UMSATZ-MANIPULATIONEN
Enronitis light bei AOL Time Warner
Monatelang hat AOL Time Warner beteuert, in seinen Bilanzen stünde die reine Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Jetzt hat der weltgrößte Medienkonzern eingeräumt, vermutlich Umsätze falsch gebucht zu haben.
New York - Die Umsätze in der Online-Sparte fallen, die Synergien zwischen alten und neuen Medien sind nicht zu erkennen, ein Top-Manager nach dem anderen wird höflich, aber bestimmt zum Rücktritt gedrängt: AOL Time Warner hat eigentlich Probleme im Übermaß.
Da kommt das Eingeständnis, man habe die Einnahmen aus drei Anzeigenverträgen bei AOL womöglich "unangemessen ausgewiesen", denkbar unpassend. Verglichen mit dem Konzernumsatz oder den Milliarden-Luftbuchungen beim bankrotten Telekommunikationskonzern WorldCom wirkt die fragliche Summe von 49 Millionen Dollar winzig. Gleichwohl könnte sich der Fall zu einem neuen Image-Fiasko auswachsen und zu einem weiteren Glaubwürdigkeitsverlust an der Wall Street führen. Erst vor wenigen Wochen, als die "Washington Post" AOL Time Warner Bilanztricks vorwarf, hatte der Konzern noch einmal beteuert, Umsätze und Gewinne stets korrekt abgerechnet zu haben. Die Wertpapieraufsicht SEC nahm die Anschuldigungen aber zum Anlass, eigene Ermittlungen aufzunehmen. Wenig später begann auch das US-Justizministerium eigene Untersuchungen.
Schwur unter Vorbehalt
Die SEC war es auch, die das jüngste Eingeständnis provoziert hat. AOL Time Warner hatte die mögliche Manipulation in einer Presseerklärung gegen 17.30 Uhr amerikanischer Zeit zugegeben. Kurz zuvor war eine Deadline der SEC abgelaufen, zu der die Konzernchefs und Finanzvorstände von über 700 US-Großunternehmen mit einer eidesstattlichen Erklärung die Richtigkeit ihrer Bilanzen beschwören mussten. AOL Time Warner hatte den Zwang zum schriftlichen Schwur vorher als unnötig kritisiert. Das könnte zu Spekulationen Anlass geben, dass die möglichen Fehlbuchungen bereits frühzeitig aufgefallen waren.
Offiziell teilte der Konzern mit Hauptsitz am Rockefeller Center in New York mit, die mögliche Manipulation sei in der Woche des 5. August bemerkt worden. Unklar ist, warum sie erst jetzt, unmittelbar nach Ablauf der SEC-Deadline, öffentlich mitgeteilt wurde. Mit dem genannten Vorbehalt haben Konzernchef Richard Parsons und Finanzvorstand Wayne Pace die fällige Richtigkeitserklärung aber fristgerecht unterzeichnet und bei der SEC eingereicht. Damit übernahmen sie die persönliche Verantwortung für die Korrektheit der Zahlenwerke.
Hausgemachter Leistungsdruck
Um welche Transaktionen es bei den möglichen Fehlbuchungen im Einzelnen ging, wurde nicht mitgeteilt. AOL gab aber an, die fraglichen Buchungen seien im Zeitraum zwischen dem September 2000 und dem März 2002 getätigt worden. In jedem Quartal in diesem Zeitraum seien 5,3 Millionen bis 12,7 Millionen Dollar Umsatz aus den verdächtigen Verträgen gebucht worden. Erstmals erscheint nun wahrscheinlich, dass Bilanzen nicht nur, wie von Medien zuvor vermutet, vor der Übernahme von Time Warner durch AOL manipuliert wurden, sondern auch danach. Der Merger der beiden Unternehmen wurde im Januar 2001 vollzogen. Mitarbeiter der Online-Sparte AOL standen fortan unter immensem Druck, die von ihnen selbst gesetzten Umsatz- und Gewinnziele zu erreichen.
Bei den von AOL Time Warner genannten Transaktionen handelt es sich offenbar nicht um die Geschäfte, die im Artikel der "Washington Post" als suspekt moniert worden waren. So hatte die "Post" unter anderem behauptet, AOL habe Erlöse aus Anzeigen, die im Auftrag von eBay verkauft worden waren, als eigene Umsätze verbucht. AOL bestritt diese Vorwürfe.
Kurz vor Ablauf der Deadline am Mittwoch war zudem bekannt geworden, dass AOL sich schon in der vergangenen Woche von David Colburn getrennt hat, der bei AOL unter anderem diverse wichtige Anzeigenverträge ausgehandelt hat. AOL-Sprecher Jim Whitney wollte die Gründe für den Abschied nicht erläutern. Die Nachrichtenagentur AP berichtet aber unter Berufung auf eine Unternehmensquelle, Colburn sei geschasst und aus seinem Büro ausgesperrt worden. Unklar ist einstweilen, ob Colburn die Anzeigenverträge, um die es bei den möglichen Manipulationen geht, ausgehandelt hat und ob er Einfluss auf die Art ihrer Abrechnung hatte.
Paradoxe Erleichterung an der Börse
Auch der zweitgrößte amerikanische Konzern für Verbraucherfinanzierung, Household International, räumte am Mittwoch erstmals Bilanzfehler ein: Die Einnahmen der vergangenen neun Jahre seien tatsächlich 386 Millionen Dollar niedriger gewesen als ursprünglich angegeben. Dem Aktienkurs des Unternehmens, das Visa- und MasterCard-Kreditkarten ausgibt, schien dies allerdings nicht zu schaden - der New Yorker Kurs stieg um 29 Cent auf 38,09 Dollar.
Auch die AOL-Aktien legten nach der Erklärung im nachbörslichen Handel um 25 US-Cent auf 11,05 Dollar zu. Einige Händler werteten die Offenbarungen als nicht besonders bedeutsam. "Wenn in einigen der alten Time-Warner-Teile Eingeständnisse bei den Bilanzen fällig gewesen wären, dann wäre die Geschichte größer", sagte ein Marktteilnehmer. Die Summen seien nicht sehr groß, und das trage wieder zur Beruhigung bei. Ob alle so gelassen reagieren, wird sich noch zeigen: Händler dürften mit Spannung beobachten, mit welchem Kurs die AOL-Aktie am Donnerstag im regulären Handel startet.
Enronitis light bei AOL Time Warner
Monatelang hat AOL Time Warner beteuert, in seinen Bilanzen stünde die reine Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Jetzt hat der weltgrößte Medienkonzern eingeräumt, vermutlich Umsätze falsch gebucht zu haben.
New York - Die Umsätze in der Online-Sparte fallen, die Synergien zwischen alten und neuen Medien sind nicht zu erkennen, ein Top-Manager nach dem anderen wird höflich, aber bestimmt zum Rücktritt gedrängt: AOL Time Warner hat eigentlich Probleme im Übermaß.
Da kommt das Eingeständnis, man habe die Einnahmen aus drei Anzeigenverträgen bei AOL womöglich "unangemessen ausgewiesen", denkbar unpassend. Verglichen mit dem Konzernumsatz oder den Milliarden-Luftbuchungen beim bankrotten Telekommunikationskonzern WorldCom wirkt die fragliche Summe von 49 Millionen Dollar winzig. Gleichwohl könnte sich der Fall zu einem neuen Image-Fiasko auswachsen und zu einem weiteren Glaubwürdigkeitsverlust an der Wall Street führen. Erst vor wenigen Wochen, als die "Washington Post" AOL Time Warner Bilanztricks vorwarf, hatte der Konzern noch einmal beteuert, Umsätze und Gewinne stets korrekt abgerechnet zu haben. Die Wertpapieraufsicht SEC nahm die Anschuldigungen aber zum Anlass, eigene Ermittlungen aufzunehmen. Wenig später begann auch das US-Justizministerium eigene Untersuchungen.
Schwur unter Vorbehalt
Die SEC war es auch, die das jüngste Eingeständnis provoziert hat. AOL Time Warner hatte die mögliche Manipulation in einer Presseerklärung gegen 17.30 Uhr amerikanischer Zeit zugegeben. Kurz zuvor war eine Deadline der SEC abgelaufen, zu der die Konzernchefs und Finanzvorstände von über 700 US-Großunternehmen mit einer eidesstattlichen Erklärung die Richtigkeit ihrer Bilanzen beschwören mussten. AOL Time Warner hatte den Zwang zum schriftlichen Schwur vorher als unnötig kritisiert. Das könnte zu Spekulationen Anlass geben, dass die möglichen Fehlbuchungen bereits frühzeitig aufgefallen waren.
Offiziell teilte der Konzern mit Hauptsitz am Rockefeller Center in New York mit, die mögliche Manipulation sei in der Woche des 5. August bemerkt worden. Unklar ist, warum sie erst jetzt, unmittelbar nach Ablauf der SEC-Deadline, öffentlich mitgeteilt wurde. Mit dem genannten Vorbehalt haben Konzernchef Richard Parsons und Finanzvorstand Wayne Pace die fällige Richtigkeitserklärung aber fristgerecht unterzeichnet und bei der SEC eingereicht. Damit übernahmen sie die persönliche Verantwortung für die Korrektheit der Zahlenwerke.
Hausgemachter Leistungsdruck
Um welche Transaktionen es bei den möglichen Fehlbuchungen im Einzelnen ging, wurde nicht mitgeteilt. AOL gab aber an, die fraglichen Buchungen seien im Zeitraum zwischen dem September 2000 und dem März 2002 getätigt worden. In jedem Quartal in diesem Zeitraum seien 5,3 Millionen bis 12,7 Millionen Dollar Umsatz aus den verdächtigen Verträgen gebucht worden. Erstmals erscheint nun wahrscheinlich, dass Bilanzen nicht nur, wie von Medien zuvor vermutet, vor der Übernahme von Time Warner durch AOL manipuliert wurden, sondern auch danach. Der Merger der beiden Unternehmen wurde im Januar 2001 vollzogen. Mitarbeiter der Online-Sparte AOL standen fortan unter immensem Druck, die von ihnen selbst gesetzten Umsatz- und Gewinnziele zu erreichen.
Bei den von AOL Time Warner genannten Transaktionen handelt es sich offenbar nicht um die Geschäfte, die im Artikel der "Washington Post" als suspekt moniert worden waren. So hatte die "Post" unter anderem behauptet, AOL habe Erlöse aus Anzeigen, die im Auftrag von eBay verkauft worden waren, als eigene Umsätze verbucht. AOL bestritt diese Vorwürfe.
Kurz vor Ablauf der Deadline am Mittwoch war zudem bekannt geworden, dass AOL sich schon in der vergangenen Woche von David Colburn getrennt hat, der bei AOL unter anderem diverse wichtige Anzeigenverträge ausgehandelt hat. AOL-Sprecher Jim Whitney wollte die Gründe für den Abschied nicht erläutern. Die Nachrichtenagentur AP berichtet aber unter Berufung auf eine Unternehmensquelle, Colburn sei geschasst und aus seinem Büro ausgesperrt worden. Unklar ist einstweilen, ob Colburn die Anzeigenverträge, um die es bei den möglichen Manipulationen geht, ausgehandelt hat und ob er Einfluss auf die Art ihrer Abrechnung hatte.
Paradoxe Erleichterung an der Börse
Auch der zweitgrößte amerikanische Konzern für Verbraucherfinanzierung, Household International, räumte am Mittwoch erstmals Bilanzfehler ein: Die Einnahmen der vergangenen neun Jahre seien tatsächlich 386 Millionen Dollar niedriger gewesen als ursprünglich angegeben. Dem Aktienkurs des Unternehmens, das Visa- und MasterCard-Kreditkarten ausgibt, schien dies allerdings nicht zu schaden - der New Yorker Kurs stieg um 29 Cent auf 38,09 Dollar.
Auch die AOL-Aktien legten nach der Erklärung im nachbörslichen Handel um 25 US-Cent auf 11,05 Dollar zu. Einige Händler werteten die Offenbarungen als nicht besonders bedeutsam. "Wenn in einigen der alten Time-Warner-Teile Eingeständnisse bei den Bilanzen fällig gewesen wären, dann wäre die Geschichte größer", sagte ein Marktteilnehmer. Die Summen seien nicht sehr groß, und das trage wieder zur Beruhigung bei. Ob alle so gelassen reagieren, wird sich noch zeigen: Händler dürften mit Spannung beobachten, mit welchem Kurs die AOL-Aktie am Donnerstag im regulären Handel startet.