Am Mittwoch könnte die US-Notenbank Fed die Leitzinsen erhöhen. Analysten erwarten dennoch steigende Aktienkurse
von Ulrich Machold
Am Mittwochnachmittag wird Alan Greenspan in Washington ans Rednerpult treten. Wie immer wird der amerikanische Notenbankchef dann wohl die Brille zurechtrücken, kritisch blicken, einmal Luft holen. Und wenn das passiert, was alle erwarten, wird er die erste Zinserhöhung seit mehr als drei Jahren ankündigen. Unklar ist nur noch, ob die US-Notenbank Fed ihren Leitzinssatz, die Federal Funds Rate, um 0,25 oder gleich um 0,50 Prozentpunkte anhebt. Auf jeden Fall soll es nach oben gehen.
Denn die US-Wirtschaft wächst in diesem Jahr wohl um 4,3 Prozent, an Inflation erwarten die Statistiker 3,1 Prozent. Das ist viel. Der Leitzins liegt derweil bei einem Prozent, dem niedrigsten Stand seit 1958. Greenspan muss jetzt reagieren, so der Konsens.
Laut Lehrbuch wäre das eine schlechte Nachricht: Steigen die Zinsen, werden Anleihen gegenüber Aktien attraktiver, was Druck auf die Börsen ausübt. Dauert der Zinserhöhungszyklus an, werden die Ergebnisse der Firmen direkt beeinflusst.
Dieses Mal allerdings sind die Börsianer relativ gelassen. Unmittelbare Kursrückgänge erwartet kaum jemand. Eher das Gegenteil. Denn die Geschichte zeigt, dass die Aktienmärkte in der Anfangsphase eines Zinserhöhungszyklus nach oben tendieren - wenn die Börse die Erhöhung erwartet. Das ist der Fall. "Das kommt nicht überraschend", sagt Fondsmanager Tim Albrecht von der DWS. "Eine Überraschung wäre es eher, wenn es keine Erhöhung gäbe."
Denn erstens haben Greenspan und Kollegen die Märkte auf die Erhöhung vorbereitet. Erst vor etwas mehr als zwei Wochen sagte der oberste amerikanische Währungshüter, dass "alles Notwendige zur Sicherung der Preisstabilität" unternommen werden müsse, falls das Inflationsrisiko wachsen sollte. In den Ohren seiner Beobachter ein eindeutiger Hinweis. Die ersten Schritte der Fed dürften daher in den Kursen weitgehend enthalten sein. Das ist auch einer der Gründe, warum die Aktienkurse seit Monaten seit- bis abwärts tendieren.
Zweitens lässt sich aus dem Verlauf der letzten Zinserhöhungen ziemlich gut ablesen, was in den Monaten nach dem ersten Zinsschritt passieren wird: wenig Schlimmes. In den vergangenen 30 Jahren gab der Dax in den zwölf Monaten nach einem US-Leitzinsanstieg lediglich in drei Perioden nach.
Die Analysten von Merrill Lynch schreiben in einer Studie, dass der US-Aktienmarkt während eines Zinserhöhungszyklus im Schnitt noch zulegt: 2,4 Prozent allein in den ersten Monaten. "Wenn die Zinsen moderat steigen, sind die Aktienkurse direkt danach meist eher gestiegen", sagt Stefan Keitel, leitender Investmentstratege bei der Credit Suisse Deutschland. "Wenn sich die Zinserhöhungsdiskussion der letzten Monate nun auflöst, sollte das einen positiven Einfluss haben."
Der dürfte aber nicht von Dauer sein. Denn laut der US-Researchfirma Ned Davis liegt der amerikanische Aktienmarkt zwar normalerweise sowohl drei als auch sechs und neun Monate nach dem ersten Zinsschritt höher als vorher. Anschließend dreht der Trend dagegen: Nach einem Jahr stehen die Kurse drei Prozent tiefer. Kurzfristig droht Aktienbesitzern demnach also keine Gefahr. Nach der zweiten oder dritten Zinserhöhung könnte es aber an der Zeit sein, die Anlageklasse zu wechseln.
Auch aus fundamentalen Gründen. Normalerweise reagierten die Notenbanken mit höheren Zinsen auf eine anziehende Konjunktur, mit der auch Unternehmensgewinne eine Weile weiter stiegen, sagt Klaus Martini, Chefstratege Privatkunden der Deutschen Bank. "Dieses Mal ist der Gewinnzyklus schon weit fortgeschritten, die Fed hat lange gewartet. Damit besteht die Gefahr, dass das Gewinnwachstum bald erlahmt." Deshalb könnten höhere Zinsen zur Belastung werden, meint Martini. Aber das meiste sei vor dem ersten Schritt passiert. "Die Investoren haben sich positioniert."
Das sollten Privatanleger auch tun. Mit der richtigen Strategie nämlich kann man die Zinswende gut überstehen - oder sogar Gewinn daraus schlagen. Denn einige Branchen reagieren äußerst sensibel auf höhere Sätze, während andere profitieren. Laut den Strategen von Merrill Lynch sind es unter anderem Pharma-, Chemie- und Konsumwerte, die in den Monaten nach der ersten Zinserhöhung gut laufen. Schlecht weg kommen Airlines, Versicherungen und vor allem Banken. Geografisch verdauen amerikanische Aktien laut einer Studie der Credit Suisse First Boston den Er höhungszyklus am besten, gefolgt von Japan und Großbritannien. Südostasien kommt am schlechtesten weg. Europa liegt im Mittelfeld.
Allerdings ist nicht sicher, dass sich Amerika auch dieses Mal am besten schlagen wird. Zwar ziehen die US-Zinsen durch die weltweite Finanzvernetzung die Märkte überall mit sich. US-Aktien sind aber schon höher bewertet und damit unattraktiver als europäische. Und der Aktienmarkt wird sich nicht nur nach den Zinsen richten.
"Die europäischen Märkte werden sich von den USA nicht abkoppeln", sagt Deutsche-Bank-Stratege Martini, "und auch die EZB wird bis zum Frühjahr 2005 anfangen, die Zinsen zu erhöhen." Aber man müsse auch die anderen Faktoren sehen: Unternehmensgewinne, Weltwirtschaft, Bewertungsunterschiede zwischen Europa und Amerika. "Für die Aktienmärkte ist das mindestens genauso wichtig."
Im Durchschnitt dauern die US-Zinserhöhungszyklen 13 Monate und umfassen einen Leitsatzanstieg von rund 2,5 Prozentpunkten. Mit ein bisschen Glück wird Alan Greenspan also im Herbst 2005 die Rückkehr zur Normalität verkünden. Aber die Methode, aus der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen, birgt auch Risiken. 1994 zog die Fed innerhalb weniger Monate die Zinsen um volle drei Prozentpunkte an. Ergebnis: US-Aktien gerieten sofort unter Druck. Der Dax verlor fast zehn Prozent.
WamS.de
von Ulrich Machold
Am Mittwochnachmittag wird Alan Greenspan in Washington ans Rednerpult treten. Wie immer wird der amerikanische Notenbankchef dann wohl die Brille zurechtrücken, kritisch blicken, einmal Luft holen. Und wenn das passiert, was alle erwarten, wird er die erste Zinserhöhung seit mehr als drei Jahren ankündigen. Unklar ist nur noch, ob die US-Notenbank Fed ihren Leitzinssatz, die Federal Funds Rate, um 0,25 oder gleich um 0,50 Prozentpunkte anhebt. Auf jeden Fall soll es nach oben gehen.
Denn die US-Wirtschaft wächst in diesem Jahr wohl um 4,3 Prozent, an Inflation erwarten die Statistiker 3,1 Prozent. Das ist viel. Der Leitzins liegt derweil bei einem Prozent, dem niedrigsten Stand seit 1958. Greenspan muss jetzt reagieren, so der Konsens.
Laut Lehrbuch wäre das eine schlechte Nachricht: Steigen die Zinsen, werden Anleihen gegenüber Aktien attraktiver, was Druck auf die Börsen ausübt. Dauert der Zinserhöhungszyklus an, werden die Ergebnisse der Firmen direkt beeinflusst.
Dieses Mal allerdings sind die Börsianer relativ gelassen. Unmittelbare Kursrückgänge erwartet kaum jemand. Eher das Gegenteil. Denn die Geschichte zeigt, dass die Aktienmärkte in der Anfangsphase eines Zinserhöhungszyklus nach oben tendieren - wenn die Börse die Erhöhung erwartet. Das ist der Fall. "Das kommt nicht überraschend", sagt Fondsmanager Tim Albrecht von der DWS. "Eine Überraschung wäre es eher, wenn es keine Erhöhung gäbe."
Denn erstens haben Greenspan und Kollegen die Märkte auf die Erhöhung vorbereitet. Erst vor etwas mehr als zwei Wochen sagte der oberste amerikanische Währungshüter, dass "alles Notwendige zur Sicherung der Preisstabilität" unternommen werden müsse, falls das Inflationsrisiko wachsen sollte. In den Ohren seiner Beobachter ein eindeutiger Hinweis. Die ersten Schritte der Fed dürften daher in den Kursen weitgehend enthalten sein. Das ist auch einer der Gründe, warum die Aktienkurse seit Monaten seit- bis abwärts tendieren.
Zweitens lässt sich aus dem Verlauf der letzten Zinserhöhungen ziemlich gut ablesen, was in den Monaten nach dem ersten Zinsschritt passieren wird: wenig Schlimmes. In den vergangenen 30 Jahren gab der Dax in den zwölf Monaten nach einem US-Leitzinsanstieg lediglich in drei Perioden nach.
Die Analysten von Merrill Lynch schreiben in einer Studie, dass der US-Aktienmarkt während eines Zinserhöhungszyklus im Schnitt noch zulegt: 2,4 Prozent allein in den ersten Monaten. "Wenn die Zinsen moderat steigen, sind die Aktienkurse direkt danach meist eher gestiegen", sagt Stefan Keitel, leitender Investmentstratege bei der Credit Suisse Deutschland. "Wenn sich die Zinserhöhungsdiskussion der letzten Monate nun auflöst, sollte das einen positiven Einfluss haben."
Der dürfte aber nicht von Dauer sein. Denn laut der US-Researchfirma Ned Davis liegt der amerikanische Aktienmarkt zwar normalerweise sowohl drei als auch sechs und neun Monate nach dem ersten Zinsschritt höher als vorher. Anschließend dreht der Trend dagegen: Nach einem Jahr stehen die Kurse drei Prozent tiefer. Kurzfristig droht Aktienbesitzern demnach also keine Gefahr. Nach der zweiten oder dritten Zinserhöhung könnte es aber an der Zeit sein, die Anlageklasse zu wechseln.
Auch aus fundamentalen Gründen. Normalerweise reagierten die Notenbanken mit höheren Zinsen auf eine anziehende Konjunktur, mit der auch Unternehmensgewinne eine Weile weiter stiegen, sagt Klaus Martini, Chefstratege Privatkunden der Deutschen Bank. "Dieses Mal ist der Gewinnzyklus schon weit fortgeschritten, die Fed hat lange gewartet. Damit besteht die Gefahr, dass das Gewinnwachstum bald erlahmt." Deshalb könnten höhere Zinsen zur Belastung werden, meint Martini. Aber das meiste sei vor dem ersten Schritt passiert. "Die Investoren haben sich positioniert."
Das sollten Privatanleger auch tun. Mit der richtigen Strategie nämlich kann man die Zinswende gut überstehen - oder sogar Gewinn daraus schlagen. Denn einige Branchen reagieren äußerst sensibel auf höhere Sätze, während andere profitieren. Laut den Strategen von Merrill Lynch sind es unter anderem Pharma-, Chemie- und Konsumwerte, die in den Monaten nach der ersten Zinserhöhung gut laufen. Schlecht weg kommen Airlines, Versicherungen und vor allem Banken. Geografisch verdauen amerikanische Aktien laut einer Studie der Credit Suisse First Boston den Er höhungszyklus am besten, gefolgt von Japan und Großbritannien. Südostasien kommt am schlechtesten weg. Europa liegt im Mittelfeld.
Allerdings ist nicht sicher, dass sich Amerika auch dieses Mal am besten schlagen wird. Zwar ziehen die US-Zinsen durch die weltweite Finanzvernetzung die Märkte überall mit sich. US-Aktien sind aber schon höher bewertet und damit unattraktiver als europäische. Und der Aktienmarkt wird sich nicht nur nach den Zinsen richten.
"Die europäischen Märkte werden sich von den USA nicht abkoppeln", sagt Deutsche-Bank-Stratege Martini, "und auch die EZB wird bis zum Frühjahr 2005 anfangen, die Zinsen zu erhöhen." Aber man müsse auch die anderen Faktoren sehen: Unternehmensgewinne, Weltwirtschaft, Bewertungsunterschiede zwischen Europa und Amerika. "Für die Aktienmärkte ist das mindestens genauso wichtig."
Im Durchschnitt dauern die US-Zinserhöhungszyklen 13 Monate und umfassen einen Leitsatzanstieg von rund 2,5 Prozentpunkten. Mit ein bisschen Glück wird Alan Greenspan also im Herbst 2005 die Rückkehr zur Normalität verkünden. Aber die Methode, aus der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen, birgt auch Risiken. 1994 zog die Fed innerhalb weniger Monate die Zinsen um volle drei Prozentpunkte an. Ergebnis: US-Aktien gerieten sofort unter Druck. Der Dax verlor fast zehn Prozent.
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