Diese Woche endet das schlimmste Jahr in der Geschichte der Wall Street. Einmal mehr wird der 11. September die Stimmung im Finanzdistrikt trüben. Gleichzeitig warten die Börsianer auf Bushs klare Worte zu Irak.
New York - "Anniversary Angst" betitelte David Wyss seinen Marktbericht für diese Woche. Damit dürfte der Chefvolkswirt von Standard and Poor's die Stimmungslage seiner Kollegen in Manhattan genau getroffen haben.
Trotz aller Beteuerungen, wie sehr alles schon wieder normal läuft, wird der Jahrestag der Terrorattacken die Woche an der Wall Street überschatten. Der Handel wird voraussichtlich dünner ausfallen als gewöhnlich, etliche Börsianer werden nicht an ihren Schreibtischen sein. Am Mittwoch öffnet die Börse erst um elf Uhr, viele Wall-Street-Firmen halten zusätzlich private Gedenkfeiern ab.
Niemand kann genau sagen, wie der Jahrestag am Mittwoch die Märkte beeinflussen wird. Doch die Unsicherheit selbst ist Gift für die Kurse. Viele Marktteilnehmer werden sich deshalb zurückhalten. Kurzfristig werde es bergab gehen, prognostiziert Wyss. Er erwartet, dass die Juli-Tiefs in den nächsten Wochen noch einmal getestet werden.
Enron statt World Trade Center
Erschwerend kommt hinzu, dass die Märkte bereits seit zwei Wochen im Abwärtstrend sind. Vergangene Woche verlor der Dow Jones weitere 2,7 Prozent, der Nasdaq Composite 1,5 Prozent. Keine guten psychologischen Voraussetzungen.
Die Wall Street hat "das mit Abstand schwärzeste Jahr der Geschichte" hinter sich, wie Richard Grasso, der Chef der New York Stock Exchange, sagt. Die oft herbei beschworene Erholung ist allerdings bis heute nicht zu erkennen: Der Nasdaq Composite und der S&P 500 notieren weiterhin unter ihren September-Tiefs, der Dow Jones liegt nur knapp darüber.
Natürlich ist der Wall-Street-Blues weniger eine Folge der zerstörten Zwillingstürme, als vielmehr der eingestürzten Bilanz-Kartenhäuser von Enron bis WorldCom . Doch die Erinnerung an den 11. September bringt hartgesottene Banker bis heute aus der Fassung. Morgan-Stanley-Chef Philip Purcell etwa bekomme bei dem Thema sofort nasse Augen, berichtet die "New York Times".
Warten auf die Politik
Eng verquickt mit dem Jahrestag ist die Sorge um einen zweiten Golfkrieg. Nichts hassen die Börsianer so sehr wie Unkalkulierbarkeit. Die offensichtliche Uneinigkeit innerhalb der US-Regierung und die Kritik der Allierten haben dazu geführt, dass niemand mehr weiß, was die USA vorhaben. Am Donnerstag will Präsident George W. Bush vor der Uno-Vollversammlung seine Position deutlich machen. Je nachdem, wie überzeugend er ist, könnten die Märkte positiv auf die Rede reagieren.
Ebenfalls am Donnerstag wird US-Notenbankchef Alan Greenspan sprechen. Vor dem Haushaltsausschuss des Repräsentantenhauses gibt er seine neueste Einschätzung der US-Wirtschaft bekannt. Voraussichtlich wird er einmal mehr das Wachstumsziel von 3,5 Prozent für die zweite Jahreshälfte bekräftigen. Eine Zinssenkung scheint zunächst weniger dringlich - zumal Greenspan sich dieses Mittel wohl für einen möglichen Irak-Krieg aufheben wird.
Das letzte Mal, als Bush und Greenspan größere Reden am selben Tag gehalten haben, reagierten die Märkte nur auf Greenspan. Damals war der Dow Jones über 200 Punkte gefallen - obwohl Bush auf seinem "Konjunktur-Forum" versucht hatte, Optimismus zu verbreiten. Diesmal dürfte Bush mit seiner Irak-Rede dem greisen Top-Banker allerdings den Rang ablaufen.
Wen interessieren schon Konjunkturdaten?
Inmitten von Kriegsplänen und Terrorgedenken werden die Konjunkturdaten diese Woche wohl untergehen. Am Freitag veröffentlicht das Handelsministerium die Einzelhandelsumsätze für August. Sie werden voraussichtlich schwach ausfallen: Unter Ausschluss der Boom-Sparte Autos sind die Umsätze den Vorhersagen zufolge den zweiten Monat in Folge nur um 0,2 Prozent gewachsen.
Ian Shepherdson, Chef-Volkswirt von High Frequency Economics, wäre nicht überrascht, wenn die Einzelhandelszahlen enttäuschten. Ebenfalls am Freitag gibt die University of Michigan ihren ersten Bericht über das Verbrauchervertrauen im September bekannt. Es soll sich gegenüber August nicht wesentlich verändert haben.
Beobachter sind sich einig, dass von den Konjunkturdaten in nächster Zeit kein Kursschub zu erwarten ist. Und die Aussicht auf einen baldigen Krieg gegen Irak mag Bushs Wahlkampfteam beruhigen - auf die Anleger dürfte die jedoch einen gegenteiligen Effekt haben.
spiegel.de
New York - "Anniversary Angst" betitelte David Wyss seinen Marktbericht für diese Woche. Damit dürfte der Chefvolkswirt von Standard and Poor's die Stimmungslage seiner Kollegen in Manhattan genau getroffen haben.
Trotz aller Beteuerungen, wie sehr alles schon wieder normal läuft, wird der Jahrestag der Terrorattacken die Woche an der Wall Street überschatten. Der Handel wird voraussichtlich dünner ausfallen als gewöhnlich, etliche Börsianer werden nicht an ihren Schreibtischen sein. Am Mittwoch öffnet die Börse erst um elf Uhr, viele Wall-Street-Firmen halten zusätzlich private Gedenkfeiern ab.
Niemand kann genau sagen, wie der Jahrestag am Mittwoch die Märkte beeinflussen wird. Doch die Unsicherheit selbst ist Gift für die Kurse. Viele Marktteilnehmer werden sich deshalb zurückhalten. Kurzfristig werde es bergab gehen, prognostiziert Wyss. Er erwartet, dass die Juli-Tiefs in den nächsten Wochen noch einmal getestet werden.
Enron statt World Trade Center
Erschwerend kommt hinzu, dass die Märkte bereits seit zwei Wochen im Abwärtstrend sind. Vergangene Woche verlor der Dow Jones weitere 2,7 Prozent, der Nasdaq Composite 1,5 Prozent. Keine guten psychologischen Voraussetzungen.
Die Wall Street hat "das mit Abstand schwärzeste Jahr der Geschichte" hinter sich, wie Richard Grasso, der Chef der New York Stock Exchange, sagt. Die oft herbei beschworene Erholung ist allerdings bis heute nicht zu erkennen: Der Nasdaq Composite und der S&P 500 notieren weiterhin unter ihren September-Tiefs, der Dow Jones liegt nur knapp darüber.
Natürlich ist der Wall-Street-Blues weniger eine Folge der zerstörten Zwillingstürme, als vielmehr der eingestürzten Bilanz-Kartenhäuser von Enron bis WorldCom . Doch die Erinnerung an den 11. September bringt hartgesottene Banker bis heute aus der Fassung. Morgan-Stanley-Chef Philip Purcell etwa bekomme bei dem Thema sofort nasse Augen, berichtet die "New York Times".
Warten auf die Politik
Eng verquickt mit dem Jahrestag ist die Sorge um einen zweiten Golfkrieg. Nichts hassen die Börsianer so sehr wie Unkalkulierbarkeit. Die offensichtliche Uneinigkeit innerhalb der US-Regierung und die Kritik der Allierten haben dazu geführt, dass niemand mehr weiß, was die USA vorhaben. Am Donnerstag will Präsident George W. Bush vor der Uno-Vollversammlung seine Position deutlich machen. Je nachdem, wie überzeugend er ist, könnten die Märkte positiv auf die Rede reagieren.
Ebenfalls am Donnerstag wird US-Notenbankchef Alan Greenspan sprechen. Vor dem Haushaltsausschuss des Repräsentantenhauses gibt er seine neueste Einschätzung der US-Wirtschaft bekannt. Voraussichtlich wird er einmal mehr das Wachstumsziel von 3,5 Prozent für die zweite Jahreshälfte bekräftigen. Eine Zinssenkung scheint zunächst weniger dringlich - zumal Greenspan sich dieses Mittel wohl für einen möglichen Irak-Krieg aufheben wird.
Das letzte Mal, als Bush und Greenspan größere Reden am selben Tag gehalten haben, reagierten die Märkte nur auf Greenspan. Damals war der Dow Jones über 200 Punkte gefallen - obwohl Bush auf seinem "Konjunktur-Forum" versucht hatte, Optimismus zu verbreiten. Diesmal dürfte Bush mit seiner Irak-Rede dem greisen Top-Banker allerdings den Rang ablaufen.
Wen interessieren schon Konjunkturdaten?
Inmitten von Kriegsplänen und Terrorgedenken werden die Konjunkturdaten diese Woche wohl untergehen. Am Freitag veröffentlicht das Handelsministerium die Einzelhandelsumsätze für August. Sie werden voraussichtlich schwach ausfallen: Unter Ausschluss der Boom-Sparte Autos sind die Umsätze den Vorhersagen zufolge den zweiten Monat in Folge nur um 0,2 Prozent gewachsen.
Ian Shepherdson, Chef-Volkswirt von High Frequency Economics, wäre nicht überrascht, wenn die Einzelhandelszahlen enttäuschten. Ebenfalls am Freitag gibt die University of Michigan ihren ersten Bericht über das Verbrauchervertrauen im September bekannt. Es soll sich gegenüber August nicht wesentlich verändert haben.
Beobachter sind sich einig, dass von den Konjunkturdaten in nächster Zeit kein Kursschub zu erwarten ist. Und die Aussicht auf einen baldigen Krieg gegen Irak mag Bushs Wahlkampfteam beruhigen - auf die Anleger dürfte die jedoch einen gegenteiligen Effekt haben.
spiegel.de