Von Richard Davidson
Als Kapitalanleger an den europäischen Aktienmärkten haben wir uns daran gewöhnt, jenseits des Atlantiks nach den Makro-Indikatoren zu suchen, die unsere Märkte bewegen. Wenn man also meint, dass die US-Notenbank den Zinssenkungszyklus beendet hat, im folgenden fünf Gründe, jetzt noch nicht auf Baisse zu setzen.
Erstens waren die Intervalle zwischen der letzten Zinssenkung und der ersten Erhöhung im Allgemeinen für Aktien sehr gute Zeiten.
Zweitens steht zwar die erste Zinserhöhung nicht unmittelbar bevor, wir erwarten jedoch weiterhin günstige Bedingungen für das Wachstum der Geldmenge und die verfügbare Liquidität.
Drittens sind unsere Volkswirte der Auffassung, dass die EZB angesichts einer Inflationsrate, die wahrscheinlich bis Jahresmitte auf unter ein Prozent sinken wird, noch Spielraum für Zinssenkungen hat.
Viertens sind Anleiherenditen seit dem Tiefstand Anfang November bereits um 75 Basispunkte gestiegen. Vielleicht gehen sie in der nächsten Zeit noch ein wenig nach oben. Doch haben real die Renditen bereits langfristige Durchschnittswerte erreicht, und die sinkende Inflation sollte sie im ersten Halbjahr auf ein attraktives Maß steigern.
Fünftens steigen die Zinsen im Allgemeinen erst wieder, wenn sich die Gewinne erholen. Verbesserte Erträge sollten Unterstützung gegen abrutschende Märkte bieten.
Dennoch besteht Anlass, auf kurze Sicht Vorsicht walten zu lassen. Bei allen acht Sitzungen im Jahr 2001 hat die Fed Zinssenkungen beschlossen. Erfolgt am 30. Januar keine Zinssenkung, wäre es das erste Mal in mehr als einem Jahr, dass der Offenmarktausschuss nichts unternähme. Selbst wenn der wirtschaftliche Aufschwung dafür die Ursache wäre, könnte sich das kurzfristig negativ auf die Marktstimmung auswirken.
Bleiben wir also in Bezug auf die Tendenz der Wertpapiermärkte zur Zeit optimistisch, aber rechnen wir auch mit einem Rückgang in der zweiten Jahreshälfte, wenn die US-Zinsen wieder erhöht werden.
Richard Davidson ist Leiter Aktienstrategie bei Morgan Stanley in London.