbeitsmarktpolitik, Sozialminister Hinrich Kuessner (SPD), in der letzten Legislaturperiode die Verbindungen zu BBJ auf ein Minimum heruntergefahren. "Einen neuen Vertrag", so ein damals mit der Materie befasster Ministerialbeamter, "hätten die von Kuessner nie bekommen."
Auch nach der ersten Ausschreibungsrunde unter Holter im Herbst 1999 sah es für BBJ nicht gerade rosig aus, war die Firma doch der mit Abstand teuerste Bieter. Fachlich gut, aber nicht wirtschaftlich, lautete das Urteil des Vergabeausschusses. Um den Auftrag beworben hatten sich vier Unternehmen, darunter das Landesförderinstitut (LFI), ein Geschäftsbereich der Nord/LB. Das war zwar günstiger, bekam aber in der internen Bewertung des Holter-Ministeriums weniger Punkte im Bereich fachliche Qualifikation.
Eine Pattsituation. Doch dann hob das Ministerium die Ausschreibung überraschend auf, erklärte das Verfahren also für nichtig. Nach Ansicht eines beteiligten Experten ein Verstoß gegen die bundesweit gültige Verdingungsordnung für Leistungen: "Diese Ausschreibung hätte nur aufgehoben werden können, wenn kein wirtschaftliches Angebot vorgelegen hätte. Es lag aber eins vor, das von LFI."
Doch selbst wenn das Stornieren der Ausschreibung begründbar gewesen wäre, hätte eine erneute Ausschreibung stattfinden müssen. Stattdessen gab es ein so genanntes Einfaches Verhandlungsverfahren mit dreien der vier Bieter, bei dem alle Beteiligten ihre Angebote nachbessern konnten. "Das", so ein anderer Teilnehmer der Runde, "war nur Show - allen war klar, Staatssekretär Wegrad wollte, dass der Auftrag an BBJ geht." Wegrad bestreitet, Einfluss genommen zu haben.
Doch ihm gefielen die Arbeitsmarktspezialisten um den Schweriner BBJ-Geschäftsführer Herbert Schröder - und nicht nur ihm allein. Im Januar 2000 reisten Holter und Ehefrau Karina mit einigen Mitarbeitern des Ministeriums in die dänische Region Storström. Zweck der Visite: das Studium moderner dänischer Arbeitsmarktmodelle. BBJ hatte die Tour organisiert, Geschäftsführer Schröder und zwei Mitarbeiter waren mit von der Partie und stets zu Diensten. Holter, der nach dem Trip das dänische Modell in den höchsten Tönen pries und nicht zuletzt mit den dort gewonnenen Erkenntnissen seinen Ruf als pragmatischer Macher festigte, war hellauf begeistert.
Da scheint es nur logisch, dass er den zweiten BBJ-Geschäftsführer Ronald Klinger kurz nach der Dänemark-Reise als stellvertretenden Leiter der Abteilung Arbeit ins Ministerium holte - in dem zu der Zeit noch das Vergabeverfahren in Sachen EU-Hilfe lief. Auch Klinger war einst als Jugendstaatsanwalt stramm auf SED-Linie.
Kurz darauf, am 2. Februar, gab BBJ ein neues Angebot zu den Akten - und das lag wundersamerweise haarscharf unter dem des LFI, das die Konkurrenz aber nicht kennen konnte. BBJ bestreitet jede Unregelmäßigkeit.
Holters Sprecher Helfried Liebsch räumt ein, man könne "über Details des Verfahrens die Nase rümpfen", nach Ansicht von Experten der internen Revision des Hauses habe es jedoch keinerlei Rechtsverstöße gegeben. Holter selbst ist vorsichtiger: "Im Moment schließe ich lieber gar nichts mehr aus."
Tröstlich für ihn: Wirklich schlimm kommt es in Schwerin für gefallene Politiker nicht. Holters Ex-Staatssekretär Wegrad kann in den nächsten Jahren mehrere hunderttausend Mark fürs Nichtstun kassieren. Irgendwann ist für den Sozialisten sicher wieder ein Pöstchen frei.
GUNTHER LATSCH
© DER SPIEGEL 35/2001
Der Schweriner Vize-Ministerpräsident Helmut Holter hat wegen der Ehefrauen-Affäre seinen Staatssekretär entlassen. Ausgestanden ist die Krise damit noch längst nicht: Wegen eines dubiosen Millionendeals gerät die Truppe des Postkommunisten weiter ins Zwielicht.
Warme Worte, harte Schnitte und ein Höchstmaß an Heuchelei: Helmut Holter (PDS), Minister für Arbeit und Bau sowie stellvertretender Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern, ließ am vergangenen Donnerstag nichts aus, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Am Tag zuvor hatten in Schwerin noch Gerüchte über einen "Befreiungsschlag" des Ministers in der seit zwei Wochen schwelenden so genannten Ehefrauen-Affäre die Runde gemacht. Doch was Holter dann in einer überraschend einberufenen Pressekonferenz zum Besten gab, trug zur Aufklärung der Vorwürfe (SPIEGEL 33+34/2001) wenig bei.
Eine "bevorteilende Einflussnahme" seines Staatssekretärs und PDS-Genossen Joachim Wegrad zu Gunsten der Weiterbildungsfirma SBW von dessen Frau Veronika Wegrad-Paul, die überdurchschnittlich hohe Fördermittel aus dem Ministerium erhalten hatte, habe es keineswegs gegeben: "Weder er noch ich haben Förderbescheide an die SBW unterschrieben", so Holter. Auch der Minister ist privat verwickelt, denn seine Ehefrau Karina wiederum arbeitet im schön alimentierten Unternehmen von Wegrads Frau.
Dann schob Holter seinen Staatssekretär, mit Dank für dessen "Engagement und loyales Wirken", in den einstweiligen Ruhestand ab, schloss aber gleichzeitig persönliche Konsequenzen aus. Schließlich habe er, Holter, "Klarheit geschaffen".
Ob das Bauernopfer Wegrad und Holters Ankündigung, seine Ehefrau werde ihre Tätigkeit bei SBW beenden, ihn aus der Schusslinie bringen, ist zu bezweifeln. Nicht nur Oppositionsführer Eckhardt Rehberg (CDU) sprach von "schlechtem Stil" und verwies auf die politische Verantwortung des Ministers für Finanzschiebereien in dessen Haus. Auch beim PDS-Koalitionspartner SPD rumort es. Einige Mitglieder der Landtagsfraktion sehen bereits schwarz. "Wenn Holter fällt", unkt ein einflussreicher Genosse, "ist Rot-Rot Geschichte, nicht nur hier, sondern auch in Berlin und anderen Ländern, wo ein Bündnis angedacht ist."
Regierungschef Harald Ringstorff (SPD) beschränkte seine Solidarität mit Holter auf ein paar dürre Worte aus dem Urlaub - Wegrads Entlassung sei mit ihm abgestimmt, darüber hinaus wisse er die Angelegenheit bei Holter in guten Händen. Von vollstem Vertrauen und jedweder Unterstützung, sonst gern genommene Floskeln, war nicht die Rede.
Für Skepsis bei der SPD sorgt etwa die Ankündigung des Arbeits- und Bauministers, einen unabhängigen Gutachter beauftragen zu wollen. Der solle die Förderpraxis des Ministeriums prüfen und Vorschläge zur Veränderung ausarbeiten. "Wenn alles in Ordnung war", räsoniert ein Abgeordneter, "ist das überflüssig, wenn nicht, hilft der ihm auch nicht mehr."
Hohe Beamte in Holters Ministerium sehen dies ähnlich. Bestenfalls komme bei einer solchen Überprüfung heraus, dass sich Holter "mit traumwandlerischer Sicherheit" die falschen Leute ausgesucht habe und nicht wisse, was in seinem Ministerium vorgehe.
"Dann war allen klar, wie das gelaufen ist - auf der Muttischiene"
Denn fest steht: Für die Personalie Wegrad ist Holter ganz allein verantwortlich - und schon die erschien selbst PDS-Genossen seltsam: Als 1998 klar wird, dass es in Schwerin zu einem SPD/PDS-Bündnis kommt, werden in der Landesgeschäftsstelle der SED-Nachfolgepartei Wetten abgeschlossen, wer auf welchen Posten gehoben wird. "Wegrad", erinnert sich Konstantin Brandt, Mitglied des Parteirats der PDS, "hatte keiner auf der Liste."
Als der Name des Genossen bekannt geworden sei, habe es ein großes Rätselraten gegeben, wer das denn eigentlich sei und worin seine Qualifikation bestehe. "Als dann einer sagte, es handele sich um den Lebensgefährten der SBW-Chefin, bei der Holters Frau arbeite", so Brandt, "war allen klar, wie das gelaufen ist - auf der Muttischiene."
Dass Holter mit Wegrad schlecht beraten war, räumen selbst enge Vertraute des Ministers mittlerweile ein: "Der hat ihn belogen und über vieles gar nicht oder unzureichend informiert." So erfuhr Holter von der Beteiligung der Wegrad-Ehefrau Veronika an der Nobel-Immobilienfirma Wohnen am Wasser angeblich erst, als der SPIEGEL in der vorvergangenen Woche nachfragte, ob dieser Umstand im Ministerium bekannt sei.
Auch über unschöne Hintergründe der Besetzung eines Referatsleiterpostens ließ Wegrad Holter offenbar lange im Unklaren: Auf Initiative des Staatssekretärs wurde der Leiter des Versorgungsamts Rostock, Winfried Regner, als Leiter des Referats 510 (Qualifizierung und Weiterbildung) ins Ministerium geholt - ohne dass der seinen Posten aufgeben musste.
Streng genommen ist der Doppeljob ein Unding, für die Amtsgeschäfte aber sehr praktisch, denn Regner wurde sein eigener Kontrolleur: Als Amtsleiter in Rostock war er für die Bewilligung von stattlichen Fördergeldern für Weiterbildung zuständig. Dort soll er sich, nach Angaben von Mitarbeitern, mit Nachdruck für die Gewährung von Geldern für die SBW von Veronika Wegrad stark gemacht haben. Der unter Honecker noch linientreue Lehrer an einer Offiziersschule bestreitet dies.
Sicher ist, dass er einen Kontrolleur kaum fürchten musste: Mit dem Zweitposten in Schwerin hatte er die Fachaufsicht über seine eigene Vergabepraxis. Regner verteidigt sich mit dem Hinweis, er habe seit seiner Abordnung ins Ministerium "sämtliche Fachaufgaben der Arbeitsmarktförderung" in Rostock an seine Vertreterin abgegeben. Ihr Chef blieb er dennoch.
Von all dem, so Holter, habe er nichts gewusst. Er sei davon ausgegangen, dass Regner voll in Schwerin arbeite. Auch über die Tatsache, dass Regner, via Landesversorgungsamt, der Hauptfürsorgestelle in Neubrandenburg ein Dienstfahrzeug entzog, um seine Doppelfunktion besser wahrnehmen zu können, will er nicht informiert worden sein. Als der Wegrad-Vertraute den Wagen auf der Autobahn A 20 zu Schrott fuhr, ließ der Staatssekretär seinen Minister offenbar im Unklaren. "Mir ist gesagt worden, er sei mit seinem Privat-Pkw verunglückt."
Auf jeden Fall hatte Crash-Pilot Regner Glück im Unglück: Fortan durfte er sich mit einer chauffeurgesteuerten Landeslimousine ins Ministerium fahren lassen. "Bis zu zweimal in der Woche", sagt Regner, habe er den Service in Anspruch genommen, weil seine "Fahrtüchtigkeit durch ein Schleudertrauma und die Einnahme von Tabletten" eingeschränkt gewesen sei.
Augenzeugen schildern das anders. Seit Monaten sei Regner nahezu jeden Tag per Dienstkarosse nach Schwerin kutschiert worden - ein Privileg, das sonst nur den Spitzen der Regierung und dem Präsidenten des Landesrechnungshofes zusteht.
Dass Holter die Personalie Regner am vergangenen Donnerstag gleich mit erledigte und dessen Abordnung "in beiderseitigem Einverständnis" beendete, wird beiden nun auch nicht mehr viel helfen. Denn gefährlicher als sein Fahrstil scheint Regners Förderpraxis in Sachen SBW. Für die ist er als Leiter des Versorgungsamts auch weiterhin zuständig, und dort wird Holters unabhängiger Gutachter wohl die Akten einsehen wollen.
Dessen Hauptaufgabe dürfte allerdings in der Durchleuchtung des undurchsichtigen Geflechts zwischen der Abteilung 5 (Arbeit) des Holter-Ministeriums und dem Beratungsunternehmen BBJ Servis GmbH bestehen. Auch hier drängt sich der Verdacht der Vetternwirtschaft nach Ansicht von Experten deutlich auf. Von einem "Biotop der Schieber" ist die Rede.
Im Februar schloss die Schweriner Tochter der Berliner BBJ Consult Aktiengesellschaft i.G. mit dem Ministerium für Arbeit und Bau einen Millionenvertrag über "Dienstleistungen im Rahmen der Technischen Hilfe des Europäischen Sozialfonds". Im Klartext: BBJ ebnet Unternehmen und Fortbildungsgesellschaften im Auftrag des Landes den Weg zu EU-Fördergeldern und berät die Leitung des Ministeriums "bei der Steuerung der Arbeitsmarktförderung".
Der Vertrag läuft bis Ende 2003 und kann per Option bis Ende 2006 verlängert werden. Für den ersten Abschnitt zahlt das Land mehr als 15 Millionen Mark an BBJ, bei einer Verlängerung bis 2006 sind es insgesamt mehr als 30 Millionen.
Dass Regierungen im Zusammenhang mit EU-Fördermitteln Aufträge an spezialisierte Consulting-Unternehmen vergeben, ist üblich. Doch BBJ ist mit diversen Töchtern in den neuen Bundesländern mehrfach ins Gerede gekommen. 1995 ermittelten Staatsanwälte in Thüringen ebenso wie die Anti-Betrugseinheit der EU gegen BBJ-Mitarbeiter und Ministerialbeamte - wegen Veruntreuung von Fördergeldern. Auch beim Skandal um die Haushaltsrechtsverstöße im brandenburgischen Sozialministerum 1998 war BBJ mit von der Partie, als Geschäftsbesorger.
Nicht zuletzt durch solche Meldungen sensibilisiert, hatte Holters Vorgänger in Sachen Arbeitsmarktpolitik, Sozialminister Hinrich Kuessner (SPD), in der letzten Legislaturperiode die Verbindungen zu BBJ auf ein Minimum heruntergefahren. "Einen neuen Vertrag", so ein damals mit der Materie befasster Ministerialbeamter, "hätten die von Kuessner nie bekommen."
Auch nach der ersten Ausschreibungsrunde unter Holter im Herbst 1999 sah es für BBJ nicht gerade rosig aus, war die Firma doch der mit Abstand teuerste Bieter. Fachlich gut, aber nicht wirtschaftlich, lautete das Urteil des Vergabeausschusses. Um den Auftrag beworben hatten sich vier Unternehmen, darunter das Landesförderinstitut (LFI), ein Geschäftsbereich der Nord/LB. Das war zwar günstiger, bekam aber in der internen Bewertung des Holter-Ministeriums weniger Punkte im Bereich fachliche Qualifikation.
Eine Pattsituation. Doch dann hob das Ministerium die Ausschreibung überraschend auf, erklärte das Verfahren also für nichtig. Nach Ansicht eines beteiligten Experten ein Verstoß gegen die bundesweit gültige Verdingungsordnung für Leistungen: "Diese Ausschreibung hätte nur aufgehoben werden können, wenn kein wirtschaftliches Angebot vorgelegen hätte. Es lag aber eins vor, das von LFI."
Doch selbst wenn das Stornieren der Ausschreibung begründbar gewesen wäre, hätte eine erneute Ausschreibung stattfinden müssen. Stattdessen gab es ein so genanntes Einfaches Verhandlungsverfahren mit dreien der vier Bieter, bei dem alle Beteiligten ihre Angebote nachbessern konnten. "Das", so ein anderer Teilnehmer der Runde, "war nur Show - allen war klar, Staatssekretär Wegrad wollte, dass der Auftrag an BBJ geht." Wegrad bestreitet, Einfluss genommen zu haben.
Doch ihm gefielen die Arbeitsmarktspezialisten um den Schweriner BBJ-Geschäftsführer Herbert Schröder - und nicht nur ihm allein. Im Januar 2000 reisten Holter und Ehefrau Karina mit einigen Mitarbeitern des Ministeriums in die dänische Region Storström. Zweck der Visite: das Studium moderner dänischer Arbeitsmarktmodelle. BBJ hatte die Tour organisiert, Geschäftsführer Schröder und zwei Mitarbeiter waren mit von der Partie und stets zu Diensten. Holter, der nach dem Trip das dänische Modell in den höchsten Tönen pries und nicht zuletzt mit den dort gewonnenen Erkenntnissen seinen Ruf als pragmatischer Macher festigte, war hellauf begeistert.
Da scheint es nur logisch, dass er den zweiten BBJ-Geschäftsführer Ronald Klinger kurz nach der Dänemark-Reise als stellvertretenden Leiter der Abteilung Arbeit ins Ministerium holte - in dem zu der Zeit noch das Vergabeverfahren in Sachen EU-Hilfe lief. Auch Klinger war einst als Jugendstaatsanwalt stramm auf SED-Linie.
Kurz darauf, am 2. Februar, gab BBJ ein neues Angebot zu den Akten - und das lag wundersamerweise haarscharf unter dem des LFI, das die Konkurrenz aber nicht kennen konnte. BBJ bestreitet jede Unregelmäßigkeit.
Holters Sprecher Helfried Liebsch räumt ein, man könne "über Details des Verfahrens die Nase rümpfen", nach Ansicht von Experten der internen Revision des Hauses habe es jedoch keinerlei Rechtsverstöße gegeben. Holter selbst ist vorsichtiger: "Im Moment schließe ich lieber gar nichts mehr aus."
Tröstlich für ihn: Wirklich schlimm kommt es in Schwerin für gefallene Politiker nicht. Holters Ex-Staatssekretär Wegrad kann in den nächsten Jahren mehrere hunderttausend Mark fürs Nichtstun kassieren. Irgendwann ist für den Sozialisten sicher wieder ein Pöstchen frei.
GUNTHER LATSCH
© DER SPIEGEL 35/2001